Urteil vom Niedersächsisches Finanzgericht (3. Senat) - 3 K 467/12
Tatbestand
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Streitig ist die Frage, ob fristgerecht Klage erhoben wurde.
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Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks R 42a. Dieses besteht aus einem Vorder- und einem Hinterhaus. Im Vorderhaus befinden sich drei Wohneinheiten, die der Kläger vermietet. In der oberen Wohnung wohnen drei Studenten, u.a. die beiden Zeugen R H und M M. In einer der beiden anderen Wohnungen wohnt der Mieter S. Im Hinterhaus wohnen die Kläger selbst; zudem befindet sich dort der Sitz eines vom Kläger geführten Unternehmens.
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Da die Kläger keine Einkommensteuererklärung für 2008 abgaben, schätzte der Beklagte mit Einkommensteuerbescheid 2008 vom 11. Februar 2010 die Besteuerungsgrundlagen. Die Einkommensteuer setzte der Beklagte auf 15.824,- € fest; der Bescheid stand unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Gegen diesen Bescheid legten die Kläger Einspruch ein und reichten die Einkommensteuererklärung 2008 ein. Mit Datum vom 24. Juni 2010 änderte der Beklagte unter Auswertung der Einkommensteuererklärung den Bescheid gem. § 164 Abs. 2 AO und setzte die Einkommensteuer auf 16.498,- € herauf. Den Vorbehalt der Nachprüfung hob der Beklagte gleichzeitig auf. In der Sache wich der Beklagte hinsichtlich diverser Punkte von der Steuererklärung ab.
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Mit Schreiben vom 1. Oktober 2010 schrieb der Sachbearbeiter an den Kläger und forderte diverse Unterlagen an. Danach ist zunächst kein Fortgang in der Sache zu erkennen. Mit Schreiben vom 13. April 2012 äußerten sich die Kläger erneut zur Sache, woraufhin der Beklagte mit Schreiben vom 19. Juli 2012 wiederum diverse Unterlagen anforderte.
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Da diese Unterlagen nicht eingingen, entschied der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 24. September 2012 über den Einspruch. Der Einspruchsbescheid wurde am 25. September 2012 zur Post gegeben und gegen Zustellungsurkunde am Mittwoch, den 26. September 2012 zugestellt. Der Zusteller hat auf der Zustellungsurkunde vermerkt, dass er die Sendung zu übergeben versucht und - weil die Übergabe in der Wohnung nicht möglich gewesen sei - das Schriftstück in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten eingelegt habe. Unterzeichnet ist die Zustellungsurkunde von dem Zusteller R K von der Citypost.
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Die Kläger haben per Fax vom 27. Oktober 2012, 19.15 Uhr Klage erhoben. Sie erklären darin, dass ihnen der Einspruchsbescheid am 27. Oktober 2012 von ihren Mietern überreicht worden sei, da er in deren Briefkasten gelegen habe und - nach langer Abwesenheit in den Semesterferien - in der umfänglichen Post untergegangen sei. Da ihnen die Einspruchsentscheidung erst später bekannt gegeben worden sei, sei die Klagefrist gewahrt.
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Ohnehin erweise sich die Citypost als äußerst unzuverlässig. Vielfach würden Schreiben falsch eingeworfen. Das gelte auch für Zustellungen per Zustellungsurkunde.
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Zur Bestätigung haben die Kläger eine Bescheinigung des Zeugen R H vorgelegt. Dieser erklärt darin, dass zwischen der Post für seine Wohngemeinschaft in einer Zeitschrift versteckt ein Einschreiben für die Kläger gelegen habe. Das sei ihm erst nach Rückkehr aus den Semesterferien, und zwar am 27. Oktober 2012 aufgefallen. Nachdem er den Brief dem Kläger ausgehändigt habe, habe dieser ihn sofort geöffnet und festgestellt, dass es sich um ein termingebundenes Schreiben des Finanzamts gehandelt habe. Auf Wunsch des Klägers bestätige er diesen Vorgang.
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Die Kläger sehen ihre Rechtsauffassung als durch die Beweisaufnahme bestätigt an. Der Zeuge H habe bestätigt, dass er dem Kläger die Einspruchsentscheidung erst am 27. Oktober 2012 ausgehändigt habe. Der Zeuge K hingegen habe im Rahmen seiner Vernehmung zunächst erklärt, dass der Briefkasten der Kläger der obere der beiden Briefkästen für das Grundstück R Str. 42a sei. Außerdem habe er erklärt, dass die Post von oben in den Briefkasten eingeworfen werde. Damit könne aber nur der Briefkasten der Mieter des Vorderhauses gemeint sein, denn sein Briefkasten sei der untere in der Briefkastenanlage. Damit sei der Beweis der Zustellungsurkunde erschüttert.
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Die Kläger beantragen,
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unter Abänderung des Einkommensteuerbescheides 2008 vom 11. Februar 2010 in der Gestalt vom 24. Juni 2010 und der Einspruchsentscheidung vom 25. September 2012 die Einkommensteuer 2008 entsprechend der eingereichten Einkommensteuererklärung festzusetzen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte hält die Klage für unzulässig. Er geht davon aus, dass der Brief den Klägern, wie auf der Zustellungsurkunde vermerkt, am 26. September 2012 zugegangen sei. Der Zusteller habe sich erinnert, dass der Name der Kläger auf dem Namensschild schwach lesbar sei. Genau so verhalte es sich ausweislich der Fotos, die der Beklagte von der Briefkastenanlage aufgenommen und zur Akte gereicht hat. Damit habe der Zusteller den Briefkasten der Kläger identifiziert. Es sei deshalb davon auszugehen, dass der Zusteller die Sendung in den zutreffenden Briefkasten eingeworfen habe.
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Die Kläger hätten erst am Freitag, den 27. Oktober 2012 Klage erhoben. Dies sei außerhalb der Klagefrist; die Klage sei deshalb verfristet.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist unzulässig.
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Die Kläger haben nicht innerhalb der Klagefrist Klage erhoben.
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Gem. § 47 Abs. 1 FGO beträgt die Frist für die Erhebung der Anfechtungsklage einen Monat; sie beginnt mit der Bekanntgabe der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf. Im Streitfall ist die Einspruchsentscheidung ausweislich des auf der Zustellungsurkunde vermerkten Datums den Klägern am Mittwoch, den 26. September 2012 zugestellt worden. Die Klagefrist endete damit am Freitag, den 26. Oktober 2012. Eine Klageerhebung am 27. Oktober 2012, die wirksame Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung am 26. September 2012 einmal als richtig unterstellt, wäre verspätet.
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Den Klägern ist zuzugestehen, dass bei fehlerhafter Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung, insbesondere dann, wenn die Einspruchsentscheidung tatsächlich in einen falschen Briefkasten eingelegt und dem Kläger erst am 27. Oktober 2012 ausgehändigt worden wäre, die Klage fristgerecht erhoben und die Klagefrist gewahrt wäre.
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In diesem Zusammenhang ist allerdings zu berücksichtigen, dass es sich bei der Zustellungsurkunde gem. § 53 Abs. 2 FGO i.V.m. §§ 182 Abs. 1, 418 ZPO um eine öffentliche Urkunde handelt, die den vollen Beweis für die in ihr bezeugten Tatsachten erbringt (BFH Beschluss vom 6. Oktober 2003 VII B 12/03, BFH/NV 2004, 498). Ein Gegenbeweis kann nur durch den vollen Nachweis eines anderen Geschehensablaufs oder den Beweis der Unrichtigkeit der in der Zustellungsurkunde bezeugen Tatsachen erbracht werden (BFH Beschluss vom 10. November 2003 VII B 366/02, BFH/NV 2004, 509).
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Die Beweisaufnahme in der mündlichen Verhandlung am 18. März 2012 hat den Beweis der inhaltlichen Unrichtigkeit der öffentlichen Urkunde nicht erschüttern können.
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Der Zeuge R K hat - bevor ihm das Gericht die Fotos der Briefkastenanlage vorgehalten hat - u.a. bekundet, dass er sich erinnere, dass der Name der Kläger auf dem Briefkasten schwach, gleichwohl aber noch lesbar gewesen sei. Genau so verhält es sich ausweislich der Fotos Bl. 17-23 der FG-Akte: Während beispielsweise an dem Briefkasten für die Studenten-WG im Obergeschoss des Vorderhauses ein gut lesbares Namensschild angebracht ist, ist der handschriftliche Name der Kläger inzwischen vergilbt. Da der Zeuge K nur als Einspringer die Route, zu der das Haus R Straße 42a gehört, bedient, hat er damit eine konkrete und zutreffende Erinnerung an die örtlichen Verhältnisse kundgetan. Auch wenn der Zeuge zunächst sich zu erinnern vermeinte, dass der Briefkasten der Kläger sich oben befinde und die Post von oben in den Briefkasten der Kläger eingeworfen werde, hält das Gericht dies nicht für einen Beleg dafür, dass der Zeuge die Sendung in den falschen Briefkasten eingelegt hat. Denn wenn der Zeuge K den Briefkasten der Kläger als solchen identifiziert hat, dann erscheint es als ausgeschlossen, dass er dennoch das zugestellte Schreiben nicht in ebendenselben, sondern in einen anderen, für die Kläger nicht bestimmten Briefkasten einwirft. Dies gilt zumal angesichts des Umstands, dass die Einwurfschlitze für die jeweiligen Briefkästen räumlich relativ weit voneinander entfernt sind und eine Verwechslung im Sinne eines Danebengreifens ausscheidet. Hinzu kommt, dass es sich bei der Zustellung gegen Zustellungsurkunde um einen vom Einwurf gewöhnlicher Briefsendungen atypischen Vorgang handelt, der schon vom Arbeitsablauf her wegen der erforderlichen Eintragungen auf der Zustellungsurkunde aufwendiger ist und mehr Aufmerksamkeit erfordert. Das Gericht hält auch die Aussage des Zeugen K, dass er Zustellungen gegen Zustellungsurkunde besondere Sorgfalt widme und auch entsprechend von seinem Arbeitgeber geschult sei, für glaubhaft. Dass der Zeuge K die Postsendung absichtlich falsch eingeworfen hat, hält das Gericht für unrealistisch, denn dafür fehlte jedes Motiv; ein solches Verhalten könnte bei vermehrten Beschwerden der Kunden für den Zusteller auch berufliche Nachteile von Seiten seines Arbeitgebers nach sich ziehen.
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Der Zeuge H hat hingegen mit seiner Aussage den Beweiswert der Zustellungsurkunde nicht erschüttern können. Denn der Zeuge H hat erklärt, er habe nach der Rückkehr aus den Semesterferien einen Stapel mit Post von einer Kiste, die sich hinter der Haustür befunden habe, in die Wohnung genommen und beim Sortieren der Post etwa eine Woche danach die an die Kläger adressierte Postsendung entdeckt. Damit hat der Zeuge H aber gerade nicht bestätigt, dass er persönlich die Sendung im für seine Wohnung bestimmten Briefkasten vorgefunden hat, so dass der Zusteller die Sendung mit der Einspruchsentscheidung in den falschen Briefkasten eingeworfen haben muss. aus dem (welchem auch immer) Briefkasten entnommen hat die Sendung infolgedessen jemand anderes. So bleibt weiterhin die Möglichkeit offen, dass der Zusteller die Sendung - wie in der Zustellungsurkunde vermerkt - in den Briefkasten der Kläger eingeworfen und irgendjemand - das kann, muss aber nicht der Kläger sein - die Sendung aus dem Briefkasten entnommen und auf die Kiste gelegt hat. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass es nichts an der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung ändern würde, wenn jemand anderes als die Kläger, der aber über einen Schlüssel für deren Briefkasten verfügt, beispielsweise während einer Urlaubsabwesenheit der Kläger deren Postkasten leert und die Postsendungen auf der besagten Kiste deponiert. Denn bekanntgegeben ist eine Postsendung bereits dann, wenn sie derart in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter regelmäßigen Umständen in der Lage ist, von ihr Kenntnis zu nehmen. Damit gilt die Postsendung bereits mit der Einlegung in den Briefkasten als bekanntgegeben.
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Die Aussage des Zeugen M schließlich hat sich als unergiebig erwiesen. Weder hat er die fragliche Postsendung in dem Augenblick zur Kenntnis genommen, als er und der Zeuge H. die Post von der Kiste in die eigene Wohnung mitgenommen haben, noch war er zugegen, als der Zeuge H die Sendung beim Sortieren der Post entdeckt und an den Kläger überbracht hat. Insofern war der Zeuge M ein bloßer Zeuge vom Hörensagen, dessen Aussage gegenüber jener des Zeugen H keinen eigenständigen Beweiswert hat.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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Referenzen
- ZPO § 418 Beweiskraft öffentlicher Urkunden mit anderem Inhalt 1x
- § 164 Abs. 2 AO 1x (nicht zugeordnet)
- FGO § 53 1x
- FGO § 135 1x
- 2003 VII B 366/02 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 182 Zustellungsurkunde 1x
- 2003 VII B 12/03 1x (nicht zugeordnet)
- FGO § 47 1x