Urteil vom Finanzgericht Münster - 5 K 96/17 U
Tenor
Der Umsatzsteuerbescheid 2015 vom 29.09.2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.12.2016 wird dahingehend geändert, dass die Umsatzsteuer um 34.771,17 € gemindert wird.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leistet.
1
T a t b e s t a n d
2Streitig ist, ob die während der vorläufigen Eigenverwaltung begründeten Umsatzsteuerverbindlichkeiten der B GmbH den vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil oder die Insolvenzmasse betreffen.
3Der Kläger ist Insolvenzverwalter der B GmbH (Insolvenzschuldnerin). Unternehmensgegenstand der Insolvenzschuldnerin war […].
4Am 29.07.2015 wurde ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin gestellt. Mit Beschluss des Amtsgerichts E vom selben Tag (Az. xyz) wurde der Kläger zum vorläufigen Sachwalter bestellt und zur Vorbereitung einer Sanierung nach § 270b Insolvenzordnung (InsO) die vorläufige Eigenverwaltung angeordnet (sog. Schutzschirmverfahren). Ferner heißt es in dem Beschluss:
5„Die Schuldnerin wird gemäß § 270b Abs. 3 InsO ermächtigt, zum Zweck der Finanzierung des laufenden Geschäftsbetriebs wegen eines Darlehens im Rahmen der Insolvenzgeldvorfinanzierung und der in diesem Zusammenhang stehenden Rückzahlungsansprüche, Zinsen und Gebühren Masseverbindlichkeiten im Rang des § 55 Abs. 2 InsO zu begründen.
6Die Schuldnerin wird gem. § 270b Abs. 3 InsO ermächtigt, zum Zweck der Aufrechterhaltung des laufenden Geschäftsbetriebs im Eröffnungsverfahren mit Zustimmung des vorläufigen Sachwalters gegenüber Dienstleistern und Lieferanten Masseverbindlichkeiten im Rang des § 55 Abs. 2 InsO zu begründen.“
7Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Beschluss des Amtsgerichts E vom 29.07.2015 Bezug genommen (Bl. 8 f. der Umsatzsteuerakte).
8Am 01.10.2015 eröffnete das Amtsgericht E das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin, bestellte den Kläger zum Sachwalter und ordnete die Eigenverwaltung an. Mit einem weiteren Beschluss des Amtsgerichts E vom 29.12.2015 wurde die Anordnung der Eigenverwaltung aufgehoben und der Kläger zum Insolvenzverwalter der Insolvenzschuldnerin bestellt.
9Die Umsatzsteuer-Voranmeldung der Insolvenzschuldnerin für den Monat Juli 2015 wurde am 10.09.2015 unter der bereits vor der Insolvenzeröffnung der Insolvenzschuldnerin zugewiesenen Steuernummer (xxxx/yyyy/z1) für den sog. vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil übermittelt. Es wurde eine Umsatzsteuer i.H.v. 7.654,63 € unter Berücksichtigung der gesamten im Juli ausgeführten Umsätze erklärt. Am 12.10.2015 ging eine berichtigte Umsatzsteuervoranmeldung für Juli 2015 beim Beklagten ein, mit der für den gesamten Monat eine Umsatzsteuer i. H. v. 15.325,88 € erklärt wurde.
10Der Beklagte führte im Anschluss bei der Insolvenzschuldnerin eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung durch. Die Prüferin kam zu der Feststellung, dass die für Juli 2015 erklärten Umsätze aufzuteilen seien. Die bis zum Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgeführten Umsätze und die sich daraus ergebende Umsatzsteuer seien dem vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil zuzurechnen. Die nach der Antragstellung (29.07.2015) ausgeführten Umsätze beträfen den nachinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil (neue Steuernummer: xxxx/yyyy/z2) und die sich daraus ergebende Umsatzsteuer begründe eine Masseverbindlichkeit. Es wird wegen der Einzelheiten auf Tz. 2.3 des Umsatzsteuer-Sonderprüfungsberichts vom 18.01.2016 verwiesen (USt-Akte Bl. 141 ff.).
11Der Beklagte folgte den Feststellungen der Prüferin und setzte die Umsatzsteuer-Vorauszahlung für Juli 2015 den nachinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil betreffend mit Bescheid vom 03.02.2016 auf 2.366,99 € fest.
12Der Kläger legte gegen den Bescheid Einspruch ein. Denn die festgesetzte Umsatzsteuer sei dem vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil zuzuordnen. Die sich daraus ergebende Umsatzsteuerverbindlichkeit sei als eine Insolvenzforderung nach § 38 InsO zu behandeln und nicht als Masseverbindlichkeit. Der Insolvenzschuldnerin sei im Rahmen der Unternehmensfortführung nach § 270b Abs. 3 InsO keine Generalermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten, sondern nur eine Einzel- bzw. Gruppenermächtigung erteilt worden. Hiervon sei die Begründung von Umsatzsteuerverbindlichkeiten nicht erfasst.
13Für die Monate August und September 2015 setzte der Beklagte gegen den Kläger mit Bescheiden jeweils vom 14.03.2016 die Vorauszahlungen auf 26.090,52 € (August 2015) und 6.313,65 € (September 2015) fest. Gegen diese Bescheide legte der Kläger ebenfalls Einsprüche ein.
14Während des Einspruchsverfahrens erließ der Beklagte am 29.09.2016 einen Umsatzsteuerjahresbescheid und setzte die Umsatzsteuer 2015 unter der Steuernummer xxxx/yyyy/z2 für den nachinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil auf 61.520,14 € fest. Dabei berücksichtigte er im Wege der Schätzung und hinsichtlich der Höhe in Absprache mit dem Kläger die in der Zeit vom 29.07.2015 (Beginn des Insolvenzeröffnungsverfahren unter Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung) bis zum 30.09.2015 (Eröffnung des Insolvenzverfahrens und Anordnung der Eigenverwaltung) ausgeführten und im Rahmen der jeweiligen Umsatzsteuer-Voranmeldungen erklärten Umsätze.
15Monat |
Angemeldete Umsatzsteuer |
Juli |
2.366,99 € |
August |
26.090,53 € |
September |
6.313,65 € |
Summe |
34.771,17 € |
Darüber hinaus berücksichtigte er die für die Monate Oktober bis Dezember 2015 angemeldeten Umsatzsteuer-Vorauszahlungen.
17Monat |
Angemeldete Umsatzsteuer |
Oktober |
12.131,67 € |
November |
12.078,87 € |
Dezember |
2.539,68 € |
Summe |
26.750,22 € |
Der Umsatzsteuerjahresbescheid 2015 erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.
19Der Beklagte wies die Einsprüche des Klägers mit seiner Entscheidung vom 12.12.2016 als unbegründet zurück. Die in der Zeit der vorläufigen Eigenverwaltung ausgeführten Umsätze seien der Insolvenzmasse zuzurechnen und die sich daraus ergebende Umsatzsteuerverbindlichkeit sei als Masseverbindlichkeit zu erfassen. Zwar finde § 55 Abs. 4 InsO auf den vorläufigen Sachwalter während der vorläufigen Eigenverwaltung grundsätzlich keine Anwendung. Etwas anderes gelte jedoch, wenn in diesem Fall das Insolvenzgericht den Schuldner bzw. den vorläufigen Sachwalter zur Begründung von Masseverbindlichkeiten ermächtige. Eine solche Ermächtigung sei vom Amtsgericht E am 29.07.2015 erteilt worden und diese umfasse auch die Umsatzsteuerverbindlichkeiten. Eine wirksame Einzelermächtigung liege nicht vor, da die hierfür erforderlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Daher sei von einer erteilten Globalermächtigung auszugehen. Wegen der Pflicht des Insolvenzgerichts, den Schuldner ohne Prüfung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten im beantragten Umfang zu ermächtigen, gingen Formulierungsunklarheiten zu Lasten der Insolvenzschuldnerin bzw. des Klägers. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Einspruchsentscheidung vom 12.12.2016 (Bl. 8 ff. der Gerichtsakte) Bezug genommen.
20Mit seiner am 09.01.2017 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
21Mit Beschluss vom 15.02.2018 hat der damalig zuständige Berichterstatter das Verfahren in Hinblick auf das beim Bundesfinanzhof (BFH) unter dem Az. XI R 35/17 anhängige Revisionsverfahren nach § 251 Satz 1 der Zivilprozessordnung i. V. m. § 155 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ruhend gestellt.
22Nachdem der BFH mit seinem Urteil vom 27.11.2019 in der Sache entschieden hatte, ist das Verfahren fortgesetzt worden.
23Der Kläger trägt vor, dass die für die Zeit der vorläufigen Eigenverwaltung geschuldete Umsatzsteuer keine Masseverbindlichkeit darstelle. Die Ermächtigung des Amtsgerichts E beziehe sich ausschließlich auf Lieferanten und Dienstleister. Aus dieser personellen Beschränkung der Ermächtigung folge, dass keine Globalermächtigung erteilt worden sei. Zur Verneinung einer Globalermächtigung genüge es, dass das Insolvenzgericht im Beschlusstenor eine Beschränkung auf die zur Finanzierung des laufenden Geschäftsbetriebs notwendigen Verbindlichkeiten gegenüber Dienstleistern und Lieferanten vornehme. Soweit danach Unklarheiten bestünden, müsse ggf. eine Auslegung der Befugnisse des Schuldners nach objektiven Grundsätzen und nicht nach den subjektiven Vorstellungen der am Beschluss Beteiligten erfolgen. So folge schon aus der amtlichen Überschrift der Regelung zum Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO („Verfahren zur Vorbereitung einer Sanierung“) eine Beschränkung auf solche Verbindlichkeiten, die den Sanierungszweck förderten. Nur in diesem Rahmen gelte § 55 Abs. 2 InsO im Eigenverwaltungsverfahren entsprechend. Zahlungen an Sozialversicherungsträger und Finanzkassen förderten nicht den Sanierungszweck.
24Er beantragt (vgl. Bl. 62 f. der Gerichtsakte),
25den Jahres-Umsatzsteuerbescheid 2015 vom 29.09.2016 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.12.2016 um die folgenden Beträge:
26Umsatzsteuer 7/2015: 2.366,99 €,
27Umsatzsteuer 8/2015: 26.090,53 € sowie
28Umsatzsteuer 9/2015: 6.313,65 €,
29(insgesamt 34.771,17 €) zu vermindern.
30Der Beklagte beantragt,
31die Klage abzuweisen.
32Er nimmt zur Begründung auf seine Einspruchsentscheidung Bezug.
33Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet (Bl. 56, 58 der Gerichtsakte).
34E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
35Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO).
36Die Klage hat Erfolg.
37Der Umsatzsteuerbescheid 2015 vom 29.09.2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.12.2016 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Beklagte hat zu Unrecht die während der vorläufigen Eigenverwaltung vom 29.07.2015 bis zum 30.09.2015 ausgeführten Umsätze der Insolvenzmasse zugerechnet. Der Beklagte hätte die sich daraus ergebende Umsatzsteuerverbindlichkeit als Insolvenzforderung zur Tabelle anmelden müssen.
381. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat zur Folge (vgl. hier nur BFH, Urteil vom 27.11.2019, XI R 35/17, BFH/NV 2020, 482, Rn. 26 m.w.N.), dass trotz fortbestehender Unternehmenseinheit das Vermögen der Insolvenzschuldnerin einem unterschiedlichen Rechtsregime unterworfen ist. Der Besteuerungszeitraum wird zwar nicht unterbrochen, aber innerhalb des Besteuerungszeitraums ist die auf die Zeit nach Insolvenzeröffnung entfallende Umsatzsteuer (in der Praxis: unter einer neuen Steuernummer, die der Masse zugeteilt wird) durch Steuerbescheid festzusetzen und die auf die Zeit bis zur Insolvenzeröffnung entfallende Umsatzsteuer nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren zu verfolgen, das heißt im Regelfall zur Tabelle anzumelden.
392. Bei den im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren vom 29.07.2015 bis zum 30.09.2015 begründeten Umsatzsteuerschulden handelt es sich nicht um Masseverbindlichkeiten.
40a) Das vorläufige Eigenverwaltungsverfahren ist in den §§ 270a und 270b InsO geregelt. Nach § 270b Abs. 3 InsO hat das Gericht im sog. Schutzschirmverfahren auf Antrag anzuordnen, dass der Schuldner Masseverbindlichkeiten begründet. § 55 Abs. 2 InsO gilt dann entsprechend. Nach § 55 Abs. 2 InsO gelten Verbindlichkeiten, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter begründet worden sind, auf den die Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners übergegangen ist, nach der Eröffnung des Verfahrens als Masseverbindlichkeiten.
41b) Danach gelten die in der Zeit vom 29.07.2015 bis zum 30.09.2015 begründeten Umsatzsteuerverbindlichkeiten nicht mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeiten. Denn die Anordnung des Amtsgerichts E vom 29.07.2015, mit der die Insolvenzschuldnerin auf ihren Antrag hin zur Begründung von Masseverbindlichkeiten ermächtigt wurde, erfasst nicht die streitigen Umsatzsteuerverbindlichkeiten.
42aa) Die Regelung des § 270b Abs. 3 InsO eröffnet dem Schuldner die Möglichkeit, zwischen dem Antrag auf Erlass einer pauschalen oder globalen Ermächtigung einerseits und dem Antrag auf Erlass einer Einzel- oder Gruppenermächtigung andererseits zu wählen (OLG Dresden, Urteil vom 15.10.2014, 13 U 1605/13, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (ZIP) 2015, 1937; LG Hamburg, Urteil vom 24.4.2015, 303 O 236/14, Zeitschrift für das gesamte Insolvenz- und Sanierungsrecht (ZInsO) 2016, 1108; Kern in: Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung (MüKoInsO), 4. Aufl. 2020, § 270b Rn. 113).
43Die Einzel- oder Gruppenermächtigung dient der Erleichterung der Sanierung des schuldnerischen Unternehmens und schützt damit zugleich den Schuldner. Bei einer globalen Ermächtigung werden sämtliche vom Schuldner begründeten sowie die von § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO erfassten Verbindlichkeiten im eröffneten Verfahren als Masseverbindlichkeiten behandelt, ohne dass es darauf ankäme, ob ihre vorrangige Befriedigung zur Sanierung des Unternehmens notwendig oder angezeigt ist. Die vollständige Befriedigung aller während des Eröffnungsverfahrens begründeter Verbindlichkeiten im Rang von Masseverbindlichkeiten ist zur Aufrechterhaltung des Betriebs des Schuldners im Regelfall nicht erforderlich. Es reicht, wenn der Antrag des Schuldners und danach auch die Ermächtigung des Insolvenzgerichts konkret beschreibt, welche Verbindlichkeiten erfasst sein sollen (OLG Dresden, Urteil vom 15.10.2014, 13 U 1605/13, ZIP 2015, 1937).
44Die Frage, ob das Insolvenzgericht eine Globalermächtigung oder eine Einzel bzw. Gruppenermächtigung angeordnet hat, ist ebenso wie die Frage nach dem Umfang und der Reichweite der beiden letztgenannten Ermächtigungen ggf. durch Auslegung festzustellen (vgl. OLG Dresden, Urteil vom 15.10.2014, 13 U 1605/13, ZIP 2015, 1937; Kern in: MüKoInsO, 4. Aufl. 2020, § 270b Rn. 116). So liegt z.B. eine Globalermächtigung vor, wenn eine Beschränkung auf bestimmte Geschäfte nicht vorgenommen wurde (BGH, Urteil vom 16.06.2016, IX ZR 114/15, Neue Zeitschrift für Insolvenz- und Sanierungsrecht (NZI) 2016, 779 Rn. 20). Ist eine Ermächtigung erteilt worden, hat der Schuldner kein Wahlrecht, ob er im Einzelfall Masseverbindlichkeiten begründen möchte oder nicht. Die Begründung von Masseschulden richtet sich vielmehr nach den Vorschriften, die für den starken vorläufigen Verwalter gelten (BGH, Urteil vom 16.06.2016, IX ZR 114/15, NZI 2016, 779, Rn. 21 f.; Kern in: MüKoInsO, 4. Aufl. 2020, § 270b Rn. 113). Der Schuldner kann die mit der erteilten Ermächtigung einhergehende Liquiditätsbelastung im Wege der Beantragung einer Einzel- oder Gruppenermächtigung vermeiden (dies wird in der Literatur vielfach als empfehlenswert angesehen, vgl. z.B. Martini in: Beck-Onlinekommentar Insolvenzordnung, § 270b Rn. 73, Kern in: MüKoInsO, 4. Aufl. 2020, § 270b Rn. 113).
45bb) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze legt der Senat die Anordnung des Amtsgerichts E vom 29.07.2015 dahingehend aus, dass es sich um eine wirksame Gruppenermächtigung und nicht um eine Globalermächtigung handelt.
46Die vom Amtsgericht E erteilte Ermächtigung enthält bereits eine Beschränkung dahingehend, dass hiervon nur Verbindlichkeiten aus Rückzahlungsansprüchen, Zinsen und Gebühren wegen eines Darlehens im Rahmen der Insolvenzgeldvorfinanzierung zum Zweck der Finanzierung des laufenden Geschäftsbetriebs als Masseverbindlichkeiten erfasst werden. Schon aus diesem Grund liegt keine Globalermächtigung vor, die keine Beschränkungen vorsieht.
47Die Beschränkung wird auch nicht dadurch aufgehoben, dass das Amtsgericht die Insolvenzschuldnerin darüber hinaus dahingehend ermächtigt, im Insolvenzeröffnungsverfahren Masseverbindlichkeiten zum Zweck der Aufrechterhaltung des laufenden Geschäftsbetriebs mit Zustimmung des vorläufigen Sachwalters gegenüber Dienstleistern und Lieferanten zu begründen. Denn insoweit ist die Ermächtigung auf eine bestimmte Gruppe an Gläubigern beschränkt. Danach sind z.B. sämtliche Verbindlichkeiten der Insolvenzschuldnerin bzw. Forderungen gegen die Insolvenzschuldnerin, die sich aus dem Abschluss von Kaufverträgen mit ihren Kunden ergeben (z.B. Sachmängelansprüche) nicht in den Rang einer Masseverbindlichkeit gehoben worden.
48Die Gruppenermächtigung des Amtsgerichts E ist auch hinreichend konkret. Denn anhand der Zweckbestimmung (Finanzierung bzw. Aufrechterhaltung des laufenden Geschäftsbetriebs) und der personellen Bezeichnung (Dienstleister und Lieferanten) ist die Gruppe der davon erfassten Gläubiger zumindest bestimmbar.
49cc) Die nach dem 29.07.2015 begründeten Umsatzsteuerverbindlichkeiten werden von der erteilten Gruppenermächtigung nicht erfasst.
50Die Gruppenermächtigung bezieht sich nur auf Gläubiger, von denen die Insolvenzschuldnerin Eingangsleistungen bezieht (Dienstleister und Lieferanten). Die Verbindlichkeiten gegenüber den Gläubigern im Zusammenhang mit Rechtsgeschäften, die zu umsatzsteuerpflichtigen Ausgangsumsätzen führen, sind nicht von der vom Amtsgericht E erteilten Ermächtigung erfasst. Schon aus diesem Grund handelt es sich bei den Umsatzsteuerverbindlichkeiten, die mit der Ausführung der Ausgangsumsätze nach dem 29.07.2015 begründet wurden, nicht um Masseverbindlichkeiten. Die Frage, ob z.B. im Fall einer Globalermächtigung die Umsatzsteuer, die bei der Vorbereitung einer Sanierung im Schutzschirmverfahren gem. § 270 b InsO entsteht, nachdem das Gericht angeordnet hat, dass der Schuldner Masseverbindlichkeiten begründet, als Masseverbindlichkeit und nicht als Insolvenzforderung zu behandeln ist, kann danach dahinstehen (bejahend FG Nürnberg, Gerichtsbescheid vom 28.03.2018, 2 K 1105/15, EFG 2018, 1229; ablehnend Witfeld, NZI 2018, 652).
51dd) Entgegen der Ansicht des Beklagten läge eine Globalermächtigung, welche die nach dem 29.07.2015 begründeten Umsatzsteuerverbindlichkeiten erfassen würde, auch dann nicht vor, wenn es sich bei der vom Amtsgericht E erteilten Ermächtigung mangels einer hinreichenden Individualisierung der Gläubiger um keine wirksame Gruppenermächtigung handeln würde. Denn dann lägen die Voraussetzungen für die Begründung einer Masseverbindlichkeit nach § 270b Abs. 3 InsO insgesamt nicht vor (vgl. zur Folge einer unzulässigen Anordnung auch BGH, Urteil vom 18.07.2002, IX ZR 195/01, ZIP 2002, 1625, Rn. 32 ff.). Im Rahmen des Schutzschirmverfahrens (§ 270b InsO) werden jedoch nur insoweit Masseverbindlichkeiten begründet, als der Schuldner vom Insolvenzgericht hierzu ermächtigt worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 22.11.2018, IX ZR 167/16, DStR 2019, 174; BFH, Urteil vom 27.11.2019, XI R 35/17, BFH/NV 2020, 482). Soweit der Beklagte darauf abstellt, dass Unklarheiten zu Lasten der Insolvenzschuldnerin gingen und in einem solchen Fall von einer Globalermächtigung auszugehen sei, ist zu beachten, dass damit nicht nur die Liquidität der Insolvenzschuldnerin belastet werden würde, sondern darüber hinaus auch mit Blick auf das Ausfallrisiko sämtliche Alt-Gläubiger im Vergleich zu den Neu-Gläubigern benachteiligt würden.
523. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
53Die Revision war mangels des Vorliegens eines Revisionsgrundes i.S.d. § 115 Abs. 2 FGO nicht zuzulassen.
54Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.