Beschluss vom Landesarbeitsgericht Köln - 9 Ta 61/21
Tenor
I. Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Köln vom 25.03.2021 – 12 Ca 441/21 – abgeändert.
II. Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist zulässig.
III. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Beklagte.
1
Gründe:
2I.
3Der Beklagte ist eine vom Eisenbahn-Bundesamt anerkannte Ausbildungs- und Prüfungsorganisation.
4Der am 1994 geborene Kläger wurde nach einem Arbeitsunfall von der Berufsgenossenschaft Verkehrswirtschaft Post-Logistik Telekommunikation (BG Verkehr) bei dem Beklagten zu einer Schulungsmaßnahme zwecks Qualifizierung zum Triebfahrzeugführer gemäß der Triebfahrzeugführerscheinverordnung (TfV) angemeldet. Der Kläger und der Beklagte schlossen dazu einen Schulungsvertrag. Nach Nr. 2 des von dem Beklagten verwendeten Schulungsvertragsmusters behält sich der Beklagte vor, aus von ihm nicht zu verantwortenden Umständen die Maßnahme abzusagen oder zu verschieben. Nr. 6 Satz 2 des Schulungsvertrages verpflichtet den Teilnehmer, den vom Dozenten bezeichneten Lernstoff zu erarbeiten, an den zum Seminar gehörenden Unterrichtsstunden teilzunehmen, die für die Fehlzeit geltenden Bestimmungen einzuhalten, für jedes Fehlen am Unterricht dem Beklagten schriftliche Nachweise/Begründungen zur Weitergabe an den Kostenträger vorzulegen, die ihm im Rahmen des Seminars aufgetragenen Aufgaben sorgfältig zu erfüllen, den Weisungen zu folgen, die ihm im Rahmen des Seminars vom Beklagten und dessen Beauftragten (Dozenten, Ausbildern usw.) oder von anderen weisungsberechtigten Personen erteilt werden, sowie an den vom Dozenten, Ausbilder usw. vorgegebenen bzw. nach dem Lehr- und Stoffplan vorgeschriebenen Prüfungen teilzunehmen. Kostenträger der Schulungsmaßnahme war die BG Verkehr, die dem Kläger während der Teilnahme an der Maßnahme weitere Leistungen gewährte.
5Mit Schreiben vom 13.01.2021, dem Kläger am 14.01.2021 zugegangen, kündigte der Beklagte den Schulungsvertrag mit sofortiger Wirkung. Gegen die Kündigung des Schulungsvertrages erhob der Kläger am 27.01.2021 vor dem Arbeitsgericht Köln Klage.
6Auf die Rüge des Beklagten hat das Arbeitsgericht Köln mit Beschluss vom 25.03.2021 den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Amtsgericht Köln verwiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, dass nach dem Beschluss des Landesarbeitsgerichts Köln vom 18.01.2019 – 7 Ta 200/17 – Fortbildungsvereinbarungen eines Rehabilitanden im Sinne von § 33 SGB IX weder ein Berufsausbildungsverhältnis noch ein Umschulungsverhältnis begründen könnten.
7Gegen den dem Kläger am 26.03.2021 zugestellten Verweisungsbeschluss hat der Kläger am 01.04.2021 bei dem Arbeitsgericht Köln sofortige Beschwerde eingelegt. Er ist der Ansicht, dass sein Fall nicht mit dem Sachverhalt, der der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Köln vom 18.01.2019 zugrunde lag, vergleichbar sei.
8Am 08.04.2021 hat das Arbeitsgericht durch die Kammervorsitzende verfügt, der Beschwerde nicht abzuhelfen und die Sache dem Landesarbeitsgericht vorzulegen.
9II.
10Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte sowie insgesamt zulässige sofortige Beschwerde des Klägers ist begründet. Zu Unrecht hat das Arbeitsgericht die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Gerichten für Arbeitssachen verneint, den Rechtsstreit an das Amtsgericht Köln verwiesen und eine Nichtabhilfe durch eine bloße Verfügung der Vorsitzenden abgelehnt.
111. Die Beschwerdekammer ist an einer Entscheidung in der Sache nicht deswegen gehindert, weil das Arbeitsgericht keine ordnungsgemäße Nichtabhilfeentscheidung getroffen hat.
12a) Die gerichtliche Verfügung der Vorsitzenden vom 08.04.2021 genügt zwar den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Nichtabhilfeentscheidung nicht, da es sich bei der Entscheidung über die Abhilfe oder Nichtabhilfe um eine erneute Entscheidung in der Sache handelt, die nach § 17a GVG, § 48 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG stets durch einen Beschluss der vollbesetzten Kammer zu treffen ist (BAG, Beschluss vom17. September 2014 – 10 AZB 4/14 –, Rn. 6, juris; LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 07. Dezember 2015 – 3 Ta 21/15 –, Rn. 21, juris).
13b) Das Fehlen einer ordnungsgemäßen Abhilfeentscheidung hindert das Beschwerdegericht jedoch nicht an einer Sachentscheidung. Soweit teilweise vertreten wird, dass wegen der Betroffenheit der Frage des gesetzlichen Richters das Verfahren zur erneuten Entscheidung über die Abhilfe an das Arbeitsgericht zurückverwiesen werden müsse (etwa Schwab/Weth, 5. Aufl. 2018, § 78 ArbGG Rn. 45; LAG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 25. Januar 2007 – 11 Ta 10/07 –, Rn. 7, juris), folgt die Kammer dem nicht. Denn der Sinn des Abhilfeverfahrens nach § 78 Abs. 1 ArbGG, § 572 Abs. 1 S. 1 ZPO besteht darin, dem Ausgangsgericht aus Gründen der Prozessökonomie Gelegenheit zur Selbstkorrektur zu geben. Die ordnungsgemäße Durchführung des Abhilfeverfahrens ist hingegen nicht Verfahrensvoraussetzung für das Beschwerdeverfahren oder für die Beschwerdeentscheidung selbst (LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23. Dezember 2016 – 6 Ta 1797/16 –, Rn. 26, juris; LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 07. Dezember 2015 – 3 Ta 21/15 –, Rn. 23, juris; LAG Hamm, Beschluss vom 08. September 2011 – 2 Ta 738/10 –, Rn. 21, juris). Zwar ist die Durchführung des Abhilfeverfahrens nach § 572 Abs. 1 ZPO grundsätzlich für alle Fälle der sofortigen Beschwerde vorgesehen. Eine Zurückverweisung ist daher gemäß § 78 ArbGG, § 572 Abs. 3 ZPO grundsätzlich auch an das Arbeitsgericht möglich. Dies gilt jedoch nicht im Beschwerdeverfahren nach § 17 a Abs. 4 GVG. Einer solchen Zurückverweisung steht nämlich der das arbeitsgerichtliche Verfahren prägende Beschleunigungsgrundsatz entgegen. Dieser Grundsatz hat in § 68 ArbGG, wonach die Zurückverweisung einer Rechtssache im Berufungsverfahren an das Arbeitsgericht wegen eines Mangels im Verfahren ausgeschlossen ist, eine spezielle Ausgestaltung erfahren. Der in § 68 ArbGG zum Ausdruck kommende Grundgedanke schließt im vorgeschalteten Rechtswegbestimmungsverfahren nach § 17a GVG – in verfassungsrechtlich auch unter dem Gesichtspunkt des gesetzlichen Richters unbedenklicher Weise (vgl. VGH NRW, Beschluss vom 27. April 2021 – 157/20.VB-1 –, zu II. 1 a) cc der Gründe; VGH NRW, Beschluss vom 12. Mai 2020 – 24.20.VB-2 –, Rn. 21, juris) – eine Zurückverweisung aus der Beschwerdeinstanz an das Arbeitsgericht aus. Dieses Verfahren darf nicht durch Zurückverweisungen von zweiter zu erster Instanz verzögert werden (BAG, Beschluss vom 17. September 2014 – 10 AZB 4/14 –, Rn. 11; BAG, Beschluss vom 17. Februar 2003 – 5 AZB 37/02 –, Rn. 17, juris).
142. Die Zulässigkeit des vom Kläger eingeschlagenen Rechtswegs ergibt sich im vorliegenden Fall aus § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b ArbGG iVm. § 5 Abs. 1 Satz 1 ArbGG. Denn der Kläger war bei dem Beklagten zu seiner Berufsausbildung beschäftigt.
15a) Unter „Berufsausbildung“ iSd. § 5 Abs. 1 ArbGG sind nicht nur alle Bereiche der Berufsbildung nach § 1 Abs. 1 BBiG zu verstehen, sondern auch jede auf privatrechtlicher Vereinbarung beruhende Maßnahme zur Vermittlung beruflicher Kenntnisse und Fähigkeiten auf betrieblicher und außerbetrieblicher Ebene, unabhängig davon, ob der Auszubildende eine Vergütung erhält (BAG, Beschluss vom 27. September 2006 - 5 AZB 33/06 -, Rn. 11, juris; Schwab/Weth/ Kliemt, ArbGG,5. Aufl. 2018, § 5 ArbGG, Rn. 150). Vorliegend soll die Maßnahme den Kläger zum Treibfahrzeugführer nach der TfV ausbilden. Dies umfasst nach § 6 Abs. 1 TfV iVm. Anlage 5 bis Anlage 7 TfV die Vermittlung von umfangreichen berufsbezogenen Fertigkeiten und Kenntnissen. So muss der Auszubildende ua. theoretische und praktische Grundkenntnisse der Eisenbahntechnik, einschließlich der Sicherheitsgrundsätze des Eisenbahnbetriebes, erwerben, Anlage 5 Nr. 1 TfV, und Unregelmäßigkeiten und Störungen an der Infrastruktur, wie Signale, Gleise, Oberleitung und Bahnübergänge, erkennen können, Anlage 7 Nr. 5 TfV. Insoweit ist der vorliegende Fall nicht mit der Entscheidung des Landesarbeitsgericht Köln vom 18.01.2019 – 7 Ta 200/17 – zu vergleichen. Die in diesem Verfahren gegenständliche Maßnahme bezweckte primär die Erfassung der vorhandenen beruflichen Kenntnisse und Fertigkeiten sowie der individuellen Ausgangssituation der schwerbehinderten Klägerin, um ihre Vermittlungsfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Die Ausbildung des Klägers diente dagegen nicht bloß einer Bestandsaufnahme und Verbesserung seiner Vermittlungsfähigkeit, sondern sollte ihm zu einer Tätigkeit als Triebfahrzeugführer befähigen und die dafür benötigten Kenntnisse und Fähigkeiten vermitteln.
16b) Der Kläger war bei dem Beklagten zur Berufsausbildung beschäftigt. Dem Tatbestandsmerkmal der „Beschäftigung“ kommt für die Rechtswegbestimmung eigenständige Bedeutung zu. Die Voraussetzung der Beschäftigung stellt den notwendigen Bezug der Parteien eines Berufsausbildungsverhältnisses zum Arbeitsrecht her (Schwab/Weth/Kliemt, 5. Aufl. 2018, § 5 ArbGG, Rn. 151).
17aa) Eine Beschäftigung zur Berufsausbildung liegt vor, wenn der Betroffene aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines Anderen Arbeit leistet. Dies ist regelmäßig anzunehmen, wenn der Auszubildende dem Weisungsrecht des Ausbildenden hinsichtlich des Inhalts, der Zeit und des Ortes der Tätigkeit unterworfen ist (BAG, Beschluss vom 24. September 2002 – 5 AZB 12/02 –, Rn. 57, juris; Landesarbeitsgericht Köln, Beschluss vom 07. November 2019 – 9 Ta 179/19 –, Rn. 15, juris). „Beschäftigte" im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 ArbGG können demnach grundsätzlich auch Auszubildende in berufsbildenden Schulen und sonstigen Berufsbildungseinrichtungen sein. Ausschlaggebend für die Stellung als Beschäftigter sind weder der jeweilige Lernort noch die jeweilige Lehrmethode als solche. Maßgeblich ist stattdessen welche vertraglichen Rechte und Pflichten die Parteien des Ausbildungsvertrages für die Durchführung des Ausbildungsverhältnisses begründet haben (BAG, Beschluss vom 24. Februar 1999 – 5 AZB 10/98 –, juris, Rn. 31).
18bb) Bereits Nr. 6 Satz 2 des von dem Beklagten verwendeten Schulungsvertrages bringt zum Ausdruck, dass nicht lediglich er, der Beklagte, zum Lehren verpflichtet war, sondern dass der Kläger den Lernstoff erarbeiten musste. Zudem war der Kläger nach Nr. 6 des Schulungsvertrages zur Teilnahme an den Unterrichtsstunden verpflichtet. Für jedes Fehlen während des Unterrichts musste er einen schriftlichen Nachweis oder eine Begründung vorlegen. Der Kläger war darüber hinaus gehalten, an den Prüfungen teilzunehmen und die ihm im Rahmen des Seminars aufgetragenen Aufgaben sorgfältig auszuführen. Der Kläger unterlag dabei als Teilnehmer der Maßnahme nach Nr. 6 des Schulungsvertrages einem umfassenden Weisungsrecht des Beklagten. Schließlich war der Beklagte nach Nr. 2 des Schulungsvertrags berechtigt, die Maßnahme aus von ihm nicht zu verantwortenden Umständen abzusagen oder zu verschieben. Der Schulungsvertrag ging damit über ein reines Dienstleistungsverhältnis mit dem Kläger als Dienstberechtigten hinaus und begründete für den Kläger Verhaltenspflichten, die den Nebenpflichten eines Arbeitnehmers zumindest ähnlich waren.
19c) Der Umstand, dass die BG Verkehr die Maßnahme finanzierte, spricht nicht gegen die Einordnung des Klägers als einem zur Berufsausbildung Beschäftigten. Ein wirtschaftliches Interesse des Ausbilders an der Leistung des Auszubildenden ist keine notwendige Voraussetzung der arbeitsgerichtlichen Zuständigkeit. Die Motive der Beteiligten sind für die Frage des Rechtswegs nicht konstitutiv. Eine von dritter Seite finanzierte Berufsbildung schließt die arbeitsgerichtliche Zuständigkeit deswegen nicht stets aus (BAG, Beschluss vom 24. September 2002 – 5 AZB 12/02 –, Rn. 62, GMP/Müller-Glöge, 9. Auflage 2017, § 5 ArbGG, Rn. 22) und hindert dann nicht das Zustandekommen eines Ausbildungsverhältnisses, wenn Einrichtung und Schulungsteilnehmer – wie hier – einen Vertrag schließen (vgl. BAG, Urteil vom 16. Januar 2003 – 6 AZR 325/01 –, juris, Rn. 28).
20III.
21Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Wird ein Verweisungsbeschluss im Beschwerdeweg nach § 17a Abs. 4 GVG angefochten, so ist über die Kosten des Rechtsmittels nach den allgemeinen für die Beschwerde geltenden Grundsätzen zu entscheiden (Zöller/Lückemann, 33. Aufl. 2020, § 17b GVG Rn. 4).
22IV.
23Gegen diesen Beschluss ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.
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