Beschluss vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (1. Kammer) - 1 Ta 231/11
Tenor
Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Wertfestsetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts Trier vom 30.09.2011 – 3 Ca 229/10 – wie folgt abgeändert:
"Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit der Prozessbevollmächtigten des Klägers wird auf 6.950,- Euro für das Verfahren und 17.375,- Euro für den Vergleich festgesetzt."
Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat die Hälfte der für das Beschwerdeverfahren zu erhebenden Gebühr zu tragen.
Ein Rechtsmittel ist gegen diese Entscheidung nicht gegeben.
Gründe
I.
- 1
In dem vorliegenden Verfahren begehrt die beschwerdeführende Prozessbevollmächtigte des Klägers die Festsetzung eines höheren Wertes des Gegenstands ihrer anwaltlichen Tätigkeit.
- 2
Der Kläger ist bei der Beklagten zu einer Bruttomonatsvergütung von 3.475,- Euro beschäftigt und arbeitete im Schichtsystem 8 Stunden täglich. Er ist mit einem Grad von 80 schwerbehindert.
- 3
Mit Klage vom 22.02.2010 beantragte er zunächst, die Beklagte zu verpflichten, ihm einen leidensgerechten Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen.
- 4
Später beantragte er, die Beklagte zu verurteilen, ihm einen Arbeitsplatz mit folgenden Anforderungen zur Verfügung zu stellen:
- 5
ausschließlich Arbeiten an der Maschine im 6-er Format,
Einsatz im Schichtdienst, allerdings ohne Nachtschichten,
Verringerung seiner Arbeitszeit auf 5 Stunden täglich,
Zugestehen von jeweils 5 Minuten leidensgerechter Pausen innerhalb der 5-stündigen Arbeitszeit unter Zurverfügungstellung eines Stuhls in unmittelbarer Nähe der Maschine zum Zweck der Erfüllung der Pausen,
Einsatz für alle anfallenden Arbeiten an der Maschine im 6er Format mit folgenden Ausnahmen:
bei Einsetzen des Kammerakels wird ihm ein zweiter Mann zur Seite gestellt,
Wartungsarbeiten muss er nicht mehr durchführen.
- 6
Die Parteien haben den Rechtsstreit mit Vergleich vom 01.09.2011 beendet. Darin einigten sie sich auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses (Ziffer 1) gegen Zahlung einer Abfindung (Ziffer 2) sowie die Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung eines qualifizierten Zeugnisses (Ziffer 3). Zudem vereinbarten die Parteien die Abgeltung sämtlicher bekannter oder unbekannter gegenseitiger Ansprüche mit der Erfüllung des Vergleichs, ausgenommen etwaige Betriebsrentenansprüche des Klägers (Ziffer 4).
- 7
Das Arbeitsgericht hat den Gegenstandswert mit Beschluss vom 30.09.2011 auf 3.475,- Euro entsprechend einem Bruttomonatsgehalt des Klägers für das Verfahren und auf 13.900,- Euro für den Vergleich festgesetzt. Hinsichtlich des Vergleichs hat das Arbeitsgericht für Ziffer 1 einen Mehrwert von 3 Bruttomonatsgehältern angesetzt. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens sei die Ausübung des Direktionsrechts der Beklagten hinsichtlich der Schaffung eines leidensgerechten Arbeitsplatzes für den Kläger gewesen. Werde eine Änderungskündigung, bei der der Bestand des Arbeitsverhältnisses in Frage stehe mit 1, 5 Bruttomonatsgehältern bewertet, müsse die Bewertung der hier streitgegenständlichen Frage geringer ausfallen. Der Wert der in Ziffer 1 und 2 des Vergleichs getroffenen Vereinbarungen sei gem. § 42 Abs. 3 S. 1 GKG zu beschränken.
- 8
Gegen diesen der Prozessbevollmächtigten des Klägers am 12.10.2011 zugestellten Beschluss hat diese mit einem am 26.10.2011 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt. Die Beschwerdeführerin macht geltend, der Wert des Verfahrens müsse mindestens zwei Bruttomonatsgehälter betragen. Ziffer 1 und 2 des Vergleichs seien mit 30.000,- Euro zu bewerten. Die Wertung des § 42 Abs. 3 GKG sei auf Aufhebungsverträge nicht anwendbar.
- 9
Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und das Verfahren dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.
II.
- 10
Die Beschwerde des Beschwerdeführers ist nach § 33 Abs. 3 RVG statthaft. Sie wurde form - und fristgerecht erhoben und ist auch sonst zulässig.
- 11
In der Sache hat die Beschwerde nur teilweise Erfolg.
- 12
Der Verfahrenswert war mit 2 Bruttomonatsgehältern anzusetzen.
- 13
Dem Arbeitsgericht ist darin zu folgen, dass Klagen, welche die Ausübung des Direktionsrechts des Arbeitgebers zum Gegenstand haben, grundsätzlich mit einem Bruttomonatsgehalt zu bewerten sind (vgl. Erfurter Kommentar/Koch, 12. Aufl. 2012, ArbGG, § 12, Rn. 22). Gem. § 23 Abs. 1 RVG i.V.m. § 48 Abs. 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO hat das Gericht die Wertfestsetzung in Ausübung billigen Ermessens unter Berücksichtigung des wirtschaftlichen Interesses des Klägers an der Durchsetzung seines Klageziels vorzunehmen. Besondere Umstände des Einzelfalls müssen daher im Rahmen der Ausübung des eingeräumten Ermessens wertmäßig Berücksichtigung finden, so dass im Einzelfall von den üblicherweise festzusetzenden Werten abzuweichen ist. Ein solcher Fall ist auch vorliegend gegeben. Der vorliegende Rechtsstreit drehte sich nicht lediglich um die Frage der Ausübung des Direktionsrechts des Arbeitgebers nach § 106 GewO, sondern um die besonders ausgestaltete Pflicht des Arbeitgebers nach § 81 Abs. 4 SGB IX, einem schwerbehinderten Arbeitnehmer einen Arbeitsplatz zu verschaffen, der den Nachteilen aus der Behinderung Rechnung trägt. Einem schwerbehinderten Arbeitnehmer gegenüber ist das Direktionsrecht des Arbeitgebers nach § 81 Abs. 4 SGB IX i.V.m. § 106 S. 3 GewO insofern eingeschränkt, als der Arbeitgeber bei der Ausübung seines Direktionsrechts, im vorliegenden Fall also der Zuweisung von Tätigkeiten, der Bestimmung des Arbeitsortes und der Lage der Arbeitszeit, auf Art und Umfang der Behinderung Rücksicht zu nehmen hat. Zudem hat der Kläger vorliegend einen Anspruch auf Reduzierung seiner Arbeitszeit geltend gemacht, welcher sich auf § 81 Abs. 5 S. 3 SGB IX stützen lässt und nicht allein den Voraussetzungen des § 8 TzBfG unterliegt. Der Anspruch aus § 81 Abs. 5 S. 3 SGB IX beruht auf anderen Voraussetzungen als der Anspruch aus § 8 TzBfG und eröffnet somit einem schwerbehinderten Arbeitnehmer einen weitergehenden Anspruch auf Verringerung seiner Arbeitszeit (vgl. Arbeitsrechtslexikon/ Schwab: Schwerbehinderter III. 4). Aufgrund dieser Umstände richtete sich das wirtschaftliche Interesse des Klägers auf eine umfassendere Umgestaltung seines Arbeitsplatzes als er dies nach § 106 GewO hätte beanspruchen können. Sein Interesse war folglich höher zu bewerten als das Interesse eines nicht schwerbehinderten Arbeitnehmers an einer bloßen Klage auf Änderung von Tätigkeiten. Es erschien daher gerechtfertigt, einen Wert von zwei Bruttomonatsgehältern zu veranschlagen.
- 14
Den Vergleichsmehrwert hat das Arbeitsgericht zutreffend auf drei Bruttomonatsgehälter des Klägers beschränkt. § 42 Abs. 3 S. 1 GKG findet über § 23 Abs. 1 S. 1 RVG Anwendung bei der Wertfestsetzung nach § 33 Abs. 1 RVG. Sinn und Zweck der Vorschrift gebieten die Übertragung der dort geregelten Grundsätze für die Wertberechnung von Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses auf einen in einem gerichtlichen Vergleich enthaltenen Aufhebungsvertrag. § 42 Abs. 3 S. 1 GKG beschränkt aus sozialen Gründen den Wert für Bestandsschutzstreitigkeiten auf drei Bruttomonatsgehälter. Regelmäßig berührt eine Bestandsschutzstreitigkeit die Existenzgrundlage eines Arbeitnehmers, so dass über die Begrenzung des Gebührenwerts gewährleistet werden soll, dass der Arbeitnehmer sich nicht durch ein hohes Gebührenrisiko in der Verfolgung seiner Rechte hemmen lässt. Ein Aufhebungsvertrag berührt den Bestand eines Arbeitsverhältnisses einer Kündigung in gleicher Weise und wird daher bereits vom Wortlaut des § 42 Abs. 3 S. 1 GKG erfasst. Eine Differenzierung, ob das Arbeitsverhältnis in einem Kündigungsschutzverfahren oder anlässlich eines anderen Zusammenhangs aufgelöst wird, ist rechtlich nicht zulässig.
- 15
Da die Beschwerdeführerin nur teilweise obsiegt hat, war die Gebühr des Beschwerdeverfahrens gem. § 97 Abs. 1 ZPO i.V.m. Nr. 8614 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG auf die Hälfte zu ermäßigen.
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Ein Rechtsmittel gegen diesen Beschluss ist nach § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG nicht gegeben.
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Referenzen
- § 81 Abs. 5 S. 3 SGB IX 2x (nicht zugeordnet)
- GewO § 106 Weisungsrecht des Arbeitgebers 3x
- § 8 TzBfG 2x (nicht zugeordnet)
- RVG § 23 Allgemeine Wertvorschrift 2x
- § 48 Abs. 1 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- RVG § 33 Wertfestsetzung für die Rechtsanwaltsgebühren 3x
- § 42 Abs. 3 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- § 3 Abs. 2 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- § 42 Abs. 3 S. 1 GKG 4x (nicht zugeordnet)
- § 81 Abs. 4 SGB IX 2x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 3 Wertfestsetzung nach freiem Ermessen 1x
- 3 Ca 229/10 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 97 Rechtsmittelkosten 1x