Urteil vom Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern (2. Berufungskammer) - 2 Sa 147/19

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichtes Stralsund vom 14. Mai 2019 (1 Ca 13/19) teilweise abgeändert.

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 20.04.2018 beendet wird.

2. Die Kosten der Berufung trägt die Klägerin.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Arbeitgeberin hat das Arbeitsverhältnis ordentlich gekündigt. Die Parteien streiten im vorliegenden Kündigungsschutzprozess darum, ob bei der Beklagten mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt sind, und dabei auch um die Frage, ob die Beklagte mit einem anderen Unternehmen einen gemeinsamen Betrieb (Gemeinschaftsbetrieb) unterhält.

2

Die Klägerin war bei der Beklagten seit 1. August 2017 als Verkaufsberaterin sowie zur Wartung und Pflege von Fahrrädern eingestellt. Der schriftliche Arbeitsvertrag sieht ein Monatsentgelt in Höhe von 1.800 Euro brutto vor.

3

Im Betrieb der Beklagten kann man Fahrräder kaufen, ausleihen und auch reparieren oder warten lassen. Unter der Marke, unter der die Beklagte im Geschäftsverkehr auftritt, werden durch einen weiteren Unternehmer, Herrn P., gleichartige Leistungen auf dem D. angeboten. Markeninhaber ist eine vom Ehemann der Beklagten geprägte Firma. Der Ehemann der Beklagten bekleidet bei der Beklagten und auch in dem weiteren Unternehmen, das unter der Marke auftritt, die Stellung eines eingesetzten Betriebsleiters. Auf diese Weise betreiben beide Unternehmen insgesamt 10 Stationen in den größeren Ortschaften auf dem D., um den Touristen den Zugang zu dem Geschäft der Beklagten möglichst einfach zu machen. Zu einer Zuordnung der einzelnen Stationen zu den beiden Unternehmen ist von der Beklagten nicht vorgetragen worden.

4

Das Geschäft der Beklagten zielt auf die Touristen, die während der Saison in der Gegend sind, ab. Während der Saison beschäftigt die Beklagte daher deutlich mehr Arbeitnehmer als außerhalb der Saison. Nach den Angaben der Beklagten werden außerhalb der Saison überhaupt keine Arbeitskräfte beschäftigt. Die Arbeitsverhältnisse werden im September bzw. Oktober eines Jahres gekündigt, aufgehoben oder auch nur zum Ruhen gebracht. Im April, spätestens Mai, des Folgejahres werden die Arbeitsverhältnisse dann wieder neu begründet oder reaktiviert.

5

Zum Zeitpunkt der Kündigung in der zweiten Hälfte des Monats April 2018 standen bei der Beklagten nach ihrem eigenen Vortrag jedenfalls bereits wieder sechs Vollzeitkräfte sowie 4 Teilzeitkräfte unter Vertrag. Bei den Teilzeitkräften handelt es sich um F. L. (20 Stunden pro Woche), S. W. (15 Stunden pro Woche), L. B. (20 Stunden pro Woche) und M. N. (30 Stunden pro Woche). Die bei der Beklagten unter Vertrag stehenden Vollzeitkräfte sind von der Beklagten nicht namentlich benannt worden.

6

Nach den Angaben aus dem erstinstanzlichen Schriftsatz der Beklagten vom 18. März 2019 (dort Seite 3, hier Blatt 138) standen bei dem anderen Unternehmer, Herrn P., zu jener Zeit jedenfalls 5 Arbeitnehmer unter Vertrag, nämlich Herr M. P., Herr T. B., Herr P. R., Frau S. B. und Herr F. N. (erstinstanzlicher Schriftsatz der Beklagten vom 18. März 2019 Seite 3, hier Blatt 138).

7

Zweitinstanzlich hat die Klägerin erstmals mit ihrer Berufungsbegründung drei Rund-Mails, die von dem Ehemann der Beklagten versandt wurden und die unter anderem an die Klägerin gerichtet waren, zur Akte gereicht. Die Mails befassen sich allgemein formuliert mit Arbeitsangelegenheiten der Beschäftigten beider Unternehmen, insbesondere mit Fragen des Anlaufens der neuen Saison. Die Mail vom 13. April 2018 richtet sich an 14 Adressaten (Anlage BK 4, hier Blatt 223, es wird Bezug genommen). Die Mail vom 26. März 2018 ist an 17 Adressaten gerichtet (Anlage BK 2, hier Blatt 221, es wird Bezug genommen) und die Mail vom 16. Dezember 2017 ist ausweislich des vorliegenden Ausdrucks an 5 mit Mailadresse benannte Adressaten gerichtet "und an neun weitere" (Anlage BK 1, hier Blatt 220, es wird Bezug genommen). Die Mails waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht. Dabei hat das Gericht deutlich gemacht, dass es davon ausgeht, dass sich die drei Rund-Mails an die Beschäftigten der beiden Unternehmen gerichtet hatten. Dem ist die Beklagte nicht entgegengetreten.

8

Stellvertretend für die Themen aller Mails und die Art und Weise der Ansprache der Beschäftigten beider Unternehmen durch den Ehemann der Beklagten wird hier aus der Mail vom 13. April 2018 wie folgt wörtlich zitiert:

9

"… Obwohl das gemeinschaftliche Schneeschieben nicht unbedingt zu unseren routinemäßigen Aufgaben gehört, habe ich mich sehr gefreut, dass praktisch jeder Mann zum Helfen in C-Stadt erschienen ist. … Nochmals vielen Dank an alle Beteiligten !!! Das war mal richtig gute Teamarbeit, wie man sie sich immer wünschen würde.

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11

Ab Montag beginnt dann die Inventur in B.. Wie gesagt, ich erwarte dazu Eure volle Unterstützung …

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13

Ich möchte dieses mal von Anfang solche Kollegen aussortieren die schon jetzt, nur wenige Tage nach Saisonstart, ganz offen zeigen, dass Ihnen jeder Respekt gegenüber Ihren Kollegen und erst Recht gegenüber der Firma fehlt. Stimmungsmacher die das Betriebsklima stören, werden dieses Jahr ganz schnell aussortiert, notfalls noch schneller als sonst, dass ich das ernst meine, sollten die meisten von euch wissen. !!

14

Ich werde jetzt noch niemanden konkret ansprechen, wenn es unter Euch aber jemanden gibt, der sich jedoch hier bereits angesprochen fühlt, wäre es mir lieber, wenn derjenige ehrlich ist und gleich das Handtuch schmeißt, das wäre einfacher für alle beteiligten."

15

Die Klägerin hatte sich den betrieblichen Gepflogenheiten zur Anpassung des Arbeitsverhältnisses in den Wintermonaten nicht angeschlossen und hatte auf der Erfüllung der Entgeltabrede aus dem Arbeitsvertrag auch außerhalb der Saison bestanden. Da die Beklagte dem jedenfalls für die Monate Dezember 2017 sowie Januar, Februar und März 2018 nicht oder nicht vollständig nachgekommen war, hatte die Klägerin erstinstanzlich auch die fehlende Vergütung für diese Monate eingeklagt, die ihr vom Arbeitsgericht wie beantragt zugesprochen wurde. Dieser Teil des Rechtsstreits ist rechtskräftig abgeschlossen. Während dieser Wintermonate war die Klägerin ab dem 15. März 2018 arbeitsunfähig erkrankt. Die Arbeitsunfähigkeit hat bis zum 31. Mai 2018 angedauert.

16

Zu Beginn der Saison im Jahre 2018, als viele andere Arbeitnehmer bereits wieder eingestellt wurden bzw. die ruhend gestellten Arbeitsverhältnisse wieder aktiviert wurden, hat die Klägerin die hier streitige ordentliche Kündigung vom 20. April 2018, Zugang bei der Klägerin am 25. April 2018, erhalten. Die Kündigung ist zum 31. Mai 2018 ausgesprochen. Diese Kündigung hat die Klägerin mit der vorliegenden Klage, Gerichtseingang am 14. Mai 2018, gerichtlich angegriffen.

17

Das Arbeitsgericht Stralsund hat – soweit für den Berufungsrechtszug von Belang – die Kündigungsschutzklage mit Urteil vom 14. Mai 2019 als unbegründet abgewiesen (1 Ca 13/19). – Auf dieses Urteil wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes vor dem Arbeitsgericht Bezug genommen.

18

Das Arbeitsgericht hat gemeint, es sei der Klägerin nicht gelungen darzulegen, dass bei der Beklagten mehr als 10 Arbeitnehmer im Sinne von § 23 KSchG beschäftigt seien. Denn es reiche nicht aus, die Rufnamen und den Wohnort der Arbeitnehmer zu benennen. Außerdem wäre es erforderlich gewesen, nähere Angaben dazu zu machen, ob diese Personen auch regelmäßig bei der Beklagten beschäftigt seien. Zur Frage, ob die Beklagte mit Herrn P. einen Gemeinschaftsbetrieb unterhält, hat das Gericht keine Feststellungen getroffen.

19

Mit der rechtzeitig eingelegten und fristgerecht begründeten Berufung verfolgt die Klägerin ihr Ziel weiter, die Unwirksamkeit der streitigen Kündigung feststellen zu lassen. Den erstinstanzlich noch gestellten Weiterbeschäftigungsantrag, den das Arbeitsgericht ebenfalls abgewiesen hatte, verfolgt die Klägerin im Berufungsrechtszug nicht weiter.

20

Die Klägerin geht auch im Berufungsrechtszug davon aus, dass bei der Beklagten mehr als 10 Arbeitnehmer im Sinne von § 23 KSchG beschäftigt seien, und kritisiert, das Arbeitsgericht habe sich nicht ausreichend mit dem klägerischen Vortrag zu den bei der Beklagten beschäftigten Arbeitnehmern auseinandergesetzt. Die Klägerin behauptet dazu, man müsse zu den von der Beklagten zugestandenen sechs Vollzeit- und vier Teilzeitarbeitnehmern noch weitere sieben Personen berücksichtigen, die von der Klägerin jedenfalls mit Rufname und Wohnort benannt, von der Beklagten jedoch nicht weiter kommentiert worden seien (wegen der Einzelheiten wird auf Seite 2 der Berufungsbegründung, hier Blatt 216, Bezug genommen).

21

Das Arbeitsgericht habe außerdem fälschlicherweise unberücksichtigt gelassen, dass die beiden Unternehmer – die Beklagte und Herr P. – sich zur gemeinsamen Betriebsführung verbunden hätten. Die geforderte Betriebsführungsvereinbarung könne aufgrund der personellen Identität der Betriebsleiter beider Unternehmen in Person des Ehemanns der Beklagten vermutet werden. Der gezielte und gesteuerte Einsatz des gesamten Personals unter einer einheitlichen Leitungsmacht werde durch die drei Rund-Mails und die weiteren in der Berufungsbegründung angeführten Beweismittel eindrucksvoll dokumentiert.

22

Die streitgegenständliche Kündigung vom 20. April 2018 habe das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht beendet, da ihr die soziale Rechtfertigung im Sinne von § 1 KSchG fehle. Die behaupteten betriebsbedingten Gründe seien vorgeschoben. Eine verhaltensbedingte Kündigung komme nicht in Betracht. Selbst wenn die Klägerin gegen einzelne Pflichten oder Anweisungen verstoßen haben sollte, fehle es jedenfalls an einer vor der Kündigung erforderlichen Abmahnung.

23

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

24

das Urteil des Arbeitsgerichts Stralsund vom 14.05.2019, Az. 1 Ca 13/19, abzuändern, soweit es den Kündigungsschutzantrag abgewiesen hat, und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung vom 20.04.2018 aufgelöst wurde.

25

Die Beklagte beantragt,

26

1. die klägerische Berufung als unzulässig zu verwerfen,

27

2. hilfsweise die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.

28

Die Beklagte hält die Berufung bereits für unzulässig, da sich die Klägerin nicht in ausreichendem Maße mit dem Urteil des Arbeitsgerichts auseinandergesetzt habe. Stattdessen trage sie erstmals im Berufungsrechtszug in Form der drei Rund-Mails und in Form weiterer vergleichbarer Beweismittel neue Umstände vor. Das Berufungsgericht könne und dürfe diesen erweiterten Sachvortrag nicht berücksichtigen. Das ergebe sich schon aus § 67 Absatz 1 ArbGG. Selbst wenn man § 67 Absatz 1 ArbGG nicht als erfüllt ansehe, sei die Berücksichtigung des neuen Sachvortrags jedenfalls aufgrund der weiteren Absätze aus § 67 ArbGG ausgeschlossen.

29

Selbst wenn die Berufung zulässig sein sollte, sei sie jedenfalls nicht begründet. Zutreffend habe das Arbeitsgericht festgestellt, dass auf das Arbeitsverhältnis der Parteien das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung finde. Denn bei der Beklagten stünden nicht mehr als 10 Arbeitnehmer im Sinne von § 23 KSchG unter Vertrag und die Beklagte führe auch keinen gemeinsamen Betrieb mit den Arbeitnehmern, die bei Herrn P. angestellt sind. Denn dazu wäre über den gemeinschaftlichen Einsatz der Betriebsmittel und des Personals hinaus auch eine gemeinsame unternehmerische Geschäftspolitik notwendig, an der es hier fehle (Verweis auf EuGH 27. Februar 2014 – C-110/13).

30

Hilfsweise hält die Beklagte an ihrer Auffassung fest, dass die streitgegenständliche Kündigung als verhaltensbedingte Kündigung sozial gerechtfertigt im Sinne von § 1 KSchG sei. Die Klägerin habe sich geweigert, die ihr übertragenen Arbeiten wie etwa die Führung eines Stundennachweises auszuführen. Aus diesem Grund sei der Beklagten "nichts weiter übrig geblieben", als das Arbeitsverhältnis zu kündigen.

31

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachvortrags der Parteien im Berufungsrechtszug wird auf die überreichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

32

Die klägerische Teilberufung ist zulässig und begründet.

I.

33

Die klägerische Berufung ist zulässig. Die Klägerin setzt sich in ausreichendem Maße mit dem Urteil des Arbeitsgerichts und den vom Arbeitsgericht eingenommenen Standpunkt auseinander.

34

So kritisiert die Klägerin auf Seite 2 ihrer Berufungsbegründung unter Nennung diverser Vornamen und Wohnorte, dass sich das Gericht nur unzureichend mit den von der Klägerin vorgetragenen weiteren Arbeitnehmern der Beklagten auseinandergesetzt habe. Auf Seite 3 der Berufungsbegründung kritisiert die Klägerin, das Arbeitsgericht habe sich nicht ausreichend mit den Indizien für einen gemeinsamen Betrieb auseinandergesetzt, insbesondere habe das Gericht es unterlassen, den bereits erstinstanzlich vorgetragenen Umstand zu würdigen, dass es einheitliche Dienstpläne für die Beschäftigten beider Unternehmen gebe.

II.

35

Die klägerische Berufung ist auch begründet. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet das Kündigungsschutzgesetz aufgrund der Anzahl der beschäftigten Arbeitnehmer (§ 23 KSchG) und aufgrund der mehr als sechsmonatigen Dauer der Zusammenarbeit der Parteien (§ 1 Absatz 1 KSchG) Anwendung. Die streitgegenständliche Kündigung vom 20. April 2018 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht beendet, da die soziale Rechtfertigung dieser Kündigung im Sinne von § 1 KSchG nicht festgestellt werden kann.

36

Dafür kann zu Gunsten der Beklagten ohne nähere Sachprüfung unterstellt werden, dass die Beklagte selbst nicht mehr als 10 Arbeitnehmer im Sinne von § 23 KSchG unter Vertrag hat. Denn die Beklagte und Herr P. führen einen Gemeinschaftsbetrieb, in dem unstreitig mehr als 10 Arbeitnehmer im Sinne von § 23 KSchG beschäftigt sind. Aus dem Umstand, dass diese Arbeitnehmer nicht das ganze Jahr über für die Beklagte oder für Herrn P. tätig sind, ergibt sich nichts Anderes.

1.

37

Ein gemeinsamer Betrieb mehrerer Unternehmen – gelegentlich auch als Gemeinschaftsbetrieb bezeichnet – liegt vor, wenn die in einer Betriebsstätte vorhandenen materiellen und immateriellen Betriebsmittel mehrerer Unternehmen zu arbeitstechnischen Zwecken zusammengefasst, geordnet und gezielt eingesetzt werden und der Einsatz der menschlichen Arbeitskraft von einem einheitlichen Leitungsapparat betriebsbezogen gesteuert wird. Die beteiligten Unternehmen müssen sich zumindest stillschweigend zu einer gemeinsamen Führung rechtlich verbunden haben, so dass der Kern der Arbeitgeberfunktion im sozialen und personellen Bereich von derselben institutionellen Leitung ausgeübt wird (BAG 10. April 2014 – 2 AZR 647/13 – NJW 2014, 3533 = AP Nr. 69 zu § 622 BGB = NZA 2015, 162; BAG 24. Oktober 2013 - 2 AZR 1057/12 - AP Nr. 27 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit = NZA 2014, 725 = DB 2014, 958 jeweils mit weiteren Nachweisen). Diese Voraussetzung trifft nicht schon dann zu, wenn die Unternehmen lediglich unternehmerisch zusammenarbeiten (BAG 10. April 2014 aaO).

2.

38

Die Beklagte und Herr P. führen einen Gemeinschaftsbetrieb im Sinne der vorgenannten Vorgaben des Bundesarbeitsgerichts.

a)

39

Herr P. und die Beklagte setzen ihre Betriebsmittel gezielt zur Erreichung eines gemeinsam verfolgten Betriebszwecks ein. Sie werden im Sinne der Definition der Rechtsprechung zusammengefasst, geordnet und gezielt eingesetzt.

40

Die Betriebsmittel der Beklagten und von Herrn P. bestehen im Kern aus den fachgerecht eingerichteten und ausgestatteten Betriebsräumen, in denen die einzelnen Stationen untergebracht sind, und aus den dort zum Verkauf oder zum Verleih zur Verfügung stehenden Fahrrädern. Eine Zuordnung der einzelnen Stationen zu einem der beiden Unternehmen findet nach Aktenlage nicht statt. Jedenfalls hat die Beklagte nicht vorgetragen, dass sich ihre Betriebsaktivität nur auf bestimmte Stationen bezieht.

41

Diese Betriebsmittel setzen beide Unternehmen zusammengefasst, geordnet und gezielt ein. Das ergibt sich zum einen aus der gemeinsamen Marke, unter der beide Unternehmen auftreten. Das bedingt, dass die einzelnen Stationen, über die das Geschäft beider Unternehmen abgewickelt wird, nach außen für den Kunden einheitlich wirken müssen. Die angebotenen Dienstleistungen müssen gleich oder jedenfalls vergleichbar sein. Die Beklagte und Herr P. werben zudem im Internetauftritt, der von der Werbegemeinschaft, die durch den Ehemann der Beklagten geprägt wird, betrieben wird, damit, dass man ausgeliehene Fahrräder an beliebigen Stationen wieder abgeben könne, was ebenfalls einen zusammengefassten, geordneten und gezielten gemeinsamen Einsatz der Betriebsmittel erfordert.

b)

42

Die Betriebsmittel sind zwar örtlich nicht in einer Betriebsstätte zusammengefasst. Das steht der Feststellung eines Gemeinschaftsbetriebes allerdings nicht zwingend entgegen, da die Zusammenfassung der gemeinsam eingesetzten Betriebsmittel in einer Betriebsstätte lediglich eine hinreichende, nicht aber eine notwendige Voraussetzung für die Feststellung des Gemeinschaftsbetriebes ist. Ein Gemeinschaftsbetrieb kann sich auch über mehrere Betriebsstätten erstrecken.

43

Der Begriff der Betriebsstätte wird bei der Definition des Gemeinschaftsbetriebes durch das Bundesarbeitsgericht nicht als definierter juristischer Fachbegriff verwendet, sondern als Begriff der Umgangssprache, mit dem lediglich der Ort bezeichnet wird, an dem sich das betriebliche Geschehen abspielt. Das kann man schon daran erkennen, dass das Bundesarbeitsgericht in keiner seiner Entscheidungen je versucht hat, den Begriff der Betriebsstätte als juristischen Fachbegriff näher zu definieren. Mit Hilfe des Begriffs der Betriebsstätte wird vielmehr nur das Bezugsobjekt bezeichnet, das nach den weiteren Elementen der Definition daraufhin untersucht wird, ob in der Betriebsstätte ein Gemeinschaftsbetrieb verwirklicht wird. Dieser Sinnzusammenhang macht deutlich, dass die Feststellung eines Gemeinschaftsbetriebes im Zweifel nicht daran scheitern kann, dass die Unternehmen, die sich zum gemeinschaftlichen Einsatz ihres Personals und ihrer Betriebsmittel entschlossen haben, das gemeinschaftlich organisierte Geschehen auf mehrere Orte bzw. Betriebsstätten erstrecken.

c)

44

Im Weiteren ist festzustellen, dass auch der Einsatz der menschlichen Arbeitskraft von einem einheitlichen Leitungsapparat betriebsbezogen gesteuert wird.

45

Der einheitliche Leitungsapparat wird vorliegend durch den Ehemann der Beklagten repräsentiert, der in beiden Unternehmen als Betriebsleiter eingesetzt ist. Der Ehemann übt die Leitungsmacht allein und ohne Hilfe weiteren Führungspersonals aus. Daher reicht es für die Feststellung des einheitlichen Leitungsapparats aus, auf die Stellung des Ehemanns der Beklagten hinzuweisen.

46

Der Ehemann der Beklagten setzt das Personal auch gezielt und systematisch arbeitgeberübergreifend ein. Denn zum einen hat die Beklagte nie geltend gemacht, dass die Arbeitnehmer, die bei ihr unter Vertrag stehen, im Regelfall oder durchgehend nur an bestimmten – ihrem Unternehmen zugeordneten – Stationen eingesetzt werden. Daraus muss das Gericht den Schluss ziehen, dass die Arbeitnehmer, die bei der Beklagten unter Vertrag stehen, an allen 10 Stationen zum Einsatz kommen (können). Dem entspricht auch die gemeinsame Ansprache der gesamten Belegschaft durch die Rund-Mails, die der Ehemann der Beklagten zur Leitung des Personals beider Unternehmen einsetzt. Im Übrigen ergibt sich aus den drei Rund-Mails, die die Klägerin als Beispiele eingereicht hat, dass das Personal bei Aufgaben, die über den operativen Betrieb hinausgehen, ebenfalls arbeitgeberübergreifend eingesetzt werden (Schneeschieben und Inventur in der Mail vom 13. April 2018, Räumen der Betriebsräume in der D.passage aus der Mail vom 16. Dezember 2017, hier Blatt 220).

47

Damit steht fest, dass die Arbeitnehmer, die bei der Beklagten unter Vertrag stehen, im regelmäßigen Betrieb Seite an Seite mit Arbeitnehmern des Herrn P. eingesetzt werden. Damit ist der für den Gemeinschaftsbetrieb notwendige einheitliche betriebsbezogene Personaleinsatz ausreichend belegt.

d)

48

Auch die Führungsvereinbarung der beiden beteiligten Unternehmen ist ausreichend belegt. Die beteiligten Unternehmen müssen sich zumindest stillschweigend zu einer gemeinsamen Führung rechtlich verbunden haben, so dass der Kern der Arbeitgeberfunktion im sozialen und personellen Bereich von derselben institutionellen Leitung ausgeübt wird.

49

Der Kern der Arbeitgeberangelegenheiten im sozialen und personellen Bereich wird vorliegend durch den Ehemann der Beklagten unternehmensübergreifend durch seine Stellung als Betriebsleiter in beiden Unternehmen einheitlich ausgeübt. Das ist zwischen den Parteien im Berufungsrechtszug sogar unstreitig geworden und bedarf daher hier keiner weiteren Begründung.

50

Aus der personellen Identität der Leitungsmacht in beiden Unternehmen und aus dem gemeinsamen Einsatz der Betriebsmittel beider Unternehmen kann auch auf die Führungsvereinbarung der beteiligten Unternehmen geschlossen werden (§ 1 Absatz 2 Nr. 1 BetrVG). Die positive Feststellung der Führungsvereinbarung im Sinne einer rechtsgeschäftlichen Vereinbarung ist somit entbehrlich.

e)

51

Die Beklagte meint, zur Feststellung des Gemeinschaftsbetriebes bedürfe es zusätzlich noch einer weiteren Feststellung. In der Berufungserwiderung führt die Beklagte insoweit aus, vorliegend könne man keinen Gemeinschaftsbetrieb feststellen, da sich die beiden Unternehmen nicht zu einer gemeinsamen Führung ihrer Unternehmen verständigt hätten. Die Gemeinschaftlichkeit beschränke sich vielmehr auf die einheitliche Führung des Personals (dort Seite 12 f, hier Blatt 240 f).

52

Die Vorstellung, ein Gemeinschaftsbetrieb könne nur vorliegen, wenn sich die beteiligten Unternehmen auch auf eine einheitliche Unternehmensführung verständigt hätten, findet in der Rechtsprechung keine Stütze. Sie wird vom Landesarbeitsgericht nicht geteilt.

53

Wie die Beklagte selbst einräumt, ist die von ihr zum Beleg angeführte Entscheidung des Gerichtshofs (EuGH 27. Februar 2014 – C-110/13) in einer steuerrechtlichen Angelegenheit und nicht in einer arbeitsrechtlichen Angelegenheit ergangen. Wie sich aus der Nachfolgeentscheidung des Bundesfinanzhofs dazu (BFH 3. Juli 2014 – III R 30/11 – BFHE 246, 477) ergibt, ging es um die Frage, ob die steuerlichen Vorteile für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) auch dann noch gelten, wenn sich mehrere natürliche Personen, die für sich allein betrachtet als KMU zu bewerten wären, zu einer gemeinsam handelnden (Unternehmens-)Gruppe verbinden.

54

Weder die Entscheidung des Gerichtshofs noch die des Bundesfinanzhofs spielt im vorliegenden Zusammenhang eine Rolle. Beide Gerichte untersuchen und bewerten Formen der unternehmerischen Zusammenarbeit. Für die Feststellung eines Gemeinschaftsbetriebes kommt es allerdings nur darauf an, ob es auf der betrieblichen Ebene zu einer Kooperation auf Basis einer rechtsgeschäftlichen Führungsvereinbarung gekommen ist. Es reicht aus, wenn – wie oben ausgeführt – eine auf den gemeinsamen Einsatz der Betriebsmittel und des Personals beschränkte Kooperation festgestellt werden kann. Eine weitergehende Kooperation hinsichtlich der sonstigen unternehmerischen Ziele ist gerade nicht gefordert.

3.

55

Das Berufungsgericht ist auch nicht in der Lage, die erstmals im Berufungsrechtszug von der Klägerin vorgetragenen Umstände (insbesondere die Rund-Mails des Ehemanns der Beklagten) bei seiner Entscheidung außer Ansatz zu lassen. Die Voraussetzungen der sogenannten Präklusion liegen für keinen der in § 67 ArbGG geregelten Fälle vor.

56

Ein Fall von § 67 Absatz 1 ArbGG liegt nicht vor. Danach darf Sachvortrag vom Berufungsgericht nicht bei der Entscheidungsfindung verwertet werden, wenn dieser Sachvortrag bereits in erster Instanz geleistet wurde, er dort jedoch vom Arbeitsgericht ausdrücklich wegen Eingreifens von Verspätungsvorschriften zurückgewiesen wurde. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Das Arbeitsgericht hat ausweislich seines Urteils keinen einzigen von der Klägerin vorgetragenen Umstand wegen Eingreifens von gerichtlich gesetzten Ausschlussfristen zurückgewiesen.

57

Die weiteren Verspätungsvorschriften aus § 67 ArbGG können schon deshalb nicht eingreifen, da sie nur auf streitig gebliebenen Sachvortrag angewendet werden können. Da die Existenz und die Urheberschaft der als Beispiele zur Akte gereichten Rund-Mails unstreitig ist, besteht für das Gericht keine Möglichkeit, diesen Tatsachenvortrag zu ignorieren. Denn unstreitiger Sachvortrag kann die Entscheidung des Rechtsstreits nicht verzögern. Das zeigt auch der vorliegende Fall. Die Entscheidung des Berufungsgerichts hätte nicht schneller oder früher ergehen können, wenn die Klägerin den Sachvortrag, der ihre Rechtsbehauptung des Gemeinschaftsbetriebes belegt, nicht geleistet hätte. Der Rechtsstreit ist im normalen Rhythmus terminiert und entschieden worden.

4.

58

Geht man wie vorstehend begründet davon aus, dass die Beklagte und Herr P. ihre Betriebsmittel und ihr Personal gemeinschaftlich einsetzen, findet auf das vorliegende Arbeitsverhältnis das Kündigungsschutzgesetz auch nach der Anzahl der dort beschäftigten Arbeitnehmer im Sinne von § 23 KSchG Anwendung.

a)

59

Nach dem eigenen Vortrag der Beklagten hat sie zum Zeitpunkt der Kündigung in der zweiten Hälfte des April 2018 sechs Arbeitnehmer in Vollzeit beschäftigt und vier Arbeitnehmer in Teilzeit. Nach der Staffel aus § 23 KSchG gehen die vier Teilzeitkräfte mit 2,25 Zähleinheiten in die Berechnung ein, so dass die Beklagte im Sinne von § 23 KSchG seinerzeit rechnerisch 8,25 Vollzeitkräfte beschäftigt hatte. Da die Arbeitnehmer der Beklagten in einem Gemeinschaftsbetrieb eingesetzt werden, müssen dem die bei Herrn P. unter Vertrag stehenden fünf Beschäftigten hinzugerechnet werden. Damit waren in dem Gemeinschaftsbetrieb seinerzeit rechnerisch 13,25 Vollzeitkräfte beschäftigt, was zur Anwendung des Ersten Abschnitts des Kündigungsschutzgesetzes führt.

60

Bei dieser Berechnung hat das Gericht die bei Herrn P. unter Vertrag stehenden Arbeitnehmer alle als Vollzeitkräfte angesehen. Dazu ist das Gericht berechtigt, denn die Beklagte hat keine Hinweise darauf gegeben, ob die bei Herrn P. beschäftigten Arbeitnehmer in Teilzeit arbeiten. Da die Klägerin keine Möglichkeit hat, dazu näher vorzutragen, wäre es an der Beklagten gewesen dazu weitere Einzelheiten vorzutragen.

61

Dies gilt jedenfalls im vorliegenden Einzelfall, da die Beklagte und Herr P. ihre Arbeitnehmer, was aus der Rund-Mail vom 16. Dezember 2017 (Anlage BK 1, hier Blatt 220, wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen) mit hinreichender Deutlichkeit hervorgeht, offensichtlich gelegentlich auch außerhalb der Saison, während sie arbeitslos gemeldet sind, beschäftigt. Wörtlich heißt es in dieser Mail:

62

"… [Die Beklagte] und ich werden Euch über die Feiertage die neuen Arbeitsverträge zukommen lassen. Bitte sendet uns spätestens zum 15. Januar ein Exemplar sowie die dazugehörigen anlagen zurück.

63

Bei den meisten von Euch wird als Arbeitsbeginn ein Datum zwischen dem 1. und 15. April eingetragen sein. Dies geschieht aber nur zur Sicherheit, da das Osterwochenende und die Ferien drum herum schon wieder so früh fallen und wir im Extremfall keine Lust haben, bei 20 Zentimetern Schnee schon wieder an die gesamte Mannschaft Löhne zahlen zu müssen.

64

Bei passendem Wetter werden die meisten von Euch sicher schon in der zweiten Märzhälfte angefordert, worüber das Arbeitsamt, im Gegensatz zu einer Verschiebung nach hinten, nicht böse sein wird.

65

66

Zuletzt noch eine Bitte:

67

Bezüglich der Räumung des OG's in der D.-Passage gibt es ein paar Veränderungen … Bei einer kompletten Räumung müsste dies am 29., Dezember geschehen. Eine Teilräumung müssten wir spätestens am 04. Januar realisieren. Ich würde mich freuen, wenn ihr diese beiden Termine schon mal vorsorglich vormerkt und hoffentlich zahlreich zur Unterstützung erscheint, auch wenn ich wahrscheinlich erst ein zwei Tage davor den genauen Termin bekannt geben kann.

68

Wenn jemand nicht mit helfen kann ist das natürlich nicht weiter schlimm, da es natürlich wie immer absolut freiwillig ist. Derjenige hätte sogar noch den Vorteil, dass ich ihm stattdessen beim sparen helfen würde. Er kann nämlich das Briefporto sparen, da er mir erst gar kein Exemplar seines Arbeitsvertrages zurückschicken braucht. Wie gesagt, absolut freiwillig !!

69

…"

70

Da die angesprochenen zukünftigen Arbeitnehmer in jener Zeit nicht vergütet werden, muss es einen Ausgleich über ein Stundenkonto geben. Da die Klägerin keine Einsicht in die Stundenkonten hat, sind die ihr zumutbaren und möglichen Beobachtungen über Art und Umfang der Beschäftigung ihrer Kollegen und Kolleginnen für die notwendige gerichtliche Feststellung der Anzahl der Arbeitnehmer im Sinne von § 23 KSchG nahezu wertlos. Die einzige Person, die für Aufklärung sorgen kann, ist die Beklagte. Will sie substantiiert zu den klägerischen Behauptungen Stellung nehmen, muss sie daher auch mitteilen, ob die Arbeitnehmer bei Herrn P. in Voll- oder in Teilzeit beschäftigt sind. Wenn sie dazu nichts vorträgt, geht das Gericht von dem Regelfall der Vollzeitbeschäftigung aus.

b)

71

Die Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes kann auch nicht mit dem Hinweis abgewendet werden, dass die Beklagte einen Saisonbetrieb betreibe, oder dass die unter Vertrag stehenden Arbeitnehmer lediglich als Aushilfskräfte anzusehen sind.

72

Die Beklagte betreibt keinen Saisonbetrieb. Von einem Saisonbetrieb, einem Begriff aus § 22 KSchG, spricht man, wenn ein Betrieb mit einer Grundkapazität durchgehend unterhalten wird und sich im Jahresverlauf einzelne Zeiten ergeben, die eine erhöhte Betriebskapazität erfordern. Als Beispiele werden gerne Betriebe der Süßwarenindustrie angeführt, die ihre Kapazitäten im Vorlauf zu Ostern und Weihnachten vorübergehend hochfahren. Für Saisonbetreibe wird auf die Anzahl der außerhalb der Saison regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer abgestellt. Die Beklagte betreibt allerdings keinen Saisonbetrieb, da außerhalb der Saison der Betrieb gänzlich eingestellt ist.

73

Der vollständige Stillstand des regulären Betriebes außerhalb der Saison ist ein Kennzeichen der sogenannten Kampagne-Betriebe, ein Begriff, der ebenfalls in § 22 KSchG verwendet wird. Als Beispiel für einen Kampagne-Betrieb wird gern die Zuckerrübenfabrik angeführt, die nur während der Erntesaison betrieben wird und in der übrigen Zeit geschlossen bleibt. Im Kampagne-Betrieb wird für die Anwendung von § 23 KSchG auf die Belegschaftsstärke während der Kampagne bzw. während der Saison abgestellt (BAG 16. November 2004 – 1 AZR 642/03 – AP Nr. 58 zu § 111 BetrVG 1972 = ZIP 2005, 500). Wenn man die Beklagte als Kampagne-Betrieb ansehen würde, würde man also ebenfalls zur Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes kommen.

74

Außerhalb der betrieblichen Sonderformen Saison- oder Kampagne-Betrieb könnte man die Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes möglicherweise noch damit abwenden, dass man alle oder jedenfalls eine ausreichende Anzahl der Arbeitnehmer der Beklagten und des Herrn P. als Aushilfskräfte einstuft. Aushilfskräfte werden bei der Bemessung der Anzahl der Arbeitnehmer nicht berücksichtigt, denn für § 23 KSchG kommt es auf die regelmäßige Anzahl der Arbeitnehmer an, wozu Aushilfskräfte nicht gerechnet werden.

75

Auf diesen Gedanken kann sich die Beklagte hier nicht stützen, da eine dahingehende Feststellung nicht möglich ist. Aushilfskräfte sind vorübergehend beschäftigte Arbeitnehmer, die zur Abdeckung eines Vertretungsbedarfs oder wegen eines vorübergehenden Mehranfalls von Arbeit eingestellt werden, Es ist nicht ersichtlich, dass die bei der Beklagten oder bei Herrn P. unter Vertrag stehenden Arbeitnehmer lediglich zur Aushilfe eingestellt sind. Nach allem was in dem Rechtsstreit über das Geschäftsgebaren der Beklagten bekannt geworden ist, werden die zum Kündigungszeitpunkt beschäftigten Arbeitnehmer benötigt, um den Regelbetrieb aufrecht zu erhalten. Das ergibt sich schon aus der Anzahl der betriebenen Stationen und aus deren Öffnungszeiten (9 bis 18 Uhr). Teilweise sind die Stationen sogar an Samstagen und an Sonntagen besetzt. Das geht mit hinreichender Sicherheit aus den Ausdrucken zu dem Internetauftritt der Marke, unter der die Beklagte das Geschäft betreibt, hervor (erstinstanzlich eingereichte Anlage K 6, hier Blatt 107 ff).

76

Im Übrigen hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass Arbeitnehmer, die regelmäßig mindestens sechs Monate im Jahr beschäftigt sind, nicht mehr als Aushilfskräfte gewertet werden können (BAG 12. Oktober 1976 – 1 ABR 1/76 – AP Nr. 1 zu § 8 BetrVG 1972 = DB 1977, 356). Zwischen den Parteien steht nicht in Streit, dass die Arbeitsverhältnisse jeweils zum Ende der Saison im September und Oktober eines Jahres nach und nach beendet werden, um dann zu Beginn der neuen Saison ab April bzw. Mai des Folgejahres wieder nach und nach aufgenommen zu werden. Daraus ergibt sich eine mittlere regelmäßige Verweildauer im Arbeitsverhältnis von mindestens sechs Monaten. Für eine gegenteilige Feststellung fehlt es an geeignetem Parteivortrag.

5.

77

Die streitgegenständliche Kündigung hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht beendet, da ihre soziale Rechtfertigung im Sinne von § 1 KSchG nicht festgestellt werden kann.

78

In der Kündigung vom 20. April 2018 ist von betriebsbedingten Gründen für die Kündigung die Rede. Die Voraussetzungen für eine sozial gerechtfertigte betriebsbedingte Kündigung liegen allerdings offensichtlich nicht vor. Es fehlt bereits an einer belastbaren Darstellung des Wegfalls des Arbeitsplatzes.

79

Tatsächlich wollte die Beklagte ausweislich des Kündigungstextes eigentlich auch eine personenbedingte Kündigung in Form der krankheitsbedingten Kündigung aussprechen. Das geht mit hinreichender Sicherheit aus dem dort wiedergegebenen Argument hervor, dass es den Kollegen der Klägerin nicht länger zumutbar sei, auf unabsehbare Dauer durch Überstunden den Ausfall der seinerzeit erkrankten Klägerin auszugleichen. Das Gericht ist allerdings nicht in der Lage, die soziale Rechtfertigung der Kündigung als krankheitsbedingte Kündigung festzustellen. Es fehlt bereits an einem ausreichend langen in der Vergangenheit liegenden Referenzzeitraum mit so erheblichen Ausfallzeiten, dass daraus eine negative Zukunftsprognose abgeleitet werden kann.

80

Die streitgegenständliche Kündigung ist auch als verhaltensbedingte Kündigung nicht sozial gerechtfertigt. Dafür kann sogar zu Gunsten der Beklagten ungeprüft unterstellt werden, dass sich die Klägerin dadurch pflichtwidrig verhalten hat, dass sie die ihr überlassenen Stundenzettel nicht oder jedenfalls nicht wie gefordert tagesaktuell ausgefüllt hat. Denn auch die verhaltensbedingte Kündigung ist keine Sanktion für Pflichtverletzungen in der Vergangenheit. Sie kann nur gerechtfertigt sein, wenn bei einem Blick in die Zukunft damit zu rechnen ist, dass sich die Pflichtwidrigkeiten wiederholen. Da kein Mensch in die Zukunft blicken kann, braucht man für die notwendige Prognose stabile Indizien. In diesem Sinne kann man im Regelfall nur dann von einer negativen Prognose ausgehen, wenn ein Fehlverhalten trotz einschlägiger und ordnungsgemäßer Abmahnung in der Folgezeit abermals auftritt. Danach kann die Kündigung auch nicht als verhaltensbedingte Kündigung sozial gerechtfertigt sein, da die Beklagte nicht vorgetragen hat, dass sie das Verhalten, das sie der Klägerin vorwirft, zuvor abgemahnt hat.

III.

81

Die Klägerin hat die Kosten der Berufung zu tragen. Das von ihr eingelegte Rechtsmittel der Berufung ist zwar erfolgreich, was im Regelfall zur Folge hat, dass der Berufungsgegner die Kosten zu tragen hat (§ 91 ZPO). Da der Erfolg der Berufung hier allerdings darauf beruht, dass die Klägerin erstmals im Berufungsrechtszug die drei Rund-Mails vorgelegt hat, die es dem Gericht erstmals ermöglicht haben, auf einen gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen zu schließen, obwohl diese Dokumente und der dazugehörende Parteivortrag bereits in erster Instanz hätten eingebracht werden können, muss die Klägerin nach § 97 Absatz 2 ArbGG dennoch die Kosten der Berufung tragen.

82

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision aus § 72 ArbGG sind nicht erfüllt.

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