Urteil vom Finanzgericht Hamburg (4. Senat) - 4 K 5/18

Tatbestand

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Der Kläger wendet sich gegen die Festsetzung von Zoll und Einfuhrumsatzsteuer wegen eingeschmuggelter Zigaretten.

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Im Zuge strafrechtlicher Ermittlungen des Zollfahndungsamtes A - Dienstsitz B - (ZFA) gegen den gesondert verfolgten C wurde der Kläger bei der Übergabe von Zigaretten an den C beobachtet. Observationsberichte liegen für die fünf Übergaben vom 27. Juli, 10. August, 21. und 24. September sowie 2. Oktober 2012 vor (...). Danach begab sich der Kläger in den ersten vier Fällen jeweils mit seinem Pkw in ein Waldstück nahe D, "X-Straße" (Tatort Wald) und übergab dem C mindestens 200 Stangen (40.000 Zigaretten) Zigaretten unterschiedlicher bzw. unbekannter Marken zum Weiterverkauf. Bei der Übergabe am 2. Oktober 2012 wurde der Kläger festgenommen und insgesamt 43.960 Zigaretten diverser Marken sichergestellt.

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Mit Steuerbescheid über Zoll und Einfuhrumsatzsteuer XXX-1 vom 3. Februar 2015 setzte der Beklagte 5.529,60 € Zoll und 7.328,83 € Einfuhrumsatzsteuer, mithin insgesamt 12.858,43 € Einfuhrabgaben, fest. Hierbei bezog sich der Beklagte auf die Ermittlungen des ZFA hinsichtlich der vier Übergaben vom 27. Juli, 10. August sowie 21. und 24. September 2012. Im Einzelnen habe der Kläger am 27. Juli 2012 50 Stangen à 200 Stück (10.000 Zigaretten) der Marke "xxx-1", 50 Stangen à 200 Stück (10.000 Zigaretten) Zigaretten der Marke "xxx-2" sowie 100 Stangen à 200 Stück (20.000 Zigaretten) der Marke "xxx-3" am Wendehammer deponiert und später umgeladen. Am 10. August, 21. und 24. September 2012 habe er jeweils 200 Stangen à 200 Stück (jeweils 40.000 Zigaretten) unbekannter Marke verkauft.

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Für jede der Taten sei bei einem Zollwert von 6ct/Stk. und einem Zollsatz von 57,6 % Zoll i.H.v. 1.382,40 € entstanden. Die Einfuhrumsatzsteuer betrage für die Tat vom 27. Juli 2012 1.841,56 € und für die übrigen Taten jeweils 1.829,09 €, mithin insgesamt 7.328,83 €. Bei der Berechnung der Einfuhrumsatzsteuer seien bei der ersten Tat Tabaksteuer i.H.v. 5.910,03 € und bei den übrigen Taten Tabaksteuer i.H.v. 5.844,41 € zu berücksichtigen. Der Kläger schulde die Einfuhrumsatzsteuer gemeinsam mit dem gesondert in Anspruch genommenen C.

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Mit Schreiben vom 25. Februar 2015 legte der Kläger Einspruch gegen den Bescheid ein.

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Mit Urteil des AG D vom 21. März 2017 (...) wurde der Kläger wegen Steuerhehlerei in vier Fällen zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Nach den Feststellungen des Urteils verkaufte der Kläger dem gesondert verfolgten C in vier Fällen unversteuerte und unverzollte Zigaretten, in dem er sich jeweils mit einem Pkw ... in ein Waldstück in die Nähe des ... begab und dem C die Zigaretten übergab. Im Einzelnen übergab er - neben der hier nicht in Rede stehenden Übergabe vom 2. Oktober 2012 - am 27. Juli sowie 21. und 24. September 2012 jeweils 200 Stangen (40.000 Stück) unverzollte und unversteuerte Zigaretten und am 2. Oktober 2012 43.960 Stück.

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Hinsichtlich der Übergabe vom 10. August 2012 war das Strafverfahren mit Verfügung vom 20. Juli 2015 gemäß § 154 Abs. 1 StPO vorläufig eingestellt worden (...).

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Den nicht begründeten Einspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 3. Februar 2015 wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 18. Dezember 2017 (XXX-2) als unbegründet zurück. Nach den Ermittlungen des ZFA und den eigenen Angaben des Klägers habe er 160.000 unverzollte und unversteuerte Zigaretten verschiedener Marken ins deutsche Steuergebiet gebracht und sie dem C übergeben. Der Kläger sei Schuldner der Einfuhrabgaben gemäß Art. 202 Abs. 3 Anstrich 3 ZK i.V.m. § 21 Abs. 2 UStG. Er habe die Zigaretten ohne Gestellung in das EU-Zollgebiet verbracht. Der Kläger habe gewusst, dass die Zigaretten vorschriftswidrig ins EU-Zollgebiet verbracht worden seien.

9

Nach den Ermittlungen habe der Kläger in vier Fällen jeweils 40.000 Zigaretten verschiedener Marken von Polen nach Deutschland transportiert. Damit habe er diese vorschriftswidrig ins EU-Zollgebiet verbracht. Die steuerstrafrechtlichen Ermittlungen, insbesondere die eigenen Angaben des Klägers vom 2. Oktober 2012, die sich der Beklagte zu eigen mache, belegten lückenlos, in welchen Mengen der Kläger an den gesondert in Anspruch genommenen C geliefert habe.

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Mit der am 15. Januar 2018 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. In dem Urteil des AG D werde lediglich die Entstehung von Tabaksteuer eingeräumt. Dass die Tabakwaren von außerhalb der EU stammten, habe im Strafverfahren nicht ermittelt werden können.

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Der Kläger beantragt,
den Steuerbescheid über Zoll und Einfuhrumsatzsteuer XXX-1 vom 3. Februar 2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18. Dezember 2017 (XXX-2) aufzuheben.

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Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

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Der drittländische Ursprung der Zigaretten sei nachgewiesen.

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Die im Verfahren 4 K 1/18 sichergestellten Zigaretten hätten weißrussische und ukrainische Steuerzeichen getragen. Es sei fernliegend, dass diese in der EU hergestellt worden seien. Darüber hinaus meint der Beklagte, dass nicht er, sondern der Kläger nachweisen müsse, dass die Zigaretten aus der EU stammen würden.

...

Entscheidungsgründe

I.

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Die zulässige Anfechtungsklage ist begründet. Der Steuerbescheid über Zoll und Einfuhrumsatzsteuer XXX-1 vom 3. Februar 2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18. Dezember 2017 (XXX-2) ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 S. 1 FGO). Zwar ist der Einzelrichter davon überzeugt, dass die vier hier in Rede stehenden Übergaben von unverzollten und unversteuerten Zigaretten tatsächlich stattgefunden haben (dazu 1.). Gleichwohl ist weder Zoll (dazu 2.) noch Einfuhrumsatzsteuer (dazu 3.) entstanden, weil nicht nachgewiesen ist, dass die Zigaretten aus einem Drittland in die EU verbracht worden sind. Im Einzelnen:

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1. Der Einzelrichter sieht es gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 FGO als erwiesen an, dass der Kläger am 27. Juli, 10. August, 21. und 24. September 2012 jeweils mindestens 200 Stangen unverzollte und unversteuerte Zigaretten an den gesondert verfolgten C übergeben hat.

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a) Für die Übergaben vom 27. Juli, 21. und 24. September 2012 ergibt sich dies aus den nachvollziehbaren Feststellungen im gegen den Kläger ergangenen Urteil des AG D vom 21. März 2017. Diese macht sich der Einzelrichter zu eigen, weil er sie für zutreffend hält, sie nicht substantiiert bestritten und keine entsprechenden Beweisanträge gestellt wurden, die nach den allgemeinen für die Beweiserhebung geltenden Grundsätzen nicht unbeachtet bleiben können (zu diesen Voraussetzungen FG Hamburg, Urteil vom 14. Januar 2020, 4 K 123/15, juris, Rn. 65 m.w.N.).

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b) Dass auch die Übergabe vom 10. August 2012, die nicht Gegenstand des Strafurteils war, mit weiteren 200 Stangen tatsächlich stattgefunden hat, steht für den Einzelrichter ebenfalls außer Frage. Diese Tat wird genau wie die Taten vom 27. Juli, 21. und 24. September 2012 in einem Observationsbericht des ZFA detailliert beschrieben (...). Dass sich in den übergebenen Säcken tatsächlich Zigaretten befanden, ergibt sich nicht nur aus den gesamten Tatumständen, sondern auch daraus, dass solche bei der letzten Tat am 2. Oktober 2012 - die Gegenstand der Verfahren 4 K 1/18 und 4 K 2/18 ist - festgestellt wurden. Nach dem Observationsbericht wurden vier schwarze Säcke sowie vier Kartons in der Größe von sog. Master Cases umgeladen. Da jeder Master Case 50 Stangen enthält, wäre es auch begründbar gewesen, statt der in Ansatz gebrachten 200 Stangen die doppelte Menge zu besteuern.

19

Der Umstand, dass diese Tat nicht angeklagt wurde, deutet nicht darauf hin, dass die Staatsanwaltschaft insoweit keinen hinreichenden Tatverdacht gesehen hat. Aus der Strafakte ergibt sich, dass lediglich aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung das Verfahren hinsichtlich der nicht angeklagten Taten gemäß § 154 Abs. 1 StPO eingestellt wurde (...). Zweifel hatte die Staatsanwaltschaft - aus Sicht des Einzelrichters zu Recht - lediglich daran, dass Zoll und Einfuhrumsatzsteuer entstanden sind.

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2. Gleichwohl ist keine Zollschuld gemäß Art. 202 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ZK) entstanden. Nach dieser vom Beklagten herangezogenen und einzig in Betracht kommenden Ermächtigungsgrundlage entsteht eine Einfuhrzollschuld, wenn eine einfuhrabgabenpflichtige Ware vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Union verbracht wird. Vorliegend ist es völlig offen, ob die Zigaretten aus einem Drittland über Polen nach Deutschland gebracht wurden oder ob sie innerhalb der EU hergestellt worden sind. Es ist gerichtsbekannt, dass wahrscheinlich erhebliche Mengen Zigaretten illegal in der EU hergestellt werden. Der Senat hat im Urteil vom 23. Juni 2017, 4 K 217/16, juris, Rn. 47, festgestellt:

21

Die Europäische Kommission hat bereits im Jahr 2013 festgestellt, dass wahrscheinlich auch erhebliche Mengen Zigaretten illegal in der EU hergestellt würden. Die Zahl der bekannten illegalen Fabriken sei sehr schnell gestiegen. Im Jahr 2011 hätten die Mitgliedstaaten neun illegale Fabriken mit einer geschätzten Gesamtproduktionskapazität von mehr als neun Millionen Zigaretten pro Tag entdeckt. 2010 seien nur fünf derartige Fabriken entdeckt worden (vgl. Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament vom 06.06.2013, COM (2013) 324 final). Zeitungsberichte unterstreichen diese Entwicklung. Danach hätten internationale Zoll- und Polizeibehörden nach einer Statistik von B in den Jahren 2010 bis 2014 in Europa 110 illegale Tabakfabriken oder Tabaklager ausgehoben, acht davon 2014 in Westeuropa (...).

22

Diese Erkenntnisse gelten auch für die hier in Rede stehenden Taten aus dem Jahr 2012.

23

Aus der Akte ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte für den Reiseweg der Zigaretten. Bei der Tat vom 27. Juli 2012 haben die Ermittlungsbeamten lediglich die Marken, nämlich xxx-1, xxx-2 und xxx-3 feststellen können. Drittländische Steuerzeichen, die ein gewichtiges Indiz für den Reiseweg der Zigaretten darstellen (siehe 4 K 1/18), wurden nicht identifiziert. Bei den Taten vom 10. August, 21. und 24. September 2012 ist noch nicht einmal die Zigarettenmarke bekannt. Zwar trugen die Zigaretten, die bei der hier nicht streitgegenständlichen Tat vom 2. Oktober 2012 sichergestellt wurden, weißrussische und ukrainische Steuerbanderolen. Ohne weitergehende Informationen vermag der Einzelrichter hieraus jedoch nicht den Schluss zu ziehen, dass auch die übrigen Zigaretten aus diesen Ländern kommen. Über die Bezugsquelle des Klägers ist nur bekannt, dass es sich um einen Bulgaren gehandelt habe. Dieser Umstand verweist jedenfalls nicht auf eine Drittlandsherkunft der Zigaretten. Woher dieser Lieferant seinerseits die Zigaretten bezog und ob er mehrere Bezugsquellen hatte, ist nicht aufklärbar.

24

Die Unaufklärbarkeit des Verbringens der streitgegenständlichen Zigaretten in das Zollgebiet der Union geht zu Lasten des Beklagten. Die Verteilung der objektiven Beweislast (Feststellungslast) beruht auf materiell-rechtlichen Regelungen. Danach geht die Unerweislichkeit entscheidungserheblicher steuerbegründender Tatsachen zu Lasten der Finanzbehörde, diejenige steuerbefreiender oder steuermindernder Tatsachen zu Lasten des Steuerpflichtigen (BFH, Urteil vom 15. Februar 1989, X R 16/86, juris, Rn. 13; Urteil vom 23. Februar 1999, IX R 19/98, juris, Rn. 39). Das verbotswidrige Verbringen einer einfuhrabgabenpflichtigen Ware in das Zollgebiet der Union ist eine steuerbegründende Tatsache (so bereits FG Hamburg, Urteil vom 23. Juni 2017, 4 K 217/16, juris, Rn. 48).

25

Umstände, die zu einem Wechsel dieser Feststellungslast auf den Kläger führen, sind nicht gegeben. Insbesondere hat der Kläger keine Mitwirkungspflichten verletzt. Er hat in der mündlichen Verhandlung vielmehr ausgesagt, dass sein Lieferant ein Bulgare gewesen sei und er die Zigaretten auf einem Markt in E/Polen erhalten habe.

26

Auch der Vortrag in der Klagerwiderung vom 1. März 2018 führen zu keinem anderen Ergebnis. Wenn man mit dem Beklagten unterstellt, dass der Tabak, aus dem die Zigaretten hergestellt worden sind, seinerseits eingeschmuggelt wurde, würden die Zigaretten gemäß Art. 24 ZK zu Unionswaren werden. Die Herstellung von Zigaretten aus Tabak ist nämlich eine wesentliche Verarbeitung des Tabaks. Dies zeigt sich schon daran, dass damit ein zolltariflicher Positionswechsel (von der Position 2401 zur Position 2402 KN) verbunden ist. Dies ist die dritte, vom Beklagten auf S. 4 der Klageerwiderung nicht berücksichtigte Möglichkeit des Ursprungserwerbs. Zigaretten, die in der EU aus eingeschmuggeltem Tabak hergestellt werden, sind somit Unionswaren, sofern sie - wovor es hier keine Anhaltspunkte gibt - nicht im Rahmen einer aktiven Veredelung hergestellt wurden.

27

Aus der Verteilung der Beweislast bei der Bewilligung eines Umsatzsteuerlagers (S. 5 der Klagerwiderung) kann schon deshalb nichts für den vorliegenden Fall abgeleitet werden, weil es sich dabei um eine abgabenrechtliche Begünstigung handelt. Vorliegend geht es dagegen darum, ob der Staat einen Einzelnen belasten darf.

28

Die Entscheidungen des BFH in den Sachen VII B 213/12 und VII R 21/12 befassen sich mit der Beweislast bei Rückwaren. Die Zollbefreiung für Rückwaren gemäß Art. 185 ZK ist eine antragsgebundene Privilegierung des Einführers. Dies ist mit dem vorliegenden Fall ebenfalls nicht vergleichbar. Dasselbe gilt für das EuGH-Verfahren C-27/05. Hierbei ging es um die Beweislast bei der Bewilligung einer Ausfuhrerstattung, also einer Exportbeihilfe. Dass der Antragsteller für die anspruchsbegründenden Voraussetzungen eine Subvention die Beweislast trägt (so der EuGH in Rn. 18 seines Urteils vom 27. April 2006), zieht auch der Einzelrichter nicht in Zweifel.

29

3. Einfuhrumsatzsteuer hätte der Beklagte ebenfalls nicht gemäß § 21 Abs. 2 Hs. 1 UStG i.V.m. Art. 202 Abs. 1 Buchst. a ZK analog festsetzen dürfen. Steuergegenstand ist gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 4 UStG die Einfuhr von Gegenständen im Inland. Die Einfuhr wird in Art. 30 der Richtlinie 2006/112/EG vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347, 1) definiert als Verbringung eines Gegenstands, der sich nicht im freien Verkehr i.S.v. Art. 24 AEUV befindet, in die Union.

30

Mit Verweis auf die Ausführungen unter 2. steht nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit zur Überzeugung des Einzelrichters fest, dass es sich bei den streitgegenständlichen Zigaretten um Drittlandswaren gehandelt hat, die in die EU verbracht worden sind.

II.

31

Die Kosten des Verfahrens fallen dem Beklagten zur Last (§ 135 Abs. 1 FGO). Gründe, die Revision zuzulassen, sind auch unter Berücksichtigung des Vortrags in der Klagerwiderung nicht ersichtlich (§§ 128 Abs. 3, 115 Abs. 2 FGO).

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