Urteil vom Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern (2. Kammer) - 2 Sa 83/20

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stralsund – Kammern Neubrandenburg - vom 05.02.2020 zum Aktenzeichen 11 Ca 272/19 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um tarifliche Zuschläge für nachts im Zeitraum von 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr geleistete Arbeit nach dem Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der obst- und gemüseverarbeitenden Industrie in Mecklenburg-Vorpommern vom 02.06.2009 (im Folgenden: MTV).

2

Der Kläger ist bei der Beklagten als Produktionsmitarbeiter in deren Betrieb in S., in welchem Kartoffelprodukte und Snackpots hergestellt werden, beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft beiderseitiger Tarifbindung der MTV Anwendung. Dieser lautet Auszugsweise:

3

„...

4

§ 3 Arbeitszeit

5

(3) Zusätzliche Regelungen zur Arbeitszeit

6

a) ...
b) In Betrieben, in denen im Zwei- bzw. Drei-Schicht-System gearbeitet wird, muss den Arbeitnehmern, die aus betrieblichen Gründen wegen des Fortgangs der Arbeitszeit die festgesetzten Pausenzeiten nicht wahrnehmen können, eine bezahlte Essenspause von 30 Minuten innerhalb der Arbeitszeit gewährt werden.

7

§ 4 Schichtfreizeit

8

Arbeitnehmer, die ständig im Drei-Schicht-Wechsel arbeiten, erhalten für je 25 geleistete Nachtschichten in diesem System eine Freischicht.

9

Arbeitnehmer, die im Zwei-Schicht-Wechsel arbeiten, erhalten nach diesem System für je 60 geleistete Spätschichten eine Freischicht.

10

Wechselschichtarbeit liegt vor, wenn ein regelmäßiger Wechsel des Schichtbeginns und damit der zeitlichen Lage der Schicht erfolgt und die Spätschicht mindestens bis 22 Uhr dauert.

11

§ 5 Mehr-, Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit

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(1) Begriffsbestimmung

13

Zuschlagspflichtige Mehrarbeit ist die über die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit (§ 3 Abs. 1 MTV) hinausgehende Arbeitszeit.
...
Nachtarbeit ist die in der Zeit von 22 Uhr bis 6 Uhr geleistete Arbeit.
...

14

(2) Zuschläge

15

Für Mehr-, Nacht-, Schichtarbeit sowie Sonn- und Feiertagsarbeit sind folgende Zuschläge zu zahlen:

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- Mehrarbeit (§ 5 Abs. 1 MTV)

25 Prozent

- Nachtarbeit außerhalb von Schichtarbeit

50 Prozent

- Schichtarbeit während der Nachtzeit (22 Uhr – 6 Uhr)

25 Prozent

- Sonntagsarbeit

50 Prozent

- Arbeit an gesetzlichen Feiertagen

160 Prozent

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(3) Berechnung der Zuschläge

18

...
Beim Zusammentreffen mehrerer Zuschläge ist nur der jeweils höhere zu zahlen. Hiervon ausgenommen ist der Zuschlag für Nachtarbeit außerhalb eines Zwei- bzw. Drei-Schicht-Wechsels, dieser tritt jeweils zu den anderen Zuschlägen hinzu. ...

§ 12

19

Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis sind innerhalb einer Frist von drei Monaten seit ihrer Entstehung schriftlich gegenüber dem Arbeitgeber geltend zu machen. Nach Ablauf der Frist ist die Geltendmachung von Ansprüchen ausgeschlossen.

20

Die Ausschlussfrist für Ansprüche aus diesem Tarifvertrag läuft nur, wenn der Arbeitgeber den Tarifvertrag an geeigneter Stelle im Betrieb bekannt gemacht hat (§ 8 TVG).“

21

Mit der Beklagten am 14.08.2019 zugestellter Klage macht der Kläger Differenzzuschläge in Höhe von 25 Prozent wegen Nachtarbeit für den Zeitraum Januar 2019 bis April 2019 geltend mit der Begründung, nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 21.03.2018 zum Aktenzeichen 10 AZR 34/17 sei eine unterschiedlich hohe Vergütung von Nachtarbeit gleichheitswidrig, weil Nachtarbeit innerhalb von Schichtarbeit und außerhalb von Schichtarbeit grundsätzlich gesundheitsschädlich sei und eine Differenzierung keine Rechtfertigung finde. Infolge Unwirksamkeit der gleichheitswidrigen tariflichen Regelung sei der höhere Zuschlag zu zahlen. Deshalb habe die Beklagte zu den bisherigen Zahlungen von 25 Prozent weitere 25 Prozent zu entrichten. Für Januar 2019 handele es sich für 32 Stunden um 119,76 €, für Februar 2019 für 56 Stunden um 209,58 €, für März 2019 für 40 Stunden um 154,50 €, für April 2019 für 64 Stunden um 247,20 €.

22

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die im MTV enthaltene deutliche Abstufung zwischen allgemeiner Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit stimme nicht mit den gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen über die menschengerechte Gestaltung der Arbeit überein und beruhe auf der Fehleinschätzung, ein Arbeitnehmer in Schichtarbeit könne sich leichter auf die mit der Nachtarbeit verbundenen Erschwernisse einstellen. Sie überschreite das Maß arbeitswissenschaftlich begründbarer Typisierung, weil sie nicht nur in atypischen Sonderfällen, sondern im Regelfall zu einer unverhältnismäßigen Benachteiligung führe. Bei dem durchzuführenden Vergleich seien allein die Nachtzuschläge zu beurteilen. Anderweitige tarifliche Leistungen hätten außer Betracht zu bleiben. Dies gelte insbesondere für die Schichtfreizeit nach § 4 MTV. Es komme auch nicht darauf an, ob im Betrieb der Beklagten eine Vergleichsgruppe konkret vorhanden sei, sondern, weil auf die generellen Auswirkungen der Regelungen abzustellen sei, ob es im Betrieb potenzielle Normadressaten gäbe. Zweck der Zuschläge sei es, die mit Nachtarbeit üblicherweise verbundenen gesundheitlichen und sozialen Nachteile auszugleichen, die unabhängig davon seien, ob die Nachtarbeit im Rahmen von Schichtarbeit oder aber außerhalb eines Schichtsystems erfolge. Der Zweck, unregelmäßige Nachtarbeit „zu verteuern“ möge für die Tarifvertragsparteien Nebenaspekt gewesen sein, rechtfertige jedoch nicht eine gleichheitswidrige Schlechterstellung von bestimmten Arbeitnehmern.

23

Der Kläger hat behauptet, er habe ab Dezember 2018 die Differenz zum 50prozentigen Zuschlag außergerichtlich geltend gemacht.

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Der Kläger hat beantragt:

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Die Beklagte wird verurteil, an den Kläger 727,18 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung zu zahlen.

26

Die Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

28

Die Beklagte hat den erhobenen Zahlungsanspruch unter Hinweis auf das Gutachten E./C. (Bl. 13 ff. d. A.) geleugnet und argumentiert, eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung liege nicht vor. Es fehle bereits an der erforderlichen Gruppenbildung. In diesem Zusammenhang sei zu berücksichtigen, dass in ihrem Betrieb im exemplarischen Zeitraum Januar bis einschließlich Juli 2019 insgesamt nur 15,75 Stunden mit unregelmäßiger Nachtarbeit und einem Zuschlag von 50 Prozent geleistet worden seien. Dem stünden mehr als 28628 Stunden gegenüber, in denen die Mitarbeiter Nachtschichtarbeit mit einem Zuschlag von 25 Prozent geleistet hätten. Die ausgezahlten höheren Nachtarbeitszuschläge bewegten sich damit im Promillebereich (0,05 Prozent). Nachtarbeit außerhalb des Schichtbetriebes sei die absolute Ausnahme. Aus diesem Grunde könne schon nicht von einer für die Feststellung einer Ungleichbehandlung notwendigen Gruppenbildung gesprochen werden. Ein Vergleich mit anderen Werken im Geltungsbereich des MTV zeichne das gleiche Bild. Die vom Bundesarbeitsgericht im Urteil vom 21.03.2018 zur Bewertung der dort maßgeblichen tariflichen Regelungen angeführten Gründe, könnten vorliegend die klägerische Forderung nicht stützen, weil die Tarifvertragsparteien des hier maßgeblichen MTV den ihnen zustehenden Gestaltungsspielraum nicht überschritten hätten. Die maßgeblichen tariflichen Regelungen seien nicht vergleichbar. Zu berücksichtigen sei insbesondere die in § 4 MTV für je 25 geleistete Nachtschichten vorgesehene Schichtfreizeit von einem Tag, einem rechnerischen Freizeitzuschlag von vier Prozent. Wobei allerdings eine Freizeitgewährung gesundheitliche Belastungen eher ausgleiche als eine Vergütung. Hinzu komme die bezahlte Pause nach § 3 Ziffer (3) b) MTV. Tatsächlich erhielten Beschäftigte, die Schichtarbeit leisten, neben dem Zuschlag von 25 Prozent einen Schichtzuschlag von vier Prozent für bezahlte Freischichten und 6,41 Prozent für bezahlte Pausen, insgesamt also einen Zuschlag für die Nachtschicht in Höhe von 35,41 Prozent. Auch steuerliche Auswirkungen müssten bei einer Bewertung Berücksichtigung finden.

29

Ein höherer Zuschlag für Nachtarbeit „außerhalb von Schichtarbeit“ solle nicht nur die Erschwernis für die Arbeit in der Nacht ausgleichen, sondern darüber hinaus die Einbuße der Dispositionsmöglichkeit über die Freizeit entlohnen und Arbeitgeber von Eingriffen in den geschützten Freizeitbereich der Arbeitnehmer abhalten. Es sei nicht Aufgabe der Arbeitsgerichte zu prüfen, ob die Tarifvertragsparteien damit die zweckmäßigste, vernünftigste und gerechteste Lösung gefunden hätten. Ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz liege nicht vor. Die Tarifvertragsparteien hätten in Ausgestaltung ihrer Tarifautonomie eine sachgerechte Gruppenbildung vorgenommen und in nicht zu beanstandender Weise Differenzierungskriterien aufgestellt, um die verschiedenen Arten der Nachtarbeit angemessen zu behandeln. Die dabei aufgestellten Differenzierungskriterien seien vor dem Hintergrund ihrer Zwecksetzung nicht zu beanstanden. Für beide Gruppen hätten die Tarifvertragsparteien den Zweck verfolgt, die mit der Nachtarbeit verbundenen Erschwernisse, insbesondere höhere gesundheitliche Belastungen auszugleichen. Unregelmäßige Nachtarbeit habe zudem verteuert werden sollen, um dadurch eine Reduzierung zu bewirken, weil es sich nahezu ausnahmslos um Mehrarbeit handele. Auch sei danach unterschieden worden, ob eine regelmäßige Belastung des Arbeitnehmers auftrete, die er bei Eingehung und Durchführung des Arbeitsverhältnisses voraussehen könne, oder ob es sich um ein unregelmäßiges Arbeiten in der Nacht handelt.

30

Aber selbst bei unterstellter Gleichheitswidrigkeit sei keine „Anpassung nach oben“ möglich. Eine tarifliche Regelungslücke könnte nur dann durch die Gerichte geschlossen werden, wenn für diese feststünde, was die Tarifvertragsparteien vereinbart hätten, wenn ihnen die Lückenhaftigkeit des Tarifvertrages bekannt und bewusst gewesen wäre. Die Annahme, die Tarifvertragsparteien hätten einen höheren Zuschlag in Höhe von 50 Prozent zahlen wollen, sei fernliegend und argumentativ nicht begründbar.

31

Schließlich hat sich die Beklagte unter Hinweis auf die tariflichen Ausschlussfristen auf einen Verfall etwaiger klägerischer Zahlungsansprüche bezogen und bestritten, dass für die im vorliegenden Verfahren erhobenen Zahlungsansprüche eine fristgerechte Geltendmachung vorliege.

32

Das Arbeitsgericht hat die Klage durch Urteil vom 05.02.2020 abgewiesen und zur Begründung angeführt, zwar müssten sich Tarifnormen zumindest auf Grund mittelbarer Grundrechtswirkung am Gleichheitssatz des Art. 3 GG messen lassen, allerdings hätten die Tarifvertragsparteien eine weitgehende Einschätzungsprärogative in Bezug auf die tatsächlichen Gegebenheiten und betroffenen Interessen. Sie seien bei der Lösung tarifpolitischer Konflikte nicht verpflichtet, die jeweils zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Vereinbarung zu treffen. Es genüge, wenn für die getroffene Regelung ein sachlich vertretbarer Grund bestehe. Ein solcher sei vorliegend für die Ungleichbehandlung von unregelmäßiger Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit gegeben. Der höhere Zuschlag für Nachtarbeit außerhalb von Schichten sei damit ausreichend begründet, dass die unregelmäßige Nachtarbeit für Arbeitnehmer sehr viel schlechter planbar sei und folglich in das Privatleben im Einzelfall erheblich stärker eingreife. Regelmäßige Nachtarbeit werde subjektiv als weniger beeinträchtigend empfunden als unregelmäßige Nachtarbeit. Auch wenn es für die objektive Gesundheitsbelastung nicht darauf ankomme, ob die Nachtarbeit regelmäßig oder unregelmäßig erfolge, sei jedoch schon das subjektive Empfinden von Arbeitnehmern bezüglich der jeweiligen Belastungen als ein sachlicher Grund anzusehen, aus dem eine ungleiche Behandlung durch die normgebenden Tarifvertragsparteien gerechtfertigt sei.

33

Der Kläger hat gegen das ihm am 14.02.2020 zugestellte Urteil per Fax mit Eingang am 12.03.2020 beim Landesarbeitsgericht Berufung eingelegt und diese mit Faxeingang beim Landesarbeitsgericht am 02.04.2020 begründet.

34

Der Kläger verweist auf das Gutachten K. (Bl. 190 ff. d. A.) und führt mit der Berufung an, das erstinstanzliche Gericht sei an der eigentlich zu entscheidenden Rechtsfrage vorbeigegangen. Bei der Beantwortung der Frage, ob die durch die Tarifvertragsparteien geregelte Differenzierung bei den Zuschlägen für Nachtarbeit zulässig sei, sei davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien zwar nicht unmittelbar an Art. 3 Abs. 1 GG gebunden seien, jedoch die Verpflichtung hätten, Differenzierungen bei tariflichen Leistungen am Maßstab des Gleichheitssatzes vorzunehmen. Im vorliegenden Fall sei die Wirksamkeit der Differenzierung an den gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen über die menschengerechte Gestaltung der Arbeit zu messen. Die Darstellung der Beklagten, Schichtarbeit sei – auch wenn sie nachts erfolge – gesundheitlich und sozial weniger belastend, basiere auf dem Bild der „biologischen Uhr“, die von den Menschen jeweils entsprechend eingestellt werden könne. Dieses tradierte Bild werde in der heutigen Arbeitswissenschaft jedoch deutlich abgelehnt. Nachtarbeit in jeder Form bedeute eine „biologische Desynchronisation“ und führe zu einer „sozialen Desynchronisation“. Eine möglicherweise vorhandene Planbarkeit der Nachtarbeit bei Schichtarbeit führe nicht zu geringeren Belastungen der Arbeitnehmer, die eine Ungleichbehandlung bei den Zuschlagshöhen rechtfertigen könnten. Nachtarbeit sei nach gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen grundsätzlich für jeden Menschen schädlich und habe negative gesundheitliche Auswirkungen. Dies gelte auch für die Beeinträchtigung der sozialen Teilhabe bei der Leistung von Nachtarbeit. Die tarifliche Differenzierung mit einer deutlichen finanziellen Abstufung verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

35

Der Kläger meint, entgegen der Auffassung der Beklagten könnten für die Frage der Zuschlagshöhe die zusätzliche Freizeitgewährung bei 25 geleisteten Nachtschichten und die bezahlte Pausenzeit keine Berücksichtigung finden. Die bezahlte Pausenzeit habe allein den Zweck, unvorhersehbare Unterbrechungen von Pausen auszugleichen und nicht die Erschwernisse der Nachtarbeit zu vergüten. Dass in dem höheren Zuschlag eine regelmäßige Mehrarbeit „eingepreist“ sei, treffe vorliegend nicht zu, weil nach den hier einschlägigen tariflichen Regelungen gegebenenfalls Nachtarbeitszuschlag und Mehrarbeitszuschlag gleichzeitig zu leisten seien.

36

Der Kläger bestreitet die seitens der Beklagten angegebenen Stundenanzahl zur Leistung von Nachtarbeit während Schichten und außerhalb von Schichten und verweist darauf, dass es im Übrigen nicht darauf ankomme, ob eine Vergleichsgruppe im Betrieb der Beklagten konkret vorhanden sei, es vielmehr ausreiche, wenn sie vorhanden sein könne. Bei der hier vorzunehmenden Normenkontrolle sei allein entscheidend, ob die Normgeber Normen für unterschiedliche potentielle Gruppen geschaffen hätten.

37

Der Kläger beantragt:

38

1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Stralsund, Kammern Neubrandenburg, vom 05.02.2020, Az.: 11 Ca 272/19, wird aufgehoben.

39

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 727,18 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung zu zahlen.

40

Die Beklagte beantragt,

41

die Berufung zurückzuweisen.

42

Die Beklagte verteidigt das angegriffene erstinstanzliche Urteil und vertritt weiterhin die Auffassung, die Tarifvertragsparteien des hier einschlägigen Tarifvertrages hätten die ihnen im Rahmen der Tarifautonomie gemäß Art. 9 Abs. 3 GG zuzubilligende Einschätzungsprärogative sachgerecht ausgeübt. Die beiden Gruppen derjenigen Arbeitnehmer, die im Wechselschichtsystem nachts arbeiten, und derjenigen Arbeitnehmer, die außerhalb des Schichtsystems nachts arbeiten müssten, seien nicht vergleichbar. Der Leistung von Nachtarbeit innerhalb von Schichtarbeit liege die Erkenntnis zu Grunde, dass in der modernen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft auf Nachtarbeit nicht vollständig verzichtet werden könne. Demgegenüber bilde die Nachtarbeit außerhalb von Schichtarbeit die Ausnahme. Ihre Möglichkeiten derartige Nachtarbeit anzuordnen seien wegen der Erforderlichkeit der Zustimmung des Betriebsrates für jeden einzelnen Fall und jeden einzelnen Arbeitnehmer sehr beschränkt. Die Arbeit zur Nachtzeit stelle den kleinsten gemeinsamen Nenner für die Gruppenbildung dar. Der maßgebliche Unterschied sei jedoch, dass Arbeitnehmer in Wechselschichten nachts innerhalb ihrer vertraglich vereinbarten regulären Arbeitszeit tätig sind, während Arbeitnehmer, die unregelmäßig Nachtarbeit verrichten, außerhalb ihrer vertraglich vereinbarten regulären Arbeitszeit tätig werden. Der Kläger berücksichtige nicht hinreichend, dass Zuschläge für geleistete Nachtarbeit nicht nur zum Ausgleich gesundheitlicher Einschränkungen, sondern auch für die Dispositionsfreiheit über die Freizeit, die auch Teilhabe am sozialen Leben beinhalte, und zur Verteuerung der unregelmäßigen Nachtarbeit gewährt würden. Die Gewährung eines höheren Zuschlags für die außerhalb von Schichten abgerufene unregelmäßige Nachtarbeit solle für die Arbeitgeberseite diese Art der Nachtarbeit stark verteuern und somit so unattraktiv wie möglich machen. Es handele sich damit um ein Steuerungsinstrument, mit welchem die Tarifvertragsparteien die Nachtarbeit außerhalb von Schichten weitestgehend zu vermeiden gesucht hätten. Demgegenüber hätten die Tarifvertragsparteien die Schichtarbeit einschließlich Nachtschichten als eine generell zulässige und existierende Arbeitsform im Rahmen ihrer Einschätzungsprärogative akzeptiert. Sie werde damit nicht als Ausnahme, sondern als regelhaft anerkannt.

43

Sollte die unterschiedlich hohe Zuschlagsregelung gegen Art. 3 Abs. 2 GG verstoßen, könnte eine Teilnichtigkeit der Zuschlagsregelung des MTV allein dazu führen, dass sie – die Beklagte – nach den Regelungen des Arbeitszeitgesetzes einen angemessenen Ausgleich leisten müsste. Die Regelung des § 6 Abs. 5 Arbeitszeitgesetz gewähre jedoch ein Wahlrecht zwischen der Zahlung eines angemessenen Zuschlags und der Gewährung zusätzlich bezahlter Freizeit. Die nur auf Zahlung eines höheren Zuschlags gerichteten klägerischen Anträge ignorierten dieses Wahlrecht und seien damit nicht statthaft.

44

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Sitzungsniederschriften sowie das angegriffene arbeitsgerichtliche Urteil verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.

45

Die Berufung ist zulässig.

46

Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 2 b ArbGG statthafte Berufung ist frist- und formgerecht gemäß § 66 Abs. 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 519, 520 eingelegt und begründet worden.

II.

47

Die Berufung ist nicht begründet.

48

Dem Kläger steht für den streitgegenständlichen Zeitraum kein Anspruch auf Zahlung weiterer Nachtzuschläge zu.

1.

49

Der Kläger hat keinen Anspruch aus § 5 (2) des kraft beiderseitiger Tarifbindung (§ 3 Abs. 1 TVG) anwendbaren MTV auf Zuschlagszahlung in Höhe von 50 Prozent, denn der Kläger hat keine Nachtarbeit außerhalb von Schichten geleistet, sondern Schichtarbeit während der Nachtzeit erbracht, für welche ein Zuschlag in Höhe von 25 Prozent vorgesehen ist, den der Kläger auch erhalten hat.

2.

50

Es besteht auch kein Anspruch für den Kläger gemäß § 6 Abs. 5 Arbeitszeitgesetz (ArbZG). Nach dieser Norm hat ein Arbeitgeber einem Nachtarbeitnehmer zwar für die während der Nachtzeit von 23:00 Uhr bis 06:00 Uhr (§ 2 Abs. 3 ArbZG) geleisteten Arbeitsstunden eine angemessene Zahl bezahlter freier Tage oder einen angemessenen Zuschlag auf das ihm hierfür zustehende Bruttoarbeitsentgelt zu gewähren. Dies gilt jedoch nur, soweit keine tarifvertraglichen Ausgleichsregelungen bestehen. Vorliegend ist der MTV kraft beiderseitiger Tarifbindung auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anwendbar. Der MTV sieht gemäß § 5 (2) für die vom Kläger geleistete Schichtarbeit während der Nachtzeit einen Zuschlag in Höhe von 25 Prozent des Bruttoentgelts vor. Ein Zuschlag in dieser Höhe stellt einen angemessenen Ausgleich für geleistete Nachtarbeit im Sinne des § 6 Abs. 5 ArbZG dar (BAG, Urteil vom 13.12.2018 – 6 AZR 549/17 - Rn. 28, juris; BAG, Urteil vom 25.04.2008 – 5 AZR 25/17 – Rn. 43, juris; BAG, Urteil vom 09.12.2015 – 10 AZR 423/14 – Rn. 21, juris). § 6 Abs. 5 ArbZG vermag folglich keine Anspruchsgrundlage für das klägerische Zahlungsbegehren zu bilden.

3.

51

Der Kläger kann sich zur Begründung seiner Zahlungsforderungen nicht auf den Gleichbehandlungsgrundsatz/Gleichheitssatz berufen.

52

Die tariflichen Zuschlagsregelungen verstoßen nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

53

Die Tarifvertragsparteien sind bei der tariflichen Normsetzung zwar nicht unmittelbar, aber mittelbar grundrechtsgebunden (BAG, Urteil vom 19.12.2019 – 6 AZR 563/18 – Rn. 19, juris). Sie unterliegen auch im Rahmen der ihnen gemäß Art. 9 Abs. 3 GG eingeräumten Tarifautonomie mittelbar der Grundrechtsbindung. Die Schutzfunktion der Grundrechte verpflichtet die Arbeitsgerichte nämlich, Tarifregelungen die Durchsetzung zu verweigern, welche nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG in Einklang stehen. Dabei haben sie jedoch die besondere Sachnähe der Tarifvertragsparteien zu beachten sowie den Umstand, dass sich die Arbeitnehmer durch den Beitritt zu ihrer Koalition bewusst und freiwillig der Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien auch für die Zukunft unterworfen haben. Den Tarifvertragsparteien steht bei ihrer Normsetzung ein weiter Gestaltungsspielraum zu (BAG, Urteil vom 21.12.2017 – 6 AZR 790/16 – Rn. 23, juris; BAG, Urteil vom 26.04.2017 – 10 AZR 856/15 – Rn. 28, juris). Ihnen kommt eine Einschätzungsprärogative zu, soweit die tatsächlichen Gegebenheiten, die betroffenen Interessen und Regelungsfolgen zu beurteilen sind. Sie sind nicht verpflichtet, die jeweils zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung zu wählen (BAG, Urteil vom 19.12.2019 – 6 AZR 563/18 – Rn. 26, juris; BAG, Urteil vom 26.04.2017 – 10 AZR 856/15 – Rn. 28, juris). Dies bedingt im Ergebnis eine deutlich zurückgenommene Prüfungsdichte durch die Gerichte (BAG, Urteil vom 19.12.2019 – 6 AZR 563/18 – Rn. 26, juris).

54

Aus Art. 3 Abs. 1 GG folgt das Gebot, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (BVerfG, Urteil vom 13.12.2016 – 1 BvR 713/13 – Rn. 18, juris; BAG, Urteil vom 25.01.2018 – 6 AZR 791/16 – Rn. 26, juris).

55

Dabei ist grundsätzlich dem Normgeber überlassen, die Merkmale zu bestimmen, nach denen Sachverhalte als hinreichend gleich anzusehen sind, um sie gleich zu regeln. Bei der Überprüfung von Tarifverträgen nach dem allgemeinen Gleichheitssatz ist nicht auf die Einzelfallgerechtigkeit abzustellen, sondern auf die generellen Auswirkungen der Regelungen (BAG, Urteil vom 19.07.2011 – 3 AZR 398/09 – Rn. 25, juris; BAG, Urteil vom 11.12.2013 – 10 AZR 736/12 – Rn. 15, juris). Der Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien ist überschritten, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen den Gruppen keine Unterschiede von solchem Gewicht bestehen, dass sie eine Ungleichbehandlung der normierten Art und Weise rechtfertigen können (BAG, Urteil vom 21.03.2018 – 10 AZR 34/17 – Rn. 44, juris).

56

Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet es, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Art. 3 Abs. 1 GG untersagt auch einen gleichheitswidrigen Begünstigungsausschluss, mit dem ein Personenkreis begünstigt und ein anderer Personenkreis von der Begünstigung ausgenommen wird. Art. 3 Abs. 1 GG verbietet jedoch nicht jede Differenzierung. Eine solche bedarf allerdings stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Anforderungen an den die Ungleichbehandlung tragenden Sachgrund ergeben sich aus Art. 3 Abs. 1 GG je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Genauere Maßstäbe und Kriterien dafür, unter welchen Voraussetzungen im Einzelfall das Willkürverbot oder das Gebot verhältnismäßiger Gleichbehandlung verletzt ist, lassen sich nicht abstrakt und allgemein, sondern nur bezogen auf die jeweils betroffenen Sach- und Regelungsbereiche bestimmen. Bei einer personenbezogenen Ungleichbehandlung ist der Gleichheitssatz in der Regel verletzt, wenn eine Gruppe von Regelungsadressaten im Vergleich zu einer anderen Gruppe unterschiedlich behandelt wird, obgleich zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten. Gleiches gilt auch, wenn eine Ungleichbehandlung von Sachverhalten mittelbar eine Ungleichbehandlung von Personengruppen bewirkt. Je weniger die Merkmale, an die eine Differenzierung anknüpft, für den einzelnen verfügbar sind, desto strenger sind die Anforderungen. Bei einer reinen sachbezogenen Ungleichbehandlung sind die Anforderungen an eine Rechtfertigung hingegen geringer (BAG, Urteil vom 19.01.2016 – 9 AZR 564/14 – Rn. 22 ff., juris).

57

Vorliegend haben die Tarifvertragsparteien unter § 5 (2) MTV unterschiedliche Zuschläge festgelegt für diejenigen Arbeitnehmer, die Nachtarbeit außerhalb von Schichtarbeit leisten und diejenigen Arbeitnehmer, die Schichtarbeit während der Nachtzeit erbringen.

58

Entgegen der Auffassung der Beklagten können die tariflich vorgesehenen Pausenzeiten bei der Bemessung der Gegenleistung für die Nachtarbeit in Schichten keine Berücksichtigung finden, denn sie knüpfen nicht an die Nachtarbeit an. Als Ausgleich für Nachtarbeit während Schichten ist jedoch die gemäß § 4 MTV vorgesehene Schichtfreizeit für je 25 geleistete Nachtschichten zu berücksichtigen. Ihre Gewährung knüpft an die Leistung von Schichtarbeit während der Nachtzeit an. Es besteht ein Verhältnis von Leistung und Gegenleistung. Rein rechnerisch ergibt sich damit für die Schichtarbeit während der Nachtzeit nicht nur ein Zuschlag in Höhe von 25 Prozent, sondern in Höhe von 29 Prozent (25 Prozent + 4 Prozent). Diesem Zuschlag von 29 Prozent ist der Zuschlag, der für Nachtarbeit außerhalb von Schichtarbeit in Höhe von 50 Prozent vorgesehen ist, gegenüber zu stellen. Die Differenz von 21 Prozent erscheint unter Berücksichtigung der Sachgründe des Anreizes, der Vermeidbarkeit, der Planbarkeit sowie der Prävention verhältnismäßig. Die Tarifvertragsparteien haben damit den ihnen zustehenden Gestaltungsspielraum nicht überschritten.

59

Es stellt sich allerdings bereits die Frage, ob Arbeitnehmer im Wechselschichtbetrieb mit Arbeitnehmern, die nicht im Schichtdienst beschäftigt sind, überhaupt vergleichbar sind (bezüglich der Verteilung der Arbeitszeit verneinend: BAG, Urteil vom 11.07.2019 – 6 AZR 460/18 – Rn. 28, juris). Dass es sich bei diesen beiden Gruppen um wesentlich Gleiches handelt, könnte zweifelhaft sein, weil möglicherweise die Tätigkeit in Schichten sich derart von der Tätigkeit außerhalb von Schichten unterscheidet, dass nicht mehr wesentlich Gleiches vorliegt. Die Beklagte weist begründet darauf hin, dass sich bereits die arbeitsvertraglich geschuldete Leistung beider Gruppen unterscheidet und sie für die jeweilige Anordnung der Leistungserbringung unterschiedlichen Regularien unterliegt. Der Arbeitnehmer in Schichten wird innerhalb seiner regelmäßigen Arbeitszeit tätig, während für den Arbeitnehmer außerhalb von Schichten Nachtarbeit nicht seine Regelarbeitszeit bildet. Während Nachtarbeit in Schichten regelmäßig mit dementsprechender Planbarkeit anfällt, gilt dies für Nachtarbeit außerhalb von Schichten eher nicht. Soweit die reguläre Arbeitsleistung in Dauernachtarbeit erbracht wird, erhöht sich der regelmäßig angemessene Wert eines Nachtzuschlags von 25% auf 30%, weil der Arbeitnehmer, der ununterbrochen Nachtarbeit leistet, einer deutlich höheren Belastung unterliegt als derjenige Arbeitnehmer, der normalerweise Nachtarbeit in Wechselschicht erbringt. Insoweit beurteilt sich die Höhe eines angemessenen Zuschlags nach qualitativen (Art der Tätigkeit) und quantitativen (Umfang der Nachtarbeit) Aspekten (BAG, Urteil vom 09.12.2015 - 10 AZR 423/14 - Rn. 28, juris). Während die Nachtarbeit in Schichten eine ganze Schicht umfasst, kann sich insbesondere die im Zusammenhang mit Bereitschaft erbrachte Nachtarbeit außerhalb von Schichten auf weitaus kürzere Zeiträume beschränken. In Schichten stellt Nachtarbeit die Regel dar, außerhalb von Schichten bildet sie die Ausnahme. Innerhalb des Arbeitszeitmodells Wechselschichten ist Nachtarbeit als nicht zu vermeiden akzeptiert, außerhalb von Schichten soll sie möglichst vermieden werden.

60

Allerdings ist die Gruppe der Arbeitnehmer, die wie der Kläger Nachtarbeit im Rahmen von Schichtarbeit leistet, mit der Gruppe der Arbeitnehmer, die Nachtarbeit außerhalb von Schichten leistet, insoweit vergleichbar, dass beide Gruppen innerhalb des tariflich definierten Zeitraums Nachtarbeit erbringen und sich damit von Arbeitnehmern, die zu anderen Zeiten arbeiten, unterscheiden. Es kann dahin stehen, ob es sich bei der Gruppe der Beschäftigten, welche Nachtarbeit außerhalb von Schichtarbeit leisten, sowie der Gruppe von Beschäftigten, die Schichtarbeit während der Nachtzeit leisten, um wesentlich Gleiches handelt, denn letztlich rechtfertigen die Unterschiede zwischen beiden Gruppen die durch die Tarifvertragsparteien vorgenommene Regelung unterschiedlicher Zuschlagshöhen.

61

Die vorliegende Ungleichbehandlung knüpft nämlich nicht an wesentlich gleiche Sachverhalte an, sondern trägt den bei Nachtarbeit innerhalb von Schichten und außerhalb von Schichten bestehenden Besonderheiten Rechnung. Soweit die Tarifvertragsparteien zwischen Nachtarbeit innerhalb und außerhalb von Schichtarbeit differenzieren, besteht hierfür ein sachlicher Grund, so dass die Tarifvertragsparteien den ihnen zustehenden Spielraum nicht überschritten haben. Insbesondere haben sie die gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse über die menschengerechte Gestaltung der Arbeit nicht verkannt.

62

Für die Frage, welche Gründe eine unterschiedliche Regelung rechtfertigen können, kommt es auf den Zweck der Regelung an. Dieser ergibt sich insbesondere aus den in der tariflichen Regelung selbst normierten Voraussetzungen, die die Tarifvertragsparteien im Rahmen ihres Gestaltungsspielraums festgelegt haben (BAG, Urteil vom 03.07.2019 – 10 AZR 300/18 – Rn. 22, juris).

63

Nachtarbeit ist nach gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen grundsätzlich für jeden Menschen schädlich und hat negative gesundheitliche Auswirkungen. Die Belastung und Beanspruchung der Beschäftigten steigt nach bisherigem Kenntnisstand in der Arbeitsmedizin durch die Anzahl der Nächte pro Monat und die Anzahl der Nächte hintereinander, in denen Nachtarbeit geleistet wird. Die Anzahl der aufeinanderfolgenden Nachtschichten sollte daher möglichst gering sein, auch wenn viele Schichtarbeitnehmer, die in einem Rhythmus von fünf oder mehr hintereinanderliegenden Nachtschichten arbeiten, subjektiv den – objektiv unzutreffenden – Eindruck haben, dass sich ihr Körper der Nachtschicht besser anpasst. Insgesamt ist anerkannt, dass Nachtarbeit umso schädlicher ist, in je größerem Umfang sie geleistet wird. Die „Verteuerung“ der Nachtarbeit durch Zuschlagsregelungen wirkt sich zwar nicht unmittelbar, aber zumindest mittelbar auf die Gesundheit der Nachtarbeit leistenden Arbeitnehmer aus. Zugleich entschädigt der Zuschlag in gewissem Umfang für die erschwerte Teilhabe am sozialen Leben (BAG, Urteil vom 21.03.2018 – 10 AZR 34/17 – Rn. 49, juris; BAG, Urteil vom 11.12.2013 – 10 AZR 736/12 – Rn. 19, juris). Der Zweck der Zuschläge für Nachtarbeit besteht dementsprechend zum einen darin, die mit dieser Nachtarbeit verbundenen besonderen Erschwernisse wie gesundheitliche Beeinträchtigungen und die erschwerte Teilhabe am sozialen Leben angemessen zu kompensieren, und zum anderen darin, den Gesundheitsschutz mittelbar durchzusetzen, indem sich die Arbeit in der Nachtzeit verteuert und dem Arbeitgeber damit ein Anreiz geboten wird, soweit wie möglich auf Nachtarbeit zu verzichten (vgl. BAG, Urteil vom 09.12.2015 - 10 AZR 423/14 - Rn. 18, juris; BAG, Urteil vom 25.04.2018 - 5 AZR 25/17 -, Rn. 41, juris; BAG, Urteil vom 21.03.2018 - 10 AZR 34/17 - Rn. 49, juris).

64

Vorgenannter Leistungszweck rechtfertigt die von den Tarifvertragsparteien im streitbefangenen MTV vorgenommene Differenzierung in der Zuschlagshöhe für Nachtarbeit die innerhalb und außerhalb der Schichtarbeit erbracht wird. Es unterliegt der Einschätzungsprärogative der Tarifvertragsparteien zu entscheiden, welche Erschwernisse in welcher Weise und welchem Umfang ausgeglichen werden sollen (BAG, Urteil vom 17.12.2015 – 6 AZR 768/14 – Rn. 16, juris). Den Tarifvertragsparteien steht auch die Entscheidung frei, welcher Leistungszweck mit welcher Intensität bezüglich etwaiger Auswirkungen verfolgt werden soll.

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Es mag sein, dass sich die Tarifvertragsparteien des MTV mit ihren Zuschlagsregelungen für Nachtarbeit an denen vorhergehender Tarifverträge orientiert haben und aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse über die schädlichen gesundheitlichen Auswirkungen der Nachtarbeit, insbesondere die Faktoren Dauer der Nachtarbeit, Anzahl der Nächte, Umfang der Nachtarbeit, Freizeitausgleich, für sie eher in den Hintergrund getreten sind, es ist jedoch zu berücksichtigen, das es sich um auch von der Arbeitnehmerseite gebilligte Tarifregelungen handelt, ein Tarifvertrag das Einverständnis der Tarifvertragsparteien zu einem i.S. wechselseitigen Gebens und Nehmens ausgehandeltem Gesamtpaket bildet.

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Vorliegend wollen die Tarifvertragsparteien mit dem Zuschlag von 50 % neben der Entschädigung für mit der Nachtarbeit verbundene besondere Belastungen einen besonderen Anreiz bzw. eine besondere Belohnung für Arbeitnehmer bieten, die außerhalb ihrer regulären Arbeitszeit u.U. nur für kürzere Zeiträume als eine Schichtdauer zur Nachtarbeit herangezogen werden, sowie die schwierigere Planbarkeit ausgleichen und haben zudem dem Aspekt der Verteuerung zur Vermeidung derartiger Nachtarbeit einen sehr hohen Stellenwert beigemessen. Letzteres kommt insbesondere dadurch zum Ausdruck, dass nach dem Willen der Tarifvertragsparteien gemäß § 5 (3) MTV beim Zusammentreffen mehrerer Zuschläge zwar grundsätzlich nur der jeweils höhere zu zahlen ist, hiervon jedoch der Zuschlag für Nachtarbeit außerhalb eines Zwei- bzw. Drei-Schicht-Wechsels ausgenommen wird und zu den anderen Zuschlägen hinzutritt. Darin zeigt sich, dass die Tarifvertragsparteien der Verteuerung im Interesse der Gesundheit der Arbeitnehmer ein sehr hohes Gewicht, dem Präventionsgedanken besondere Bedeutung beigemessen haben. Es ist ihnen daran gelegen, durch eine hohe Verteuerung die Nachtarbeit außerhalb von Schichtarbeit zu verhindern und sie erst recht möglichst auszuschließen, wenn sie mit weiteren Zuschlagstatbeständen zusammenfällt.

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Dieses Anliegen rechtfertigt eine unterschiedliche Zuschlagshöhe insbesondere unter dem Aspekt der Vermeidbarkeit der Nachtarbeit. Schichtarbeit ermöglicht eine Produktion rund um die Uhr, um eine umfassende Auslastung der technischen Anlagen zu erreichen und der Rentabilität des Unternehmens zu dienen. Indem die Tarifvertragsparteien Schichtarbeit vorsehen, bringen sie zum Ausdruck, dem Gedanken der Wirtschaftlichkeit nachkommen zu wollen. Demgegenüber dient die Nachtarbeit außerhalb von Schichten nicht der möglichst effektiven Auslastung der Anlagen und damit verbundenen wirtschaftlichen Zwecken. Es bildet einen sachlichen Grund, letztere durch eine besondere Verteuerung, indem eine hohe Zuschlagszahlung anfällt, möglichst zu verhindern. Der Aspekt der besonderen Verteuerung rechtfertigt deshalb eine unterschiedliche Zuschlagshöhe (LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26.06.2020 – 9 Sa 2033/19 – Rn. 86, juris). Es entspricht dem Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien und ihrer Einschätzungsprärogative, wenn sie in Verfolgung des Präventionszweckes den Nachtarbeitszuschlag für gelegentlich in der Nacht anfallende Arbeitsleistungen deutlich anheben, um die Arbeitgeber von der Anordnung einer derartigen Nachtarbeit abzuhalten, den Zuschlag jedoch dort geringer halten, wo die Nachtarbeit wegen einer besseren Auslastung der Maschinen regelmäßig erforderlich erscheint und sie innerhalb des Arbeitszeitmodells der Schichtarbeit als notwendig erachtet wird.

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Zudem dient der Zuschlag als Ausgleich für die Einbußen der Dispositionsmöglichkeit über die Freizeit. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass Beschäftigte im Schichtsystem ihre Schichten auf Grund der Schichtpläne zumeist weit im Voraus kennen und sich in ihrer Freizeitgestaltung darauf einstellen können. Demgegenüber trifft die Nachtarbeit außerhalb von Schichten Beschäftigte zumeist kurzfristig, so dass diese Beschäftigen sich in der Freizeitgestaltung nicht langfristig darauf einstellen können. Bezüglich der Planbarkeit ist davon auszugehen, dass im Geltungsbereich des hier maßgeblichen MTV Schichtpläne langfristig aufgestellt werden und Arbeitnehmer, die in Schichten tätig sind, die Nachtarbeit besser in ihre Lebensgestaltung einplanen können, als Arbeitnehmer außerhalb von Schichten. Jedenfalls durften die Tarifvertragsparteien im Rahmen der ihnen zustehenden typisierenden Betrachtungsweise (BAG, Urteil vom 17.12.2015 – 6 AZR 768/14 – Rn. 16, juris) davon ausgehen, dass in Schichten tätige Arbeitnehmer sich in ihrer Lebensgestaltung grundsätzlich besser auf die Arbeit zur Nachtzeit einstellen können als Arbeitnehmer außerhalb von Schichten. Diese Unterschiede in der Dispositionsmöglichkeit über die Freizeit rechtfertigen es ebenfalls, Zuschläge in unterschiedlicher Höhe vorzusehen.

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Zu berücksichtigen ist zudem, dass nach den konkreten Verhältnissen im Betrieb der Beklagten die Nachtarbeit außerhalb von Schichten in erster Linie im Zusammenhang mit Bereitschaftsdiensten erbracht wird. Um diese für Arbeitnehmer attraktiv zu gestalten, ist eine entsprechende Entlohnung erforderlich. Zuschläge in Höhe von 50 Prozent erhalten die Arbeitnehmer, die nicht in Schichten arbeiten, sondern deren regelmäßige Arbeitszeit am Tage geleistet werden soll und die ausnahmsweise zu Arbeitsleistungen während der tariflich definierten Nachtzeit herangezogen werden. Die Verteuerung soll den Arbeitgeber davon abhalten, diese Arbeitsleistung außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit abzufordern, gleichzeitig aber auch die Bereitschaft fördern, derartige Arbeit zu erbringen, wo sie ausnahmsweise erforderlich ist.

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Bezüglich der gesundheitlichen Erschwernisse haben die Tarifvertragsparteien diesen für Beschäftigte in Schichten dadurch besonders Rechnung getragen, dass sie für 25 geleistete Nachtschichten eine Freischicht vorsehen. Damit haben sie berücksichtigt, dass dem Schutz der Gesundheit vor allen ein dementsprechender Freizeitausgleich dient.

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Die Tarifvertragsparteien haben somit die Unterschiede in der Zuschlagshöhe an Hand der Differenzierungsgründe sachlich ausgerichtet.

III.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

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Die Revision wurde gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen.

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