Beschluss vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (1. Kammer) - 1 Ta 199/11
Tenor
Die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Wertfestsetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts Koblenz – 11 BV 8/11 – wird auf Kosten des Beschwerdeführers zurückgewiesen.
Ein Rechtsmittel ist gegen diese Entscheidung nicht gegeben.
Gründe
I.
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Der beschwerdeführende Verfahrensbevollmächtigte des Betriebsrats begehrt die Festsetzung eines höheren Gegenstandswerts seiner anwaltlichen Tätigkeit in einem Beschlussverfahren.
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Der Betriebsrat der Antragsgegnerin besteht aus 9 Mitgliedern, von denen vier Mitglieder im Drei-Schicht-Betrieb (Frühschicht, Spätschicht, Nachtschicht) arbeiten. Der Betriebsrat hält regelmäßige Sitzungen ab, die jeweils um 10 Uhr beginnen und hielt daher die Einteilung seiner schichtarbeitenden Mitglieder zu Nachtschichten, die den Sitzungen vorgingen oder nachfolgten für unzumutbar wegen Nichteinhaltung der Ruhezeiten nach dem ArbzG. Er forderte daher die Einhaltung der Ruhezeiten durch Arbeitsbefreiung der von solchen Schichten unmittelbar vor oder nach den Sitzungen betroffenen Mitglieder.
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In dem vorliegenden Verfahren hat der Betriebsrat daher beantragt,
der Arbeitgeberin aufzugeben, die im Schichtdienst tätigen Betriebsratsmitglieder zur Teilnahme an Betriebsratssitzungen, die außerhalb der Arbeitszeiten der Betriebsratsmitglieder stattfinden, insoweit von der Arbeit zu befreien, wie es zur Einhaltung der 11-Stunden-Abstandsregelung des § 5 Abs. 1 ArbzG nötig ist sowie
festzustellen, dass die Nichteinhaltung der 11-Stunden-Abstandsregelung des § 5 Abs. 1 ArbzG für die im Schichtdienst tätigen Betriebsratsmitglieder die Mitglieder des Betriebsrats in der Ausübung ihrer Betriebsratstätigkeit insoweit behindert, als es die Abstände zwischen Schichtarbeitstätigkeit und Betriebsratssitzungen betrifft.
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Die Beteiligten haben das Verfahren mit Schriftsatz vom 09.06.2011 wegen außergerichtlicher Einigung für erledigt erklärt.
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Auf Antrag des Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats hat das Arbeitsgericht nach Anhörung mit Beschluss vom 03.08.2011 den Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit auf 6.000,- Euro festgesetzt. Dabei hat es den Antrag zu 1. in Anwendung des § 23 Abs. 3 S. 2 RVG mit dem 1, 5- fachen des im Gesetz normierten Hilfswerts von 4.000,- Euro bewertet. Der Antrag zu 2. sei wegen wirtschaftlicher Identität mit dem Antrag zu 1. nicht gegenstandswerterhöhend. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, der Antrag zu 1. sei zu unbestimmt und daher nicht vollstreckungsfähig, so dass er qualitativ als Feststellungsantrag zu werten sei. Da zudem der Antrag weder auf einen bestimmten Zeitraum noch auf bestimmte Betriebsratsmitglieder konkretisiert worden sei, lägen konkrete Anhaltspunkte für eine Schätzung des Werts nicht vor. Daher sei auf den Hilfswert in Höhe von 4.000 Euro zurückzugreifen und dieser mit dem 1, 5 fachen zu multiplizieren.
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Gegen diesen ihm am 30.08.2011 zugestellten Beschluss hat der Verfahrensbevollmächtigte des Betriebsrats mit einem am 07.09.2011 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt und die Festsetzung eines Gegenstandswerts von mindestens 28.000,- Euro beantragt. Der Verfahrensgegenstand sei nichtvermögensrechtlicher Art, daher sei der Hilfswert von 4.000,- Euro für das erste Betriebsratsmitglied sowie 75 % dieses Wertes, also 3.000,- Euro für jedes weitere Betriebsratsmitglied anzusetzen.Jedes Betriebsratsmitglied sei potentiell von Schichtarbeit betroffen, wenn auch nicht in dieser Wahlperiode, so möglicherweise bei anderer Zusammensetzung des Betriebsrats in der nächsten. Der Betrag von 28.000,- Euro sei ein Mindestwert, da unter Vermögensaspekten auch auf die Honorierung ausfallender Arbeitszeiten abzustellen sei. Gem. § 9 ZPO sei daher der dreieinhalbfache Wert des Jahresbezugs anzusetzen und bei unterstellten 26 Betriebsratssitzungen pro Jahr für 4 Betriebsratsmitglieder ein mittlerer Stundensatz von 15 Euro brutto pro Stunde anzusetzen, welcher für je 8 Stunden zu zahlen wäre. Die durch entsprechende Multiplikation ermittelte Summe sei dann noch durch die Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung zu ergänzen, was insgesamt einen Wert von 52.416,- Euro ergebe.
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Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und das Verfahren dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.
II.
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Die Beschwerde ist gem. § 33 Abs. 3 RVG statthaft. Sie wurde insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt auch den Mindestbeschwerdewert von 200,-- € im Sinne von § 33 Abs. 3 S.1 RVG. Die Beschwerde ist somit zulässig.
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In der Sache hat das Rechtsmittel jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat den Gegenstandswert für das Verfahren jedenfalls nicht zu niedrig angesetzt.
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Gemäß § 33 Abs. 1 i.V.m. § 23 Abs. 2 RVG war der Gegenstandswert nach § 23 Abs. 3 S. 2 RVG zu bestimmen. Die Regelung des § 23 Abs. 1 RVG findet vorliegend keine Anwendung, da in Beschlussverfahren gem. § 2 Abs. 2 GKG i.V.m. den §§ 2 a, 80 ff. ArbGG keine Gerichtskosten erhoben werden.
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Gem. § 23 Abs. 3 S. 2 RVG erfolgt die Bewertung vermögensrechtlicher wie nichtvermögensrechtlicher Streitigkeiten nach billigem Ermessen. Nur in Ermangelung genügender tatsächlicher Anhaltspunkte für eine Schätzung ist der Gegenstandswert ausgehend von dem in § 23 Abs. 3 S. 2 GKG genannten Hilfswert von 4.000,- Euro (vgl. hierzu LAG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 01.03.2010 – 1 Ta 24/10), je nach Lage des Falles auch niedriger oder höher zu bestimmen. Auf den Hilfswert ist somit nur zurückzugreifen, wenn alle Möglichkeiten für eine individuelle Bewertung ausgeschöpft sind.
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Im vorliegenden Fall sind keine Anhaltspunkte für eine individuelle Bewertung gegeben. Solche Anhaltspunkte können sich aus der wirtschaftlichen Interessenlage der Beteiligten, einer möglichen Berührung finanzieller Ansprüche einzelner Arbeitnehmer, Bedeutung, Umfang und Schwierigkeit der Sache sowie, nach einer Zusammenschau mit den weiteren Kriterien, aus dem Arbeitsaufwand des Verfahrensbevollmächtigten ergeben. Bei der Ausübung des billigen Ermessens ist das Interesse der Beteiligten an der beantragten Maßnahme zu berücksichtigen.
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Grundsätzlich können in Verfahren, in denen die Freistellung von Betriebsratsmitgliedern von der Arbeitsleistung für Betriebsaufgaben begehrt wird, individuelle Anhaltspunkte für eine Bewertung bestehen. Diese sind bei den genannten Streitgegenständen insbesondere der beantragte Zeitraum der Freistellung und die Vergütung des freigestellten Betriebsratsmitglieds im Freistellungszeitraum (vgl. hierzu LAG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 05.10.2011 - 1 Ta 182/11). Der Arbeitsausfall stellt für den Arbeitgeber einen wirtschaftlichen Faktor dar, welcher in den Fällen konkreter Freistellungsverlangen im Rahmen der Ermessensausübung als Bezugsgröße bei der Wertbestimmung heranzuziehen ist. Wird aber, wie vorliegend, weder die Freistellung eines bestimmten Betriebsratsmitglieds begehrt noch der Zeitraum der Freistellung klar umrissen, ist auch der tatsächlich Arbeitsausfall und damit der wirtschaftliche Faktor nicht einschätzbar. Damit fehlen konkrete Anhaltspunkte, nach denen sich die Bewertung richten könnte. Für hypothetische Erwägungen, wie der Beschwerdeführer sie anstellt, ist kein Raum, da der Gesetzgeber für solche Fälle den Hilfswert von 4.000,- Euro normiert hat.
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Die Bewertung des vorliegenden Verfahrens hatte daher vom Hilfswert in Höhe von 4.000 Euro auszugehen. Nach § 23 Abs. 3 S. 2 Halbsatz 2 ist der Hilfswert von 4.000 Euro nicht statisch, sondern je nach Lage des Falles niedriger oder höher, jedoch nicht über 500.000,00 EUR anzusetzen. Das Gericht hat also auch in den Fällen, in denen grundsätzlich auf den Hilfswert zurückzugreifen ist, eine Einzelfallbewertung vorzunehmen. Daher war in einem zweiten Schritt unter Berücksichtigung von Bedeutung, Umfang und Schwierigkeit der Sache über eine Abweichung vom Hilfswert nach oben oder nach unten zu entscheiden. Insbesondere im Hinblick auf die Bedeutung der Sache für die Beteiligten bewegte sich die Bewertung mit 6.000,- Euro bereits im oberen Bereich der Ermessensskala, keinesfalls jedoch hat das Arbeitsgericht den Wert zu niedrig angesetzt. Dieser Wert war auch nicht für jedes (potentiell) betroffene Betriebsratsmitglied zu vervielfachen. Denn zu bewerten war ein kollektiver Anspruch des Betriebsrats auf Arbeitszeitausgleich für seine im Schichtbetrieb arbeitenden Mitglieder. Zu bewerten ist das in den Anträgen zu 1.) und 2.) zum Ausdruck gebrachte kollektive Interesse des Betriebsrats, dass seine Mitglieder wegen Schichtarbeit nicht durch extensive Arbeitszeitregelungen an der ordnungsgemäßen Wahrnehmung ihrer Betriebsratsaufgaben beeinträchtigt werden. Wenn das Arbeitsgericht dieses globale Verlangen nicht mit dem reinen Hilfswert bewertet hat, sondern diesen noch um 50 v. H. erhöht hat, dann war dies jedenfalls aus objektiver Sicht angesichts von Umfang, Bedeutung und Aufwand nicht zu niedrig. Das hiervon nur mittelbar und sowohl vom Antrag als auch vom Streitgegenstand her nur potentiell betroffene Individualinteresse einzelner Betriebsratsmitglieder an ihrer temporären Freistellung war nicht in die Bewertung mit einzubeziehen.
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Nach alledem war die unbegründete Beschwerde mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO i.V.m. Nr. 8614 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG zurückzuweisen.
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Die Gerichtskostenfreiheit des § 2 Abs. 2 GKG erfasst das vorliegende Beschwerdeverfahren nicht. Nach Sinn und Zweck der Kostenfreiheit von Streitigkeiten der Betriebspartner erfasst diese Bestimmung nicht auch das Gebühreninteresse der beauftragten Rechtsanwälte (vgl. LAG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 29.09.2010; - 1 Ta 189/10; LAG Köln BB 2001, 831). Die verfahrensbevollmächtigten Rechtsanwälte sind nicht Beteiligte eines Beschlussverfahrens i. S. v. §§ 2a, 83 Abs. 1a ArbGG. Mit einer Wertbeschwerde verfolgen sie - unabhängig von der Verfahrensart - ausschließlich ein eigenes finanzielles Interesse. Solche Streitigkeiten sind nicht nach § 2 Abs. 2 GKG von Gerichtskosten befreit.
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Ein Rechtsmittel gegen diesen Beschluss ist nach § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG nicht gegeben.
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