Beschluss vom Landesarbeitsgericht Hamm - 8 Ta 74/22
Tenor
Die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 20. Januar 2022 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Bielefeld ebenfalls vom 20. Januar 2022 – 7 Ca 1777/21 – wird zurückgewiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.
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G r ü n d e :
2Gegenstand der Beschwerde ist die Festsetzung des Gebührenstreitwerts für ein durch streitiges Urteil erledigtes Bestandsschutzverfahren.
3I.
4Die Klägerin ist seit 2006 bei der Beklagten, die eine Drogeriemarktkette führt, nach zwischenzeitlicher Übernahme von Aufgaben in der Filialleitung zuletzt wieder als Verkäuferin in Teilzeit gegen ein monatliches Bruttoentgelt in Höhe von durchschnittlich 1.812,00 € beschäftigt. Unter dem 16. September 2021 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zunächst fristlos, mit weiterem Schreiben vom 21. September 2021 – ausdrücklich vorsorglich und hilfsweise – ordentlich zum 28. Februar 2022. Zur Begründung bezog sich die Beklagte jeweils auf identische Gründe im Verhalten der Klägerin. Mit rechtskräftigem Urteil vom 20. Januar 2022 erkannte das Arbeitsgericht auf die Rechtsunwirksamkeit beider Kündigungen. Mit am gleichen Tage verkündetem Beschluss setzte es den Gebührenstreitwert für das Verfahren erster Instanz auf 5.436,00 € (Vierteljahresverdienst) fest.
5Gegen diese Festsetzung wenden sich die Beschwerdeführer, welche die Klägerin im Prozess anwaltlich vertreten haben, mit ihrem noch am 20. Januar 2022 aus eigenem Recht aufgerufenen Behelf. Nach ihrer Auffassung ist vorliegend je Kündigung ein Gebührenstreitwert dieser Höhe festzusetzen, weshalb sich der Verfahrenswert auf insgesamt 10.872,00 € belaufe. Zur Begründung verweisen sie darauf, dass der Beendigungszeitpunkt beider Kündigungen um mehr als 3 Monate divergiere. Zudem bezieht sich die Beschwerde zum Verhältnis einer fristlosen zur ordentlichen Kündigung auf eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg aus dem Jahr 2014, wonach eine Addition der Einzelwerte zu erfolgen habe. Außerdem könne vorliegend nicht von einem identischen Kündigungssachverhalt ausgegangen werden. Denn die außerordentliche Kündigung sei ohne, die ordentliche Kündigung hingegen nach Anhörung des Betriebsrats erfolgt, was ganz unterschiedliche rechtliche und damit auch wirtschaftliche Folgen zeitige.
6Hinsichtlich des Sach- und Streitstands im Übrigen sowie wegen des weiteren Vorbringens der Beschwerdeführer wird auf den Inhalt der Prozessakte verwiesen.
7II.
8Die nach § 32 Abs. 2 S. 1 RVG i. V. m. §§ 68 Abs. 1, 63 Abs. 2 GKG statthafte, ausdrücklich aus eigenem Recht aufgerufene, rechtzeitig erhobene und im Übrigen zulässige Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg.
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1. Das Arbeitsgericht hat den gem. § 63 Abs. 2 GKG festgesetzten Gebührenstreitwert, der nach § 32 Abs. 1 RVG vorliegend auch für die Berechnung der Anwaltsgebühren maßgeblich ist, in Anwendung der Begrenzungsvorschrift des § 42 Abs. 2 S. 1 HS 1 GKG zutreffend auf insgesamt 5.436,00 € (Vierteljahresverdienst) bemessen. Dies entspricht dem Vorschlag nach I. Nr. 21.1 des Streitwertkatalogs für die Arbeitsgerichtsbarkeit in der gegenwärtig aktuellen Fassung vom 9. Februar 2018 (u. a.: NZA 2018, 495 ff), dem auch die Beschwerdekammer insoweit wie im Übrigen in ständiger Spruchpraxis folgt.
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2. Diese Empfehlung trägt dem in § 42 Abs. 2 S. 1 HS 1 GKG verankerten Begrenzungswillen des Gesetzgebers und zugleich dem Gedanken des § 45 Abs. 1 S. 3 GKG Rechnung. Denn über die auf der Grundlage eines identischen Lebenssachverhalts ausgesprochene außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung soll das Arbeitsverhältnis zwar über zwei in ein Hilfsverhältnis gestellte gesonderte Wege, gleichwohl aber im Ergebnis nur einmal und in Folge der aufgrund eines bestimmten Sachverhalts beruhenden einheitlichen Willensbildung des Kündigenden beendet werden. Zu einer Entscheidung über den die ordentliche Kündigung betreffenden Antrag kommt das Gericht dabei nur, wenn nicht schon die außerordentliche Kündigung zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses geführt hat. Der die ordentliche Kündigung betreffende Antrag oder Antragsteil ist danach als unechter Hilfsantrag für den Fall zu verstehen, dass der gegen die außerordentliche Kündigung gerichtete Antrag Erfolg hat. Kommt es zur Entscheidung auch darüber, dann betrifft der weitere Antrag wirtschaftlich betrachtet mit der umfassenderen Klärung der Bestandsfrage ein im Ausgangspunkt identisches, jedoch im Ergebnis weitergehendes Interesse der klagenden Partei, nämlich den Erhalt bzw. das Fortbestehen ein- und desselben Arbeitsverhältnisses auch über den ordentlichen Kündigungstermin hinaus.
Angesichts des einheitlichen, zur Begründung beider Gestaltungswege jeweils herangezogenen Kündigungssachverhalts und der dargestellten wirtschaftlichen Folgen verfolgt der Antrag zur ordentlichen Kündigung damit ein verbundenes Interesse, welches die Abwendung der außerordentlichen Kündigung notwendig inkorporiert, was die Einzelwerte beider Anträge ineinander aufgehen lässt und insgesamt auf das Vierteljahreseinkommen begrenzt. Die Zusammenrechnung der Einzelwerte einer außerordentlichen und hilfsweise ordentlichen Kündigung kommt danach gem. § 42 Abs. 2 S. 1 GKG jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn eine Umdeutung der außerordentlichen Kündigung nach § 140 BGB zum einem der hilfsweisen ordentlichen Kündigung entsprechenden Kündigungstermin führen würde (LAG Hamm, Beschluss vom 27. Juli 2007 – 6 Ta 357/07 – juris m. w. N.).
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3. Folgt man hingegen der von der Beschwerde vertretenen Auffassung, hinge der vom Gesetz verfolgte Schutzzweck von dem Zufall ab, ob der Arbeitgeber eine auf dieselben Gründe gestützte außerordentliche und ordentliche Kündigung in einer Erklärung verbindet oder zeitnah in zwei gesonderten Erklärungen ausspricht. Zwar können im letztgenannten Fall Erklärungsmängel gesondert für jede der Kündigungserklärungen zu prüfen sein. Dennoch überwiegt der Gesichtspunkt eines einheitlichen Lebenssachverhalts erkennbar. Denn es entspricht der Üblichkeit und der Interessenlage des Kündigenden, eine außerordentliche Kündigung um eine auf dieselben Gründe gestützte vorsorgliche ordentliche Kündigung zu ergänzen. Ob dies im Einzelfall durch eine einheitliche Erklärung oder durch zwei gesonderte Erklärungen erfolgt, kann demgegenüber nicht von durchgreifender Bedeutung sein (LAG Düsseldorf, Beschluss vom 7. Mai 2018 – 4 Ta 124/18 – juris). Vor diesem Hintergrund kommt es – entgegen der Auffassung der Beschwerde – auch nicht darauf an, ob wegen der einen Kündigung ein bestimmter Unwirksamkeitsgrund eingreift, wegen der anderen hingegen nicht, weil der Prüfungsumfang insoweit bei der Wertbestimmung insoweit keine Rolle spielt (LAG Köln, Beschluss vom 14. September 2020 – 2 Ta 137/20 – juris).
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4. Soweit die Beschwerde mit der Entscheidung des LAG Baden-Württemberg vom 27. November 2014 – 5 Ta 168/14 (juris) argumentiert, beruht dies auf einer Fehlinterpretation der zugrundeliegenden Sachverhaltskonstellation. Dort war zunächst eine ordentliche Kündigung aus Februar zum 30. September des Jahres ausgesprochen, die dann durch eine gesondert motivierte, am 18. September des Jahres in der laufenden Kündigungsfrist zugegangene außerordentliche Kündigung „überholt“ worden ist, was – auch und gerade nach den Empfehlungen des Streitwertkatalogs (siehe dort I. Nr. 21.3) – zwei zu addierende Wertansätze nach der Differenzmethode erfordert. Im Übrigen hat die beim dortigen Landesarbeitsgericht befasste Beschwerdekammer ausdrücklich klargestellt, dass sie den Vorschlägen des Streitwertkatalogs zur Bemessung des Gesamtwerts bei einer Mehrheit von Kündigungen folgen wird (siehe dort Rz 14) und die mit der außerordentlichen Kündigung verbundene hilfsweise ordentliche Kündigung zu Ende April des Folgejahres unter Hinweis auf I. Nr. 20.1 des Streitwertkatalogs in der Fassung des Jahres 2014 bei der Bestimmung des Gesamtwerts gerade unberücksichtigt gelassen (siehe dort Rz 15).
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5. Die Gebührenfreiheit des Beschwerdeverfahrens und der Ausschluss der Kostenerstattung ergeben sich unmittelbar aus § 32 Abs. 2 S. 1 RVG i. V. m. § 68 Abs. 3 GKG.
Rechtsmittelbelehrung
21Gegen diese Entscheidung ist nach § 32 Abs. 2 S. 1 RVG i. V. m. §§ 68 Abs. 1 S. 5, 66 Abs. 3 S. 3 GKG kein Rechtsmittel statthaft.
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Referenzen
- §§ 68 Abs. 1 S. 5, 66 Abs. 3 S. 3 GKG 2x (nicht zugeordnet)
- 4 Ta 124/18 1x (nicht zugeordnet)
- Beschluss vom Landesarbeitsgericht Köln - 2 Ta 137/20 1x
- § 68 Abs. 3 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- 5 Ta 168/14 1x (nicht zugeordnet)
- 7 Ca 1777/21 1x (nicht zugeordnet)
- § 42 Abs. 2 S. 1 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 140 Umdeutung 1x
- 6 Ta 357/07 1x (nicht zugeordnet)
- RVG § 32 Wertfestsetzung für die Gerichtsgebühren 4x
- § 45 Abs. 1 S. 3 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- § 63 Abs. 2 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- §§ 68 Abs. 1, 63 Abs. 2 GKG 2x (nicht zugeordnet)