Gerichtsbescheid vom Finanzgericht Hamburg (4. Senat) - 4 K 47/20

Tatbestand

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Die Klägerin begehrt Prozesszinsen auf zurückgezahlte Einfuhrumsatzsteuer.

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Mit mehreren Einfuhrabgabenbescheiden aus dem April 2016 setzte das beklagte Hauptzollamt gegenüber der Klägerin Einfuhrumsatzsteuer in Höhe von insgesamt 99.412,20 Euro fest. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhob die Klägerin am 12.06.2017 Klage, die beim erkennenden Senat unter dem Aktenzeichen 4 K 115/17 geführt wurde.

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Im Verlauf des Klageverfahrens half das beklagte Hauptzollamt den Einsprüchen ab und zahlte der Klägerin am 09.12.2019 die von ihr entrichteten Einfuhrumsatzsteuerbeträge zurück. Der Rechtsstreit wurde daraufhin von den Beteiligten übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt erklärt.

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Mit Mail vom 24.03.2020 beantragte die Klägerin den Erlass eines Zinsbescheids bezüglich des ausgekehrten Abgabenbetrages in Höhe von insgesamt 14.415 Euro seit dem 12.06.2017 (Datum der Rechtshängigkeit) unter Hinweis auf §§ 236 Abs. 1, 238 Abs. 1 AO.

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Das beklagte Hauptzollamt lehnte die Zahlung von Prozesszinsen mit Bescheid vom 28.04.2020 mit der Begründung ab, dass seit dem Inkrafttreten des Unionszollkodex zum 01.05.2016 nach Art. 116 Abs. 6 UAbs. 1 UZK von den betreffenden Zollbehörden im Falle der Erstattung von Einfuhrabgaben keine Zinsen zu zahlen seien. Der Bundesfinanzhof habe mit Urteil vom 22.10.2019 (VII R 38/18) entschieden, dass es für die Anwendbarkeit des Art. 116 UZK auf den Zeitpunkt der Rechtshängigkeit ankomme, da das Prozessrechtsverhältnis bereits ab Rechtshängigkeit bestehe. Die dem Antrag auf Zahlung von Zinsen zugrundeliegende Rechtssache 4 K 115/17 sei seit dem 12.06.2017 und damit nach dem Inkrafttreten des Unionszollkodex rechtshängig geworden mit der Folge, dass die Klägerin aufgrund der Sperrwirkung des Art. 116 Abs. 6 UAbs. 1 UZK keine Prozesszinsen beanspruchen könne.

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Die Klägerin hat am 14.05.2020 Sprungklage erhoben, der das beklagte Hauptzollamt innerhalb der Frist des § 45 Abs. 1 FGO zugestimmt hat. Die Klägerin meint, die Vorschrift des § 236 AO sei Ausdruck einer Wertung des deutschen Gesetzgebers; durch die Regelung des Art. 116 Abs. 6 UZK könne diese Wertung, dass Beträge, die Gegenstand eines Gerichtsverfahrens seien und im Laufe oder nach Beendigung des Gerichtsverfahrens erstattet würden, zu verzinsen seien, nicht außer Kraft gesetzt werden. Im Übrigen seien Prozesszinsen eine materiell-rechtliche Folge des erfolgreich durchgeführten Finanzgerichtsverfahrens. Wenn Art. 44 Abs. 2 lit. b) UZK das gesamte Verfahren des zweistufigen Rechtsbehelfsverfahrens den "geltenden Vorschriften der Mitgliedstaaten" unterwerfe, so erfasse dies auch die materiell-rechtliche Folge des finanzgerichtlichen Verfahrens, mithin das Entstehen von Prozesszinsen.

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Die Klägerin beantragt,
das beklagte Hauptzollamt unter Aufhebung des Bescheides vom 28.04.2020 zu verpflichten, für die ihr erstattete Einfuhrumsatzsteuer Zinsen in Höhe von insgesamt 14.415 Euro festzusetzen.

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Das beklagte Hauptzollamt beantragt,
die Klage abzuweisen.

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Es betont erneut, dass die Verzinsung eines Anspruchs auf Erstattung von Einfuhrabgaben nach § 236 Abs. 1 AO aufgrund der Vorschrift des Art. 116 Abs. 6 UAbs. 1 UZK ausgeschlossen sei. Hinsichtlich der Anwendbarkeit des Art. 116 Abs. 6 UAbs. 1 UZK sei auf den Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des Erstattungsanspruchs abzustellen mit der Folge, dass Art. 116 Abs. 6 UAbs. 1 UZK nicht erst auf die seit dem 01.05.2016 entstandenen Zollschulden, sondern auch auf die Zollschulden Anwendung finde, die - wie hier - vor dem 01.05.2016 entstanden seien, die Rechtshängigkeit des Erstattungsanspruchs indes erst nach dem 01.05.2016 eingetreten sei. Dass Art. 44 Abs. 2 UZK die Durchführung des zweistufigen Rechtsbehelfsverfahrens nach den Vorschriften der Mitgliedstaaten eröffne, stehe dem nicht entgegen. Denn dieser Verweis auf die Vorschriften der Mitgliedstaaten beziehe sich allein auf die jeweiligen nationalen Verfahrensvorschriften; er sei deshalb nicht geeignet, materiell-rechtliche Zinsansprüche zu begründen oder zu verändern.

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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Sachakte des beklagten Hauptzollamtes verwiesen.

Entscheidungsgründe

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I. Der Senat entscheidet gemäß § 90a Abs. 1 ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid.

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II. Die zulässige Verpflichtungsklage führt zum Erfolg. Die Klägerin hat Anspruch auf die begehrten Zinsen. Die Ablehnung des Zinsbegehrens ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 101 Satz 1 FGO).

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Rechtsgrundlage für den von der Klägerin geltend gemachten Zinsanspruch ist die Vorschrift des § 236 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 AO. In § 236 Abs. 1 Satz 1 AO hat der nationale Gesetzgeber bestimmt, wird durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung oder aufgrund einer solchen Entscheidung eine festgesetzte Steuer herabgesetzt oder eine Steuervergütung gewährt, so ist der zu erstattende oder zu vergütende Betrag vom Tag der Rechtshängigkeit an bis zum Auszahlungstag zu verzinsen. Nach § 236 Abs. 2 Nr. 1 AO ist Absatz 1 entsprechend anzuwenden, wenn sich der Rechtsstreit durch Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Verwaltungsakts oder durch Erlass des beantragten Verwaltungsakts erledigt. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind im Streitfall erfüllt (hierzu unter 1.). Die Anwendbarkeit der Vorschrift des § 236 AO wird durch Art. 116 Abs. 6 UAbs. 1 UZK nicht ausgeschlossen (hierzu unter 2.).

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1. Die Voraussetzungen des § 236 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 AO sind im Streitfall erfüllt. Das beklagte Hauptzollamt hat der Klägerin mit Bescheid vom 05.12.2019 die Einfuhrumsatzsteuer erstattet, die es gegenüber der Klägerin mit mehreren Bescheiden aus dem April 2016 festgesetzt hatte. Durch die Erstattung der Einfuhrumsatzsteuer hat sich der Rechtsstreit erledigt, den die Klägerin gegen die Festsetzung der Einfuhrumsatzsteuer unter dem Aktenzeichen 4 K 115/17 beim erkennenden Senat geführt hatte.

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2. Der somit gegebene Anspruch der Klägerin auf Prozesszinsen nach § 236 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 AO wird durch das Unionsrecht nicht ausgeschlossen. Der Unionsgesetzgeber hat zwar in Art. 116 Abs. 6 UAbs. 1 UZK bestimmt, dass im Falle der Erstattung von den betreffenden Zollbehörden keine Zinsen zu zahlen sind. Die Regelung des Art. 116 Abs. 6 UAbs. 1 UZK setzt indes einen - in Bezug auf den Streitfall nicht gegebenen - Erstattungsfall voraus; sie findet auf die Anfechtung von Abgabenfestsetzungen im Rechtsbehelfsverfahren keine Anwendung (hierzu unter a). Ungeachtet dessen wäre die Regelung des Art. 116 Abs. 6 UAbs. 1 UZK auch erst auf die seit dem 01.05.2016 entstandenen Zollschulden anwendbar (hierzu unter b). Darüber hinaus werden durch die unionsrechtliche Normierung des Art. 116 Abs. 6 UAbs. 1 UZK allein Zinsansprüche auf Erstattungsbeträge ausgeschlossen, nicht indes auch - wie hier - Prozesszinsen, die sich aus dem Prozessrechtsverhältnis und nicht dem Erstattungsrechtsverhältnis ergeben (hierzu unter c).

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a) Die Regelung des Art. 116 Abs. 6 UAbs. 1 UZK setzt einen Erstattungsfall voraus, der im Streitfall nicht gegebenen ist; auf die - wie hier - Anfechtung von Abgabenfestsetzungen im Rechtsbehelfsverfahren findet Art. 116 Abs. 6 UAbs. 1 UZK keine Anwendung.

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Die Normierung des Art. 116 UZK steht zu Beginn des 3. Abschnitts des 3. Kapitels im Titel III "Zollschuld und Sicherheitsleistung"; der 3. Abschnitt ist überschrieben mit "Erstattung und Erlass". Erstattung meint ausweislich der Legaldefinition des Art. 5 Nr. 28 UZK die Rückzahlung eines entrichteten Einfuhr- oder Ausfuhrabgabenbetrages; sie kann von Amts wegen oder auf Antrag innerhalb der Fristen des Art. 121 UZK erfolgen. Das Erstattungsverfahren steht - ebenso wie das Erlassverfahren - selbständig neben dem Rechtsbehelfsverfahren gegen die Abgabenfestsetzung. Die Anfechtung eines Abgabenbescheides im Rechtsbehelfsverfahren führt im Falle eines für den Kläger positiven Ausgangs zwar ebenfalls zu einer Rückzahlung des entrichteten Abgabenbetrages, dies jedoch nicht im Sinne einer Erstattung, sondern als Folgenbeseitigung des durch Zahlung vollzogenen Abgabenbescheids (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 2 FGO). Die Modalitäten und Rechtsfolgen der Anfechtung eines Abgabenbescheids im Rechtsbehelfsverfahren obliegen der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten (vgl. hierzu EuGH, Urteil vom 30.06.2016, C-205/15, Rz. 33; Urteil vom 21.04.2016, C-377/14, Rz. 48; Urteil vom 06.10.2015, C-69/14, Rz. 26; Urteil vom 13.12.2012, C-215/11, Rz. 34); der Unionszollkodex und damit auch Art. 116 UZK verhält sich hierzu dementsprechend nicht. Aus diesem Verständnis folgt, dass der in Art. 116 Abs. 6 UAbs. 1 UZK normierte Ausschluss der Verzinsung "im Falle der Erstattung" ausschließlich Anwendung findet auf Erstattungsentscheidungen, denen entweder ein Erstattungsantrag im Sinne des Art. 172 UZK-IA zugrunde liegt oder die gemäß Art. 116 Abs. 4 UZK von Amts wegen erfolgen. Ist die "Erstattungsentscheidung" dagegen Folge einer - wie hier - erfolgreichen Anfechtung des Einfuhrabgabenbescheides im Rechtsbehelfsverfahren, ist die Vorschrift des Art. 116 UZK nicht anwendbar.

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Der Senat ist sich bewusst, dass im Rechtsbehelfsverfahren erfolgreich angefochtene Abgabenbeträge - in den Worten des Art. 236 Abs. 1 ZK - letztlich ebenfalls gesetzlich nicht geschuldete Abgaben sind. Auch in Bezug auf diese Abgabenbeträge gilt, dass die entrichteten und die materiell-rechtlich geschuldeten Abgaben zu Lasten des Wirtschaftsbeteiligten nicht übereinstimmen. Die Korrektur der zu Unrecht erhobenen Abgaben kann freilich - sofern diese nicht von Amts wegen erfolgt - nach Wahl des Wirtschaftsbeteiligten über einen Erstattungsantrag oder über das durch Art. 44 UZK eröffnete Rechtsbehelfsverfahren erster oder zweiter Stufe erfolgen, dessen nähere Ausgestaltung indes den Mitgliedstaaten vorbehalten bleibt.

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b) Ungeachtet dessen fände die Regelung des Art. 116 Abs. 6 UAbs. 1 UZK auch erst auf die seit dem 01.05.2016 entstandenen Zollschulden Anwendung.

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Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, dass Verfahrensvorschriften im Allgemeinen auf alle bei ihrem Inkrafttreten anhängigen Rechtsstreitigkeiten anwendbar sind, während materiell-rechtliche Vorschriften in der Regel so auszulegen sind, dass sie grundsätzlich nicht für vor ihrem Inkrafttreten entstandene Sachverhalte gelten (vgl. EuGH, Urteil vom 23.02.2006, Molenbergnatie, C-201/04, Ls. 1). Dies kann ausnahmsweise nur dann anders sein, wenn etwa aus dem Wortlaut, Zweck oder Aufbau der betreffenden materiell-rechtlichen Vorschrift des Unionsrechts eindeutig hervorgeht, dass ihr eine solche rückwirkende Wirkung zukommen soll (vgl. EuGH, Urteil vom 19.03.2009, Mitsui & Co. Deutschland, C-256/07, Rz. 32). Für die Erstattungs- bzw. Erlassvorschriften hat das Europäische Gericht Erster Instanz hinsichtlich des Übergangs von der Verordnung (EWG) Nr. 1430/79 vom 02.07.1979 über die Erstattung oder den Erlass von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben (ABl. L 175/1) zum Zollkodex entschieden, dass die materiell-rechtlichen Erstattungsvorschriften des Zollkodex erst für Einfuhren nach dessen Inkrafttreten anzuwenden sind (EuG, Urteil vom 10.05.2001, verbundene Rechtssachen T-186, 187, 190-192, 210, 211, 216-218, 279, 280, 293/97 und T-147/99, Rz. 26; siehe auch EuGH, Urteil vom 07.09.1999, De Haan Beheer BV, C-61/98, Rz. 13 f.; Urteil vom 13.03.2003, C-156/00, Rz. 36).

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Die Regelung des Art. 116 Abs. 6 UZK stellt eine Vorschrift des materiellen Rechts dar, die zwar auch Verfahrensregelungen (z.B. Fristen) enthält, die vorliegend aber deshalb nicht entscheidungserheblich sind, weil die Beteiligten allein über die Frage streiten, ob der von der Klägerin geltend gemachte Zinsanspruch nach Art. 116 Abs. 6 UAbs. 1 UZK ausgeschlossen ist. Da weder der Wortlaut des Art. 116 UZK noch die Erwägungsgründe der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 einen Hinweis darauf geben, dass Art. 116 Abs. 6 UAbs. 1 UZK entgegen der Regelung des Art. 288 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 UZK eine Rückwirkung beizumessen sei, findet die materiell-rechtliche Vorschrift des Art. 116 Abs. 6 UAbs. 1 UZK erst auf die seit dem 01.05.2016 entstandenen Zollschulden Anwendung (in diesem Sinne auch ausdrücklich BFH, Urteil vom 22.10.2019, VII R 38/18; Alexander, in: Witte, Zollkodex der Union, Vor Art. 116, Rz. 12). Für - wie hier - vor dem Inkrafttreten des UZK entstandene Zollschulden gelten unverändert noch die materiell-rechtlichen Regelungen des Zollkodex und damit auch Art. 241 Abs. 1 Satz 2 2. Spiegelstrich ZK, wonach Zinsen zu zahlen sind, wenn dies aufgrund der einzelstaatlichen Bestimmungen vorgesehen ist (vgl. bereits FG Hamburg, Beschluss vom 01.09.2020, 4 K 14/20).

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Dass die zwischen der Klägerin und dem beklagten Hauptzollamt in dem ursprünglichen Klageverfahren 4 K 115/17 streitige Einfuhrumsatzsteuerschuld vor dem 01.05.2016 entstanden war - scil. im April 2016 -, wird selbst vom beklagten Hauptzollamt nicht in Abrede gestellt. Das beklagte Hauptzollamt meint nur, dass für die Anwendbarkeit des Art. 116 Abs. 6 UZK auf den Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des ursprünglichen Verfahrens abzustellen sei, was indes - wie die vorstehenden Ausführungen gezeigt haben - nicht der Fall ist.

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Der erkennende Senat ist sich bewusst, dass der Bundesfinanzhof in seinem Urteil vom 22.10.2019 (VII R 38/18, BFH/NV 2020, 343) ausgeführt hat, die Verzinsung eines Anspruchs auf Erstattung von Einfuhrabgaben nach § 236 Abs. 1 Satz 1 AO ab Rechtshängigkeit werde nicht gemäß Art. 116 Abs. 6 UAbs. 1 UZK ausgeschlossen, wenn die Rechtshängigkeit bereits vor dem Inkrafttreten dieser Norm eingetreten sei (Leitsatz). Aus diesem Leitsatz darf zur Überzeugung des Senats indes nicht gefolgert werden, dass Art. 116 Abs. 6 UAbs. 1 UZK Prozesszinsen nach § 236 AO ausschließt, wenn die Rechtshängigkeit der ursprünglich erhobenen Klage - vorliegend das Klageverfahren gegen die Einfuhrabgabenbescheide, 4 K 115/17 - und damit auch der Zinslauf nach dem Inkrafttreten des UZK eingetreten ist. Denn die Abgrenzung der Anwendbarkeit des Zollkodex einerseits und des Unionszollkodex andererseits vollzieht sich nicht am Zeitpunkt der Rechtshängigkeit der Klage gegen die Einfuhrabgabenbescheide. Die Bestimmung des Art. 116 UZK trifft Regelungen u.a. bezüglich der Erstattung von Einfuhrabgabenbeträgen. Die Erstattung, die in Art. 5 Nr. 28 UZK als Rückzahlung eines entrichteten Einfuhr- oder Ausfuhrabgabenbetrages definiert wird, setzt die Verpflichtung zur Entrichtung eines Einfuhr- oder Ausfuhrabgabenbetrages, mithin das Bestehen einer Zollschuld voraus, die als Verpflichtung einer Person anzusehen ist, den aufgrund der geltenden Zollvorschriften für eine bestimmte Ware vorgesehen Betrag der Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben zu entrichten (vgl. Art. 5 Nr. 18 UZK). Anknüpfungspunkt der Erstattung ist folglich eine Zollschuld, die entweder von der Zollbehörde aufgehoben oder vom Zollschuldner erfolgreich angefochten wird und infolgedessen eine Rückzahlung des entrichteten Einfuhrabgabenbetrages auslöst. Dieser Normzusammenhang erhellt, dass für die Anwendbarkeit des Zollkodex oder des Unionszollkodex nicht (erst) die Rechtshängigkeit der Klage gegen den Einfuhrabgabenbescheid, sondern bereits die Entstehung der Zollschuld selbst maßgebend sein muss.

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c) Schließlich hält der erkennende Senat dafür, dass der nach § 236 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 AO entstandene Anspruch auf Prozesszinsen ohnehin nicht nach Art. 116 Abs. 6 UAbs. 1 UZK ausgeschlossen ist. Die Vorschrift des Art. 116 Abs. 6 UAbs. 1 UZK trifft eine Regelung in Bezug auf die Verzinsung von Erstattungen. Insoweit hat der Unionsgesetzgeber für die Mitgliedstaaten verbindlich vorgegeben, dass die mitgliedstaatlichen Zollbehörden grundsätzlich - vgl. zur Ausnahme Art. 116 Abs. 6 UAbs. 2 UZK - keine Zinsen auf Abgaben zahlen, die sie dem Zollschuldner erstatten. Über die Vorschrift des § 21 Abs. 2 UStG ist die Regelung des Art. 116 Abs. 6 UAbs. 1 UZK auch auf die Einfuhrumsatzsteuer anwendbar. Die nationale Vorschrift des § 236 AO beinhaltet dagegen keine Regelung der Verzinsung eines Erstattungsanspruchs, sondern normiert vielmehr einen Anspruch auf Prozesszinsen. Der selbstständige Rechtsgrund für diese Verzinsungspflicht ist allein die Rechtshängigkeit des Anspruchs (so ausdrücklich BGH, Urteil vom 14.01.1987, IV B ZR 3/86, Rz. 3, juris; ebenso Niestedt, in: Krenzler/Herrmann/Niestedt, Art. 116 UZK, Rz. 16; a.A. Deimel, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, Art. 116 UZK, Rz. 113, der davon ausgeht, dass für einen "Rückgriff auf einzelstaatliches Recht kein Raum mehr" sei). Die Pflicht zur Zahlung von Prozesszinsen ist eine materiell-rechtliche Folge der Rechtshängigkeit (Loose, in: Tipke/Kruse, § 236 AO, Rz. 1) und entsteht unabhängig von einem entsprechenden Zinsschaden des Abgabepflichtigen (Rüsken, in: Klein, 15. Auflage 2020, § 236 AO Rz. 1). Nach dem gesetzgeberischen Zweck des § 236 AO wird die Behörde schon und allein deshalb der Zinspflicht unterworfen, weil sie es zum gerichtlichen Verfahren hat kommen lassen; für das damit eingegangene Risiko soll die Behörde einstehen (vgl. zur Regelung des § 291 BGB, BGH, Urteil vom 05.01.1965, VI ZR 24/64, juris; Hager, in: Ermann, 15. Auflage 2017, § 291 BGB, Rz. 1).

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Dass der Vorschrift des § 236 AO als alleiniger Rechtsgrund der Verzinsungspflicht das Prozessrechtsverhältnis zwischen den Prozessrechtssubjekten zugrunde liegt, zeigt auch ein Vergleich mit der Bestimmung des § 233a AO, der die Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen regelt. Entsprechend dem in § 233 Satz 1 AO formulierten Grundsatz, dass Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nur verzinst werden, soweit dies gesetzlich vorgeschrieben ist, normiert die Vorschrift des § 233a AO eine Verzinsung von Steuererstattungen in Bezug auf enumerativ aufgeführte Steuerarten; Zölle sowie die Einfuhrumsatzsteuer - Letztere ist eine Verbrauchsteuer, § 21 Abs. 2 UStG - werden dagegen nicht erfasst. Um eine Doppelverzinsung - scil. sowohl Erstattungszinsen nach § 233a AO als auch Prozesszinsen nach § 236 AO - zu vermeiden, hat der nationale Gesetzgeber in § 236 Abs. 4 AO eine Anrechnung der Zinsen nach § 223a AO vorgesehen.

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Ein anderes Verständnis - scil. dass die Mitgliedstaaten gehindert seien, im nationalen Recht einen Anspruch auf Prozesszinsen zu verankern - widerspräche auch dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten, wonach es den einzelnen Mitgliedstaaten obliegt, die Verfahrensmodalitäten für Klagen zu regeln (vgl. hierzu EuGH, Urteil vom 30.06.2016, C-205/15, Rz. 33; Urteil vom 21.04.2016, C-377/14, Rz. 48; Urteil vom 06.10.2015, C-69/14, Rz. 26; Urteil vom 13.12.2012, C-215/11, Rz. 34). Die Verfahrensmodalitäten für Klagen umfassen jedoch nicht nur die Art und Weise der Klageerhebung, Klagefristen und den Ablauf des Verfahrens, sondern auch die Beschreibung und Festlegung der Risiken, die mit der gerichtlichen Geltendmachung von Ansprüchen für beide Seiten verbunden sind.

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d) Der Zins berechnet sich nach § 238 AO; insoweit vermag der Senat Berechnungsfehler nicht zu erkennen; auch das beklagte Hauptzollamt hat diesbezüglich nichts vorgetragen.

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III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die übrigen Nebenentscheidungen ergeben sich aus § 151 Abs. 1 und 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Zulassung der Revision folgt aus § 115 Abs. 2 FGO.

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