Urteil vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (7. Kammer) - 7 Sa 47/11
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 22.9.2010, Az.: 1 Ca 591/10, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten darüber, ob sich die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit des Klägers auf 38,5 Stunden oder auf 39 Stunden beläuft.
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Zur Darstellung des unstreitigen Tatbestandes sowie des erstinstanzlichen streitigen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Mainz vom 22.09.2010 (Bl. 85-87 d. A.) Bezug genommen.
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Der Kläger hat erstinstanzlich (zuletzt) beantragt,
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festzustellen, dass die regelmäßige arbeitsvertragliche wöchentliche Arbeitszeit 38,5 Stunden entspricht.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 22.09.2010 abgewiesen. Zur Darstellung der maßgeblichen Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 5 bis 8 dieses Urteils (= Bl. 88-91 d. A.) verwiesen.
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Der Kläger hat gegen das ihm am 30.12.2010 zugestellte Urteil am 21.01.2011 Berufung eingelegt und diese am 28.02.2011 begründet.
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Der Kläger macht im Wesentlichen geltend,
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entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts sei die im Arbeitsvertrag vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit von 38,5 Stunden nicht im Wege einer konkludenten Vertragsänderung auf 39 Stunden erhöht worden. Insoweit fehle es schon an einem Vertragsänderungsangebot der Beklagten. Ein solches könne nämlich nicht darin gesehen werden, dass die seitens der Beklagten erteilten Verdienstabrechnungen einen Hinweis enthielten, wonach sich seine Arbeitszeit auf 39 Stunden pro Woche belaufe. Doch selbst dann, wenn man von dem Vorliegen eines wirksamen Vertragsänderungsangebotes ausgehe, so fehle es jedenfalls an einer Annahme dieses Angebots seinerseits. Ein bloßes Schweigen, insbesondere wenn es um die Verschlechterung der Vertragsbedingungen gehe, stelle grundsätzlich keine Annahme eines Vertragsänderungsangebotes dar. Darüber hinaus habe das Arbeitsgericht fälschlicherweise angenommen, dass er seit dem Jahr 2008 mit einer regelmäßigen durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von 39 Stunden gearbeitet habe. Wie bereits erstinstanzlich vorgetragen, habe er nämlich oftmals bei der Beklagten in einem über 39 Stunden hinausgehenden Umfang gearbeitet. So habe er während der letzten Jahre regelmäßig in Kenntnis der Beklagten Mehrarbeit geleistet, bspw. im Jahr 2009 an 42 Wochenenden. Für die dabei erbrachten Tätigkeiten (Zertifikatskurse Manuelle Therapie; Osteopathieausbildung, Kinesiotherapie, etc.) habe er sogar nachweislich über seine laufende Vergütung hinaus Sonderzahlungen erhalten. Auch eine Verwirkung seines Rechts, sich auf eine wöchentliche Arbeitszeit von 38,5 Stunden zu berufen, sei - entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts - nicht eingetreten. Weder das insoweit erforderliche "Zeitmoment" noch das notwendige "Umstandsmoment" lägen vor.
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Zur Darstellung aller weiteren Einzelheiten des Vorbringens des Klägers im Berufungsverfahren wird auf dessen Berufungsbegründungsschrift vom 25.02.2011 (Bl. 111-118 d. A.) sowie auf den Schriftsatz des Klägers vom 10.06.2011 (Bl. 128-130 d. A.) Bezug genommen.
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Der Kläger beantragt,
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das erstinstanzliche Urteil abzuändern und festzustellen, dass seine regelmäßige arbeitsvertragliche wöchentliche Arbeitszeit 38,5 Stunden entspricht.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderungsschrift vom 01.04.2011 (Bl. 124-127 d. A.), auf die Bezug genommen wird.
Entscheidungsgründe
I.
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Die statthafte Berufung ist sowohl form- als auch fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das hiernach insgesamt zulässige Rechtsmittel hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
II.
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Die zulässige Feststellungsklage ist nicht begründet. Der Kläger kann nicht die Feststellung verlangen, dass sich seine vertragsgemäße regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit auf 38,5 Stunden beläuft.
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Der Kläger hat das Recht, sich auf eine vertragliche Arbeitszeit von 38,5 Stunden zu berufen, verwirkt (§ 242 BGB).
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Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der sich das erkennende Gericht anschließt, bildet der Grundsatz von Treu und Glauben eine allen Rechten, Rechtslagen und Rechtsnormen immanente Inhaltsbegrenzung. Die gegen § 242 BGB verstoßende Rechtsausübung oder Ausnutzung einer Rechtslage ist unzulässig. Rechte können dann unzulässig ausgeübt werden, wenn sich der Anspruchsteller damit in Widerspruch zu seinem eigenen vorausgegangenem Verhalten setzt. Ein widersprüchliches Verhalten ist aber erst dann rechtsmissbräuchlich, wenn für den anderen Teil ein schützenswerter Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist oder wenn sonstige besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erkennen lassen (vgl. BAG v. 09.12.2009 - 10 AZR 850/08 m. w. N.).
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So ist ein Recht verwirkt, wenn der Inhaber mit der Geltendmachung längere Zeit abwartet, sich infolge des Zeitablaufs für den Anspruchsgegner ein Vertrauenstatbestand bildet, mit der Geltendmachung des Rechts nicht mehr rechnen zu müssen und ihm deshalb eine Einlassung auf die Geltendmachung des Rechts nicht mehr zugemutet werden kann. Der erforderliche Zeitablauf kann umso kürzer sein, je gravierender die Umstände im Verhalten des Berechtigten sind, die es rechtfertigen, die späte Geltendmachung als unzumutbar anzusehen. Für die Erfüllung des Umstandsmoments kommt es darauf an, wie das Verhalten des Gläubigers vom Schuldner aufgefasst werden darf (BAG v. 03.12.2008 - 5 AZR 62/08 - AP Nr. 42 zu § 307 BGB).
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Ein solcher Fall ist vorliegend gegeben.
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Der Kläger hat über einen längeren Zeitraum, nämlich bereits ab Januar 2008 - wie von ihm erstinstanzlich in der mündlichen Verhandlung vom 22.09.2010 ausdrücklich zu Protokoll erklärt (Bl. 81 d. A.) - mit einer regelmäßigen Arbeitszeit von 39 Stunden pro Woche gearbeitet. Dem steht nicht entgegen, dass er über diese Arbeitszeit hinaus Mehrarbeit bzw. Überstunden erbracht hat. Diesbezüglich trägt der Kläger selbst vor, dass es sich hierbei um Tätigkeiten handelte, die er an Wochenenden erbracht hat und die ihm zusätzlich vergütet wurden. Gerade hieraus wird deutlich, dass sich die Regelarbeitszeit des Klägers, für die er ein Arbeitsentgelt in Höhe der vertragsgemäßen (Grund-)Vergütung bezog, auf 39 Stunden belief.
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Der Kläger hat - soweit ersichtlich - bis zur Klageerhebung am 29.03.2010 in keiner Weise gegenüber der Beklagten zu erkennen gegeben, dass er mit der Anhebung seiner Arbeitszeit von 38,5 auf 39 Stunden wöchentlich nicht einverstanden war. Dies, obwohl er aus den monatlichen Entgeltabrechnungen der Beklagten erkennen konnte und musste, dass die Beklagte bei der Berechnung seiner Arbeitsvergütung eine 39-Stundenwoche zugrunde legte und diesen Arbeitszeitumfang darüber hinaus auch in der Arbeitsanweisung vom 13.07.2009 ausdrücklich als Regelarbeitszeit bezeichnet hat.
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Die Beklagte durfte davon ausgehen, dass der Kläger ein etwa bestehendes Recht, lediglich 38,5 Stunden in der Woche arbeiten zu müssen, nicht mehr geltend macht. Dies ergibt sich neben dem Zeitablauf insbesondere daraus, dass der Kläger widerspruchslos eine Regelarbeitszeit von 39 Wochenstunden erbrachte.
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Der Beklagten ist es auch nicht mehr zuzumuten, den Kläger in Vollzeit mit einer kürzeren Wochenarbeitszeit als ihre übrigen Arbeitnehmer zu beschäftigen. Ansonsten wäre die Beklagte nämlich gezwungen, wöchentlich einen Arbeitsausfall von 30 Minuten zu überbrücken, u. U. sogar durch eine entsprechende Verlängerung der Arbeitszeit eines oder mehrerer anderer Arbeitnehmer, wozu die Beklagte jedoch wohl keinerlei rechtliche Handhabe hat und was zu Unstimmigkeiten innerhalb der Belegschaft führen könnte.
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Dem Kläger ist es daher verwehrt, sich darauf zu berufen, seine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit betrage lediglich 38,5 Stunden.
III.
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Die Berufung des Klägers war daher mit der sich aus § 97 Abs. 1 ZPO ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen.
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Für die Zulassung der Revision bestand im Hinblick auf die in § 72 Abs. 2 ArbGG genannten Kriterien keine Veranlassung.
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Auf die Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision selbständig durch Beschwerde anzufechten (§ 72a ArbGG), wird hingewiesen.
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Referenzen
- BGB § 307 Inhaltskontrolle 1x
- ArbGG § 69 Urteil 1x
- 5 AZR 62/08 1x (nicht zugeordnet)
- ArbGG § 72a Nichtzulassungsbeschwerde 1x
- 10 AZR 850/08 1x (nicht zugeordnet)
- 1 Ca 591/10 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 242 Leistung nach Treu und Glauben 2x
- ArbGG § 72 Grundsatz 1x
- ZPO § 97 Rechtsmittelkosten 1x