Gerichtsbescheid vom Finanzgericht Rheinland-Pfalz (3. Senat) - 3 K 2361/11

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Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Strittig ist die Berücksichtigung von Aufwendungen für die Ausbildung zum Flugzeugführer als Werbungskosten.

2

Der Kläger ist Verkehrsflugzeugführer. Die Ausbildung hierzu hatte der Kläger in den Jahren 2005 und 2006 absolviert. Die Ausbildung wurde zum 21. August 2006 abgeschlossen (Blatt 79, 87, 91 der Einkommensteuerakte). Bei der Ausbildung handelte es sich um die berufliche Erstausbildung des Klägers (Blatt 183 der Einkommensteuerakte). Am 11. September 2006 wurde dem Kläger die Berufspilotenlizenz erteilt (Blatt 79, 87 der Einkommensteuerakte). Anschließend wurde der Kläger bei der ... Fluggesellschaft zum 1. Offizier ausgebildet und erwarb die Musterzulassung für das Verkehrsflugzeug Boeing 737 (Blatt 79, 92 der Einkommensteuerakte).

3

In seiner Einkommensteuererklärung 2005 begehrte der Kläger die Berücksichtigung von Aufwendungen in Höhe von 69.791 € für die Ausbildung zum Verkehrsflugzeugführer als vorweggenommene Werbungskosten (Blatt 8 der Einkommensteuerakte). In seiner Einkommensteuererklärung 2006 begehrte der Kläger die Berücksichtigung der weiter hierfür angefallenen Aufwendungen in Höhe von 27.839 € als vorweggenommene Werbungskosten (Blatt 63 der Einkommensteuerakte).

4

In den Einkommensteuerbescheiden 2005 und 2006 vom 14. Dezember 2007 berücksichtigte der Beklagte die geltend gemachten Werbungskosten nicht. Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 27. Dezember 2007 Einspruch ein und beantragte die Feststellung des Verlustvortrages zur Einkommensteuer wegen der geltend gemachten Werbungskosten (Blatt 20 der Einkommensteuerakte). Mit Schreiben vom 15. Januar 2008 schlug der Beklagte vor, die Einspruchsverfahren bis zur Klärung der diesbezüglichen Streitfrage in vor dem BFH anhängigen Verfahren ruhen zu lassen (Blatt 25, 26 der Einkommensteuerakte).

5

Mit Einkommensteuerbescheid 2006 vom 29. Februar 2008 berücksichtigte der Beklagte die nach dem 21. August 2006 entstandenen Aufwendungen für die Musterzulassung als Werbungskosten und stellte in dem Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer zum 31.12.2006 vom gleichen Tage einen verbleibenden Verlustvortrag in Höhe von 4.413 € fest. In den Erläuterungen ist unter Bezugnahme auf ein Gespräch am 14. Februar 2008 ausgeführt, hierdurch erledige sich der Einspruch des Klägers vom 27. Dezember 2007.

6

Mit Schreiben vom 29. August 2011 beantragte der Kläger die Änderung des Verlustfeststellungsbescheids vom 29. Februar 2008 und begehrte die Berücksichtigung der gesamten Aufwendungen für die Ausbildung zum Verkehrsflugzeugführer als vorweggenommene Werbungskosten. Weiterhin beantragte der Kläger das Ende des Ruhens der Einspruchsverfahren gegen die Einkommensteuerbescheide 2005 und 2006.

7

Mit Klageschrift vom 7. November 2011 erhob der Kläger am 8. November 2011 Untätigkeitsklage und begehrte die Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer 2005 in Höhe von 69.791 € und zur Einkommensteuer 2006 in Höhe von 13.500 € sowie die Änderung der Einkommensteuerbescheide 2005 vom 14. Dezember 2007 und 2006 vom 29. Februar 2008 in Hinblick auf die Berücksichtigung der geltend gemachten Ausbildungskosten als Werbungskosten.

8

Mit Einspruchsentscheidung vom 1. Dezember 2011 verwarf der Beklagte den Einspruch des Klägers gegen den Einkommensteuerbescheid 2005 als unzulässig. Mit Bescheid vom 19. Dezember 2011 lehnte der Beklagte die begehrte Verlustfeststellung ab. Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 20. Dezember 2011 Einspruch ein. Der Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 30. Januar 2012 zurückgewiesen.

9

Der Kläger trägt vor, durch das neu eingeführte BeitrRLUmsG vom 7. Dezember 2011 habe der Beklagte nicht anders entscheiden können, als die Verlustfeststellungsanträge abzulehnen. Letztendlich sei das Gesetz unter den bekannten verfassungsrechtlich problematischen Ansatzpunkten aber zu überprüfen.

10

Der Kläger beantragt, den ablehnenden Bescheid vom 19. Dezember 2011 und die Einspruchsentscheidung vom 30. Januar 2012 aufzuheben sowie den verbleibenden Verlustvortrag zur Einkommensteuer 2005 auf den 31.12.2005 in Höhe von 69.791 € und den verbleibenden Verlustvortrag zur Einkommensteuer 2006 auf den 31.12.2006 in Höhe von 13.500 € festzustellen, hilfsweise, die Revision zuzulassen.

11

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

12

Der Beklagte trägt vor, der Kläger habe seine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen das BeitrRLUmsG nicht näher erläutert. Nach der Rechtsprechung des Finanzgerichts Münster vom 20. Dezember 2011 (5 K 3975/09 F) sei ein Verfassungsverstoß nicht ersichtlich.

Entscheidungsgründe

13

Die Klage, über die das Gericht durch Gerichtsbescheid nach § 90a FGO entschieden hat, ist unbegründet.

1.

14

Die als Untätigkeitsklage erhobene Klage ist nicht wegen der zwischenzeitlich im Klageverfahren ergangenen ablehnenden Bescheide und der Einspruchsentscheidung unzulässig geworden.

15

Nach § 46 Abs. 1 Satz 1 FGO ist eine Klage ohne vorherigen Abschluss eines Vorverfahrens zulässig, wenn über einen außergerichtlichen Rechtsbehelf ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden ist. Dies gilt nach § 46 Abs. 2 Satz 1 FGO für die Fälle sinngemäß, in denen über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden wurde.

16

Die mit Klageschrift vom 7. November 2011 am 8. November 2011 bei Gericht eingegangene Klage hat der Kläger zunächst als Untätigkeitsklage erhoben. Nach Ergehen des ablehnenden Bescheids vom 19. Dezember 2011 und der Einspruchsentscheidung vom 30. Januar 2012 hat der Kläger weiterhin die Feststellung des Verlustvortrages zur Einkommensteuer 2005 und 2006 wegen der geltend gemachten Werbungskosten begehrt. Die Klage war daher als Verpflichtungsklage fortzuführen.

17

Denn eine Erledigung einer Untätigkeitsklage tritt nicht durch einen während des Klageverfahrens erlassenen Steuerbescheid oder eine Einspruchsentscheidung ein. Die Bezeichnung der Klage nach § 46 Abs.1 FGO als Untätigkeitsklage ist insofern ungenau, als es bei der Klage nicht um eine Untätigkeit der Behörde geht. Die Klage hat das Ziel, das Finanzamt zu der begehrten Verlustfeststellung zu veranlassen. Wird daher während des Klageverfahrens der Antrag abgelehnt und der Einspruch zurückgewiesen, so wird das Klageverfahren fortgesetzt, ohne dass eine erneute Klage erforderlich oder zulässig wäre (vgl. BFH-Beschluss vom 28. Oktober 1988 - III B 184/86, BStBl. II 1989, 107).

2.

18

Der Beklagte hat die Feststellung weiterer Verluste wegen der Aufwendungen des Klägers für die Ausbildung zum Verkehrsflugzeugführer zu Recht abgelehnt. Die geltend gemachten Aufwendungen sind nach §§ 9 Abs. 6, 12 Nr. 5 EStG i.d.F. des Gesetzes zur Umsetzung der Beitreibungsrichtlinie sowie zur Änderung steuerrechtlicher Vorschriften vom 7. Dezember 2011 -BeitrRLUmsG- nicht abzugsfähig.

a)

19

Nach § 10 d Abs. 4 EStG sind negative Einkünfte, die bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichen werden können, als verbleibender Verlustvortrag gesondert festzustellen. Negative Einkünfte im Sinne von § 2 Abs. 1 EStG können bei Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit gem. § 19 EStG durch den Überschuss von Werbungskosten über die Einnahmen entstehen. Zu den Werbungskosten nach § 9 EStG können auch Aufwendungen für Bildungsmaßnahmen gehören, sofern sie beruflich veranlasst sind. Eine berufliche Veranlassung ist gegeben, wenn ein objektiver Zusammenhang mit dem Beruf besteht und die Aufwendungen subjektiv zur Förderung des Berufs getätigt werden. Erzielt der Steuerpflichtige noch keine Einnahmen, so können dennoch -vorweggenommene- Werbungskosten vorliegen. In diesem Fall müssen sie in einem hinreichend konkreten, objektiv feststellbaren Zusammenhang mit künftigen steuerbaren Einnahmen aus der beruflichen Tätigkeit stehen. Nach § 9 Abs. 6 EStG in der Fassung des BeitrRLUmsG sind indes Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine erstmalige Berufsausbildung oder für ein Erststudium, das zugleich eine Erstausbildung vermittelt, keine Werbungskosten, wenn diese Berufsausbildung oder dieses Erststudium nicht im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfinden. Nach § 12 Nr. 5 EStG in der Fassung des BeitrRLUmsG gehören Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine erstmalige Berufsausbildung oder für ein Erststudium, das zugleich eine Erstausbildung vermittelt, zu den nicht abzugsfähigen Aufwendungen, wenn diese Berufsausbildung oder dieses Erststudium nicht im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfinden. Die Vorschriften sind nach § 52 Absätze 23d und 30a EStG in der durch Art. 2 Nr. 34 Buchst. d und g des BeitrRLUmsG geänderten Fassung bereits für Veranlagungszeiträume ab 2004 anzuwenden  (vgl. Finanzgericht des Saarlandes, Urteil vom 4. April 2012 - 2 K 1020/09, in juris).

b)

20

Die gesetzlichen Neuregelungen in § 9 Abs. 6, § 12 Nr. 5 und § 52 Absätze 23d und 30a EStG in der Fassung des BeitrRLUmsG verstoßen nicht gegen das Rückwirkungsverbot.

21

Zwar ist eine echte Rückwirkung -Rückbewirkung von Rechtsfolgen- nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts grundsätzlich unzulässig. Erst mit der Verkündung, das heißt mit der Ausgabe des ersten Stücks des Verkündungsblattes, ist eine Norm rechtlich existent. Bis zu diesem Zeitpunkt, zumindest aber bis zum endgültigen Gesetzesbeschluss, muss der von einem Gesetz Betroffene grundsätzlich darauf vertrauen können, dass seine auf geltendes Recht gegründete Rechtsposition nicht durch eine zeitlich rückwirkende Änderung der gesetzlichen Rechtsfolgenanordnung nachteilig verändert wird. In der Rechtsprechung des BVerfG sind jedoch -ohne dass dies abschließend wäre- Fallgruppen anerkannt, in denen das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot durchbrochen ist. So tritt das Rückwirkungsverbot, das seinen Grund im Vertrauensschutz hat, namentlich dann zurück, wenn sich kein schützenswertes Vertrauen auf den Bestand des geltenden Rechts bilden konnte, etwa weil eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung zu einer bestimmten Steuerrechtsfrage nach Änderung der Rechtsanwendungspraxis rückwirkend gesetzlich festgeschrieben wird. Dies gilt unabhängig von der Frage, ob der BFH mit der Änderung seiner Rechtsprechung das bei gleichgebliebener Gesetzeslage schon bisher "richtige Recht" zutreffend erkannt oder die frühere Rechtslage fortentwickelnd neu gestaltet hat. Gemessen hieran darf der Verordnungsgeber die Rechtslage auch mit Wirkung für die Vergangenheit so regeln, wie sie bis zur Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung einer vorherigen gefestigten Rechtsprechung und der einhelligen Praxis der Finanzverwaltung und damit allgemeiner Rechtsanwendungspraxis auch auf Seiten der Steuerpflichtigen entspricht. Ein berechtigtes Vertrauen auf eine hiervon abweichende Rechtslage können die Steuerpflichtigen jedenfalls vor der Rechtsprechungsänderung nicht bilden. Es widerspricht weder dem Rechtsstaatsprinzip noch dem Gewaltenteilungsgrundsatz, wenn der Gesetzgeber eine Rechtsprechungsänderung korrigiert, die auf der Grundlage der seinerzeit bestehenden Gesetzeslage zwar mit gutem Grund erfolgt ist, deren Ergebnis er aber für nicht sachgerecht hält. Nicht die Rücksicht auf die Recht sprechende Gewalt und deren Befugnis zur Letztentscheidung über die bestehende Gesetzeslage, sondern nur das sonstige Verfassungsrecht, insbesondere die Grundrechte der Steuerpflichtigen, begrenzt hier die Gestaltungsbefugnis des Gesetzgebers bei der Bestätigung der alten Rechtspraxis durch entsprechende gesetzliche Klarstellung (vgl. BFH-Urteil vom 19. April 2012 - VI R 74/10, BStBl. II 2012, 577 m.w.N.).

22

Nach einhelliger Auffassung der Finanzgerichte verstoßen die gem. § 52 Abs. 23d und 30a EStG in der Fassung des BeitrRLUmsG rückwirkend bereits ab dem Veranlagungszeitraum 2004 anzuwendenden Vorschriften der §§ 9 Abs. 6, 12 Nr. 5 in der Fassung des BeitrRLUmsG daher nicht gegen das Rückwirkungsverbot. Auch liegt kein Verstoß gegen sonstiges Verfassungsrecht vor (vgl. Finanzgericht des Saarlandes, Urteil vom 4. April 2012 - 2 K 1020/09, a.a.O.; Finanzgericht Köln, Urteil vom 22. Mai 2012 - 13 K 3413/09, EFG 2012, 1735; Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 26. November 2012 - 10 K 4245/11, EFG 2013, 433; Finanzgericht Münster, Urteil vom 20. Dezember 2011, 5 K 3975/09 F, EFG 2012, 612; Finanzgericht Düsseldorf, Urteil vom 14. Dezember 2011 - 14 K 4407/10 F, EFG 2012, 686). Das Gericht teilt diese Auffassung ausdrücklich und folgt der nicht näher dargelegten Auffassung des Klägers, das Gesetz bedürfe der verfassungsrechtlichen Überprüfung, nicht.

23

Die Aufwendungen für die -nicht auf einem Dienstverhältnis beruhende- erstmalige Ausbildung zum Berufspiloten in den Veranlagungszeiträumen 2005 und 2006 gem. § 9 Abs. 6, § 12 Nr. 5 i.V.m. § 52 Abs. 23d, Abs. 30a EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG vom 7.12.2011 sind somit nicht als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit abzugsfähig (vgl. Finanzgericht Düsseldorf, Urteil vom 14. Dezember 2011 - 14 K 4407/10 F, a.a.O.; Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 26. November 2012 - 10 K 4245/11, a.a.O.). Der Beklagte hat die vom Kläger begehrte Verlustfeststellung daher zu Recht abgelehnt.

24

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

25

Die Revision wird in Hinblick auf die beim BFH anhängigen Revisionsverfahren VI R 2/12 gegen das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 14. Dezember 2011 (14 K 4407/10 F, a.a.O.) und VI R 8/12 gegen des Urteil des Finanzgerichts Münster vom 20. Dezember 2011 (5 K 3975/09 F, a.a.O.) gem. § 115 Abs. 2 FGO zugelassen.

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