Urteil vom Landesarbeitsgericht Hamm - 13 Sa 933/14
Tenor
Auf die Berufungen des Klägers und der Beklagten – unter Zurückweisung der Berufungen im Übrigen – wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 27.05.2014 – 2 Ca 2632/13 – teilweise abgeändert und in den Ziffern 1.-8. des Tenors insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1870,21 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 16,45 € brutto seit dem 01.04.2013, aus weiteren 23,09 € brutto seit dem 01.06.2013, aus weiteren 729,31 brutto seit dem 16.07.2013, aus weiteren 550,68 € brutto seit dem 01.10.2013 und aus weiteren 550,68 € brutto seit dem 01.11.2013 und zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger 59/100 und die Beklagte 41/100 zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand
2Die Parteien streiten um das Bestehen verschiedener Arten von Vergütungsansprüchen.
3Die Beklagte ist ein bundesweit tätiges Bewachungsunternehmen, für das der Kläger seit dem 01.09.2002 als Sicherheitsfachkraft zum Einsatz kommt. Auf das Arbeitsverhältnis findet das einschlägige Tarifwerk für Sicherheitsdienstleistungen Anwendung.
4Bis April 2013 erhielt der Kläger als sog. Revierfahrer (Sicherheitsmitarbeiter im Revierdienst) einen Tarifstundenlohn in Höhe von 10,58 € brutto, danach in Höhe von 11,05 € brutto.
5Die Arbeitstätigkeit der Revierfahrer ist so gestaltet, dass sie, ausgestattet u.a. mit einem Diensthandy, in unterschiedlichen ihnen jeweils zugeteilten Revieren ihren Bewachungsaufgaben nachkommen. In dem Zusammenhang streiten die Parteien darüber, ob die einzelnen Revierfahrer während ihrer Schicht jeweils dergestalt eine gesetzliche Pause machen können, dass sie das ihnen überlassene Diensthandy abschalten können oder es – wie der Kläger behauptet – aus Bereitschaftsgründen angeschaltet lassen müssen.
6Der Arbeitnehmer, der in seiner Schicht das Revier 1 zu befahren hat, erhält – zusätzlich zum üblichen Diensthandy – ein weiteres Handy mit einem bestimmten Code. Erfolgt ein Notruf, geht dieser in der bundesweit zuständigen Notrufserviceleitstelle der Beklagten ein. Diese informiert dann den Revierfahrer des Reviers 1 über das diesem gesondert zur Verfügung gestellte Handy. Die weitere Handhabung ist zwischen den Parteien streitig, wobei der Kläger der Ansicht ist, er übe in dieser Position Tätigkeiten aus, die tarifvertraglich als Schichtführeraufgaben einzuordnen seien.
7In der Zeit von Mai bis August 2013 fungierte der Kläger als Vorsitzender des Wahlvorstandes zur Wahl eines Betriebsrates. Im Mai 2013 nahm er am 16.05.2013 von 09.30 Uhr bis 14.00 Uhr, am 22.05.2013 von 09.30 Uhr bis 13.00 Uhr, am 24. und 28.05.2013 jeweils von 09.30 Uhr bis 14.15 Uhr und am 29.05.2013 von 08.30 Uhr bis 12.30 Uhr an Wahlvorstandssitzungen teil. Jeweils anschließend führte er noch Nacharbeiten durch, und zwar am 16.05.2013 bis 16.30 Uhr, am 22.05.2013 bis 14.30 Uhr, am 24. und 28.05.2013 jeweils bis 16.30 Uhr und am 29.05.2013 bis 14.45 Uhr.
8Vor diesem Hintergrund nahm er folgende Nachtschichten im Gesamtumfang von 45,5 Stunden nicht wahr, zu denen er eingeteilt war: Am 15.05.2013 von 17.15 Uhr bis 2.15 Uhr, am 21. und 23.05.2013 jeweils von 19.30 Uhr bis 4.45 Uhr und am 27.05.2013 von 17.15 Uhr bis 2.15 Uhr.
9Im Juni 2013 nahm der Kläger am 05.06.2013 von 08.30 Uhr bis 17.00 Uhr an einer Wahlvorstandssitzung teil und war am 06.06.2013 im Zeitraum ab 15.20 Uhr bis 16.40 Uhr zugegen anlässlich eines Gesprächs des Wahlvorstandes mit der Geschäftsleitung der Beklagten. Vor dem Hintergrund nahm der Kläger an den Nachtschichten am 04. und 05.06.2013 im Gesamtumfang von 20,5 Stunden nicht teil.
10Ab dem Monat September 2013 war der Kläger freigestellter Vorsitzender des zwischenzeitlich im Betrieb gewählten Betriebsrates und hat die Auffassung vertreten, ihm stehe für die Monate September und Oktober 2013 jeweils eine Vergütung zu, die sich nach dem von der Beklagten selbst ermittelten durchschnittlichen Bruttomonatsentgelt für vergleichbare Vollzeitkräfte in Höhe von 2.462,33 € richte.
11Weiterhin macht der Kläger noch Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für den 24.02., 10.03. sowie 07. und 20.04.2013 geltend.
12Schließlich seien für einen siebenstündigen Schulungstag im März 2013 pro Stunde nur 8,23 € statt 10,58 €, also 16,45 € zu wenig gezahlt worden, und im Mai 2013 seien für insgesamt 9,5 Stunden 23,09 € zu wenig entrichtet worden.
13Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei nicht berechtigt gewesen, für Pausenzeiten einen Abzug im Umfang von bis zu 45 Minuten pro Schicht vorzunehmen. Ihm sei es nämlich zu keinem Zeitpunkt möglich gewesen, Pausen im Rechtssinne einzulegen. So habe der Vorgesetzte der Revierfahrer ihnen im Rahmen gemeinsamer Besprechungen regelmäßig dargestellt, dass sie ihr Handy während der gesamten Schicht in Betrieb zu lassen hätten. Weil jederzeit ein Alarm auftreten könne, sei es ihnen als Fahrer untersagt gewesen, das Handy abzuschalten; sie müssten ständig in Bereitschaft sein. Dementsprechend mache er für den Zeitraum ab Januar bis August 2013 Nachzahlungsansprüche geltend. Hinsichtlich der Einzelheiten der Berechnung wird verwiesen auf die Ausführungen in den klägerischen Schriftsätzen vom 26.09.2013 (Bl. 1 ff. d. A.) und vom 02.01.2014 (Bl. 59 ff. d. A.).
14Weiterhin hat der Kläger die Meinung geäußert, für Zeiten seiner Tätigkeit als Revierfahrer für das Revier 1 eine höhere Vergütung als Schichtführer beanspruchen zu können. Er sei nämlich in der genannten Position den übrigen Revierfahrern gegenüber weisungsberechtigt gewesen. Bei auftretenden Problemen habe er Änderungen in der Kontrolltätigkeit im Revier festlegen können. Insoweit verweist er auf den Inhalt einer entsprechenden Dienstanweisung der Beklagten. Hinsichtlich der Berechnung der insoweit geltend gemachten Ansprüche wird ebenfalls verwiesen auf die beiden bereits genannten klägerischen Schriftsätze vom 26.09.2013 und 02.01.2014.
15Im Übrigen stehe ihm, weil er wegen seiner Wahlvorstandstätigkeit in den Monaten Mai und Juni 2013 bestimmte Nachtschichten nicht habe verrichten können, die entsprechende Vergütung zu, und zwar für 45,5 Stunden im Mai 2013 ein Betrag in Höhe von 502,78 € und für weitere 20,5 Stunden im Juni 2013 ein Betrag in Höhe von 226,53 €.
16Für September und Oktober 2013 könne er als freigestellter Betriebsratsvorsitzender die Vergütung eines vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten beanspruchen, woraus sich für die beiden Monate eine Nachforderung in einer Gesamthöhe von 1.101,36 € errechne.
17Der Kläger hat beantragt,
18- 19
1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 84,75 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.01.2013 zu zahlen,
- 21
2. die Beklagte zu verteilen, an den Kläger 189,60 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.02.2013 zu zahlen,
- 23
3. die Beklagte zu verteilen, an den Kläger 262,79 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.03.2013 zu zahlen,
- 25
4. die Beklagte zu verteilen, an den Kläger 116,51 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2013 zu zahlen,
- 27
5. die Beklagte zu verteilen, an den Kläger 193,09 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.05.2013 zu zahlen,
- 29
6. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 808,05 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.06.2013 zu zahlen,
- 31
7. die Beklagte zu verteilen, an den Kläger 1.215,20 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.07.2013 zu zahlen,
- 33
8. die Beklagte zu verteilen, an den Kläger 436,48 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.08.2013 zu zahlen,
- 35
9. die Beklagte zu verteilen, an den Kläger 55,25 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.09.2013 zu zahlen,
- 37
10. die Beklagte zu verteilen, an den Kläger 581,30 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.10.2013 zu zahlen,
- 39
11. die Beklagte zu verteilen, an den Kläger 581,30 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.11.2013 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
41die Klage abzuweisen.
42Sie hat behauptet, es gebe keine Anweisung an die Revierfahrer, während der Pausenzeiten das Handy eingeschaltet zu lassen, damit man in Bereitschaft bleibe. Die Pausen seien bei der Routenplanung mit eingeplant. Die Revierfahrer hätten sich jeweils beim Fahrer des Reviers 1 abzumelden und könnten dann selbstverständlich für die Dauer der Pause das Mobiltelefon ausstellen.
43Was den Fahrer des Reviers 1 selbst angehe, könne sich dieser bei der bestehenden Notrufserviceleitstelle abmelden und natürlich dann auch beide Mobiltelefone für die Dauer der Pause abschalten. Eingehende Alarme würden dann temporär von der Leitstelle an die Revierfahrer 2 und 3 weitergeleitet.
44Im Übrigen sei der Fahrer des Reviers 1 gegenüber den anderen Revierfahrern nicht weisungsbefugt. Wenn ein Notruf in der Zentrale eingehe, verständige diese umgehend den Revierfahrer 1. Es sei dann dessen Aufgabe, den zuständigen Revierfahrer zu verständigen bzw., wenn dieser nicht verfügbar sei, einen anderen Revierfahrer zu unterrichten. Der Revierfahrer des Reviers 1 mache also nichts anderes, als eingehende Alarme zu vermitteln. Mit seiner Aufgabe sei keinerlei Weisungstätigkeit verbunden. Die vom Kläger zu den Akten gereichte Dienstanweisung sei schon lange veraltet.
45Soweit der Kläger zusätzliche Vergütung für erbrachte Wahlvorstandstätigkeiten verlange, bestehe ein solcher Anspruch nicht. So habe der Kläger ohne erfolgte Freistellung bestimmte Nachtschichten nicht angetreten, obwohl Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz nicht zu befürchten gewesen seien.
46Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 27.05.2014 den Ansprüchen des Klägers zu knapp 1/3 stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Hinsichtlich der Begründung wird verwiesen auf die erstinstanzlichen Urteilsausführungen.
47Gegen diese Entscheidung wenden sich beide Parteien mit ihren Berufungen.
48Unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens zur Möglichkeit, Pausen zu nehmen, zum Recht auf Zahlung eines Schichtführerentgelts und auf Vergütung im Zusammenhang mit der Verrichtung von Wahlvorstandstätigkeiten beantragt der Kläger,
49das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 27.05.2014 – 2 Ca 2632/13 - teilweise abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, über die erstinstanzlich ausgeurteilten 1.479,25 € brutto nebst Zinsen hinaus weitere 3.045,07 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.07.2013 zu zahlen.
50Die Beklagte beantragt,
51- 52
1. die Berufung zurückzuweisen und
- 54
2. das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 27.05.2014
- 2 Ca 2632/13 - teilweise abzuändern und die Klage
56insgesamt abzuweisen.
57Unter Berufung auf ihr erstinstanzliches Vorbringen streicht sie nochmals heraus, dass es dem Kläger jederzeit möglich gewesen wäre, seine gesetzlichen Pausen zu nehmen, so dass entsprechende Abzüge zu Recht erfolgt seien.
58Ein Schichtführervergütungsanspruch bestehe nicht, weil der Kläger auch in der Position des Revierfahrers 1 nicht die entsprechenden Voraussetzungen des einschlägigen Tarifvertrages erfülle.
59Ein Anspruch auf Zahlung von Vergütung für geleistete Wahlvorstandstätigkeit sei ebenfalls nicht gegeben; allenfalls könne auch nur ein Freizeitausgleichsanspruch bestehen.
60Was die Ermittlung des maßgeblichen Entgelts für den nach § 38 BetrVG freigestellt gewesenen Kläger angehe, müsse auf den Durchschnitt der Revierfahrervergütung abgestellt werden unter Berücksichtigung auch der nur in Teilzeit beschäftigten Revierfahrer, so dass sich lediglich ein monatlicher Anspruch in Höhe von 2.312,64 € errechne.
61Was schließlich den geltend gemachten Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall an vier Tagen angehe, seien die Ansprüche erfüllt worden. Hinsichtlich der Einzelheiten wird insoweit verwiesen auf die Ausführungen im Beklagtenschriftsatz vom 22.09.2014, S. 6 f. (Bl. 378 f. d. A.).
62Der Kläger hat beantragt,
63die Berufung zurückzuweisen.
64Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen ergänzend Bezug genommen.
65Entscheidungsgründe
66Die zulässigen Berufungen beider Parteien sind jeweils zum Teil begründet, aber im Übrigen unbegründet.
67Dem Kläger stehen gegenüber der Beklagten Ansprüche in einer Gesamthöhe von 1.870,21 € zu, und zwar als Vergütung für nicht verrichtete Nachtschichten in den Monaten Mai und Juni 2013 in Höhe von insgesamt 729,31 € brutto, als zusätzliches Entgelt in Höhe von jeweils 550,68 € für die Monate September und Oktober 2013 und als Nachzahlung in Höhe von 16,45 € und 23,09 € für die Monate März und Mai 2013. Im Übrigen war die Klage abzuweisen.
68I. Der Anspruch in Höhe von 502,78 € brutto für insgesamt 45,5 Stunden im Mai 2013 und in Höhe von 226,53 € brutto für insgesamt 20,5 Stunden im Juni 2013 ergibt sich für den Kläger aus § 611 Abs. 1 BGB i.V.m. § 20 Abs. 3 Satz 2 BetrVG.
69Nach § 20 Abs. 3 Satz 2 BetrVG ist der Arbeitgeber u.a. dann nicht zur Minderung des Arbeitsentgeltes berechtigt, wenn die Versäumnis der Arbeitszeit erforderlich war, um sich im Wahlvorstand zu betätigen. Die Voraussetzungen sind hier in der Person des im streitbefangenen Zeitraum als Wahlvorstandsvorsitzender fungierenden Klägers erfüllt.
701. So war er am 15.05.2013 vor der für den Folgetag um 09.30 Uhr anberaumten Wahlvorstandssitzung für die Nachtschicht ab 17.15 Uhr bis 2.15 Uhr eingeteilt; zwischen Schichtende und Beginn der Gremiumssitzung lagen also nur sieben Stunden und 15 Minuten.
71a) Wäre er beiden Verpflichtungen nachgekommen, hätte darin allerdings kein Verstoß namentlich gegen § 5 Abs. 1 ArbZG (Ruhezeit) gelegen, weil die Normen des Arbeitszeitgesetzes nach dessen § 2 Abs. 1 Satz 1 nur auf Zeiten der Arbeit, nicht aber auf Zeiten amtlicher Tätigkeit z.B. als Wahlvorstandsmitglied anwendbar sind.
72Für den Begriff der Arbeit ist prägend, dass man dem Arbeitgeber zur Verfügung steht (vgl. Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88 EG) und bestimmte seinem Weisungsrecht gemäß § 106 GewO unterliegende Tätigkeiten verrichtet.
73Demgegenüber versehen die gewählten Amtsträger im BetrVG ein von Direktiven des Arbeitgebers unabhängiges Ehrenamt (vgl. § 37 Abs. 1 BetrVG) und unterfallen in dieser Funktion bei der Erledigung ihrer Aufgaben nicht den ausschließlich für Arbeitsleistungen geltenden Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes (vgl. z.B. BAG, 19.07.1977 – 1 AZR 376/74 – AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 29; 07.06.2009 – 7 AZR 500/88 – AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 72; LAG Schleswig-Holstein, 30.08.2005 – 5 Sa 161/05 – juris; ArbG Lübeck, 07.12.1999 – 6 Ca 2589/99 – NZA-RR 2000. 427; Manstetten, AiB 1996, 214; Wiebauer, NZA 2013, 540).
74Bestätigt wird dieses Ergebnis namentlich durch die Bestimmung des § 37 Abs. 3 Satz 3 BetrVG, wonach aufgewendete Zeit „wie“ Mehrarbeit zu vergüten ist, sie also tatsächlich keine Mehrarbeit ist, sondern in dem konkreten Zusammenhang entgeltmäßig nur so zu behandeln ist.
75b) Obwohl danach die Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes nicht einschlägig sind, hat das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 07.06.1989 (7 AZR 500/88 – AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 72) zu Recht herausgestrichen, dass die Wahrnehmung von Amtstätigkeiten voraufgehende und/oder nachfolgende Arbeitsleistungen unmöglich oder unzumutbar machen können. Denn namentlich die Teilnahme an Gremiumssitzungen steht bezüglich der Anforderungen an Aufmerksamkeit und geistiger Leistungsfähigkeit der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit nicht nach.
76Daraus folgt hier, dass es dem Kläger unzumutbar war, am 15.05.2013 eine über insgesamt neun Stunden reichende Nachtschicht von 17.15 Uhr bis 2.15 Uhr als Revierfahrer zu absolvieren, um dann unter Berücksichtigung anfallender Wegezeiten und erforderlicher Schlafenszeiten schon nach sieben Stunden und 15 Minuten wieder an einer um 09.30 Uhr begonnenen, mehrstündigen Sitzung des Wahlvorstandes mit der erforderlichen Aufmerksamkeit und geistigen Leistungsfähigkeit teilzunehmen. Dementsprechend ist die Beklagte verpflichtet, die in der Höhe nicht bestrittenen neun als regelmäßige Arbeitszeit für den 15.05.2013 vorgesehenen Stunden auf der Grundlage des § 611 Abs. 1 BGB i.V.m. § 20 Abs. 3 Satz 3 BetrVG zu vergüten.
77Entsprechendes gilt für den 21. und 23.05.2013 im Umfang von jeweils 9,25 Stunden, wobei die Schichten sogar bis 4.45 Uhr gedauert hätten – bei Beginn der Wahlvorstandssitzungen am Folgetag jeweils um 09.30 Uhr. Am 27. und 28.05.2013 war es dem Kläger ebenfalls unzumutbar, zu den jeweils neun Stunden dauernden Nachtschichten zu erscheinen, um an den für die Folgetage um 09.30 Uhr bzw. 08.30 Uhr anberaumten Wahlvorstandssitzungen teilnehmen zu können.
78Im Juni 2013 schließlich war es für den Kläger nicht zumutbar, in den jeweils 10.25 Stunden dauernden Nachtschichten am 04. und 05.06.2013 zu arbeiten. Es fand nämlich am 05.06.2013 von 08.30 Uhr bis 17.00 Uhr eine ganztägige Wahlvorstandsschulung statt, die den Kläger zu Recht davon abgehalten hat, in der Schicht davor bis 5.15 Uhr zu arbeiten und zwei Stunden nach Ende der Schulung am 05.06.2013 um 19.00 Uhr bereits wieder zur Arbeitsleistung zu erscheinen.
79II. Der Kläger hat gegenüber der Beklagten weiterhin einen sich aus § 611 Abs. 1 BGB i.V.m. § 37 Abs. 2 BetrVG ergebenden Anspruch auf Nachzahlung von jeweils 550,68 € für die Zeit der Freistellung als Betriebsratsvorsitzender in den Monaten September und Oktober 2013.
80Nach der zutreffenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (18.09.1991 – 7 AZR 41/90 – AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 82; zust. z.B. Fitting, 27. Aufl., § 38 Rn. 85 m.w.N.) hat (auch) ein freigestelltes Betriebsratsmitglied während seiner Amtszeit einen Anspruch auf das Arbeitsentgelt, das es erhalten hätte, wenn es nicht freigestellt worden wäre, sondern weiterhin seine Arbeitstätigkeiten ausgeübt hätte.
81Dementsprechend kam es hier für die streitbefangenen beiden Monate darauf an, welche Vergütung der Kläger erzielt hätte, wenn er als Vollzeitkraft seiner arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit als Revierfahrer nachgekommen wäre. Insoweit hat die Beklagte selbst für den Zeitraum eines unmittelbar vorgelagerten Referenzjahres für Vollzeitbeschäftigte eine durchschnittliche Bruttomonatsvergütung in Höhe von 2.462,33 € ermittelt. Mangels anderer Anhaltspunkte ist es deshalb sachgerecht, diesen Betrag für die Bemessung des wahrscheinlichen Arbeitsentgeltes des Klägers zugrunde zu legen.
82Verdienste nur in Teilzeit beschäftigter Revierfahrer sind in dem Zusammenhang entgegen der Ansicht der Beklagten irrelevant, weil es, um Benachteiligungen zu vermeiden, ausschließlich darum geht zu ermitteln, was der Kläger als vollzeittätiger Revierfahrer wahrscheinlich in den beiden Monaten als Arbeitsentgelt bezogen hätte (sog. Lohnausfallprinzip).
83III. Schließlich hat der Kläger gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Restzahlungen für die Monate März und Mai 2013 in Höhe von 16,45 € und 23,09 € brutto. Gegen die erstinstanzlich zugesprochenen Beträge, resultierend aus Differenzen bei der Höhe der Stundenvergütung für 7 Stunden Schulungsteilnahme und 9,5 Stunden Arbeitstätigkeit, hat die Beklagte in der Berufungsinstanz keine begründeten Einwände erhoben.
84Die Zinsansprüche folgen aus § 288 Abs. 1 BGB i.V.m. § 286 BGB.
85IV. Demgegenüber besitzt der Kläger gegenüber der Beklagten für den streitbefangenen Zeitraum von Januar bis August 2013 keinen Anspruch auf Nachzahlung von Vergütung wegen zu Unrecht abgezogener Pausenzeiten.
86Nach den zwingenden gesetzlichen Vorgaben in § 4 Satz 1 ArbZG ist die Arbeit je nach ihrer Dauer durch im Voraus feststehende Ruhepausen von mindestens 30 oder 45 Minuten zu unterbrechen. Wenn die Beklagte dem in ihren Einsatzplänen Rechnung trägt und es dem Kläger angesichts der Struktur der Tätigkeit eines Revierfahrers überlässt, in dem vom Gesetz vorgegebenen Rahmen die zwingend erforderlichen Pausen auch tatsächlich zu nehmen, ist es die unbedingte Pflicht des Klägers, dem auch Rechnung zu tragen, selbst wenn damit im Alarmfall eine Intervention erst nach Beendigung der Pause möglich wäre (siehe Schriftsatz der Beklagten vom 08.12.2014, S. 2). Der Kläger hat also zu den für Pausen anstehenden Zeiten das mitgeführte Mobiltelefon und ggf. auch das als Revierfahrer 1 mitzuführende zweite Handy auszuschalten, nachdem er sich zuvor, wie im Schriftsatz der Beklagten vom 04.02.2014, S. 5, beschrieben, beim Revierfahrer 1 bzw. bei der Notrufserviceleitstelle der Beklagten abgemeldet hat. Wenn er stattdessen, obwohl er dafür bereits seit November 2004 keine Vergütung mehr bekommen hatte, aufgrund eigener Entscheidung unter Missachtung arbeitszeitgesetzlicher Vorgaben ohne Pausen durchgearbeitet hat, kann er dafür von der Beklagten kein Entgelt verlangen. Im Übrigen kann ergänzend Bezug genommen werden auf die diesbezüglichen arbeitsgerichtlichen Ausführungen.
87V. Der Kläger kann von der Beklagten für die Zeiten seiner Tätigkeit als Revierfahrer 1 auch nicht die Vergütung eines Schichtführers beanspruchen. Insoweit folgt die Berufungskammer in allen Punkten den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung und nimmt auf sie zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug.
88VI. Schließlich hat der Kläger gegenüber der Beklagten keinen Anspruch (mehr) auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für den 24.02., 10.03., 07. und 20.04.2013.
89Insoweit hat die Beklagte unter Berufung auf die zur Anwendung kommende Lohn- und Gehaltssoftware, die automatisch den Sonntag aus der Entgeltfortzahlungsberechnung herausnimmt, unwidersprochen nachvollziehbar vorgetragen, dass der Kläger die ihm zustehende Entgeltfortzahlung für den 24.02.2013 bereits für den vorangegangenen 22.03.2013, der für den Kläger arbeitsfrei war, erhalten hat. Wenn auch anders deklariert, hat der Kläger also in der Gesamtbilanz seine Entgeltfortzahlung für den Monat Februar 2013 in vollem Umfang gewährt bekommen.
90Entsprechendes gilt für den 10.03.2013 mit der Zahlung bereits für den dienstfreien 07.03.2013 sowie für den 07. und 20.04.2013 mit den Zahlungen für die dienstfreien Tage am 04. und 22.04.2013.
91Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
92Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben.
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