Urteil vom Finanzgericht Hamburg (4. Senat) - 4 K 85/19

Tatbestand

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Die Klägerin begehrt Energiesteuerentlastung betreffend Gasöl, das sie im Streitjahr 2016 für einen Hopperbagger bezogen hat.

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Die Klägerin betreibt öffentliche Seehäfen in Deutschland. ...

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Der Rechtsstreit betrifft die Verwendung von Dieselkraftstoff für das "MS ..." (im Folgenden MS), einen Hopperbagger, der von der Klägerin im Wesentlichen zu Saugbagger-, Wasserinjektions- und Transportzwecken in den Hafengebieten und den dazugehörigen Zufahrten eingesetzt wird. Das MS verfügt über eine Hauptmaschine für die Manövriertätigkeit des Schiffes und über einen separaten Antrieb für das Arbeiten mit dem Saugbagger. Beide Maschinen werden aus einem Tank mit Bunkerdiesel versorgt. Das MS ist für den Einsatz in Häfen, auf Wasserstraßen oder auf See konzipiert. Bei seinem Betrieb wird mithilfe eines Schleppkopfes das Sediment an der Gewässersohle gelöst, durch eine Saugleitung an Bord gesaugt und im Laderaum transportiert.

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Daneben kann das MS auch als Wasserinjektionsgerät eingesetzt werden. Dann wird über einen mit Düsen versehenen Rohrbalken mittels einer Spülwasserpumpe Wasser in die Gewässersohle von Schleusen, Vorhäfen, Liegeplätzen oder Fahrwassern injiziert. Die dadurch wie eine Wolke aufgewirbelten Sedimente werden mit der natürlichen Strömung fortgetragen.

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Der Arbeitsbetrieb sowohl beim Schleppkopfbaggern als auch bei der Wasserinjektion ist technisch nur im Fahrbetrieb möglich.

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Für den Betrieb des MS bezog die Klägerin im Kalenderjahr 2016 von fünf Lieferanten unversteuert unter Bezugnahme auf § 27 Abs. 1 des Energiesteuergesetzes (EnergieStG) gekennzeichneten Dieselkraftstoff mit einem Schwefelgehalt von höchstens 10 mg/Kilogramm entsprechend der Unterposition 2710 19 43 der Warennomenklatur nach Artikel 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABl. L 256 vom 7. September 1987, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 578/2002 (ABl. L 97 vom 13. April 2002, S. 1) geänderten, am 1. Januar 2002 geltenden Fassung (im Folgenden KN). So bebunkerte die Klägerin im Kalenderjahr 2016 für das MS ... Liter Gasöl; davon verwendete sie ... Liter für Baggerarbeiten und ... Liter für die Manövriertätigkeit. Sie verfügte im Streitjahr nicht über eine Einzelerlaubnis zum steuerbefreiten Bezug von Energieerzeugnissen als Verwender gemäß § 24 Abs. 2 Satz 1 EnergieStG.

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Nach einer Steueraufsichtsmaßnahme bei der Klägerin setzte der Beklagte mit insgesamt fünf Bescheiden vom 21. Dezember 2017 betreffend fünf verschiedene Lieferanten Energiesteuer in Höhe von ... € gegenüber der Klägerin als Gesamtschuldnerin mit den Lieferanten fest. Zum Registrierkennzeichen XXX-1 setzte der Beklagte für ... Liter Gasöl (bei 15°C) Energiesteuer i.H.v. ... €, zu XXX-2 für ... Liter Gasöl Energiesteuer i.H.v. ... €, zu XXX-3 für ... Liter Gasöl Energiesteuer i.H.v. ... €, zu XXX-4 für ... Liter Gasöl Energiesteuer i.H.v. ... € und zu XXX-5 für ... Liter Gasöl Energiesteuer i.H.v. ... € zu einem Steuersatz von ... € / 1.000 l mit Zahlungsaufforderung auf den 1. Februar 2018 fest. Die Klägerin habe das streitgegenständliche Gasöl mangels des Vorliegens einer Verwendererlaubnis zu Unrecht unversteuert bezogen. Weder habe sie über eine förmliche Einzelerlaubnis verfügt noch hätten die Voraussetzungen einer allgemeinen Erlaubnis nach § 55 der Energiesteuer-Durchführungsverordnung (im Folgenden EnergieStV) vorgelegen.

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Nach erfolglosem Einspruchsverfahren focht die Klägerin die Steuerbescheide mit ihrer Klage vom 28. September 2018 (siehe hierzu die Parallelentscheidung des FG Hamburg, 4 K 113/18) ohne Erfolg an.

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Mit formularmäßigem Entlastungsantrag vom 21. Dezember 2018, beim Beklagten eingegangen am 31. Dezember 2018, beantragte sie zudem für das Kalenderjahr 2016 i.H.v. ... € die Entlastung von der Energiesteuer nach § 52 EnergieStG betreffend die streitbefangenen Gasölmengen. Der Beklagte versagte die Entlastung mit Bescheid vom 6. Februar 2019 (Az. xxx-1). Zum einen sei mit Ablauf des 31. Dezember 2017 Festsetzungsverjährung eingetreten, zum anderen sei auch die Antragsfrist des § 96 Abs. 2 Satz 3 EnergieStV bereits abgelaufen gewesen. Die erst im Dezember 2017 erfolgte Steuerfestsetzung stehe dem nicht entgegen; auf den Termin der Zahlungsaufforderung zum 1. Februar 2018 komme es nicht an.

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Der Einspruch der Klägerin vom 28. Februar 2019 blieb angesichts der Einspruchsentscheidung vom 18. Oktober 2019 ohne Erfolg.

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Die Klägerin hat am 12. November 2019 Klage erhoben, die sie wie folgt begründet:

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Der streitgegenständliche Entlastungsanspruch sei zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht verjährt gewesen. Die einjährige Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) beginne mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Vergütungsanspruch entstanden sei. Die Steuerentlastung gemäß § 52 EnergieStG sei an die Tatbestandsmerkmale der spezifischen Verwendung und der nachweislichen Versteuerung geknüpft. Die streitgegenständlichen Energieerzeugnisse seien unstreitig im Kalenderjahr 2016 zu Fahr- und Arbeitszwecken spezifisch verwendet worden. Die nachweisliche Versteuerung sei jedoch frühestens mit den Steuerfestsetzungen vom 21. Dezember 2017 und spätestens mit der Entrichtung der festgesetzten Steuerbeträge im Februar 2018 erfolgt. Die nach der BFH-Rechtsprechung erforderliche Verifikation der Steuerentstehung sei erst mit der Steuerfestsetzung im Dezember 2017 eingetreten. Sie, die Klägerin, habe die Entlastungen mangels Entstehung des Entlastungsanspruchs bis zum 31. Dezember 2017 also nicht beantragen können.

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Die Antragsfrist des § 96 Abs. 2 Satz 3 EnergieStV sei noch nicht abgelaufen gewesen. Gemäß der im Kalenderjahr 2017 anwendbaren Fassung des § 96 Abs. 2 Satz 4 EnergieStV habe die Antragsfrist bei nachträglicher Steuerfestsetzung erst mit der Steuerfestsetzung zu laufen begonnen. Da der Satz 4 erst mit der Dritten Verordnung zur Änderung der Energiesteuer- und der Stromsteuer-Durchführungsverordnung vom 2. Januar 2018 mit Wirkung zum 1. Januar 2018 aufgehoben worden sei, sei der Satz 4 für im Jahr 2016 verwendete und im Jahr 2017 besteuerte Energieerzeugnisse anwendbar.

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Die Antragsfrist des § 96 Abs. 2 EnergieStV sei überdies nicht von der Ermächtigungsgrundlage des § 66 Abs. 1 Nr. 8 EnergieStG gedeckt. Hiernach sei der Verordnungsgeber lediglich ermächtigt, zur Verfahrensvereinfachung, zur Vermeidung unangemessener wirtschaftlicher Belastungen sowie zur Sicherung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung und des Steueraufkommens Bestimmungen zu den §§ 24 bis 30 EnergieStG zu erlassen. Mit § 96 Abs. 2 Satz 3 EnergieStV sei aber abweichend zu den Tatbestandsvoraussetzungen des § 52 EnergieStG der spezifischen Verwendung und der nachweislichen Versteuerung eine zusätzliche Tatbestandsvoraussetzung der Fristeinhaltung geregelt und insoweit das einschlägige Gesetz unzulässigerweise überschrieben worden.

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Die beantragte Entlastung sei auch vor dem Hintergrund zu gewähren, dass die Entlastungsvorschrift des § 52 EnergieStG die obligatorische Steuerbefreiung des Art. 14 Abs. 1 lit. c) der Richtlinie 2003/96 des Rates vom 27. Oktober 2003 zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom (RL 2003/96/EG) umsetze. Die Richtlinie selbst enthalte keine formalen Anforderungen an die Steuerbefreiung. Aufgrund ständiger EuGH Rechtsprechung zum unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dürfe das Recht auf die Befreiung nicht von der Erfüllung formeller Voraussetzungen abhängig gemacht werden, die nicht mit der tatsächlichen Verwendung der betreffenden Energieerzeugnissen zu tun hätten. Da vorliegend die Verwendung der Energieerzeugnissen für die Schifffahrt nachgewiesen sei, sei die Versagung der Steuerbefreiung aufgrund nationaler, formaler Voraussetzungen unionsrechtswidrig.

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Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Beklagten unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 6. Februar 2019 (Az. xxx-1) in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 18. Oktober 2019 (RL xxx-2) zu verpflichten, die mit Antrag der Klägerin vom 21. Dezember 2018 beantragte Entlastung von der Energiesteuer gemäß § 52 EnergieStG für das Kalenderjahr 2016 in Höhe von ... € zu gewähren.

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Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

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Er begründet seinen Antrag wie folgt:

19

Die energiesteuerrechtliche Antragsfrist stelle allein auf den Verwendungszeitpunkt der Energieerzeugnissen ab. Die Verwendung sei im Streitfall im Kalenderjahr 2016 erfolgt und deshalb die Antragsfrist zum 31. Dezember 2017 abgelaufen.

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Der Vergütungsanspruch sei zudem erloschen. Die Festsetzungsfrist habe nach der BFH-Rechtsprechung mit Ablauf desjenigen Jahres zu laufen begonnen, in dem die Energieerzeugnissen durch den Entlastungsberechtigten verwendet worden seien. Der BFH habe ausdrücklich entschieden, dass ein Entlastungsanspruch nach § 51 Abs. 1 EnergieStG für bezogenes Erdgas mit der Verwendung des von einem Lieferer in der Regel gegen Rechnung bezogenen Energieerzeugnisses entstehe. Die Entstehung sei nicht von der Festsetzung der Steuer durch einen Steuerbescheid oder der Abgabe einer Steueranmeldung durch den Lieferer und der Entrichtung der für das bezogene Energieerzeugnis entstandenen Energiesteuer abhängig. Die Rechtsprechung sei auf § 52 EnergieStG übertragbar. Die Festsetzungsfrist habe im Streitfall also mit Ablauf des 31. Dezember 2016 begonnen und sei zum 31. Dezember 2017 geendet.

21

Die Antragsfrist stehe im Einklang mit dem Lauf der Festsetzungsfrist. Entgegen der klägerischen Auffassung sei § 96 Abs. 2 Satz 4 EnergieStV in der bis zum 31. Dezember 2017 gültigen Fassung auf den Streitfall nicht anwendbar. Die Regelung habe die Festsetzungsfrist der AO nicht außer Kraft setzen können.

22

Unabhängig von der Fristenproblematik sei die Steuerentlastung jedenfalls nicht für Energieerzeugnisse zu gewähren, die zum Antrieb der auf dem MS festmontierten Arbeitsmaschinen verwendet worden seien. Zwar könnten die zum Antrieb des MS verwendeten Energieerzeugnissen nach § 52 Energie EStG entlastet werden. Gemäß § 60 Abs. 1 Nr. 2 EnergieStV gelte aber der Antrieb von Arbeitsmaschinen, die auf einem schwimmenden Arbeitsgerät fest montiert seien und aufgrund eines eigenen Motors unabhängig vom Antriebsmotor des schwimmenden Arbeitsgerätes betrieben würden, nicht als Schifffahrt im Sinne des § 27 Abs. 1 EnergieStG. Das MS stelle ein Wasserfahrzeug der Position 8905 KN und somit ein schwimmendes Arbeitsgerät dar. Die fest mit dem MS verbundenen Saugvorrichtungen verfügten über eigene Motoren, die sie als Arbeitsmaschinen kennzeichneten.

23

Die Beteiligten haben der Entscheidung ohne mündliche Verhandlung und durch den Berichterstatter zugestimmt.

...

Entscheidungsgründe

I.

24

Die Entscheidung ergeht gemäß § 79a Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) durch den Berichterstatter und gemäß § 90 Abs. 2 FGO ohne mündliche Verhandlung.

II.

25

Die zulässige Klage hat in der Sache teilweise Erfolg.

26

Die Ablehnung ist teilweise rechtswidrig, soweit die Entlastung in Höhe von ... € versagt wurde, und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Der Beklagte ist insoweit zur Gewährung der Entlastung zu verpflichten, § 101 FGO. Im Übrigen ist die Klage abzuweisen.

27

Die Klägerin hat angesichts des zweckbegünstigten Einsatzes von ... Litern Gasöl (bei 15°C) Anspruch auf Energiesteuerentlastung gemäß § 52 EnergieStG für das Kalenderjahr 2016 in Höhe von ... €.

28

Gemäß § 52 Abs. 1 Satz 1 EnergieStG wird Steuerentlastung auf Antrag gewährt für nachweislich versteuerte Energieerzeugnisse, die zu den in § 27 genannten Zwecken verwendet worden sind. Gemäß Satz 2 wird die Steuerentlastung für Energieerzeugnisse der Unterpositionen 2710 19 41 bis 2710 19 49 KN im Fall des § 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EnergieStG nur gewährt, wenn diese ordnungsgemäß gekennzeichnet sind.

29

Die Klägerin hat im Streitjahr ... Liter gekennzeichnetes Gasöl für entlastungsfähige Zwecke im Sinne des § 52 i.V.m. § 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EnergieStG eingesetzt (hierzu unter 1.). Sie hat als Entlastungsberechtigte (hierzu unter 2.) fristgerecht einen Entlastungsantrag (hierzu unter 3.) gestellt. Zum Zeitpunkt der Antragstellung war die Verjährungsfrist noch nicht abgelaufen (hierzu unter 4.).

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1. Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EnergieStG dürfen Energieerzeugnisse der Unterpositionen 2710 19 41 bis 2710 19 99 der KN steuerfrei verwendet werden in Wasserfahrzeugen für die Schifffahrt mit Ausnahme der privaten nichtgewerblichen Schifffahrt.

31

Als Schifffahrt im Sinne des § 27 Abs. 1 EnergieStG gilt gemäß § 60 Abs. 1 Nr. 2 EnergieStV nicht der Antrieb von Arbeitsmaschinen, die auf einem schwimmenden Arbeitsgerät fest montiert sind und aufgrund eines eigenen Motors unabhängig vom Antriebsmotor des schwimmenden Arbeitsgerät betrieben werden. Als schwimmende Arbeitsgeräte in diesem Sinne gelten die in Position 8905 KN erfassten Wasserfahrzeuge und schwimmenden Vorrichtungen mit eigenem motorischen Antrieb zur Fortbewegung, § 60 Abs. 1a EnergieStV. Anders als in Nr. 3 i.V.m. Nr. 3.1 der Anlage 1 zur EnergieStV dient die Definition anhand der Tarifposition aber nicht dazu, eine allgemeine Erlaubnis als formales Kriterium auszuschließen (vgl. hierzu die Parallelentscheidung des FG Hamburg, 4 K 113/18), sondern dazu, die Tatbestandsvoraussetzungen der negativen Vermutung in § 60 Abs. 1 EnergieStV zu definieren.

32

Nach diesen Maßgaben hat die Klägerin mit der Menge von ... Litern gekennzeichnetem Gasöl der Unterposition 2710 19 43 nur diejenigen Energieerzeugnisse in begünstigungsfähiger Weise für die Schifffahrt verwendet, die für die Manövriertätigkeit des MS verwendet wurden, nicht aber diejenigen, welche für den Betrieb der Saug-, Verpuste- und Spülpumpen eingesetzt wurden.

33

Die Begünstigungsfähigkeit im Sinne des § 52 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EnergieStG erstreckt sich nach unionsrechtskonformer Auslegung anhand der Kriterien der EuGH-Rechtsprechung nur auf den Kraftstoffverbrauch, der im unmittelbaren, untrennbaren, der Sache innewohnenden Zusammenhang mit der Bewegung bzw. Fahrt des Schiffs steht. Dies ist jedenfalls dann nicht gegeben, wenn der Mineralölverbrauch völlig unabhängig vom Schiffsantrieb entsteht (hierzu unter a.). Dabei kann im Kontext des § 52 i.V.m.§ 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EnergieStG dahinstehen, ob die Kraftstoffe bei der Fahrt in Meeresgewässern der Union oder in Binnengewässern verbraucht wurden (hierzu unter b.) Nach diesen Maßgaben hat die Klägerin ... Liter der streitbefangenen Gasölmengen in begünstigungsfähiger Weise verwendet (hierzu unter c.).

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a. Die Begünstigungsfähigkeit im Sinne des § 52 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EnergieStG erstreckt sich nach unionsrechtskonformer Auslegung anhand der Kriterien der EuGH-Rechtsprechung nur auf den Kraftstoffverbrauch, der im unmittelbaren, untrennbaren, der Sache innewohnenden Zusammenhang mit der Bewegung bzw. Fahrt des Schiffs steht. Dies ist jedenfalls dann nicht gegeben, wenn der Mineralölverbrauch völlig unabhängig vom Schiffsantrieb entsteht.

35

§ 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EnergieStG setzt zum einen Art. 14 Abs. 1 lit. c) der Richtlinie 2003/96/EG des Rates vom 27. Oktober 2003 zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom (RL 2003/96/EG) um. Hiernach befreien die Mitgliedstaaten unter den Voraussetzungen, die sie zur Sicherstellung der korrekten und einfachen Anwendung solcher Befreiungen und zur Verhinderung von Steuerhinterziehung und -vermeidung oder Missbrauch festlegen, Lieferungen von Energieerzeugnissen zur Verwendung als Kraftstoff für die Schifffahrt in Meeresgewässern der Gemeinschaft (einschließlich des Fischfangs), mit Ausnahme der privaten nichtgewerblichen Schifffahrt, und an Bord von Schiffen erzeugten elektrischer Strom von der Steuer.

36

Die RL 2003/96/EG verfolgt ausweislich ihrer Erwägungsgründe (2) bis (5) und (24) das Ziel des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarkts im Energiesektor insbesondere durch Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen, indem sie ein harmonisiertes System der (Mindest-) Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom vorsieht. Dahingegen sollen mit der RL 2003/96/EG angesichts ihrer Systematik gerade keine allgemeinen Steuerbefreiungen eingeführt werden (st. Rspr. des EuGH, siehe exemplarisch das Urteil vom 7. März 2018, C-31/17, Cristal Union, Rn. 29, m.w.N.; so auch schon zur Vorgängerregelung des Art. 14 Abs. 1 lit c) RL 2003/96/EG, Art. 8 der Richtlinie 92/81/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 zur Harmonisierung der Struktur der Verbrauchsteuern auf Mineralöle (RL 92/81/EWG) mit Urteil vom 10. November 2011, C-505/10, Partrederiet Sea Fighter, Rn. 21).

37

Der Grundsatz der Mindestbesteuerung von Energieerzeugnissen in der RL 2003/96/EG steht mithin in einem Spannungsverhältnis zu den ebenfalls darin geregelten obligatorischen und fakultativen Steuerbefreiungen. Dieses Spannungsverhältnis ist Gegenstand einer Vielzahl von EuGH-Entscheidungen geworden (vgl. etwa EuGH, Urteile vom 21. Dezember 2011, C-250/10, Haltergemeinschaft LBL; vom 1. Dezember 2011, C-79/10, Systeme Helmholz; zur Vorgängerregelung Urteile vom 10. November 2011, C-505/10, Partrederiet Sea Fighter; vom 1. März 2007, C-391/05, Jan de Nul).

38

Betreffend die Verwendung von Kraftstoff in einem Schwimmbagger schlug der Generalanwalt beim EuGH Yves Bot in seinen Schlussanträgen für das Verfahren "Partrederiet Sea Fighter" ausdrücklich vor, Mineralöl von der Verbrauchsteuer zu befreien, das von einem auf einem Schiff fest installierten Bagger verbraucht werde, der unabhängig vom Antriebsmotor des Schiffes arbeite, da er über einen eigenen Motor und einen eigenen Treibstofftank verfüge (Schlussanträge des Generalanwalts Yves Bot vom 20. September 2011 in der Rechtssache C-505/10, Partrederiet Sea Fighter).

39

Die Manövriertätigkeit eines Hopperbaggers während der Saug- und Spülarbeiten fiele unter den Begriff "Schifffahrt" im Sinne von Art. 8 Abs. 1 lit. c) UA 1 RL 92/81/EWG. Maßgeblich sei, dass der Hopperbagger über einen Schiffsantrieb verfüge, mit dem er sich bei seiner Manövriertätigkeit selbständig fortbewegen könne, was ihm die Erbringung einer Dienstleistung gegen Entgelt ermögliche (Schlussanträge a.a.O.; Bezugnahme auf EuGH, Urteil vom 1. März 2007, C-391/05, Jan de Nul).

40

Der Begriff "Schifffahrt" im Sinne von Art. 8 Abs. 1 lit. c) UA 1 RL 92/81/EWG sei auf die mit einem Schiff erbrachten Dienstleistungen auszudehnen. Die von einem Hopperbagger bei seinen Baggerarbeiten durchgeführten Fahrten oder Arbeitsleistungen stellten ein untrennbares Ganzes dar. Der Unionsgesetzgeber habe mit der Verwendung des allgemeinen Begriffs "Schifffahrt" die Steuerbefreiung nicht ausdrücklich auf den Mineralölverbrauch für den Antrieb des Schiffes beschränkt. (Die französische Ursprungsfassung der Schlussanträge verwendet den französischen Begriff "navigation" aus der französischen Fassung des Art. 8 Abs. 1 lit c) UA 1 RL 92/81/EWG, der gleichermaßen in Art. 14 Abs. 1 lit. c) UA 1 RL 2003/96/EG das Pendant zum deutschen Begriff "Schifffahrt" bildet). Gemäß UA 2 umfasse der kommerzielle Zweck auch die entgeltliche Erbringung von Dienstleistungen. Der Zusatz "einschließlich Fischerei" bestätige, dass der Begriff "Schifffahrt" die gewerbliche Tätigkeit bezeichne, die in diesen Gewässern ausgeübt werde, nicht nur die Fortbewegung eines Schiffes. Die Durchführung meerestechnischer Arbeiten könne nicht vom eigentlichen Zweck der Schifffahrt unterschieden werden und gehe damit zwingend einher. Der Löffelbagger des MS "Grethe Fighter" könne nicht außerhalb des Schiffes verwendet werden und sei in das Schiff integriert; ohne ihn verliere das Schiff seine Bestimmung zur Durchführung meerestechnischer Arbeiten. Unterschiedliche Abgrenzungen und Auslegungen des Begriffs "Schifffahrt" durch die Mitgliedstaaten könnten zu von der RL 92/81/EWG zu verhindernden Wettbewerbsverzerrungen im Binnenmarkt führen und den freien Verkehr von Mineralöl beeinträchtigen. Die begriffliche Abgrenzung anhand eines vom Schiffsantrieb unabhängigen Motors der Arbeitsmaschine würde zu Wettbewerbsverzerrungen aufgrund von Baumerkmalen von Schiffen führen.

41

Der EuGH schloss sich den Schlussanträgen nicht an:

42

Mineralöl sei nicht begünstigungsfähig, wenn es in einem auf einem Schiff fest montierten Bagger verwendet werde, der aufgrund eines eigenen Motors und Kraftstofftanks unabhängig vom Antriebsmotor des Schiffs arbeite.

43

Für die Steuerbefreiung des Art. 8 Abs. 1 lit. c) RL 92/81/EWG komme es zwar nicht auf den Zweck der von einem Schiff in Meeresgewässern der Union durchgeführten Fahrt an, solange die Schifffahrt eine entgeltliche Dienstleistung umfasse. Nach der bisherigen EuGH-Rechtsprechung fiele auch die Manövriertätigkeit eines Hopperbaggers während der Saug- und Spülarbeiten unter den Begriff "Schifffahrt" im Sinne von Art. 8 Abs. 1 lit. c UA 1 RL 92/81/EG. Dieser Begriff verlange somit, dass die entgeltliche Dienstleistung unmittelbar mit der Fahrt des Schiffs zusammenhänge.

44

Dagegen könne die Bestimmung nicht auf alle Dienstleistungen Anwendung finden, die von einem Schiff aus in den Meeresgewässern der Union erbracht würden, also auf den Verbrauch von Mineralöl, der nicht unmittelbar mit der Fahrt eines Schiffs zusammenhänge. ... Im Ausgangsverfahren stehe fest, dass der Mineralölverbrauch des auf dem fraglichen Schiff montierten Baggers völlig unabhängig vom Schiffsantrieb sei. Unter diesen Umständen sei davon auszugehen, dass dieser Verbrauch nicht unmittelbar mit der Fahrt des Schiffs, auf dem der Bagger montiert ist, zusammenhänge (EuGH, Urteil vom 10. November 2011, C-505/10, Partrederiet Sea Fighter, Rn. 19 ff.).

45

In der dänischen Verfahrenssprache lautet diese Passage: "Derimod kan bestemmelsen ikke fortolkes således, at den finder anvendelse på alle former for levering af tjenesteydelser fra et skib i EU-farvande, dvs. forbrug af mine-ralolier, der ikke er forbundet med et skibs bevægelse. ... Med hensyn til hovedsagen er det ubestridt, at forbruget af mineralolier til den grave-maskine, der er fastmonteret på det omhandlede skib, sker fuldstændigt uafhængigt af skibets fremdrift. Under disse omstændigheder kan dette forbrug ikke anses for uadskilleligt forbundet med bevægelsen af det skib, hvorpå gravemaskinen er monteret." Sie kann mittels Google Translate übersetzt werden: Im Gegensatz dazu kann die Bestimmung nicht so ausgelegt werden, dass sie für alle Arten von Dienstleistungen gilt, die ein Schiff in EU-Gewässern erbringt, d.h. Verbrauch von Mineralölen, die nicht mit der Bewegung eines Schiffes verbunden sind. ... In Bezug auf das Hauptverfahren ist unstreitig, dass der Verbrauch von Mineralölen für den auf dem betreffenden Schiff montierten Bagger völlig unabhängig vom Schiffsantrieb ist. Unter diesen Umständen kann dieser Verbrauch nicht als untrennbar mit der Bewegung des Schiffes verbunden angesehen werden, auf dem der Bagger montiert ist.

46

Die englische Fassung des Urteils lautet insoweit: "On the other hand, that provision cannot be interpreted as meaning that it may be applied to all services provided from a vessel within European Union waters, that is to say, to the consumption of mineral oils which is not linked to a vessel's movement (Rn. 19). ..., it is not disputed that the consumption of mineral oils by the excavator affixed to the vessel at issue is totally independent of the vessel's propulsion. In those circumstances, that consumption cannot be considered to be inherent in the movement of the vessel to which the excavator is affixed."

47

Das erkennende Gericht leitet daraus ab, dass der EuGH den Begriff "Verwendung als Kraftstoff für die Schifffahrt" derart auslegt, dass ein unmittelbarer, untrennbarer, der Sache innewohnender Zusammenhang des Kraftstoffverbrauchs mit der Bewegung bzw. Fahrt des Schiffs bestehen müsse. Dies sei jedenfalls dann nicht gegeben, wenn der Mineralölverbrauch völlig unabhängig vom Schiffsantrieb entstehe und schließt sich der Auslegung an (EuGH, Urteil vom 10.11.2011, C-505/10, Partrederiet Sea Fighter; darin Bezugnahme auf das Urteil vom 1. März 2007, C-391/05, Jan de Nul).

48

Das Ergebnis wird dadurch gestützt, dass der EuGH in dem Verfahren "Jan de Nul" für die Begünstigungsfähigkeit des Kraftstoffverbrauchs eines Hopperbaggers darauf abstellte, dass dieser über einen Schiffsantrieb verfüge, mithilfe dessen er sich bei seiner Manövriertätigkeit selbständig fortbewegen könne. Dieser Antrieb weise somit die technischen Merkmale auf, die für eine Schifffahrt erforderlich seien und ihm die Erbringung einer Dienstleistung, die Kriterium für eine gewerbliche Schifffahrt sei, ermögliche (EuGH, Urteil vom 1. März 2007, C-391/05, Jan De Nul, Rn. 38). Der EuGH legt hier den Begriff Schifffahrt als Manövriertätigkeit aus.

49

Der in der Literatur vertretenen Auffassung, dass eine steuerliche Begünstigung des Betriebs von Arbeitsgeräten wie Baggervorrichtungen oder Pumpen über § 27 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EnergieStG in Betracht komme, sofern diese Geräte Bestandteil des Wasserfahrzeugs seien, schließt sich das Gericht vor diesem Hintergrund nicht an (vgl. Middendorp in Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, § 27 EnergieStG, Rn. 5, 8, Stand Januar 2019 unter Bezugnahme auf die Verwaltungsanweisung in VSF V 8230-1 Abs. 1, m.w.N.).

50

Für die Auslegung des Umfangs der Steuerbefreiung in Art. 8 Abs. 1 lit. c) UA 1 RL 92/81/EWG ist die Regelung in dessen Abs. 2 lit. g) kein Kriterium, wonach die Mitgliedstaaten weitere Steuerbefreiungen oder -ermäßigungen für Mineralöle gewähren durften, die beim Ausbaggern von Schifffahrtsstraßen und Häfen verwendet wurden (EuGH, Urteil vom 1. März 2007, C-391/05, Jan De Nul, Rn. 29). Die RL 2003/96/EG enthält in ihren Art. 14 Abs. 1 lit. c) und Art. 15 Abs. 1 lit. k) inhaltlich identische fakultative Regelungen. Diese Steuerbefreiungsbefugnis hat der nationale Gesetzgeber zu keinem Zeitpunkt übernommen (BT-Drs. 16/1172, S. 38; Middendorp in Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, § 27 EnergieStG, Rn. 5, Stand Januar 2019).

51

b. Dabei kann im Kontext des § 52 i.V.m.§ 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EnergieStG dahinstehen, ob die Kraftstoffe bei der Fahrt in Meeresgewässern der Union oder in Binnengewässern verbraucht wurden.

52

§ 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EnergieStG setzt zum einen die obligatorische Steuerbefreiung des Art. 14 Abs. 1 lit. c), zum anderen die fakultative Steuerbefreiung des Art. 15 Abs. 1 lit. f) RL 2003/96/EG in nationales Steuerrecht um (BT-Drs. 16/1172, S. 38, die allerdings fälschlicherweise Art. 15 Abs. 2 lit. f) RL 2003/96/EG benennt).

53

Nach dieser Ermächtigungsgrundlage können die Mitgliedstaaten unter Steueraufsicht uneingeschränkte oder eingeschränkte Steuerbefreiungen gewähren für Lieferungen von Energieerzeugnissen zur Verwendung als Kraftstoff für die Schifffahrt in Binnengewässern der Gemeinschaft (einschließlich des Fischfangs), mit Ausnahme der privaten nichtgewerblichen Schifffahrt, und an Bord von Schiffen erzeugten elektrischen Strom.

54

Damit steht fest, dass die über den Art. 14 Abs. 1 lit. c) UA 1 hinausgehende Vorschrift des § 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EnergieStG in unionsrechtskonformer Weise auch den Kraftstoffverbrauch der Schifffahrt auf Binnengewässern der Gemeinschaft begünstigt und zum anderen, dass die entsprechende Entlastungsmöglichkeit nach § 52 EnergieStG ebenfalls unionsrechtskonform ist.

55

Der EuGH hat in seinem Urteil Partrederiet Sea Fighter keine Aussage zu der Frage getroffen, ob seine Definition des Begriffs "Verwendung für die Schifffahrt" in Art. 8 Abs. 1 lit c) UA 1 RL 92/81/EWG auch für Zwecke des Abs. 2 lit. b) gilt; ebenso wenig positionieren sich hierzu die Schlussanträge. Dies dürfte an der Vorlagefrage des dänischen Gerichts gelegen haben, die sich ausdrücklich nur auf Abs. lit c) UA 1 bezog. Auffällig ist, dass sowohl die Schlussanträge als auch das Urteil in den anwendbaren Vorschriften sehr wohl die Vorschrift des Art. 8 Abs. 2 lit. b) RL 92/81/EWG zitieren. Nicht nur spricht dieser Umstand für die Anwendbarkeit der EuGH-Rechtsprechung auch für in Binnengewässern stattfindende Verwendung von Energieerzeugnissen. Es sind auch keine Argumente dafür ersichtlich, den Begriff "Schifffahrt" in Abs. 1 lit c) UA 1 anders auszulegen als in Abs. 2 lit. b). Dies gilt gleichermaßen für die Nachfolgeregelungen in Art. 14 Abs. 1 lit c) UA 1 und Art. 15 Abs. 1 lit f) RL 2003/96/EG.

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c. Nach diesen Maßgaben hat die Klägerin ... Liter der streitbefangenen Gasölmengen in begünstigungsfähiger Weise verwendet

57

Nach den obigen Ausführungen kommt es für die Begünstigungsfähigkeit des streitbefangenen Gasöls darauf an, ob der Kraftstoffverbrauch mit dem Schiffsantrieb zusammenhängt und ob ein unmittelbarer Zusammenhang mit der Fortbewegung des Schiffs besteht.

58

Bei dem streitbefangenen MS verfügen die Arbeitsmaschinen über jeweils eigene Motoren und der aus demselben Tank bediente Kraftstoffverbrauch kann durch Betriebsstundenzähler abgegrenzt werden. Der Energieverbrauch der Saug-, Verpuste- und Spülpumpen kann zur Überzeugung des Gerichts nicht freigestellt werden, weil die Arbeit dieser Maschinen nicht dem Manövrieren/Navigieren dient, sondern hiervon unabhängig ist.

59

Anders als die Klägerin meint, ist es für die Begünstigung nicht ausreichend, dass die Dienstleistung in der Regel nur während der Manövriertätigkeit des Schiffs erbracht werden kann.

60

Ebenfalls unerheblich sind die konstruktiven Unterschiede des dem genannten EuGH Urteil C-505/10 zu Grunde liegenden MS "Grethe Fighter" zu dem hier streitbefangenen MS. Ersteres ist kein Hopperbagger, sondern hat nachträglich einen Löffelbagger aufgesetzt bekommen, während das streitbefangene MS von Grund auf als Hopperbagger konstruiert wurde. Im Hinblick auf die genannten Erwägungen des EuGH zur Frage der Abgrenzung der begünstigungsfähigen Manövriertätigkeit eines Schiffs zu dem nicht begünstigungsfähigen Betrieb der Arbeitsmaschinen sind die Schiffe dennoch vergleichbar, denn sowohl für das grundsätzlich stationär arbeitende MS "Grethe Fighter" als auch für den grundsätzlich in der Manövriertätigkeit baggernden Hopperbagger dient die Manövriertätigkeit dazu, Baggerarbeiten am gewünschten Ort ausführen zu können und der Verbrauch der Arbeitsmaschinen steht in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit der Fahrt des Schiffs.

61

2. Die Klägerin ist Entlastungsberechtigte.

62

Entlastungsberechtigt ist gemäß § 52 Abs. 2 EnergieStG derjenige, der die Energieerzeugnisse verwendet hat, mithin die Klägerin.

63

3. Die Klägerin hat ihren Entlastungsantrag fristgerecht gestellt.

64

Gemäß § 96 Abs. 2 EnergieStV ist die Steuerentlastung nach § 52 EnergieStG für in Wasserfahrzeugen verwendete Energieerzeugnisse bei dem für den Antragsteller zuständigen Hauptzollamt mit einer Anmeldung nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck für alle Energieerzeugnisse zu beantragen, die innerhalb eines Entlastungsabschnitts verwendet worden sind. Gemäß Satz 3 wird die Steuerentlastung nur gewährt, wenn der Antrag spätestens bis zum 31. Dezember des Jahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Energieerzeugnisse verwendet worden sind, beim Hauptzollamt gestellt wird. Nach Satz 4 in der Fassung der Verordnung vom 20. September 2011 mit Wirkung vom 30. September (BGBl. I, 1890; aufgehoben durch die Verordnung vom 2. Januar 2018 mit Wirkung vom 1. Januar 2018) wird unter der Voraussetzung, dass die Steuerfestsetzung erst erfolgt, nachdem die Energieerzeugnisse verwendet worden sind, abweichend von Satz 3 die Steuerentlastung gewährt, wenn der Antrag spätestens bis zum 31. Dezember des Jahres gestellt wurde, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer festgesetzt worden ist.

65

Unter diesen Maßgaben hat die Klägerin innerhalb der Antragsfrist ihren Entlastungsantrag formularmäßig gestellt.

66

Die streitbefangenen Steuerfestsetzungen datieren vom 21. Dezember 2017. Damit lief die Antragsfrist mit Ablauf des 31. Dezember 2018 ab. Der Antrag ging dem Beklagten an diesem Tag und damit fristgerecht zu.

67

Der maßgebliche Satz 4 des § 96 Abs. 2 EnergieStV wurde mit der Dritten Verordnung zur Änderung der Energiesteuer- und der Stromsteuer-Durchführungsverordnung vom 2. Januar 2018 mit Wirkung zum 1. Januar 2018 aufgehoben. Zu diesem Zeitpunkt war die Fristverlängerung des Satz 4 angesichts der vor dem Außerkrafttreten des Satzes 4 ergangenen Steuerfestsetzung bereits ausgelöst.

68

Deshalb kann im Ergebnis offenbleiben, ob die Rechtsprechung des EuGH zum unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dazu führt, dass der Antragsfrist des § 96 Abs. 2 Satz 3 EnergieStV keine die Entlastung ausschließende Wirkung mehr zukommen darf.

69

Die von der Klägerin geltend gemachte Steuerentlastungsvorschrift des § 52 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EnergieStG setzt hinsichtlich der Verwendung in Meeresgewässern den obligatorischen Art. 14 Abs. 1 lit. c) und in Binnengewässern der Gemeinschaft den fakultativen Art. 15 Abs. 1 lit. f) RL 2003/96/EG um (siehe BT Drs. 16/1172, S. 38), sodass der unionsrechtliche Verhältnismäßigkeitsmaßstab einzuhalten ist.

70

Gemäß Art. 14 Abs. 1 RL 2003/96/EG dürfen die Mitgliedstaaten im nationalen Recht betreffend die Steuerbefreiungen des Art. 14 Abs. 1 RL 2003/96/EG Voraussetzungen zur Sicherstellung der korrekten und einfachen Anwendung solcher Befreiungen und zur Verhinderung von Steuerhinterziehung und -vermeidung oder Missbrauch festlegen. Die fakultative Befreiungsmöglichkeit nach Art. 15 Abs. 1 lit f) RL 2003/96/EH steht unter der Voraussetzung der Gewährung "unter Steueraufsicht".

71

Der EuGH hat in mittlerweile ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die Versagung der Steuerbefreiung, die gemäß Art. 6 lit c) RL 2003/96/EG auch als Erstattung gewährt werden darf, aufgrund von Verstößen gegen Formvorschriften zur Verwaltungsvereinfachung gegen den unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoße. Insoweit könnten die Mitgliedstaaten für die Verletzung formeller Anforderungen zwar die Verhängung einer Geldbuße vorsehen (EuGH, Urteil vom 2. Juni 2016, ROZ-SWIT, C-418/14, Rn. 40). Eine solche Verletzung könne die in Art. 14 Abs. 1 lit. a) der RL 2003/96/EG vorgesehene Befreiung gleichwohl nicht in Frage stellen, wenn die materiellen Voraussetzungen für ihre Anwendung erfüllt seien (EuGH, Urteil vom 13. Juli 2017, Vakaru Bal-tijos laivu statykla, C-151/16, Rn. 51). Systematik und Zweck der RL 2003/96/EG beruhten auf dem Grundsatz, dass Energieerzeugnisse nach ihrer tatsächlichen Verwendung besteuert würden (EuGH, Urteile vom 27. Juni 2018, Turbogas, C-90/17; vom 13. Juli 2017, Vakaru Baltijos laivu statykla, C-151/16; vom 2. Juni 2016, ROZ-SWIT, C-418/14).

72

Mit seinem Urteil vom 7. November 2019, C-68/18, Petrotel-Lukoil, hat der EuGH diese Rechtsprechung, die das erkennende Gericht sich zu eigen gemacht hat (vgl. FG Hamburg, Urteil vom 1. Februar 2019, 4 K 58/15, juris) weiterentwickelt und Art. 2 Abs. 3 der RL 2003/96/EG sowie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dahingehend ausgelegt, dass sie nationalen Vorschriften oder Gepflogenheiten entgegenstünden, denen zufolge ein Antragserfordernis auf zolltarifliche Einreihung als Voraussetzung zur Erlangung eines günstigen Steuersatzes unbeachtlich sei.

73

Im Bereich der Mehrwertsteuersystemrichtlinie (RL 2006/112/EG) hat der EuGH in seiner jüngeren Rechtsprechung die Einhaltung des unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch für den Fall gefordert, dass ein Mitgliedsstaat eine ihm eingeräumte fakultative, begünstigende Regelungsbefugnis in nationales Recht umsetze (EuGH, Urteile vom 30. April 2020, C-661/18, CTT - Correios de Portugal, Rn. 34 ff.; vom 23. November 2017, C-566/16, David Vamos, Rn. 42 ff.; wohl auch schon vom 30. September 2015, C-424/14, Balogh; vgl. auch Nieskens in EU-UStB 2018, 64). Das erkennende Gericht geht daher davon aus, dass der unionsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auch für die Auslegung des § 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EnergieStG bei Verwendung von Energieerzeugnissen für die Schifffahrt in Binnengewässern der Gemeinschaft Anwendung findet.

74

Unter diesen Maßgaben spricht Einiges für die im Ergebnis aber nicht erhebliche Annahme, dass die Geltendmachung der Versäumung der Antragsfrist des § 96 Abs. 2 Satz 3 EnergieStV bereits für sich genommen und besonders vor dem Hintergrund einer - vom erkennenden Gericht abgelehnten - Rückwirkung der Aufhebung des Satzes 4 unverhältnismäßig im Sinne des Unionsrechts sein könnte. Der Antrag auf Gewährung der Steuervergütung ist keine materiell-rechtliche, sondern eine eigenständige formelle Voraussetzung des Erstattungsanspruchs (vgl. FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18. Juli 2018, 1 K 1257/16, juris, Rn. 35). Der oben zitierten EuGH-Entscheidung C-68/18 ist die Aussage zu entnehmen, dass die Verletzung eines Antragserfordernisses im Lichte einer materiell steuerfreien Verwendung keinen ausschließenden Charakter mehr haben, sondern lediglich angemessen bebußt werden dürfe. Hieraus ergäbe sich gleichsam die Unerheblichkeit der Antragsfrist des § 96 Abs. 2 Satz 3 EnergieStV.

75

Auf die von der Klägerin aufgeworfene Frage, ob der Verordnungsgeber durch eine Überschreitung des Ermächtigungsrahmens des § 66 Abs. 1 Nr. 8 EnergieStG in unzulässiger Weise eine zusätzliche Tatbestandsvoraussetzung der fristgerechten Antragstellung geschaffen hat, kommt es auch deshalb nicht an.

76

4. Zum Zeitpunkt der Antragstellung war die Verjährungsfrist noch nicht abgelaufen.

77

Die Gewährung einer Vergütung kommt nicht mehr in Betracht, wenn Festsetzungsverjährung eingetreten ist. Auf die Festsetzung einer Steuervergütung finden nach § 155 Abs. 4 AO die für die Steuerfestsetzung geltenden Vorschriften sinngemäße Anwendung. Für Verbrauchsteuervergütungen beträgt die Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO ein Jahr. Die Frist beginnt nach § 170 Abs. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahrs zu laufen, in dem der Vergütungsanspruch infolge der Verwirklichung des Entlastungstatbestands entstanden ist. Um Vergütungsansprüche für unversteuert bezogene Energieerzeugnisse auszuschließen, lässt § 52 Abs. 1 EnergieStG eine Steuerentlastung (nur) für nachweislich versteuerte Energieerzeugnisse zu. Der BFH legt das Tatbestandsmerkmal der nachweislichen Versteuerung in gefestigter Rechtsprechung nach dem Sinn und Zweck der Entlastungsregelung aus (so zu dem vergleichbaren § 51 EnergieStG, BFH, Urteil vom 20. September 2016, VII R 7/16, BFH/NV 2016, 1835; zu § 46 EnergieStG, Urteil vom 10. Januar 2017, VII R 26/14, BFH/NV 2017, 841; zu § 10 StromStG, Urteil vom 26. September 2017, VII R 26/16, BFH/NV 2018, 151).

78

Das Tatbestandsmerkmal werde nicht bereits mit Entstehung der Steuer erfüllt, weil diese nicht die buchmäßige Erfassung und damit die ordnungsgemäße Versteuerung gewährleiste. Deshalb müssten Umstände hinzutreten, welche die Steuerentstehung verifizierten. Eine bereits erfolgte Steuerfestsetzung oder -entrichtung sei aber nicht erforderlich. Der vergütungsberechtigte Verwender könne nämlich regelmäßig die Anmeldung und Entrichtung der Steuer durch den Steuerschuldner nicht nachweisen. Da ihm ein Zugriff auf die eigentlichen Besteuerungsunterlagen verwehrt sei, bleibe dem Antragsteller als Mittel der Glaubhaftmachung der Versteuerung nur die Vorlage von Rechnungen, aus denen der Bezug versteuerter Energieerzeugnisse ersichtlich sei. Der Entlastungsanspruch entstehe mithin bereits mit der steuerbegünstigten Verwendung des Energieerzeugnisses, wobei unterstellt werden könne, dass dann die vom Lieferer zu führenden Aufzeichnungen ausreichende Gewähr für die Durchsetzung des Steueranspruchs böten. Daher sei auf die Verwendung des Energieerzeugnisses abzustellen, dessen Bezug und Herkunft der Verwender buchmäßig nachzuweisen habe und bei dem davon ausgegangen werden könne, dass es auch in der Dokumentation des Lieferers bzw. Versorgers erfasst worden sei (BFH, Urteil vom 20. September 2016, VII R 7/16, BFH/NV 2016, 1835).

79

Dabei ließ der BFH angesichts der von ihm bejahten Verjährung offen, ob eine Verlängerung der Antragsfrist nach § 95 Abs. 1 Satz 4 EnergieStV, der dem hier maßgeblichen § 96 Abs. 2 Satz 4 EnergieStV gleicht, nur in besonderen Fällen in Betracht komme, in denen die Steuer z.B. nach einer Außenprüfung oder aufgrund einer zu ändernden Einreihungsauffassung erst nach der Verwendung der Energieerzeugnisse durch einen Steuerbescheid festgesetzt worden sei (BFH, Urteil vom 20. September 2016, VII R 7/16, BFH/NV 2016, 1835; unter Bezugnahme auf BMF-Schreiben vom 19. Oktober 2011 III B 6 - V 8105/11/10001).

80

Auch unter Berücksichtigung der genannten BFH-Rechtsprechung ist die Verjährungsfrist im vorliegenden Fall erst am 31. Dezember 2018 abgelaufen.

81

Trotz der im Einzelnen gewissen Unterschieden unterliegenden Regelungen des im BFH-Verfahren maßgeblichen § 95 und des hier maßgeblichen § 96 EnergieStV hält das Gericht die BFH-Rechtsprechung für grundsätzlich übertragbar auf § 96 EnergieStV. Im vorliegenden Fall unterliegen die Lieferanten der Aufzeichnungspflicht aus § 19 Abs. 1 Satz 1 EnergieStV. Die vom BFH ins Feld geführte zügige Entlastung ist in beiden Vorschriften vorgesehen, vorliegend nach § 96 Abs. 3 Satz 2 EnergieStV.

82

Der BFH wägt in seiner zitierten Rechtsprechung zwischen dem fiskalischen Interesse ab, dass die Versteuerung zu entlastender Energieerzeugnisse gesichert sein müsse, und dem Interesse der Verwender, die Entlastung unter zumutbarem Aufwand und zügig zu erhalten. So sei das energiesteuerrechtliche Entlastungsverfahren nur unter erheblichem Aufwand durchführbar und kaum praktikabel, würde vom Verwender der Nachweis der Steuerfestsetzung oder der Entrichtung der Steuer durch den Lieferer gefordert. Der Begriff der Versteuerung bedürfe daher einer Auslegung, die den Zielen des Gesetzgebers und den Interessen der Wirtschaftsbeteiligten gerecht werde. Die Annahme der Versteuerung der Ware bereits mit dem Verwendungszeitpunkt versteht das erkennende Gericht als Verwaltungsvereinfachung für die Wirtschaftsbeteiligten und den Zoll, die nicht für jede Entlastung die Einhaltung der steuerlichen Pflichten des Lieferanten überprüfen müssen (so auch Bongartz in Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, EnergieStG, StromStG, EnergieStG, § 45 EnergieStG, Rn. 10, Stand November 2019).

83

Die drei bisher vom BFH entschiedenen Fälle weisen indes einen entscheidenden Unterschied zum hiesigen Fall auf. In diesen Verfahren handelte es sich jeweils um von den Verwendern als versteuert bezogene Energieerzeugnisse. Entsprechend führte der BFH in dem Verfahren VII R 7/16 und VII R 24/16 aus, dass den Verwendern als Versteuerungsnachweis nur die Vorlage von Rechnungen bleibe, aus denen der Bezug versteuerter Energieerzeugnisse ersichtlich sei; die Verwender verfügten mithin über Rechnungen betreffend versteuerte Energieerzeugnisse.

84

Der vorliegende Fall jedoch ist anders gelagert: Es handelte sich im vorliegenden Fall gerade nicht um versteuerte, sondern um unversteuert gelieferte Ware, die deshalb mit den Bescheiden vom 21. Dezember 2017 erstmalig besteuert wurden. Die Klägerin konnte deshalb nicht über Abrechnungen versteuerter Ware mit Energiesteuerausweis verfügen, sondern im Gegenteil nur über Abrechnungen über die unversteuerte Lieferung.

85

Die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals der nachweislichen Versteuerung kann bei nachweislich unversteuert bezogener Ware und nachträglicher Besteuerung, anders als der Beklagte meint, nicht bereits mit der Verwendung bejaht werden.

86

Bereits das vom BFH zur Begründung genannte fiskalische Interesse der Sicherstellung einer korrekten Versteuerung lässt keinen anderen Schluss zu (hierzu unter a.), zumal eine Vereinfachung für die Verfahrensbeteiligten bei der Entlastungsanmeldung anderenfalls nicht einträte, weil im Zeitpunkt der Nachbesteuerung keine angemessene Bearbeitungszeit für den Entlastungsantrag bliebe (hierzu unter b.). Das Ergebnis folgt zudem aus der Anwendung der Regeln zum Anscheinsbeweis und zur tatsächlichen Vermutung (hierzu unter c.).

87

a. Bereits das vom BFH zur Begründung genannte fiskalische Interesse der Sicherstellung einer korrekten Versteuerung lässt keinen anderen Schluss zu.

88

Mit seiner ersten Entscheidung über den Entstehungszeitpunkt der Steuerentlastung (BFH, Urteil vom 20. September 2016, VII R 7/16, BFH/NV 2016, 1835) stellte der BFH auf die Bedeutung der buchmäßigen Erfassung beim Lieferer für die Entstehung des Entlastungsanspruchs ab, mithin auf das fiskalische Interesse, nur versteuerte Ware zu entlasten.

89

Dabei hat der BFH seinen Entscheidungen neben dem Besitz einer Rechnung über versteuerte Ware den gesetzlichen Regelfall zu Grunde gelegt, dass die buchmäßige Erfassung vor der Verwendung erfolgt. In der Literatur wird dies als gesetzlicher Idealfall bezeichnet, der eben nicht immer vorliege. Offen sei geblieben, ob der Entlastungsanspruch beständig bleibe, wenn sich später herausstellen sollte, dass der durch die Rechnung des Versorgers erzeugte Anschein einer Versteuerung getäuscht habe und der Versorger die betreffenden Energieerzeugnisse in Wahrheit nicht versteuert habe (Falkenberg in EnergieStG eKommentar, § 45 EnergieStG, Rn. 13.1, Stand Januar 2016; vgl. auch Wunderlich, ZfZ 2016, 298). Diese in der Literatur richtigerweise angestellten Überlegungen würden auf die Spitze getrieben und es würde dem fiskalischen Sicherheitsinteresse nicht gerecht werden, wenn eine ausweislich der Lieferantenrechnung unversteuerte Ware bei Verwendung für steuerfreie Zwecke als "nachweislich versteuert" gelten würde (vgl. zum irrtümlich von einer steuerfreien Verwendung ausgehenden Verwender Falkenberg in EnergieStG eKommentar, § 45 EnergieStG, Rn. 14, Stand Oktober 2018).

90

b. Eine Vereinfachung für die Verfahrensbeteiligten bei der Entlastungsanmeldung träte nach der vom Beklagten bevorzugten Auslegung der BFH-Rechtsprechung nicht ein, weil im Zeitpunkt der Nachbesteuerung keine angemessene Bearbeitungszeit für den Entlastungsantrag bliebe.

91

Würde man mit dem Beklagten im vorliegenden Fall der Nachbesteuerung nach Außendienstmaßnahmen den Fristbeginn nach § 170 Abs. 1 AO mit der Verwendung beginnen lassen, wäre der Klägerin nach der Bekanntgabe des Steuerbescheids unter der Dreitagesfiktion lediglich die Woche nach Heiligabend für die interne Verteilung und Prüfung des Vorgangs und Beantragung der Steuerentlastung verblieben. Es sind auch leicht Fallgestaltungen denkbar, in denen dem Entlastungsberechtigten praktisch überhaupt keine Möglichkeit der Antragstellung vor Ablauf der Verjährungsfrist bliebe.

92

Eine derartige Auslegung der Fristberechnung widerspräche dem Grundsatz, dass Fristen aus dem Gesetzestext sofort, eindeutig und klar erkennbar sein müssen. Sie können nicht erst aus Sinn und Zusammenhang der Gesetze durch ausdehnende und vielleicht sogar überraschende Auslegung gefunden werden (BVerfG, Urteil vom 11. August 1954, 2 BvK 2/54, BVerfGE 4, 31, juris, Rn. 26; Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 46 FGO, Rn. 2, Stand Januar 2020). Zur Überzeugung des Gerichts entspräche dies auch nicht der gesetzgeberischen Wertung des § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO, der den Steuerpflichtigen mit mindestens einem Jahr nach der nachweislichen Versteuerung zwar eine verhältnismäßig kurze Frist zur Prüfung und Bearbeitung einräumt, die aber im Vergleich mit einer Frist von einer Woche sogar großzügig erscheint. Die Geltendmachung der Entlastung würde nicht, wie vom BFH intendiert, vereinfacht, sondern praktisch nahezu unmöglich gemacht.

93

Das Ergebnis wird ebenfalls gestützt durch einen Vergleich mit der in § 355 Abs. 1 Satz 1 AO vorgesehene Monatsfrist, deren Wahrung zum einen ohne weitere Prüfung, Begründung oder Berechnungen möglich und die zum anderen, wie auch die Antragsfrist des § 96 Abs. 2 Satz 3 EnergieStV, wiedereinsetzungsfähig ist.

94

c. Das Ergebnis folgt zudem aus der Anwendung der Regeln zum Anscheinsbeweis und zur tatsächlichen Vermutung.

95

Der Anscheinsbeweis beruht auf der Erkenntnis, dass bestimmte, häufig wiederkehrende typische Geschehensabläufe regelmäßig den Schluss auf bestimmte Ursachen oder auf bestimmte Folgen zulassen. Er enthält also eine Anwendung von Erfahrungsregeln auf einen bestimmten Geschehensablauf in dem Sinne, dass bei einem feststehenden typischen Geschehensablauf nach den Erfahrungen des Lebens auf eine bestimmte Ursache oder einen bestimmten Kausalverlauf geschlossen werden kann. Der Anscheinsbeweis greift allerdings nur bei typischen Geschehensabläufen ein, in denen ein bestimmter Sachverhalt feststeht, der nach allgemeiner Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache oder auf einen bestimmten Ablauf als maßgeblich für den Eintritt eines bestimmten Erfolges hinweist. Der Anscheinsbeweis reicht stets für die Überzeugungsbildung aus; d.h., liegen seine Voraussetzungen vor, so steht die betreffende Tatsache zur Überzeugung des Gerichts fest (Schmidt-Troje in Gosch, AO/FGO, § 96 FGO, Rn. 42, Stand Februar 2013, m.w.N.). Davon kann erforderlichenfalls die tatsächliche Vermutung abgegrenzt werden, die dem Anscheinsbeweis ähnelt. Sie stützt sich i.d.R. auf die allgemeine Lebenserfahrung oder die Erfahrungen des Wirtschaftslebens. Hier wird aus dem Vorliegen bestimmter, feststehender, Hilfstatsachen auf das Vorliegen einer Haupttatsache, einem gesetzlichen Tatbestandsmerkmal geschlossen (Schmidt-Troje in Gosch, AO/FGO, § 96 FGO, Rn. 47, Stand Februar 2013; Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 96 FGO, Rn. 48., Stand Februar 2013). Beiden genannten Beweisregeln ist ihre Widerlegbarkeit immanent. Der Anscheinsbeweis kann durch den Gegenbeweis erschüttert oder entkräftet werden; es genügt, dass ein Sachverhalt dargelegt und nachgewiesen wird, aus dem sich die ernsthafte Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs ergibt. Die tatsächliche Vermutung kann von dem Stpfl. widerlegt werden, und zwar sowohl durch einen unmittelbaren Beweis als auch mit Hilfe von Indizien (Schmidt-Troje in Gosch, AO/FGO, § 96 FGO, Rn. 51, Stand Februar 2013).

96

Nach diesen Grundsätzen entspringt der zitierten BFH-Rechtsprechung ein Erfahrungssatz, dass die nachweisliche Versteuerung eines Energieerzeugnisses bei dessen steuerbegünstigter Verwendung durch einen Entlastungsberechtigten zu unterstellen sei. Der Entlastungsanspruch entstehe bereits mit der steuerbegünstigten Verwendung des Energieerzeugnisses, wobei unterstellt werden könne, dass in diesem Zeitpunkt die vom Lieferer zu führenden Aufzeichnungen ausreichende Gewähr für die Durchsetzung des Steueranspruchs böten (BFH, Urteil vom 20. September 2016, VII R 7/16, BFH/NV 2016, 1835). Dieser Erfahrungssatz ist widerlegt, wenn es sich um nachweislich unversteuerte Ware handelt (vgl. auch Falkenberg in EnergieStG eKommentar, § 45 EnergieStG, Rn. 14 und Beispiel in Rn. 15, Stand Oktober 2018).

III.

97

1. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO.

98

2. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gemäß §115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO zugelassen.

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