Urteil vom Finanzgericht Münster - 5 K 3819/18 U
Tenor
Es wird festgestellt, dass die an die Rechtsvorgängerin der Klägerin adressierten Umsatzsteuerbescheide des Beklagten für 2010 vom 09.03.2018, für 2011 vom 08.03.2018, für 2012 vom 09.03.2018 und für 2013 vom 22.03.2018, jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16.11.2018, unwirksam sind.
Der Umsatzsteuerbescheid des Beklagten für 2013 vom 04.01.2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom selben Tag wird dergestalt geändert, dass die Umsatzsteuer auf 35.828,84 € festgesetzt wird.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin zu 41 % und der Beklagte zu 59 %.
Die Revision wird zugelassen.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leistet.
1
Tatbestand
2Verfahrensrechtlich streitig ist, ob an die Rechtsvorgängerin der Klägerin adressierte Bescheide und die Einspruchsentscheidung wirksam waren und wie eine weitere Klage gegen eine weitere Einspruchsentscheidung, mit der der Adressierungsmangel berichtigt wurde, zu beurteilen ist.
3Materiell-rechtlich streitig ist, ob für die Jahre 2010 bis 2013 (Streitjahre) eine umsatzsteuerliche Organschaft vorlag, bei der die Rechtsvorgängerin der Klägerin Organträgerin war.
4Die Rechtsvorgängerin der Klägerin war in den Streitjahren als GmbH & Co KG verfasst. Sie wurde vertreten durch ihre Komplementärin, die C GmbH (im Folgenden: C GmbH). Geschäftsführerin der C GmbH war in allen Streitjahren Frau UT und in der Zeit 04.12.2007 bis 05.06.2013 (Eintragung im Handelsregister) Herr LT. Beim Vorhandensein mehrerer Geschäftsführer wurde die C GmbH durch zwei Geschäftsführer oder durch einen Geschäftsführer gemeinsam mit einem Prokuristen vertreten. Kommanditisten der Rechtsvorgängerin der Klägerin waren LT (nominal 102.400 €, 40%), UT (nominal 102.400 €, 40 %) und JT (nominal 51.200 €, 20 %).
5§ 5 des für die Streitjahre geltenden Gesellschaftsvertrags der Rechtsvorgängerin der Klägerin lautete auszugsweise wie folgt (Stehordner 1/3, Bl. 34ff):
6"Geschäftsführung und Vertretung
7(1) Die Geschäftsführung und Vertretung der Gesellschaft obliegt der persönlich haftenden Gesellschafterin, der C GmbH mit dem Sitz in M, soweit sich aus § 5 Ziff. (8) nichts anderes ergibt. Die persönlich haftende Gesellschafterin übt die Geschäftsführung und Vertretung durch ihre satzungsgemäß bestellten Organe aus.
8(2)…
9(3)…
10(4)…
11(5) Außergewöhnliche Maßnahmen der Geschäftsführung sind nur bei vorheriger Zustimmung des Beirats zulässig, sofern es nicht nach Maßgabe dieses Vertrags der vorherigen Zustimmung der Gesellschafterversammlung bedarf. Außergewöhnliche Maßnahmen der Geschäftsführung, die der vorherigen Zustimmung des Beirats bedürfen, sind insbesondere folgende Maßnahmen:
12a) …
13…
14u)…
15…
16(10) Der Beirat ist berechtigt, der persönlich haftenden Gesellschafterin Weisungen zu erteilen."
17In § 12 des Gesellschaftsvertrags der Rechtsvorgängerin der Klägerin (Stehordner Bd. 1/3, Bl. 46ff) waren Regelungen über die Wahl, Zusammensetzung und Aufgaben des Beirats der Klägerin auszugsweise wie folgt geregelt:
18…
19§ 12 Ziff. (2):
20" Der Beirat besteht aus drei Mitgliedern."
21§ 12 Ziff. (3):
22" Die Mitglieder des Beirats werden vorbehaltlich § 12 Ziff. (4) [Anm.: im vorliegenden Gesellschaftsvertrag entfallen] von der Gesellschaftsversammlung mit allen in der Gesellschaft vorhandenen Stimmen gewählt.
23Kommt ein wirksamer einstimmiger Beschluss über die Wahl der Beiratsmitglieder nicht zustande, so gilt Folgendes:
24(i) Sofern die Gesellschaft zwei Kommanditisten hat, wählt und bestellt jeder Kommanditist ein Beiratsmitglied. Das dritte Beiratsmitglied wird von der Gesellschafterversammlung mit der Mehrheit aller abgegebenen Stimmen gewählt.
25(ii) Sofern die Gesellschaft mehr als zwei Kommanditisten hat, steht jedem Kommanditisten, der zu mindestens 10 % am Festkapital der Gesellschaft beteiligt ist, das Recht zu, ein Mitglied in den Beirat zu entsenden. Ein weiteres Beiratsmitglied wird von der Gesellschafterversammlung mit der Mehrheit aller abgegebenen Stimmen gewählt. Gegebenenfalls erhöht sich dadurch die Anzahl der Mitglieder des Beirates gemäß § 12 Ziff. (2) entsprechend."
26§ 12 Ziff. (11):
27"Der Beirat hat außer den ihm in diesem Vertrag einzeln zugewiesenen Obliegenheiten die Aufgabe,
28a) die Geschäftsführung zu beraten und zu überwachen;
29b) bei Meinungsverschiedenheiten zwischen den Geschäftsführern untereinander über beabsichtigte Maßnahmen zu vermitteln und gegebenenfalls zu entscheiden;
30c) bei Meinungsverschiedenheiten zwischen den Gesellschaftern zu vermitteln;
31d) der Beirat ist berechtigt, über die in § 5 Ziff. (4) genannten Maßnahmen hinaus weitere Handlungen und Maßnahmen der Geschäftsführung durch die persönlich haftende Gesellschafterin festzulegen, die der vorherigen Zustimmung des Beirats bedürfen."
32Der Beirat der Rechtsvorgängerin der Klägerin hat sich eine Geschäftsordnung gegeben, die am 01.07.2003 in Kraft trat. Es wird wegen der Einzelheiten auf den Gesellschaftsvertrag der Rechtsvorgängerin der Klägerin (Stehordner Bd. 1/3, Bl. 33ff) und auf die Geschäftsordnung des Beirats (Stehordner Bd. 1/3, Bl. 106ff) verwiesen. In den Streitjahren bestand der Beirat aus den Herren HE, KJ und HM, die sämtlich nicht dem Gesellschafter- und Geschäftsführerkreis der Rechtsvorgängerin der Klägerin angehörten.
33Im Jahr 2014 wurde die Rechtsvorgängerin der Klägerin im Wege eines Formwechsels in die T GmbH (Klägerin) umgewandelt.
34Die Rechtsvorgängerin der Klägerin hielt 100 % des Stammkapitals der D GmbH (im Folgenden: D GmbH), die eine Bauunternehmung betrieb. Die Rechtsvorgängerin der Klägerin vermietete Betriebsgrundstücke an die D GmbH und erbrachte gegenüber der D GmbH gegen eine monatliche Verwaltungskostenumlage i. H. v. 2.000 € allgemeine Verwaltungsaufgaben.
35§ 5 des Gesellschaftsvertrags der D GmbH in der für die Streitjahre geltenden Fassung vom 31.03.2009 lautete wie folgt (Stehordner 1/3, Bl. 61ff):
36"Geschäftsführung und Vertretung
37(1) Die Gesellschaft hat einen oder mehrere Geschäftsführer.
38(2) Die Gesellschaft wird vertreten,
39a) wenn ein Geschäftsführer vorhanden ist, durch diesen,
40b) wenn mehrere Geschäftsführer vorhanden sind, durch zwei Geschäftsführer oder durch einen Geschäftsführer in Gemeinschaft mit einem Prokuristen.
41Der Beirat der Gesellschaft kann beschließen, dass auch beim Vorhandensein mehrerer Geschäftsführer einer oder mehrere von ihnen die Gesellschaft alleine vertreten können. Der Beirat kann auch beschließen, dass einer oder mehrere Geschäftsführer ganz oder teilweise von den Beschränkungen des § 181 BGB (Verbot des Selbstkontrahierens und Verbot der Mehrvertretung) befreit werden.
42…"
43§ 7 des vorgenannten Gesellschaftsvertrags lautete wie folgt (Stehordner 1/3, Bl. 64f):
44"Beirat
45(1) Die Gesellschaft hat einen Beirat, der aus drei Mitgliedern besteht. Die Mitglieder des Beirats sind stets mit den Mitgliedern des Beirats der Kommanditgesellschaft unter der Firma U GmbH & Co KG identisch.
46(2) Der Beirat hat die Aufgabe und Befugnis, die Gesellschaft gegenüber den Geschäftsführern zu vertreten, insbesondere die Geschäftsführer zu bestellen und abzuberufen, über die Entlastung der Geschäftsführer zu entscheiden, mit den Geschäftsführern Anstellungsverhältnisse abzuschließen, diese zu ändern und zu beenden, insbesondere zu kündigen sowie die Geschäftsführung zu überwachen und zu kontrollieren. Die Gesellschafterversammlung ist für diese Maßnahmen nicht zuständig.
47(3) Im Übrigen gelten für den Beirat, insbesondere seine Aufgaben, seine Zusammensetzung und Wahl sowie seine innere Ordnung die Bestimmungen des Kommanditgesellschaftsvertrags der U GmbH & Co KG über den Beirat der Gesellschaft in ihrer jeweils gültigen Fassung entsprechend.
48(4) Das Recht, den Geschäftsführern Weisungen zu erteilen, steht dem Beirat zu; das Weisungsrecht der Gesellschaftsversammlung ist ausgeschlossen.
49(5) Die Tätigkeit der Mitglieder des Beirats ist mit der Beiratsvergütung für die Beiratstätigkeit bei der U GmbH & Co KG mit abgegolten. Die Haftung der Mitglieder des Beirats ist auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt."
50Der Beirat der D GmbH tagte in 2010 dreimal, in 2011 fünfmal, in 2012 viermal und in 2013 einmal. In der Sitzung vom 26.06.2012 (Leitz 1/3, Bl. 304ff) wurde u. a. das weitere Vorgehen der Baustellen "Y" und "X", die Schließung der Niederlassung E und Personalangelegenheiten besprochen. Es wird wegen des weiteren Inhalts auf die Sitzungsprotokolle (Leitz 1/3, Bl. 238 bis 333) verwiesen.
51Die Geschäftsführung der D GmbH hat sich eine Geschäftsordnung gegeben.
52§ 3 "Geschäftsführung" lautete wie folgt (Stehordner 1/3, Bl. 126f):
53"1. Sind mehrere Geschäftsführer bestellt, so stellen die Geschäftsführer einen Geschäftsverteilungsplan auf. Aufstellung und Änderung des Geschäftsverteilungsplanes erfolgen durch einstimmigen Beschluss aller Geschäftsführer.
54Für die Aufgabenverteilung gilt grundsätzlich, dass Frau UT die kaufmännische Geschäftsführung, Herr GS und Herr LT die technische Geschäftsführung verantworten.
55Der Geschäftsverteilungsplan sowie seine Änderungen sind der Gesellschafterversammlung zur Kenntnisnahme vorzulegen. Diese kann Änderungen und Ergänzungen beschließen. Kommt kein einstimmiger Beschluss der Geschäftsführer zustande, [hat] Herr GS als Sprecher der Geschäftsführung den Beirat zu ersuchen, die Geschäftsverteilung allein zu regeln.
562. Sind mehrere Geschäftsführer bestellt, so obliegt jedem Geschäftsführer, unbeschadet seiner Verantwortung für die Geschäftsführung im Ganzen, die verantwortliche Führung des ihm durch den Geschäftsverteilungsplan zugewiesenen Geschäftsbereiches.
573. Weitere Einzelheiten, insbesondere die Zuständigkeit bei der Überschneidung von Geschäftsbereichen, regelt Herr GS als Sprecher der Geschäftsführung."
58Die Klägerseite trägt mit Schriftsatz vom 26.10.2021 vor (Gerichtsakte Bl. 211), aus dem Protokoll der Beiratssitzung vom 24.4.2012 (Leitz 1/3, Bl. 294) ergebe sich zwar die Übergabe eines Geschäftsverteilungsplans der Geschäftsführung der D GmbH. Es sei in der vorgenannten Beiratssitzung aber nur der Entwurf eines Geschäftsverteilungsplans per Beamer vorgestellt worden, der zur Gerichtsakte vorgelegt werde und auf den wegen des Inhalts verwiesen wird (Gerichtsakte Bl. 212). Ein unterzeichneter Geschäftsverteilungsplan liege nicht vor.
59§ 5 "Entscheidungen der Gesamtgeschäftsführung" lautete wie folgt (Stehordner 1/3, Bl. 127f):
60"1. Maßnahmen oder Geschäfte, die für die Gesellschaft von großer Bedeutung sind oder mit denen ein größeres wirtschaftliches Risiko verbunden ist, bedürfen der vorherigen Zustimmung der Gesamtgeschäftsführung, soweit die Gesellschaft durch die zeitliche Verzögerung, die mit der Einholung der Zustimmung verbunden wäre, keine erheblichen Nachteile drohen.
612. Unbeschadet der Regelung in Absatz 1 entscheiden sämtliche Geschäftsführer
62a) in Angelegenheiten, für die das Gesetz die Entscheidung durch die Gesamtgeschäftsführung vorsieht,
63b) in Angelegenheiten, in den die Geschäftsführung nach dem Gesetz, nach der Satzung oder nach dieser Geschäftsordnung nur mit Zustimmung der Gesellschafterversammlung handeln darf,
64c) über grundsätzliche Fragen der Organisation, der Geschäftspolitik sowie der Investitions- und Finanzplanung der Gesellschaft,
65d) wenn ein Geschäftsführer dies ausdrücklich wünscht.
663. Die Geschäftsführer können einzelne Geschäftsführer mit der Durchführung der von der Gesamtgeschäftsführung beschlossenen Maßnahmen beauftragen."
67§ 7 "Beschlüsse" lautete unter Ziff. 5 wie folgt (Stehordner 1/3 Bl. 129):
68" Die Geschäftsführung beschließt, soweit nichts Abweichendes angeordnet ist, mit Stimmenmehrheit. Dabei werden Stimmenthaltungen nicht mitgezählt. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme von Herrn GS als Sprecher der Geschäftsführung."
69Nach dem Ausscheiden von Herrn GS aus der Geschäftsführung der D GmbH ist § 7 Abs. 5 S. 3 weder aufgehoben noch geändert worden.
70Wegen der weiteren Regelungen wird auf die Geschäftsordnung Bezug genommen (Stehordner Bd. 1/3, Bl. 124ff). Außerdem wird auf den Gesellschaftsvertrag der D GmbH (Stehordner Bd. 1/3, Bl. 59ff) und auf die am 23.02.2004 in Kraft getretene Geschäftsordnung des Beirats der D GmbH (Stehordner Bd. 1/3, Bl. 115ff) Bezug genommen.
71Die D GmbH hatte in den Streitjahren folgende Geschäftsführer (Zeitangaben nach Handelsregistereintragung):
72- UT ab 21.12.2007,
73- LT, 07.11.2006 bis 05.06.2013 (Amtsniederlegung am 10.02.2013),
74- GS, 01.05.2011 bis 06.11.2012 (Amtsniederlegung am 01.10.2012),
75- HS, 27.11.2012 (Vertragsbeginn: 01.11.2012) bis 20.12.2013 (Tätigkeit ruhte aufgrund eines Unfalls ab 00.12.2012 bis zur Niederlegung seines Amtes zum 11.12.2013),
76- ST, 05.06.2013 bis 20.12.2013,
77- TT ab 20.12.2013.
78Frau TT wurde mit Beschluss des Beirats (Stehordner Bd. 1/3, Bl. 23, Bd. 2/3, Bl. 267) aufgrund eines insolvenzrechtlichen Beratungsvertrags mit der Anwaltskanzlei Q (Stehordner Bd. 1/3, Bl. 192ff), auf den wegen des Inhalts verweisen wird, mit Wirkung ab 00.12.2013 als Sanierungs-Geschäftsführerin bestellt.
79Die D GmbH hatte in den Streitjahren folgende Prokuristen (bei Gesamtprokura jeweils mit einem Geschäftsführer oder einem anderen Prokuristen; Zeitangaben nach Handelsregistereintragung):
80- P1, 26.03.2008 bis 02.02.2010 und wieder ab 20.12.2013 (Gesamtprokura),
81- P2, 26.03.2008 bis 20.12.2013 (Gesamtprokura),
82- P3, 26.03.2008 bis 28.10.2010 (Gesamtprokura),
83- P4, 26.03.2008 bis 25.05.2010 (Gesamtprokura),
84- P5 ab 26.03.2008 (Gesamtprokura),
85- P6, 25.05.2010 bis 05.03.2014 (Gesamtprokura),
86- P7, 27.12.2011 bis 12.06.2013 Gesamtprokura),
87- P8, 27.05.2004 bis 05.03.2014 (Gesamtprokura),
88- P9, 27.05.2004 bis 05.03.2014 (Gesamtprokura).
89Am 00.12.2013 stellte die D GmbH einen Antrag auf Insolvenzeröffnung. Das Amtsgericht N beschloss am 00.12.2013 eine vorläufige Eigenverwaltung, bestellte Herrn Rechtsanwalt TN als vorläufigen Sachwalter und ordnete Maßnahmen nach § 21 Abs. 2 Nr. 3 Insolvenzordnung –InsO– (Untersagung oder Einstellung von Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner) und § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO (Verwertungs- und Einziehungsverbot bestimmter Gegenstände) an. Mit Beschluss des Amtsgerichts N vom 00.02.2014 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der D GmbH eröffnet (xyz).
90Die Rechtsvorgängerin der Klägerin gab ihre Umsatzsteuererklärungen für die Jahre 2010 bis 2012 zunächst einschließlich der Besteuerungsgrundlagen der D GmbH ab. Sie erklärte folgende Umsatzsteuern:
912010: … €
922011: … €
932012: … €
94Der Beklagte stimmte den Erklärungen zu.
95Mit Schreiben vom 18.12.2013, auf das wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird (Stehordner Bd. 2/3, Bl. 267ff), vertrat die Klägerin gegenüber dem Beklagten die Auffassung, dass mit Bestellung von TT als weitere Geschäftsführerin der D GmbH die organisatorische Eingliederung ab Dezember 2013 entfallen sei. Frau UT als Geschäftsführerin der Rechtsvorgängerin der Klägerin sei ab Dezember 2013 nicht mehr imstande gewesen, den Willen der Rechtsvorgängerin der Klägerin bei der D GmbH durchzusetzen, weil sie in der D GmbH nicht mehr die Stimmenmehrheit innerhalb der Geschäftsführung gehabt habe.
96Für 2013 erging gegenüber der Rechtsvorgängerin der Klägerin am 14.08.2015 ein Schätzungsbescheid, mit dem die Umsatzsteuer auf … € festgesetzt wurde. Der Bescheid stand unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (VdN). Die Rechtsvorgängerin der Klägerin gab am 11.09.2015 für 2013 eine Umsatzsteuererklärung ab, mit der sie eine Umsatzsteuer i. H. v. ... € (niedriger) erklärte. Die Besteuerungsgrundlagen der D GmbH bis 30.11.2013 waren in der Erklärung enthalten. Dieser Erklärung stimmte der Beklagte nicht zu.
97Für die Zeit 01.01.2013 bis 10.02.2013 (Amtsniederlegung durch den Geschäftsführer der D GmbH, LT) hatten die steuerpflichtigen Umsätze und Vorsteuern der Rechtsvorgängerin der Klägerin (einschließlich der Umsätze und Vorsteuern der D GmbH) folgende Höhe:
98Umsätze (19%): … €
99Vorsteuern: … €
100Umsatzsteuer: … €.
101Für die Zeit ab 11.02.2013 fielen bei der Rechtsvorgängerin der Klägerin die folgenden steuerpflichtigen Umsätze und Vorsteuern an (ohne Umsätze und Vorsteuern der D GmbH):
102Umsätze (19%): … €
103Vorsteuern: … €
104Umsatzsteuer: … €
105Ab August 2015 fand bei der Rechtsvorgängerin der Klägerin eine Betriebsprüfung durch das Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung N für die Jahre 2010 bis 2013 statt. Während der Betriebsprüfung, am 10.02.2016, gab die Rechtsvorgängerin der Klägerin geänderte Umsatzsteuererklärungen für die Jahre 2011 bis 2013 ab, mit denen sie folgende Umsatzsteuern erklärte:
1062011: … €
1072012: … €
1082013: … €.
109Gleichzeitig, nämlich am 10.02.2016, gab die D GmbH für die Jahre 2011 bis 2013 erstmalige Umsatzsteuererklärungen ab, mit denen sie folgende Umsatzsteuern erklärte:
1102011: … €
1112012: … €
1122013: … €.
113Die Rechtsvorgängerin der Klägerin vertrat nunmehr die Auffassung, die umsatzsteuerliche Organschaft sei ab 01.05.2011, mit Eintritt von Herrn GS als Fremdgeschäftsführer der D GmbH, beendet gewesen. Herr GS habe keine Verflechtungen zur Klägerin gehabt. Die "personenidentischen Geschäftsführer" (solche, die zugleich bei der Klägerin und der D GmbH als Geschäftsführer tätig waren) seien mit Eintritt des weiteren Geschäftsführers GS nicht mehr in der Lage gewesen, den Willen der Klägerin bei der D GmbH durchzusetzen. Die "Fremdgeschäftsführer" der D GmbH hätten zusammen mit einem Prokuristen die "personenidentischen Geschäftsführer" überstimmen können. Die Befugnisse des Beirats änderten daran nichts. Der Beirat kontrolliere beide Gesellschaften, diese seien dem Beirat quasi gleichrangig untergeordnet. Der BFH habe wiederholt klargestellt, dass die Kontrolle der Geschäftsführung bei der Organgesellschaft durch einen Beirat/Aufsichtsrat nicht ausreiche, um ein Über-/Unterordnungsverhältnis zu begründen.
114Der Betriebsprüfer war demgegenüber der Auffassung, die umsatzsteuerliche Organschaft habe erst mit Insolvenzeröffnung der D GmbH geendet. Es wird auf Tz. 2.2.1 bis 2.2.4 des Betriebsprüfungsberichts für die Klägerin v. 28.11.2017 (Stehordner Bd. 3/3 Bl. 159 ff) und Tz 1.3.2. des Prüfungsberichts für die D GmbH vom selben Tag (Stehordner Bd. 3/3 Bl. 251) verwiesen.
115Der Beklagte folgte der Auffassung des Prüfers und setzte die Umsatzsteuer gegenüber der Rechtsvorgängerin der Klägerin wie folgt fest:
1162010: Bescheid vom 09.03.2018, Vorbehalt der Nachprüfung (VdN) aufgehoben,
1172011: Bescheid vom 08.03.2018, Umsatzsteuer: … €, außerdem VdN aufgehoben,
1182012: Bescheid vom 09.03.2018, VdN aufgehoben,
1192013: Bescheid vom 22.03.2018, Umsatzsteuer: … €, außerdem VdN aufgehoben.
120Gegen die vorgenannten Bescheide legte die Rechtsvorgängerin der Klägerin mit Schreiben vom 11.04.2018 (für die Jahre 2010 bis 2012) und 11.04.2018 (für das Jahr 2013) Einsprüche ein, die der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 16.11.2018 als unbegründet zurückwies. Die Einspruchsentscheidung weist im Rubrum die Rechtsvorgängerin der Klägerin aus. Es wird wegen des Inhalts auf die Einspruchsentscheidung Bezug genommen (Rb-Stehordner Bl. 272ff).
121Dagegen legte die Rechtsvorgängerin der Klägerin am 14.12.2018 Klage ein (Az. 5 K 3819/18 U). Mit Schriftsatz vom 17.12.2018 wies sie darauf hin, dass bereits vor Erlass der Einspruchsentscheidung ein Formwechsel bei der Klägerin stattgefunden habe und die Einspruchsentscheidung daher unwirksam sei.
122Am 04.01.2019 erließ der Beklagte für die Streitjahre geänderte Umsatzsteuerbescheide und eine geänderte Einspruchsentscheidung, die als Adressat nunmehr die Klägerin als Rechtsnachfolgerin der U GmbH & Co KG auswiesen. Ansonsten waren die Bescheide und die Einspruchsentscheidung, auf die wegen des Inhalts Bezug genommen wird (Gerichtsakte Bl. 23ff), inhaltlich gleich wie die zunächst angefochtenen Bescheide und die Einspruchsentscheidung vom 16.11.2018. Die Bescheide und die Einspruchsentscheidung enthielten die üblichen, standardisierten Rechtsbehelfsbelehrungen. Gegen die Änderungsbescheide vom 04.01.2019 legte die Klägerin Einspruch ein. Gegen die Einspruchsentscheidung vom 04.01.2019 erhob die Klägerin Klage, die zunächst unter dem Az. 5 K 274/19 U geführt wurde und die mit Beschluss vom 22.02.2021 mit dem vorliegenden Verfahren verbunden wurde.
123Die Klägerin meint, die Klage 5 K 274/19 U sei zulässig, weil die Einspruchsentscheidung und die Bescheide vom 04.01.2019 keinen Hinweis auf das laufende Verfahren 5 K 3819/18 enthielten.
124Materiell-rechtlich trägt die Klägerin vor, die umsatzsteuerliche Organschaft werde nach gegenwärtiger Rechtslage für die Jahre ab 2011 angezweifelt. Die Organschaft habe mit Ablauf des 30.4.2011 geendet. Zwar sei die D GmbH finanziell und wirtschaftlich in die Klägerin eingegliedert gewesen, es habe aber ab diesem Zeitpunkt an der organisatorischen Eingliederung gefehlt. Die für eine organisatorische Eingliederung typische enge Verflechtung mit Personenidentität in den Leitungsgremien von Organträger und Organgesellschaft habe am 30.04.2011 mit Bestellung von Herrn GS zum weiteren Geschäftsführer der D GmbH geendet. Herr GS sei Sprecher der Geschäftsführung der D GmbH und ihr technischer Direktor gewesen. Es habe sich um einen Fremdgeschäftsführer ohne Verflechtung zur Klägerin gehandelt. Herr GS sei auch kein (leitender) Mitarbeiter der Klägerin gewesen. Zwar seien neben Herrn GS auch noch UT und LT Geschäftsführer der D GmbH gewesen. Eine organisatorische Eingliederung verlange aber eine Sicherstellung der Durchsetzung des Willens des Organträgers bei der laufenden Geschäftsführung des Organs. Der Organträger müsse jederzeit Einfluss auf die laufende Geschäftsführung der Organgesellschaft nehmen können und dies auch tun. Nicht ausreichend sei nach der jüngeren BFH-Rechtsprechung, dass eine abweichende Willensbildung in der Organgesellschaft nur ausgeschlossen sei. Ein bloßes Vetorecht ermögliche dem Organträger nicht, aktiv in die laufende Geschäftsführung bei der Organgesellschaft einzugreifen. Es komme daher nicht auf die Vertretungsbefugnis (Außenverhältnis) an, sondern jedenfalls auch auf die Geschäftsführungsbefugnis (Innenverhältnis), d. h. auf die Befugnisse und Beschränkungen bei der Geschäftsführung der Organgesellschaft. Nach § 5 Abs. 2 der Satzung der D GmbH werde die Gesellschaft durch zwei Geschäftsführer oder einen Geschäftsführer und einen Prokuristen geführt. Herr GS habe somit die Möglichkeit gehabt, zusammen mit einem Prokuristen und ohne UT und LT die D GmbH zu vertreten. Die Prokuristen der D GmbH seien nicht der Klägerin zuzurechnen, sie seien ausschließlich bei der D GmbH angestellt gewesen und es habe auch sonst keine Vereinbarungen zwischen der Klägerin und den Prokuristen, wonach diese verpflichtet gewesen wären, den Willen der Klägerin durchzusetzen, gegeben. Schon bei einem Patt in der Geschäftsführung des Organs sei nicht sichergestellt, dass der Organträger seinen Willen beim Organ durchsetzen könne. Zusätzliche institutionelle Maßnahmen, die sicherstellten, dass die personenidentischen Geschäftsführer sich durchsetzen (schriftlich vereinbartes Letztentscheidungsrecht, umfassendes Weisungsrecht, Abberufungsrecht der Geschäftsführer der Organgesellschaft durch Organträger) seien nicht ersichtlich.
125Zwar sei in § 7 Abs. 5 Geschäftsordnung der Geschäftsführung der D GmbH geregelt, dass Beschlüsse der Geschäftsführung mit einfacher Mehrheit getroffen werden könnten. Das setze aber voraus, dass eine Gesamtgeschäftsführungsbefugnis bei der D GmbH vereinbart worden sei. Bestehe eine Einzelgeschäftsführungsbefugnis des Fremdgeschäftsführers, seien zusätzliche, institutionell abgesicherte Maßnahmen (Letztentscheidungs- oder Vetorecht der personenidentischen Geschäftsführer) notwendig, um ein Handeln gegen den Willen des Organträgers zu verhindern. Bei der D GmbH habe es aber keine Gesamtgeschäftsführungsbefugnis gegeben. Die Regelung in § 5 Abs. 2 der Satzung der D GmbH betreffe die Vertretungsbefugnis im Außenverhältnis und stelle eine Abweichung zu der in § 35 Abs. 2 GmbHG vorgesehenen Gesamtvertretung dar. Vereinbarungen zur Geschäftsführungsbefugnis, also zum Innenverhältnis (rechtliches Dürfen), enthalte die Satzung nicht. Da § 5 Abs. 2 der Satzung der D GmbH eine Abweichung von der Gesamtvertretung für die Geschäftsführer der D GmbH enthalte (sogen. unechte Gesamtvertretung), gelte dies auch für deren Geschäftsführungsbefugnis. Hiernach liege keine Gesamtgeschäftsführungsbefugnis vor. Auch nach den Regelungen der Geschäftsordnung der Geschäftsführung der D GmbH (§ 5) sei grundsätzlich nur für Maßnahmen und Geschäfte von großer Bedeutung und in speziell vorgesehenen Angelegenheiten eine Gesamtgeschäftsführung vorgesehen. Maßnahmen der laufenden Geschäftsführung hingegen unterlägen entsprechend der Ressortverteilung (§ 3 Abs. 2 Geschäftsordnung der Geschäftsführung der D GmbH) jedem einzelnen Geschäftsführer. Hinzu komme, dass bei Stimmengleichheit die Stimme des Fremdgeschäftsführers GS als Sprecher der Geschäftsführung der D GmbH entscheiden solle (§ 7 Abs. 5 Geschäftsordnung der Geschäftsführung der D GmbH). Ab dem 10.02.2013 habe der Fremdgeschäftsführer aufgrund seines Letztentscheidungsrechts in § 7 Abs. 5 der vorgenannten Geschäftsordnung bei jeder Beschlussfassung innerhalb der Geschäftsführung der D GmbH Maßnahmen der personenidentischen Geschäftsführerin UT verhindern können. Der Umstand, dass die vorgenannte Regelung nicht die Namen der Geschäftsführer nach Herrn GS enthalte, sei unerheblich. Die Geschäftsordnung der Geschäftsführung der D GmbH sei durch den Beirat der D GmbH am 18.04.2011 beschlossen worden. Der Wortlaut dieser Geschäftsordnung sei in der Folgezeit weder neugefasst noch angepasst worden. Die Geschäftsordnung vom 18.04.2011 sei auch nicht aufgehoben worden. Sie habe daher über das Ausscheiden des Herrn GS (30.10.2012) und des Herrn LT (15.02.2013) hinaus fortgegolten. Die Geschäftsordnung vom 18.04.2011 habe insbesondere für die Nachfolger von Herrn GS, die Herren HS (ab 01.11.2012) und ST (ab 06.05.2013) gegolten. Durch Auslegung der Geschäftsordnung (§§ 133, 157 Bürgerliches Gesetzbuch –BGB) ergebe sich, dass nicht nur Herrn GS als Sprecher der Geschäftsführung, sondern dem jeweiligen Sprecher der Geschäftsführung der D GmbH die entscheidende Stimme bei Stimmengleichheit zugewiesen gewesen sei. Herr HS sei – wie sein Vorgänger Herr GS – als technischer Geschäftsführer der D GmbH und Sprecher der Geschäftsführung eingestellt worden. Gleiches gelte für Herrn ST, der am 06.05.2013 die technische Geschäftsführung und die Aufgabe als Sprecher der Geschäftsführung der D GmbH übernommen habe, was sich aus dem Jahresabschluss der D GmbH 2012, Seite 14 (Gerichtsakte Bl. 152ff) ergebe. Herr ST sei auf Empfehlungen der Banken und einer Beratungsgesellschaft … gekommen. Der Umstand, dass Herr GS nach seiner Amtsniederlegung vom 01.10.2012 bis 01.11.2012 beurlaubt gewesen sei, führe nicht zum Wiederaufleben der Organschaft für einen Monat. Es komme auf die Wirksamkeit seiner Geschäftsführerbestellung an. Anderenfalls würde jede tatsächliche Abwesenheit eines Fremdgeschäftsführers dazu führen, dass die organisatorische Eingliederung (wieder) vorliege. Aus Gründen der Rechtssicherheit und Praktikabilität sei ein solches Vorgehen abzulehnen. Gleiches gelte für die krankheitsbedingte Abwesenheit des Fremdgeschäftsführers HS bis zum 08.05.2013. Die formale Beendigung der Geschäftsführungstätigkeit von Herrn HS sei zum 11.12.2013 erfolgt. Nach dem BFH-Urteil vom 02.12.2015, V R 15/14, BStBl II 2017, 553, das im Anschluss an die EuGH-Urteile vom 16.07.2015 (C-108/14, Larentia + Minerva, und C-109/14, Marenave Schiffahrt) ergangen sei, müsse die Feststellung der umsatzsteuerlichen Organschaft anhand trennscharfer Konturen gewährleistet sein. Das sei nur möglich, wenn auf die schriftlichen Vereinbarungen zur Geschäftsführungsbefugnis und Vertretungsbefugnis abgestellt werde und nicht jede krankheits- oder urlaubsbedingte Abwesenheit zu einer Organschaft oder ihrem Ende führe.
126Auch das Vorhandensein der bei der Klägerin und der D GmbH personenidentischen Beiräte führe nicht zu einer organisatorischen Eingliederung. Der Beirat führe weder die Geschäfte der Klägerin, noch sei er personenidentisch mit der Geschäftsführung der Klägerin. Zwar seien die Beiräte der Klägerin und der D GmbH personenidentisch und der Beirat habe die Aufgabe, bei Meinungsverschiedenheiten unter den Geschäftsführern zu vermitteln und ggfls. zu entscheiden. Für eine organisatorische Eingliederung sei aus Gründen des Nachweises und der Inhaftungnahme ein schriftlich vereinbartes Letztentscheidungsrecht eines geschäftsführenden Organs des Organträgers erforderlich. Es gehe um die Durchsetzung des Willens des Organträgers und den Durchgriff des Organträgers in die Geschäftsführung der Organgesellschaft. Die Klägerin handele durch ihre Geschäftsführung und nicht durch den Beirat. Ob dem nicht geschäftsführenden Beirat ein Vermittlungs- und Letztentscheidungsrecht zukomme, sei somit nicht relevant. Der Beirat vermittle auch deshalb keine organisatorische Eingliederung, weil sein "Letztentscheidungsrecht" mit einem Weisungsrecht gegenüber der Geschäftsführung der D GmbH vergleichbar sei. Ein Weisungsrecht sei jedoch ebenso wie Berichtspflichten und Zustimmungsvorbehalte nicht ausreichend (BFH-Urteile vom 03.04.2008, V R 76/05, BStBl. II 2008, 905; vom 07.07.2011, V R 53/10, BStBl. II 2013, 218). Denn es komme darauf an, dass schon für die laufende Geschäftsführung sichergestellt sei, dass der Wille des Organträgers durchgesetzt werde. Der Beirat solle bei Meinungsverschiedenheiten schlichten. Sein Schlichtungsspruch ersetze jedoch nicht die in § 7 Geschäftsordnung der Geschäftsführung der D GmbH geregelte Beschlussfassung. Dies gelte insbesondere nach der Zeit der Amtsniederlegung von Herrn LT am 10.02.2013. Ab diesem Zeitpunkt habe Frau UT ihren Willen nicht mehr durchsetzen können, es habe vielmehr die Stimme des Fremdgeschäftsführers den Ausschlag gegeben. Eine solche Beschlussfassung habe auch der Beirat nicht verhindern können. Aus diesem Grund werde die D GmbH durch den Beirat auch nicht beherrscht. Weisungs- und Zustimmungsrechte seien für die organisatorische Eingliederung nicht ausreichend, da derartige Rechte nicht in den Kernbereich der laufenden Geschäftsführung eingriffen (BFH-Urteile vom 02.12.2016, V R 15/14, BFH/NV 2016, 506; vom 20.02.1992, V R 80/85, BFH/NV 1993, 133; vom 03.04.2008, V R 76/05, BStBl. II 2008, 905). Der Beirat sei auch nicht abhängig oder weisungsgebunden von der Geschäftsführung der Klägerin. Er fungiere vielmehr als eine Art Aufsichtsrat und sollte die Geschäftsführung der Klägerin überwachen und beraten. Er sei kein verlängerter Arm der Geschäftsführung der Klägerin. Zu berücksichtigen sei außerdem, dass der Beirat nicht mit Personen der Geschäftsführung der Klägerin besetzt gewesen sei. Zwar seien die Beiratsmitglieder den Personen UT und LT in besonderer Weise verbunden. Es sei aber nicht ersichtlich, dass die Geschäftsführung der Klägerin den Beirat hätte anweisen können, in bestimmter Weise auf die Geschäftsführung der D GmbH einzuwirken. Dass die Klägerin über den Beirat ein umfassendes Weisungsrecht gegenüber der D GmbH besessen habe, treffe daher nicht zu. Die Beiratsmitglieder hätten keinen Weisungen der Geschäftsführung der Klägerin unterlegen und hätten daher auch keine Weisungen an die Geschäftsführung der D GmbH weitergeben können. Gleiches gelte für die Bestellung und Abberufung der Geschäftsführer der D GmbH. Dafür, dass der Beirat dabei den Weisungen der Geschäftsführung der Klägerin unterlegen habe, sei nichts ersichtlich. Im Gegenteil: Nach § 5 Abs. 10 der Satzung der Klägerin sei der Beirat berechtigt, der Geschäftsführung der Klägerin Weisungen zu erteilen.
127Die Verbundenheit der Beiratsmitglieder mit den Personen UT und LT begründe ebenfalls keine organisatorische Eingliederung. Zwar reiche es nach der BFH-Rechtsprechung aus, dass leitende Mitarbeiter des Organträgers als Geschäftsführer der Organgesellschaft fungierten (BFH-Urteil vom 20.08.2009, V R 30/06, BStBl. II 2010, 863). Das werde mit der Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit der Mitarbeiter begründet. Der Organträger muss seine Mitarbeiter bei weisungswidrigem Verhalten von der Geschäftsführung abberufen können. Die Beherrschung der Organgesellschaft müsse unmittelbar durch ein geschäftsführendes Organ des Organträgers erfolgen. Ein Aufsichtsgremium, wie der Beirat der Klägerin, könne die organisatorische Eingliederung nicht vermitteln. Der Beirat unterliege nicht den Weisungen der Geschäftsführung der Klägerin. Die Mitglieder des Beirats gehörten weder der Geschäftsführung der Klägerin an, noch seien sie leitende Mitarbeiter der Klägerin. Der Beirat führe nicht den Willen der Klägerin aus. Ein Handeln des Beirats entspreche somit nicht einem Handeln (der Geschäftsführung) des Organträgers. Ein Letztentscheidungsrecht des Beirats könne das Letztentscheidungsrecht der Geschäftsführung des Organträgers nicht ersetzen. Hinzu komme, dass die Aufgabe des Beirats die eines Schlichters sei. Eine Beschlussfassung des Beirats könne eine Beschlussfassung innerhalb der Geschäftsführung der D GmbH gemäß § 7 Geschäftsordnung der Geschäftsführung der D GmbH nicht ersetzen. Auch aus dem vom Beklagten herangezogenen BFH-Urteil vom 07.07.2011, V R 53/10, könne im Streitfall keine organisatorische Eingliederung hergeleitet werden. Im BFH-Fall sei eine organisatorische Eingliederung verneint worden, weil der Geschäftsführer der vermeintlichen Organgesellschaft zwar Prokurist der Organgesellschaft und damit leitender Mitarbeiter gewesen sei, dieser habe aber nicht uneingeschränkt gegen seinen Willen als Geschäftsführer abberufen werden können. Diese Entscheidung zeige, dass nur eine Person, die in persönlicher Weisungsabhängigkeit zum Organträger stehe, eine organisatorische Eingliederung vermitteln könne. Der Beirat stehe in keinem Abhängigkeitsverhältnis zur Klägerin.
128Eine organisatorische Eingliederung könne sich auch nicht allein daraus ergeben, dass ein nicht geschäftsführender Beirat ausschließlich mit Mitgliedern des Mehrheitsgesellschafters besetzt sei (BFH-Urteil vom 28.10.2010, V R 7/10, BStBl. II 2011, 391). Im Hinblick auf das Erfordernis, die Eingliederungsmerkmale rechtssicher feststellen zu können, könne es darauf nicht ankommen (BFH-Urteil vom 22.04.2010, V R 9/09, BFH/NV 2010, 1581).
129Auch wenn der – ausnahmslos mit gesellschaftsfremden Dritten besetzte – Beirat der Klägerin (und der D GmbH) neben seiner Beratungsfunktion auch eine Kontrollfunktion ausgeübt habe, seien ihm weder Geschäftsführungsbefugnisse noch eine organschaftliche Vertretungsmacht übertragen worden. Dies sei gesellschaftsrechtlich auch unzulässig gewesen. Die Geschäftsführung und Vertretung einer GmbH sei zwingend dem Geschäftsführer zugewiesen; eine Übertragung auf einen gesellschaftsfremden Beirat sei ausgeschlossen. Auch ein Weisungsrecht eines Beirats in Geschäftsführungsangelegenheiten sei gesellschaftsrechtlich nur zulässig, sofern das „letzte Wort“ bei der Gesellschafterversammlung verbleibe. Entscheidend bei der Kompetenzausstattung des Beirats sei daher stets, dass oberstes Gesellschaftsorgan immer die Gemeinschaft der Gesellschafter und die Geschäftsführung bleibe. Der Beirat könne die personelle Verflechtung nicht vermitteln. Dies könne nur die Geschäftsführung.
130Vorliegend bestehe seit 01.04.2011 keine vollständige, sondern nur eine teilweise Personalunion der Geschäftsführungsorgane, weil die Organgesellschaft bis 10.02.2013 zwei personenidentische Geschäftsführer und nach dem 10.02.2013 einen personenidentischen und einen fremden Geschäftsführer gehabt habe. In dieser Konstellation der nur teilweisen Personalunion hänge die organisatorische Eingliederung davon ab, ob der personenidentische Geschäftsführer nach den konkreten Regelungen der Geschäftsführungsbefugnis (Innenverhältnis) seinen Willen in der Organgesellschaft bezüglich der laufenden Geschäftsführung positiv durchsetzen könne. Das bedeute, der personenidentische Geschäftsführer (und nicht, wie das Finanzamt meine, der Fremdgeschäftsführer) müsse jederzeit Einfluss auf die tatsächliche Geschäftsführung der Organgesellschaft nehmen können, seinen Willen durchsetzen können und dies auch tun (vgl. auch FG Sachsen-Anhalt, Urteil v. 27.01.2010 – 3 K 390/03, juris, rkr.). Es komme somit auf die konkrete Ausgestaltung der Geschäftsführungsbefugnis des personenidentischen Geschäftsführers an. Vorliegend sei die Geschäftsführungsbefugnis der personenidentischen Geschäftsführerin Frau UT gerade nicht so ausgestaltet gewesen, dass sie jederzeit hätte Einfluss auf die laufende Geschäftsführung der D GmbH hätte nehmen können: Sie habe weder Einzelgeschäftsführungsbefugnis noch ein – ggf. in der Geschäftsordnung oder Geschäftsverteilung – schriftlich vereinbartes Letztentscheidungsrecht gehabt. Nicht entscheidend sei, ob der Fremdgeschäftsführer GS nach dem Geschäftsverteilungsplan ein alleiniges Entscheidungsrecht inne gehabt habe. Der Beklagte kehre die Anforderungen an die organisatorische Eingliederung um, wenn er meine, die organisatorische Eingliederung liege erst dann nicht mehr vor, wenn der Fremdgeschäftsführer nach den internen Regelungen der Geschäftsverteilung seinen Willen in der Geschäftsführung der D GmbH durchsetzen bzw. die Durchsetzung des Willens des personenidentischen Geschäftsführers verhindern könne. Ein solcher Nachweis werde von der Rechtsprechung nicht gefordert. Vielmehr müsse der Beklagte den Beweis führen, dass die personenidentische Geschäftsführerin UT jederzeit Einfluss auf die laufende Geschäftsführung der D GmbH hätte nehmen können. Diesen Beweis könne der Beklagte nicht führen.
131Die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide beruhe außerdem auf einem Verstoß gegen die Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL). Es bestünden erhebliche Zweifel an der EU-Rechtskonformität, des § 2 Abs. 2 Nr. 2 Umsatzsteuergesetz (UStG), weil die deutsche Regelung, anders als Art. 11 Abs. 1 MwStSystRL nicht den Organkreis, sondern den Organträger als Steuersubjekt ansehe (BFH-Vorlagebeschlüsse vom 11.12.2019, XI R 16/18 und vom 07.05.2020, V R 40/19). Aus diesem Grund werde, auch wenn für 2010 das Vorliegen der organisatorischen Eingliederung nicht bezweifelt werde, die Klage auch für dieses Jahr aufrechterhalten.
132Wegen der Einzelheiten des Vortrags der Klägerin wird auf ihre Schriftsätze vom 14.12.2018, 17.12.2018, 29.01.2019, 19.02.2019, 21.01.2021, 25.03.2021 und 16.08.2021, 06.10.2021, 26.10.2021 und 11.11.2021 verwiesen.
133Die Klägerin beantragt,
134festzustellen, dass die an die Rechtsvorgängerin der Klägerin adressierten Um- satzsteuerbescheide des Beklagten für 2010 vom 09.03.2018, für 2011 vom 08.03.2018, für 2012 vom 09.03.2018 und für 2013 vom 22.03.2018, jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16.11.2018, unwirksam sind,
135die Umsatzsteuerbescheide für 2010 bis 2013, jeweils vom 04.01.2019 und in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 04.01.2019 dahingehend abzuändern, dass die Besteuerungsgrundlagen der D GmbH nicht enthalten sind, also die Umsatzsteuer für 2011 i.H.v. 42.506,42 €, die Umsatzsteuer 2012 i. H. v. 3.557,03 € und die Umsatzsteuer 2013 i. H. v. 7.089,67 € festzusetzen,
136hilfsweise für den Unterliegensfall, die Revision zuzulassen.
137Der Beklagte beantragt,
138die Klage abzuweisen,
139hilfsweise für den Unterliegensfall, die Revision zuzulassen.
140Er trägt vor, die an die Rechtsvorgängerin der Klägerin adressierten Bescheide und die Einspruchsentscheidung seien wirksam. In der Einspruchsentscheidung vom 16.11.2018 sei auf Seite 2 ausgeführt, dass die Einspruchsführerin in die "T GmbH" umgewandelt worden sei. Damit sei der wirkliche Inhaltsadressat durch Auslegung hinreichend sicher bestimmbar gewesen. Der Beklagte nimmt insoweit Bezug auf das BFH-Urteil vom 15.04.2010, IV R 67/07, BFH/NV 2010, 1606. Die das Rubrum berichtigenden Bescheide und die Einspruchsentscheidung vom 04.01.2021 seien gemäß § 68 Finanzgerichtsordnung (FGO) Gegenstand des Verfahrens geworden. In den Rechtsbehelfsbelehrungen zu den neuen Umsatzsteuerbescheiden sei darauf hingewiesen worden, dass im Hinblick auf § 68 FGO ein Einspruch ausgeschlossen sei, wenn bereits ein Klageverfahren anhängig sei. Die Einspruchsentscheidung vom 04.01.2021 habe die alten Festsetzungen und die Einspruchsentscheidung geändert bzw. berichtigt oder im Falle der Unwirksamkeit durch neue Bescheide ersetzt, die gemäß § 68 FGO zum Gegenstand des Verfahrens geworden seien. Die Klägerin habe noch während der Klagefrist mit Schreiben vom 17.12.2018 auf die Rechtsnachfolge hingewiesen, so dass die Klageerhebung vom 14.12.2018 im Hinblick auf die Klägerbezeichnung auslegungsfähig gewesen sei. Die von der Klägerin am 29.01.2019 erhobene und zunächst unter dem Az. 5 K 274/19 U geführte Klage sei daher unzulässig.
141Materiell-rechtlich trägt der Beklagte wie folgt vor: Er verweise auf Tz. 2.2.2 des für die Rechtsvorgängerin der Klägerin ergangenen Betriebsprüfungsberichts. Der Beklagte sei – wie die Klägerin – entsprechend der jüngeren BFH-Rechtsprechung auch der Auffassung, dass es für eine organisatorische Eingliederung nicht ausreichend sei, dass der Organträger bei der Organgesellschaft eine abweichende Willensbildung nur verhindern könne. Der Organträger müsse seinen Willen bei der Organgesellschaft positiv durchsetzen können. Das sei im Streitfall gegeben. Die Durchsetzung des Willens der Klägerin bei der Organgesellschaft sei durch institutionell abgesicherte Maßnahmen gesichert gewesen. Zu diesen gehörten: Stimmenmehrheit der personenidentischen Geschäftsführer, Mehrheitsprinzip für Beschlüsse der Geschäftsführung, Entscheidungen der Gesamtgeschäftsführung auf Wunsch eines Geschäftsführers, Handeln der Geschäftsführer im engsten Einvernehmen miteinander und nach vorheriger Abstimmung, schriftliches Letztentscheidungsrecht des personenidentischen Beirats, zwingend personenidentischer und vom Organträger bestimmter Beirat als beherrschendes Leitungsgremium der Unternehmensgruppe T mit erheblichen Zustimmungs- und Weisungsbefugnissen gegenüber den Geschäftsführungen.
142Zur Frage der von der Klägerin angesprochenen Gesamtgeschäftsführung trägt der Beklagte wie folgt vor: Nach Auffassung des Beklagten sei hier genauer zu differenzieren. Zunächst einmal sei festzustellen, dass die Geschäftsordnung für die Geschäftsführung der D GmbH nach § 5 ausdrücklich „Entscheidungen der Gesamtgeschäftsführung" vorsehe. Dabei gelte das Mehrheitsprinzip (§ 7 Ziffer 5 der Geschäftsordnung). Die Gesamtgeschäftsführung beschließe über „Maßnahmen und Geschäfte, die für die Gesellschaft von großer Bedeutung sind oder mit denen ein größeres wirtschaftliches Risiko verbunden ist" (§ 5 Ziffer 1 der Geschäftsordnung). Darüber hinaus entscheide die Gesamtgeschäftsführung in weiteren Angelegenheiten (§ 5 Ziffer 2 der Geschäftsordnung) insbesondere auch, „wenn ein Geschäftsführer dies ausdrücklich wünscht“ (§ 5 Ziffer 2 d der Geschäftsordnung). Dabei sei zu beachten, dass „mehrere Geschäftsführer im engsten Einvernehmen miteinander handeln und grundsätzlich alle Maßnahmen vorher miteinander abstimmen" (§ 5 Abs. 3 des Gesellschaftsvertrags der D GmbH). Angesichts dieser Gesamtkonstellation und in Verbindung mit dem machtvollen und mit einem Letztentscheidungsrecht ausgestatteten personenidentischen Beirat habe „der Organträger die Organgesellschaft durch die Art und Weise der Geschäftsführung beherrscht und „seinen Willen in der Organgesellschaft durchsetzen" können (vgl. UStAE Abschn. 2.8 Abs. 7 S. 2) Dies gelte auch unter der Berücksichtigung, dass in § 5 Abs. 2 des Gesellschaftsvertrags der D GmbH festgelegt sei, dass der (Fremd-)Geschäftsführer die Gesellschaft gemeinsam mit einem (Fremd-)Prokuristen vertreten konnte, und dass in § 3 Ziffer 2 der Geschäftsordnung für die Geschäftsführung der D GmbH festgelegt sei, dass dem (Fremd-)Geschäftsführer „die verantwortliche Führung des ihm durch den Geschäftsverteilungsplan zugewiesenen Geschäftsbereiches obliegt". Die Durchsetzung des Willens des Organträgers in der Organgesellschaft sei - wie dargelegt - durch die konkrete Ausgestaltung der Geschäftsführungsbefugnis in der D GmbH und zusätzliche institutionell abgesicherte Maßnahmen sichergestellt.
143Soweit die Klägerin auf das "Letztentscheidungsrecht" des Herrn GS als Sprecher der Geschäftsordnung gemäß § 7 Ziff. 5 S. 3 der Geschäftsordnung für die Geschäftsführung der D GmbH hinweise („Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme von Herrn GS als Sprecher der Geschäftsführung"), sei darauf hinzuweisen, dass bis zum 10.02.2013 zwei personenidentische Geschäftsführer bei der D GmbH tätig gewesen seien und Herr GS daher seinen Willen nicht hätte durchsetzen können. Darüber hinaus habe der personenidentische Beirat ein Letztentscheidungsrecht bei Meinungsverschiedenheiten der Geschäftsführer der D GmbH gehabt. Entgegen der Auffassung der Klägerin komme es nicht darauf an, dass das Letztentscheidungsrecht in der Hand der Geschäftsführung des Organträgers liege. Es gehe vielmehr um die Durchsetzung des Willens in der Organgesellschaft und darauf, dass das Letztentscheidungsrecht die Geschäftsführung der Organgesellschaft betreffe. Das Letztentscheidungsrecht des personenidentischen Beirats sei ausdrücklich als Teil des Entscheidungsfindungsprozesses in der Geschäftsführung der D GmbH vorgesehen gewesen. Im Urteil vom 07.07.2011 (V R 53/10) habe der BFH zwar ausgeführt, dass ein bloßes Weisungsrecht gegenüber der Geschäftsführung der Organgesellschaft "ohne zusätzliche personelle Verflechtung über die Geschäftsführung" nicht ausreichend sei (vgl. Rz. 25 des BFH-Urteils vom 07.07.2011). Zugleich habe der BFH aber klargestellt: „Sind für die Organ-GmbH z.B. mehrere einzelvertretungsberechtigte Geschäftsführer bestellt, reicht es aus, dass zumindest einer von ihnen auch Geschäftsführer der Organträger-GmbH ist, der Organträger über ein umfassendes Weisungsrecht gegenüber der Geschäftsführung der Organ-GmbH verfügt ... und ... zur Bestellung und Abberufung aller Geschäftsführer der Organ-GmbH berechtigt ist". Diese Voraussetzungen lägen im Streitfall im Hinblick auf die Befugnisse des Beirats vor. Die Auffassung der Klägerin, dass nach § 7 Abs. 5 der Geschäftsordnung der Geschäftsführung der D GmbH es in den Fällen der Stimmengleichheit auf die Stimme des Fremdgeschäftsführers ankomme, und dass eine solche Beschlussfassung auch der Beirat nicht verhindern könne, sei unzutreffend. Das gesellschaftsvertraglich verankerte Letztentscheidungsrecht des gegenüber den Geschäftsführern weisungsberechtigten Beirats habe nämlich Vorrang gegenüber der Regelung in § 7 Ziff. 5 S. 3 der Geschäftsordnung für die Geschäftsführung der D GmbH. Wie die Klägerin selbst einräume, sei der personenidentische Beirat „ein wichtiges und mächtiges Gremium“. Die weitreichenden Aufgaben und Rechte des Beirats seien im Bericht über die Betriebsprüfung bei der U GmbH & Co KG (vgl. Tz. 2.2.2.4) dargestellt. Vor diesem Hintergrund sei es nicht zutreffend, den personenidentischen Beirat der Unternehmensgruppe als konventionellen Aufsichtsrat zu qualifizieren. Es sei unbestritten, dass die (bloße) personelle Verflechtung von Aufsichtsratsmitgliedern keine organisatorische Eingliederung herstellen könne. Im Unterschied dazu könne nach Auffassung des Beklagten jedoch der personenidentische Beirat, der mit schriftlichem Letztentscheidungsrecht und anderen umfassenden Zustimmungs- und Weisungsrechten gegenüber der Geschäftsführung ausgestattet und zur Bestellung und Abberufung der Geschäftsführer der Organgesellschaft berechtigt sei, in Kombination mit mindestens einem personenidentischen Geschäftsführer eine organisatorische Eingliederung herstellen. Die Klägerin stelle darauf ab, dass es erforderlich sei, dass der Organträger die Geschäftsführung der Organgesellschaft durch seine Geschäftsführung beherrsche. Dem sei zu widersprechen Es sei zwar erforderlich, dass der Organträger die Geschäftsführung der Organgesellschaft beherrsche. Es sei jedoch nicht erforderlich, dass die Beherrschung (alleine) von der Geschäftsführung des Organträgers ausgehe. So könne sich die organisatorische Eingliederung beispielsweise auch daraus ergeben, dass Mitarbeiter (nicht Geschäftsführer) des Organträgers als Geschäftsführer der Organgesellschaft tätig seien (vgl. UStAE Abschn. 2.8 Abs. 9); auch andere Fälle der organisatorischen Eingliederung ohne jegliche personelle Verflechtung in den Leitungsgremien des Organträgers und der Organgesellschaft seien möglich (vgl. UStAE Abschn. 2.8 Abs. 10). Vor diesem Hintergrund beherrsche vorliegend der Organträger, dessen Gesellschafterversammlung die Mitglieder des personenidentischen Beirats bestimme, die Organgesellschaft (auch) über diesen Beirat.
144Auch nach dem Wegfall der Stimmenmehrheit der personenidentischen Geschäftsführer am 10.02.2013 habe die organisatorische Eingliederung der D GmbH fortbestanden. Durch die Kombination der personenidentischen Geschäftsführerin UT in beiden Gesellschaften und dem mitgliederidentischen Beirat sei sichergestellt gewesen, dass der Wille des Organträgers bei der Organgesellschaft durchgesetzt werden konnte, da die Geschäftsführerin jederzeit die Situation der Meinungsverschiedenheit habe herbeiführen können, so dass der durch die Gesellschafterversammlung der Organträgerin bestimmte Beirat hätte (letzt-)entscheiden können.
145In § 7 Ziff. 5 S. 3 der Geschäftsordnung für die Geschäftsführung der D GmbH vom 18.04.2011 habe bei Stimmengleichheit der Geschäftsführer Herr GS als Sprecher der Geschäftsführung die entscheidende Stimme gehabt. Eine spätere Anpassung bzw. Änderung dieser Geschäftsordnung für die Geschäftsführung liege dem Beklagten nicht vor und sei auch nicht bekannt. Die Geschäftsführerverträge von Herrn HS und Herrn ST beinhalteten keinen Hinweis auf die Einstellung der(Fremd-)Geschäftsführer als Sprecher der Geschäftsführung der D GmbH. Da § 7 Ziff. 5 S. 3 der Geschäftsordnung für die Geschäftsführung vom 18.04.2011 dem Sprecher der Geschäftsführung die entscheidende Stimme bei Stimmengleichheit nicht grundsätzlich zuweise, sondern die Geschäftsordnung dieses Recht namentlich nur Herrn GS zuweise, verfügten die weiteren Fremdgeschäftsführer nicht über die gleiche Entscheidungsposition wie Herr GS.
146Bei dem von der Klägerin vorgelegten Geschäftsverteilungsplan handele es sich lediglich um einen Entwurf. Nach dem von der Klägerin in ihrem Schreiben vom 26.10.2021 dargestellten Sachverhalt sei unklar, ob dieser Entwurf jemals in die Tat umgesetzt worden sei. Aus Sicht des Beklagten könne ein Entwurf für die Beurteilung der Streitfrage der tatsächlichen organisatorischen Eingliederung grundsätzlich keine Bedeutung haben. Selbst wenn man dem Entwurf jedoch eine Bedeutung beimessen würde, wäre die organisatorische Eingliederung nicht zu verneinen. In dem vorgelegten Entwurf des Geschäftsverteilungsplans sei geregelt, dass der Fremdgeschäftsführer GS bei keiner aufgeführten Aktivität ein (alleiniges) Entscheidungsrecht gehabt habe, ohne dass nicht mindestens ein personenidentischer Geschäftsführer (UT oder LT) ebenfalls ein Entscheidungs- oder zumindest ein Mitwirkungsrecht gehabt habe. Vor diesem Hintergrund könne der Entwurf als Hinweis darauf gewertet werden, dass es dem Fremdgeschäftsführer GS offensichtlich nicht möglich gewesen sei, seinen Willen in der Geschäftsführung der D GmbH gegen den Willen der personenidentischen Geschäftsführer durchzusetzen bzw. die Durchsetzung des Willens der personenidentischen Geschäftsführer zu verhindern.
147Zusammenfassend sei Folgendes festzustellen:
148Bis zum 10.02.2013 hätten mit UT und LT mehrheitlich personenidentische Geschäftsführer die Geschäfte geführt. Nach dem 10.02.2013 sei die Geschäftsführung durch eine personenidentische Geschäftsführerin sowie einen Fremdgeschäftsführer erfolgt, wobei die Tätigkeit des Fremdgeschäftsführers infolge eines schweren Unfalls bis zum 08.05.2013 geruht habe. Die Organträgerin habe durch die Kombination aus einer personenidentischen Geschäftsführerin und dem personenidentischen Beirat ihren Willen durchsetzen können. Der personenidentische Beirat habe bei Meinungsverschiedenheiten der Geschäftsführer entscheiden können, den Fremdgeschäftsführer abberufen und ihm Anweisungen erteilen können. Der Hinweis der Klägerin auf die Regelung in § 7 Absatz 5 Satz 3 der Geschäftsordnung für die Geschäftsführung der D GmbH, wonach bei Stimmengleichheit die Stimme von Herrn GS als Sprecher der Geschäftsführung entscheide, ändere hieran nichts. Bis zum 10.02.2013 hätten die personenidentischen Geschäftsführer ohnehin die Stimmenmehrheit gehabt, nach dem 10.02.2013 habe die Tätigkeit des Fremdgeschäftsführers infolge eines schweren Unfalls geruht. Die Regelung habe ausdrücklich nur für Herrn GS gegolten und könne nicht für die späteren Geschäftsführer unterstellt werden. Die Anwendung dieser Regelung habe durch den personenidentischen Beirat im konkreten Fall verhindert werden können. Aus Sicht des Beklagten seien die vorgegebenen und von der Verwaltung in dem Umsatzsteuer-Anwendungserlass im Abschnitt 2.8 übernommenen Voraussetzungen für das Vorliegen einer organisatorischen Eingliederung erfüllt. Im vorliegenden Fall sei die organisatorische Eingliederung nach Abschn. 2.8 Absatz 8, Sätze 7 und 8 UStAE gegeben. In diesem Zusammenhang sei noch einmal klarzustellen, dass im vorliegenden Fall in den Streitjahren immer mindestens eine personenidentische Geschäftsführerin vorhanden gewesen sei und demnach immer eine personelle Verflechtung in den Leitungsgremien vorgelegen habe. Auch die in Abschnitt 2.8 Abs. 8 Satz 10 UStAE geforderten institutionell abgesicherten unmittelbaren Eingriffsmöglichkeiten in den Kernbereich der laufenden Geschäftsführung für den Fall der schwächsten Form der organisatorischen Eingliederung ohne personelle Verflechtung seien im vorliegenden Fall erfüllt, obwohl sie nicht erforderlich wären, da ja durch die personenidentische Geschäftsführerin eine personelle Verflechtung vorhanden gewesen sei. Zu berücksichtigen sei weiterhin die stark ausgeprägte finanzielle und wirtschaftliche Verflechtung. Bis zum Eintritt der Sanierungsgeschäftsführerin TT sei die Steuerberatung bei Kenntnis der damals geltenden Vereinbarungen von einer organisatorischen Eingliederung ausgegangen. Nach den vorgebrachten Argumenten und den vorgelegten Unterlagen sei von der Klägerin aus Sicht des Beklagten nicht nachgewiesen, dass bereits früher die organisatorische Eingliederung entfallen sei. Vor diesem Hintergrund würden die nur aufgrund der Insolvenz der Organgesellschaft durch den Insolvenzverwalter beantragten Änderungen der Steuerfestsetzungen zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der Klägerin und zu einer Verletzung des Neutralitätsprinzips und des Grundsatzes von Treu und Glauben führen. Aufgrund der enormen, in anderen Fallgestaltungen unter Umständen existenzbedrohenden finanziellen Folgen einer nachträglich abweichenden Beurteilung einer umsatzsteuerlichen Organschaft in Insolvenzfällen komme dem Grundsatz von Treu und Glauben in den Fällen eine besondere Bedeutung zu, in denen erhebliche rechtliche Zweifel verblieben.
149Wegen der Einzelheiten des Vortrags des Beklagten wird auf seine Schriftsätze vom 04.01.2019, 22.02.2019, 15.03.2019, 17.02.2021, 11.03.2021, 16.03.2021, 23.04.2021, 01.07.2021, 07.10.2021 und 09.11.2021 verwiesen.
150Es wurde die Gerichtsakte 5 K 274/19 U beigezogen.
151Die Sache ist am 09.09.2021 und am 25.11.2021 vor dem Senat mündlich verhandelt worden. Es wird auf die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.
152Entscheidungsgründe:
153Die Klage wegen der an die Rechtsvorgängerin der Klägerin adressierten Umsatzsteuerbescheide hat Erfolg. Die Klage gegen die geänderten Umsatzsteuerbescheide vom 04.01.2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 04.01.2019 hat nur teilweise Erfolg.
154I. Zulässigkeit der Klagen
1551. Die von der Klägerin gegen die Einspruchsentscheidung vom 04.01.2021 erhobene Klage, die bis zur Verbindung mit dem vorliegenden Verfahren unter dem Az. 5 K 274/19 U geführt wurde, ist zulässig. Das Prozesshindernis der doppelten Rechtshängigkeit (§§ 66, 70 FGO i. V. m. § 17 Abs. 1 S. 2 Gerichtsverfassungsgesetz, GVG) ist durch Verbindung mit dem vorliegenden Verfahren beseitigt worden.
156Zwar sind die geänderten Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre und die Einspruchsentscheidung jeweils vom 04.01.2019 gemäß § 68 FGO zum Gegenstand des vorliegenden Verfahrens geworden. Nach § 68 S. 4 Nr. 2 FGO wird ein neuer Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens, wenn er an die Stelle eines angefochtenen unwirksamen Verwaltungsakts tritt. Das ist im Streitfall gegeben. Die ursprünglich an die Gesamtrechtsvorgängerin der Klägerin gerichteten Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre und die Einspruchsentscheidung waren unwirksam. Das FA durfte nach Eintritt der durch Umwandlung bewirkten Gesamtrechtsnachfolge keine Steuerbescheide mehr gegen die KG erlassen (s. dazu unten: II. 1.). Wird der angefochtene Verwaltungsakt durch einen anderen Verwaltungsakt geändert oder ersetzt, so wird dieser automatisch Gegenstand des Verfahrens (§ 68 FGO). Die in § 68 FGO verwendeten Begriffe "ändern" und "ersetzen" sind weit auszulegen. Nach der Rechtsprechung des BFH verlangt die Anwendung des § 68 FGO nur, dass hinsichtlich des ursprünglichen und des neuen Verwaltungsakts Identität der Beteiligten und des Besteuerungsgegenstands besteht und der ursprüngliche Verwaltungsakt durch den Erlass des neuen seine Wirkung verliert (BFH-Urteile vom 09.09.1986, VIII R 198/84, BStBl. II 1987, 28, vom 15.07.1987, X R 12/80, BFH/NV 1988, 128, jeweils zum § 68 FGO alte Fassung). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Identität der Beteiligten und des Besteuerungsgegenstands sind gegeben. Als Gesamtrechtsnachfolgerin der KG war die Klägerin an deren Stelle Steuerschuldnerin (§ 45 Abs.1 AO).
157Der Zustand der doppelten Rechtshängigkeit ist jedoch in Fällen wie dem vorliegenden anders zu beenden als durch Abweisung der zweiten Klage. Die Rechtshängigkeit löst zwar eine Sperrwirkung aus. Eine Klage mit demselben Streitgegenstand gegen das gleiche Finanzamt ist bei jedem anderen Gericht und bei demselben Gericht grundsätzlich unzulässig (§§ 70, 155 FGO i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 2 GVG). Die Reichweite der Klagesperre ist umstritten. Nach Auffassung des BFH (Beschluss vom 26.05.2006, IV B 151/04, juris; Urteil vom 18.11.2015, XI R 24-25/14, juris), der der erkennende Senat folgt, ist jedenfalls in Fällen wie dem Streitfall, in denen beide Klagen bei ein und demselben Senat eines Finanzgerichts erhoben wurden, das Prozesshindernis der anderweitigen Rechtshängigkeit durch Verbindung der beiden Sachen zu beseitigen (ähnlich Schallmoser in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 66 FGO Rz. 31). Zu diesem Ergebnis gelangt man, wenn man den Anspruch der Klägerin auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gegen den Zweck der Klagesperre abwägt. Letzterer besteht darin, unnötige Doppelarbeit der Gerichte und der Finanzbehörden zu verhindern und der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen vorzubeugen (vgl. Tipke in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 66 FGO Tz. 5). In diesem Zusammenhang ist zu bedenken, dass es sich bei finanzgerichtlichen Klagen --anders als bei Klagen vor den Zivilgerichten-- um Rechtsbehelfe gegen behördliche Entscheidungen handelt. Formfehlerhafte Klagen können zum Verlust des Rechtsbehelfs führen, wenn nicht innerhalb der Klagefrist eine formgültige Klage nachgeschoben wird. Demgegenüber tritt der Gesichtspunkt der Mehrbelastung des Gerichts oder des Beklagten sowie die Gefahr divergierender Entscheidungen in den Fällen doppelter Rechtshängigkeit bei ein und demselben Senat kaum in Erscheinung. Das gilt jedenfalls dann, wenn der Kläger nicht auf zwei Entscheidungen beharrt. Im Streitfall kommt hinzu, dass die Bescheide und die Einspruchsentscheidung vom 04.01.2019 standardisierte Rechtsbehelfsbelehrungen anstatt eines Hinweises auf § 68 FGO enthalten und die später erhobene Klage daher vom Beklagten verursacht wurde.
1582. Die am 14.12.2018 erhobene Klage ist ebenfalls zulässig.
159Soweit mit der Klage die Feststellung der Unwirksamkeit der an die Rechtsvorgängerin der Klägerin adressierten Umsatzsteuerbescheide des Beklagten für 2010 vom 09.03.2018, für 2011 vom 08.03.2018, für 2012 vom 09.03.2018 und für 2013 vom 22.03.2018, jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16.11.2018, beantragt wird, ist die Klage als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig (§ 100 Abs.1 S. 4 FGO).
160Die vorgenannten Bescheide in Gestalt der Einspruchsentscheidung sind durch die an die Klägerin ergangenen Bescheide vom 04.01.2019 und die Einspruchsentscheidung vom 04.01.2019 ersetzt worden und die Klägerin hat auch ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Unwirksamkeit. Die begehrte Feststellung muss geeignet sein, zu einer Positionsverbesserung der Klägerin zu führen. Es genügt jedes konkrete, vernünftigerweise anzuerkennende schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art. Der Beklagte bestreitet die Unwirksamkeit der vorgenannten Bescheide, er hält diese für wirksam ergangen, daher ist eine gerichtliche Klärung dieser Frage geboten zur Beseitigung des Rechtsscheins der vorgenannten Bescheide.
161II. Begründetheit der Klagen
1621. Die Fortsetzungsfeststellungsklage wegen der an die Rechtsvorgängerin der Klägerin adressierten Umsatzsteuerbescheide ist begründet. Die Bescheide sind unwirksam, weil sie an ein nicht mehr existierendes Rechtssubjekt ergangen sind und daher nicht wirksam bekanntgegeben werden konnten (§ 122 Abs. 1, § 124 Abs. 1 AO). Werden Verwaltungsakte an den --nicht mehr existenten-- Rechtsvorgänger (hier die KG) gerichtet, sind diese rechtsunwirksam, und zwar auch dann, wenn sich der Rechtsnachfolger als Adressat angesehen hat (BFH, Urteil vom 17.09.1992, V R 17/86, BFH/NV 1993, 279; BFH-Beschluss vom 21.10.1985, GrS 4/84, BStBl. II 1986, 230; Seer in Tipke/Kruse, AO, FGO § 122 AO, Rn. 25). Die Angabe des Inhaltsadressaten ist konstituierender Bestandteil eines jeden Verwaltungsakts. In diesem muss gemäß § 119 Abs. 1 AO hinreichend bestimmt sein, wem gegenüber der Einzelfall geregelt werden soll. Der Inhaltsadressat ist genügend bestimmt, wenn Zweifel durch Auslegung behoben werden können. Bei der Auslegung eines Verwaltungsakts ist --der in § 133 BGB niedergelegten Regel entsprechend-- der erklärte Wille der Behörde zu erfassen und nicht am buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften. Dies bedeutet jedoch nicht, dass ein seinem Ausspruch nach eindeutig an einen bestimmten Adressaten gerichteter Bescheid insofern einer Auslegung zugänglich wäre (sh. dazu zuletzt BFH, Urteil vom 11.11.2020, XI R 11/18, BStBl II, 2021, 415 m. w. Nachw.).
163Entgegen der Auffassung des Beklagten können die an die Rechtsvorgängerin der Klägerin bekanntgegebenen Bescheide nicht dergestalt ausgelegt werden, dass in Wirklichkeit die Klägerin gemeint war. Zwar ist in Tz 1.3.1 des Betriebsprüfungsberichts für die KG aufgeführt, dass im Jahr 2014 eine Gesamtrechtsnachfolge stattgefunden hat. Gleichwohl ist der Betriebsprüfungsbericht für die Rechtsvorgängerin erstellt worden. Die nach Maßgabe des Betriebsprüfungsberichts ergangenen Bescheide verweisen in den Erläuterungen auf den Bericht, sind aber wiederum nur an die Rechtsvorgängerin der Klägerin adressiert. Das Einspruchsverfahren ist im Namen der Rechtsvorgängerin geführt worden und die Einspruchsentscheidung vom 16.11.2018 richtet sich ebenfalls an die Rechtsvorgängerin. Zwar enthält der Tatbestand der Einspruchsentscheidung im 2. Absatz den Satz "Die Einspruchsführerin (Ef) wurde im Jahr 2014 im Wege des Formwechsels in die T GmbH (StNr. xxx) umgewandelt." Weitere Erläuterungen oder Ausführungen dazu enthält die Einspruchsentscheidung jedoch nicht. Es sind auch keine Umstände dafür erkennbar, dass der Beklagte tatsächlich die Klägerin als Steuersubjekt angesehen hat und die Adressierung an die Rechtsvorgängerin der Klägerin nur ein Schreib- oder Übernahmefehler war. Die Klägerin selbst ist ebenfalls davon ausgegangen, dass nicht sie, sondern ihre Rechtsvorgängerin Adressatin der angefochtenen Bescheide war. Denn die Klage ist für die Rechtsvorgängerin der Klägerin und nicht für die Klägerin erhoben worden. Es kann daher nicht angenommen werden, dass der Beklagte die vorgenannten Bescheide und die Einspruchsentscheidung der Klägerin bekanntgeben wollte und die Klägerin dies bei sachgerechter Auslegung der Verwaltungsakte auch erkennen konnte.
1642. Soweit sich die Klage gegen die geänderten Bescheide 2010 bis 2013 vom 04.01.2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 04.01.2019 richtet, ist die Klage für 2013 teilweise begründet. Die angefochtenen Bescheide für 2010 bis 2012, jeweils vom 04.01.2019 und in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 04.01.2019, sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Für den Zeitraum bis einschließlich 10.02.2013 bestand eine umsatzsteuerliche Organschaft gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG zwischen der Klägerin als Organträgerin und der D GmbH als Organgesellschaft. Diese umsatzsteuerliche Organschaft zwischen der Rechtsvorgängerin der Klägerin und der D GmbH hat am 10.02.2013 geendet, als mit der Amtsniederlegung des personenidentischen Geschäftsführers der D GmbH, Herrn LT, die organisatorische Eingliederung entfallen ist.
165a) § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG beruhte in den Streitjahren auf Art. 11 Abs. 1 MwStSystRL, wonach es jedem Mitgliedstaat freisteht, im Inland ansässige Personen, die zwar rechtlich unabhängig, aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, zusammen als einen Steuerpflichtigen zu behandeln (sog. Mehrwertsteuergruppe). Nach nationalem Recht ist es für die Annahme einer Organschaft i.S. von § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG erforderlich, dass der Organträger finanziell über die Mehrheit der Stimmrechte bei der abhängigen juristischen Person verfügt, wirtschaftlich mit der Organgesellschaft verflochten ist und die mit der finanziellen Eingliederung verbundene Möglichkeit der Beherrschung der Tochtergesellschaft in der laufenden Geschäftsführung auch rechtlich wahrnehmen kann (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 29.10.2008 - XI R 74/07, BFHE 223, 498, BStBl II 2009, 256, unter II.1.b, Rz 16; vom 12.10.2016 - XI R 30/14, BFHE 255, 467, BStBl II 2017, 597, Rz 21).
166Eine finanzielle Eingliederung i.S. von § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG liegt vor, wenn der Organträger finanziell in der Weise an der Organgesellschaft beteiligt ist, dass er seinen Willen durch Mehrheitsbeschluss in der Gesellschafterversammlung durchsetzen kann (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 01.12.2010 - XI R 43/08, BFHE 232, 550, BStBl II 2011, 600, Rz 28; vom 15.12.2016 - V R 14/16, BFHE 256, 562, BStBl II 2017, 600, Rz 29).
167Für eine wirtschaftliche Eingliederung i.S. von § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG ist es charakteristisch, dass die Organgesellschaft im Gefüge des übergeordneten Organträgers als dessen Bestandteil erscheint (BFH-Urteile vom 20.08.2009 - V R 30/06, BFHE 226, 465, BStBl II 2010, 863, Rz 40, m.w.N.; vom 18.09.2019 - XI R 39/17, juris; BFH-Beschluss vom 11.12.2013 - XI R 38/12, BFHE 244, 94, BStBl II 2014, 428, Rz 68). Hierfür reicht das Bestehen von mehr als nur unerheblichen Beziehungen zwischen Organträger und Organgesellschaft aus; insbesondere braucht die Organgesellschaft nicht wirtschaftlich vom Organträger abhängig zu sein (vgl. BFH-Urteil vom 29.01.2009 - V R 67/07, BFHE 225, 172, BStBl II 2009, 1029, unter II.3.c bb, Rz 27, m.w.N.).
168Eine organisatorische Eingliederung i.S. einer engen Verflechtung mit Über- und Unterordnung liegt regelmäßig vor, wenn Personenidentität in den Leitungsgremien von Organträger und Organgesellschaft besteht (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 17.01.2002 - V R 37/00, BFHE 197, 357, BStBl II 2002, 373, unter II.1.c bb, Rz 33; vom 03.04.2008 - V R 76/05, BFHE 221, 443, BStBl II 2008, 905, unter II.3.b, Rz 39), kann aber in Ausnahmefällen auch ohne personelle Verflechtung in den Leitungsgremien des Organträgers und der Organgesellschaft vorliegen (vgl. BFH-Urteile vom 12.10.2016 – XI R 30/14, BFHE 255, 467, BStBl II 2017, 597, Rz 26 ff.; vom 10.05.2017 - V R 7/16, BFHE 258, 181, BStBl II 2017, 1261, Rz 17 ff.; BFH-Urteil vom 27.11.2019 – XI R 35/17 –, BFHE 267, 542, BStBl II 2021, 252). Die "Verschmelzung zu einem einzigen Steuerpflichtigen" aufgrund der Organschaft hat zur Folge, dass der Organträger als Steuerpflichtiger für alle Organgesellschaften "öffentliche Gelder" als "Steuereinnehmer für Rechnung des Staates" zu vereinnahmen hat, wie der EuGH ausdrücklich entschieden hat (EuGH-Urteile vom 20.10.1993, C-10/92, Balocchi, Slg. 1993, I-5105 Rdnr. 25, und vom 21.02.2008, C-271/06, Netto Supermarkt, Slg. 2008, I-771 Rdnr. 21). Dies erfordert, dass zwischen Organträger und Organgesellschaft ein Über- und Unterordnungsverhältnis besteht, durch das der Organträger die mit der finanziellen Eingliederung verbundene Möglichkeit der Beherrschung der Tochtergesellschaft in der laufenden Geschäftsführung auch rechtlich wahrnehmen kann. Nicht ausreichend ist nach der neueren BFH-Rechtsprechung, der der erkennende Senat folgt, dass der Organträger bei der Organgesellschaft lediglich eine von seinem Willen abweichende Willensbildung ausschließen kann, da ein derartiges Vetorecht es dem Organträger nicht ermöglicht, die Aufgabe des "Steuereinnehmers" für die Organgesellschaft zu erfüllen. Eine organisatorische Eingliederung aufgrund eines bloßen Ausschlusses einer vom Willen des Organträgers abweichenden Willensbildung in der Organgesellschaft lässt sich auch nicht damit rechtfertigen, dass für eine Organschaft die Eingliederungsvoraussetzungen nicht gleichermaßen stark ausgeprägt sein müssen. Denn eine weniger starke Ausprägung einer einzelnen Eingliederungsvoraussetzung rechtfertigt nicht den Verzicht auf das Erfordernis einer Willensdurchsetzung (s. zum Ganzen: BFH-Urteil vom 08.08.2013 – V R 18/13 –, BFHE 242, 433, BStBl II 2017, 543 m. w. Nachw.). Die mit einer finanziellen Eingliederung verbundene Möglichkeit der Beherrschung der Tochtergesellschaft durch die Muttergesellschaft muss in der laufenden Geschäftsführung wirklich wahrgenommen werden; maßgeblich ist, dass der Organträger die Organgesellschaft durch die Art und Weise der Geschäftsführung beherrscht oder aber zumindest durch die Gestaltung der Beziehungen zwischen dem Organträger und der Organgesellschaft sichergestellt ist, dass eine vom Willen des Organträgers abweichende Willensbildung bei der Organtochter nicht möglich ist. Eine organisatorische Eingliederung kann sich im Übrigen nicht daraus ergeben, dass eine nicht geschäftsführende Gesellschafterversammlung und ein gleichfalls nicht geschäftsführender Beirat ausschließlich mit Mitgliedern des Mehrheitsgesellschafters besetzt sind, vertragliche Bedingungen dem Mehrheitsgesellschafter "umfangreiche Beherrschungsmöglichkeiten" sichern und darüber hinaus dieselben Büroräume benutzt und das komplette Rechnungswesen durch gemeinsames Personal erledigt werden. Es reicht weder das mit der finanziellen Eingliederung einhergehende Weisungsrecht durch Gesellschafterbeschluss noch eine vertragliche Pflicht zur regelmäßigen Berichterstattung über die Geschäftsführung zur Begründung der organisatorischen Eingliederung aus. Im Hinblick auf das Erfordernis, anhand der Eingliederungsvoraussetzungen das Bestehen einer Organschaft rechtssicher feststellen zu können, kann es auf derartige Umstände nicht ankommen (s. zum Ganzen BFH, Urteil vom 28.10.2010, V R 7/10, BStBl II 2011, 391 m. w. Nachw.).
169b) Nach den vorgenannten Grundsätzen lagen im Zeitraum 2010 bis 10.02.2013 die Eingliederungsmerkmale gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG vor, d. h. die D GmbH war finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen der Rechtsvorgängerin der Klägerin eingegliedert.
170aa) Die finanzielle Eingliederung lag vor, denn die D GmbH war Tochtergesellschaft der Rechtsvorgängerin der Klägerin. Diese hielt 100 % der Anteile an der D GmbH. Die finanzielle Eingliederung ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.
171bb) Die wirtschaftliche Eingliederung lag ebenfalls vor, denn die Rechtsvorgängerin der Klägerin verpachtete Betriebsgrundstücke an die D GmbH. Auch dieses Eingliederungsmerkmal ist zwischen den Beteiligten nicht streitig, so dass der Senat von weiteren Ausführungen absieht.
172cc) Zur Überzeugung des Senats lag im Zeitraum 2010 bis 10.02.2013 auch eine organisatorische Eingliederung vor. Diese hat jedoch mit Amtsniederlegung des Herrn LT am 10.02.2013 geendet.
173(1) Bis zum 30.04.2011 gab es bei der D GmbH ausschließlich personenidentische Geschäftsführer, nämlich Frau UT und Herr LT, so dass eine Identität der Geschäftsführungsorgane beim Organträger und der Organgesellschaft bestand.
174(2) Ab 01.05.2011 (Eintritt GS in die Geschäftsführung) bis zum 10.02.2013 (Amtsniederlegung durch LT) waren die personenidentischen Geschäftsführer in der Überzahl. Zwar hätte Herr GS, bzw. der nach ihm als Geschäftsführer eingestellte Herr HS (ab 01.11.2012), gemäß § 5 Abs. 2 Buchst. b) Gesellschaftsvertrag der D GmbH auch zusammen mit einem Prokuristen für die D GmbH handeln können. Gleichwohl wäre es ihm dadurch nicht möglich gewesen, sich über den Willen der personenidentischen Geschäftsführer hinwegzusetzen. Die personenidentischen Geschäftsführer hätten nämlich gemäß § 5 Abs. 2 Buchst. d) Geschäftsordnung der Geschäftsführung der D GmbH jederzeit die Möglichkeit gehabt, eine Entscheidung durch sämtliche Geschäftsführer herbeizuführen. Bei einer solchen Entscheidung wären die personenidentischen Geschäftsführer wieder in der Mehrheit gewesen.
175(3) Mit dem Austritt von Herrn LT aus der Geschäftsführung der D GmbH (10.02.2013 Amtsniederlegung) waren die personenidentischen Geschäftsführer nicht mehr in der Überzahl. Als personenidentische Geschäftsführerin war nur noch Frau UT tätig. Dabei ist zwar zu berücksichtigen, dass Herr HS nach seinem schweren Unfall am 00.12.2012 faktisch als Geschäftsführer ausfiel und der weitere Fremdgeschäftsführer Herr ST erst zum 05.06.2013 als Geschäftsführer der D GmbH in das Handelsregister eingetragen wurde. Der Senat folgt jedoch der Auffassung der Klägerseite, dass im Hinblick auf Herrn HS auf seine formale Bestellung als Geschäftsführer und nicht auf sein tatsächliches Handeln als Geschäftsführer abzustellen ist, um eine nach außen dokumentierte Nachvollziehbarkeit der Eingliederungsmerkmale zu gewährleisten (s. dazu: BFH, Urteile vom 22.04.2010, V R 9/09, BStBl II 2011, 597 und vom 28.10.2010, V R 7/10, BStBl II 2011, 391 m. w. Nachw.).
176Die Befugnisse des Beirats führten nicht zu einer "Beherrschung" im Rahmen der Geschäftsführung der D GmbH durch die Gesamtrechtsvorgängerin der Klägerin. Zwar kann –wie oben ausgeführt wurde– in Ausnahmefällen auch ohne personelle Verflechtung in den Leitungsgremien des Organträgers und der Organgesellschaft eine Über-/Unterordnung vorliegen. Das setzt institutionell abgesicherte, schriftlich fixierte, unmittelbare Eingriffsmöglichkeiten des Organträgers in den Kernbereich der Geschäftsführung der Organgesellschaft voraus, die zudem in der laufenden Geschäftsführung tatsächlich wahrgenommen worden sind. Solche unmittelbaren Eingriffsmöglichkeiten des Beirats, von denen dieser auch Gebrauch gemacht hat, hat der Senat nicht feststellen können. Zwar hatte gemäß § 7 Abs. 3 Gesellschaftsvertrag der D GmbH i. V. m. § 12 Abs. 11 Buchst. b) Gesellschaftsvertrag der Rechtsvorgängerin der Klägerin der Beirat u. a. die Aufgabe, bei Meinungsverschiedenheiten zwischen den Geschäftsführern untereinander über beabsichtigte Maßnahmen zu vermitteln und gegebenenfalls zu entscheiden. Sofern die Fremdgeschäftsführer im Hinblick auf die Geschäftsführung der D GmbH anderer Auffassung als Frau UT waren, konnte der Beirat die Entscheidung innerhalb der Geschäftsführung der D GmbH im Sinne der übergeordneten Gesellschaft, nämlich der Klägerin, treffen. Er hat bei Meinungsverschiedenheiten zwischen den Geschäftsführern der Rechtsvorgängerin der Klägerin und der D GmbH ein Letztentscheidungsrecht (§ 12 Abs. 11 Buchst. b) Gesellschaftsvertrag der Klägerin, § 7 Abs. 3 Gesellschaftsvertrag D GmbH). Gemäß § 5 Abs. 10 Gesellschaftsvertrag der Klägerin konnte der Beirat der persönlich haftenden Gesellschafterin der Rechtsvorgängerin der Klägerin, also der für die Geschäftsführung und Vertretung zuständigen C GmbH, Weisungen erteilen. Diese Befugnis erstreckte sich auch nicht nur auf außergewöhnliche Maßnahmen der Geschäftsführung, denn diese sind in § 5 Abs. 5 Gesellschaftsvertrag der Klägerin geregelt, sondern auf alle Geschäftsführungsaufgaben der C GmbH. Damit korrespondiert § 7 Abs. 4 Gesellschaftsvertrag der D GmbH, denn auch dort ist geregelt, dass der Beirat der Geschäftsführung der D GmbH Weisungen erteilen kann. Gemäß § 12 Abs. 11 Buchst. a Gesellschaftsvertrag der Klägerin hatte der Beirat außerdem die Aufgabe, die Geschäftsführung zu beraten. Die vorgenannten Befugnisse des Beirats im Hinblick auf die Geschäftsführung galten –soweit sie bei der D GmbH nicht ausdrücklich geregelt waren– über die Verweisung in § 7 Abs. 3 Gesellschaftsvertrag der D GmbH auch für diese. Die Beiräte in beiden Gesellschaften waren personenidentisch, so dass eine abweichende Willensbildung in Bezug auf die Beiräte der Klägerin und der D GmbH nicht in Betracht kam. Letztlich hatte der Beirat der D GmbH auch gemäß § 7 Abs. 2 Gesellschaftsvertrag D GmbH die Befugnis, die Geschäftsführer zu bestellen und abzuberufen und die Anstellungsverträge mit den Geschäftsführern abzuschließen, zu ändern und zu beenden/kündigen. Hierdurch ist nach Auffassung des Senats eine persönliche Abhängigkeit der Fremdgeschäftsführer geschaffen worden, denn diese konnten bei weisungswidrigem Verhalten vom Beirat als Geschäftsführer der D GmbH abberufen werden. Die Situation der Fremdgeschäftsführer der D GmbH war ähnlich wie bei Geschäftsführern einer Organgesellschaft, die gleichzeitig leitende Mitarbeiter des Organträgers sind (s. dazu BFH – Urteile vom 07.07.2011, V R 53/10, BFHE 234, 548, BStBl II 2013, 218; vom 28.08.2009, V R 30/06, BFHE 226, 464, BStBl II 2010, 863).
177Die vorgenannten weitreichenden Befugnisse im Hinblick auf die Geschäftsführung der D GmbH waren aber nicht der Geschäftsführung der Klägerin zugewiesen, sondern dem zwischen der Gesellschafterversammlung und der Geschäftsführung angesiedelten Organ, dem Beirat. Dieser hatte im Streitfall überwachende und –im Konfliktfall– streitschlichtende Aufgaben. Weder das mit der finanziellen Eingliederung einhergehende Weisungsrecht durch Gesellschafterbeschluss noch eine vertragliche Pflicht zur regelmäßigen Berichterstattung über die Geschäftsführung können eine organisatorische Eingliederung begründen. Dies gilt sogar selbst für eine Pflicht zur täglichen Berichterstattung. Auch Zustimmungsvorbehalte zugunsten der Gesellschafterversammlung z.B. aufgrund einer Geschäftsführungsordnung sind als bloße Verpflichtung zur Einholung von Weisungen unbeachtlich (BFH – Urteil vom 28.10.2010, V R 7/10, BStBl II 2011, 391). Ebenso reicht das bloße Recht zur Bestellung oder Abberufung von Geschäftsführern ohne weitergehende personelle Verflechtung über das Geschäftsführungsorgan nicht aus (s. dazu: BFH - Urteile vom 07.07.2011, V R 53/10, BFHE 234, 548, BStBl II 2013, 218; vom 02.12.2015, V R 15/14, BFHE 252, 158, jeweils m. w. Rechtsprechungsnachweisen).
178Im Streitfall hatte der Beirat zwar die in den Gesellschaftsverträgen verankerte Möglichkeit, aktiv in die Geschäftsführungen der miteinander verbundenen Gesellschaften einzugreifen. Er brauchte nicht erst tätig werden, wenn seine Weisungen eingeholt wurden, sondern konnte sich jederzeit aktiv in die Geschäftsführung einmischen (§ 5 Abs. 10 Gesellschaftsvertrag der Klägerin, § 7 Abs. 4 Gesellschaftsvertrag D GmbH). Eine solche aktive Einmischung in die laufende Geschäftsführung der D GmbH kann nach Aktenlage aber nicht festgestellt werden. Zwar wurde in der Beiratssitzung vom 26.06.2012 (Leitz 1/3, Bl. 304ff) u. a. das weitere Vorgehen der Baustellen "Y" und "X", die Schließung der Niederlassung E und Personalangelegenheiten besprochen, diese Besprechungen können aber auch zur Information des Beirats im Rahmen seiner Aufsichtsfunktion erfolgt sein. Die geringe Anzahl der Beiratssitzungen (2010 dreimal, 2011 fünfmal, 2012 viermal und 2013 einmal) spricht zudem gegen eine aktive Wahrnehmung von Geschäftsführungsaufgaben durch den Beirat.
179Die im Schriftsatz des Beklagten vom 09.11.2021 geäußerte Auffassung, dass die steuerlich vertretene Klägerin bis zur Insolvenz der D GmbH selbst von einer umsatzsteuerlichen Organschaft ausgegangen sei, ist im Hinblick auf das Streitjahr 2013 unzutreffend. Die damaligen steuerlichen Berater der Klägerin haben nämlich bereits mit Schreiben vom 18.12.2013 an den Beklagten (Stehordner 2/3, Bl. 267) die Frage des Zeitpunkts des Wegfalls der organisatorischen Eingliederung aufgegriffen. Im Übrigen beurteilt sich die Frage der umsatzsteuerlichen Organschaft nach dem tatsächlichen Vorhandensein der Eingliederungsmerkmale und nicht nach der Rechtsauffassung der am Steuerrechtsverhältnis Beteiligten.
180Die Klägerin verhält sich mit ihrer Auffassung, dass die umsatzsteuerliche Organschaft entfallen ist, auch nicht rechtsmissbräuchlich. Die Grundsätze von Treu und Glauben gebieten es innerhalb eines bestehenden Steuerrechtsverhältnisses für Steuergläubiger wie Steuerpflichtigen zwar gleichermaßen, dass jeder auf die Belange des anderen Teils Rücksicht nimmt und sich zu seinem eigenen früheren Verhalten nicht in Widerspruch setzt (Verbot des venire contra factum proprium). Beide Seiten müssen sich dabei grundsätzlich das Verhalten von in das Steuerrechtsverhältnis eingeschalteten Erfüllungsgehilfen zurechnen lassen (BFH-Urteil vom 17.06.1992 X R 47/88, BFHE 169, 103, BStBl II 1993, 174). Hierzu verlangt der Grundsatz von Treu und Glauben einen Vertrauenstatbestand, aufgrund dessen ein am Steuerrechtsverhältnis Beteiligter disponiert hat. Erforderlich ist eine bestimmte Position oder ein bestimmtes Verhalten des einen Teils, aufgrund dessen der andere Teil bei objektiver Beurteilung annehmen konnte, jener werde an seiner Position oder seinem Verhalten konsequent und auf Dauer festhalten (BFH-Urteil vom 06.07.2016 X R 57/13, BFHE 256, 1, BStBl II 2017, 334).
181Im Streitfall hat der Beklagte keine für ihn vertrauensbegründenden Umstände vorgetragen, aus denen er schließen durfte, dass die Klägerin sich im Hinblick auf ihre Auffassung zum Vorliegen der umsatzsteuerlichen Organschaft endgültig und unabänderbar binden wollte. Eine Abgabe von Umsatzsteuererklärungen, in denen die Frage der umsatzsteuerlichen Organschaft falsch beurteilt worden ist, begründet ohne weitere Umstände keinen vertrauensbegründenden Umstand zu Gunsten des Beklagten. Allein die fiskalischen Auswirkungen zu Lasten des Landes können keinen Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben begründen. Auch kann eine Anwendung geltenden Rechts entgegen der Auffassung des Beklagten regelmäßig nicht zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der Klägerin und/oder einer Verletzung des Neutralitätsgrundsatzes führen.
182(4) Mit Eintritt der Sanierungsgeschäftsführerin TT in die Geschäftsführung der D GmbH zum 00.12.2013 war eine ähnliche Situation eingetreten, wie zur Zeit der Bestellung der Herren HS und ST, d. h. Frau UT als personenidentische Geschäftsführerin hatte nicht die Stimmenmehrheit innerhalb der Geschäftsführung bei der D GmbH.
183(5) Der Beklagte hat gegen die von der Klägerin mit Schriftsatz vom 26.10.2021 auf die Zeitabschnitte vor und nach dem 10.02.2013 entfallenden Besteuerungsgrundlagen keine Einwendungen erhoben. Dem Senat erscheinen die Zahlen schlüssig.
184Für das Streitjahr 2013 errechnet sich die auf die Klägerin entfallende Umsatzsteuer wie folgt:
185Umsätze zu 19% als Organträger vom 01.01.2013 bis 10.02.2013: 1.051.146,00 €
186Umsätze zu 19% ohne Organschaft ab 11.02.2013: 347.685,00 €
1871.398.831,00 €
188USt 19 %: 265.777,89 €
189Vorsteuer (bis 10.02.2013 einschl. Vorsteuer d. D GmbH): 229.949,05 €
190Festzusetzende Umsatzsteuer 35.828,84 €.
191III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 FGO. Der Streitwert einer Fortsetzungsfeststellungsklage ist in Höhe von 50 % des Regelstreitwerts anzusetzen (BFH- Beschlüsse vom 09.07.1996, I R 6/91, juris; vom 20.10.2005, III S 20/05, juris). Die Kostenquote errechnet sich wie folgt:
192Streitjahr |
Antrag Klägerin (in Euro) |
Streitwert (in Euro) |
Unterliegen Klägerin (in Euro) |
Unterliegen Beklagter (in Euro) |
|
Fortsetzungsfestellungs klage |
2010 |
Aufhebung insgesamt |
3.244.030 |
- |
3.244.030 |
2011 |
2.851.278 |
- |
2.851.278 |
||
2012 |
2.847.935 |
- |
2.847.935 |
||
2013 |
2.527.091 |
- |
2.527.091 |
||
Gesamt: |
11.470.334 |
11.470.334 |
|||
Streitwert 50 % |
5.735.167 |
5.735.167 |
|||
Organschaft |
2010 |
- |
5.000 |
5.000 |
- |
2011 |
42.506,42 |
2.808.772 |
2.808.772 |
- |
|
2012 |
3.557,03 |
2.844.377 |
2.844.377 |
- |
|
2013 |
7.089,67 |
2.520.002 |
28.739 |
2.491.263 |
|
gesamt |
8.178.151 |
5.686.888 |
2.491.263 |
||
Streitwert gesamt: |
13.913.318 |
||||
Unterliegen gesamt: |
5.686.888 |
8.226.430 |
|||
Unterliegensquote: |
41 % |
59 % |
Die Revisionszulassung erfolgt im Hinblick auf die Vorlagebeschlüsse des BFH vom 11.12.2019, XI R 16/18 und vom 07.05.2020, V R 40/19.
194Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
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- 5 K 3819/18 1x (nicht zugeordnet)
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