Beschluss vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (1. Kammer) - 1 Ta 269/11
Tenor
Auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens - vom 08.11.2011 - 4 Ca 661/11 - über die Festsetzung des Gegenstandswertes der anwaltlichen Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten des Klägers dahingehend abgeändert, dass der Gegenstandswert für das Verfahren und den Vergleich auf 1.440,- Euro festgesetzt wird.
Ein Rechtsmittel ist gegen diese Entscheidung nicht gegeben.
Gründe
I.
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Der Kläger war bei der Beklagten ab dem 01.01.2011 zu einer monatlichen Bruttovergütung von 720,- Euro beschäftigt. Die Beklagte hat das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 31.08.2011 außerordentlich und hilfsweise ordentlich gekündigt. Hiergegen wandte sich der Kläger mit der vorliegenden Kündigungsschutzklage und beantragte festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die außerordentliche noch durch die ordentliche Kündigung aufgelöst worden war.
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Die Parteien haben den Rechtsstreit im Gütetermin durch Vergleich beigelegt. Darin vereinbarten sie unter anderem die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.09.2011 sowie die Fortzahlung der Vergütung bis zu diesem Zeitpunkt.
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Ebenfalls im Gütetermin hat das Arbeitsgericht dem Kläger in vollem Umfange Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten bewilligt.
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Auf Antrag des Prozessbevollmächtigten des Klägers hat das Arbeitsgericht - auch nach Anhörung der Bezirksrevisorin - den Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit für Verfahren und Vergleich mit Beschluss vom 08.11.2011 auf 2.160,- Euro festgesetzt. Das Arbeitsgericht hat die Bewertung des Kündigungsschutzantrages mit drei Bruttomonatsgehältern bei einer Bestandsdauer des Arbeitsverhältnisses von unter einem Jahr mit Hinweis auf die Entscheidung des BAG vom 19.10.2010 - 2 AZN 194/10 begründet.
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Der Beschluss wurde der Bezirksrevisorin am 16.11.2011 zugestellt; sie hat hiergegen mit einem am 28.11.2011 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt und die Festsetzung eines Wertes entsprechend zwei Bruttomonatsgehältern beantragt. Zur Begründung hat die Bezirksrevisorin auf die Bestandsdauer des Arbeitsverhältnisses von unter zwölf Monaten im Zeitpunkt der Kündigung verwiesen.
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Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und das Verfahren dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.
II.
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1. Die Beschwerde ist nach § 33 Abs. 3 RVG statthaft und auch im Übrigen zulässig.
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Da der Rechtsstreit vorliegend durch Gesamtvergleich erledigt worden ist und damit keine Gerichtsgebühren anfielen, war im Streitfall der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit nach § 33 RVG festzusetzen (vgl. hierzu im Einzelnen Schwab/Maatje, NZA 2011, 769). Der Wert des Beschwerdegegenstands übersteigt auch den Wert von 200,- Euro, da die anwaltliche Vergütung bei einem Gegenstandswert von 1.440,- Euro 461,13 Euro, bei einem Gegenstandswert von 2.160,- Euro hingegen 694,37 Euro betragen würde.
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2. In der Sache ist das Rechtsmittel auch begründet.
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Streitig ist im Beschwerdeverfahren allein die Frage, ob der Kündigungsschutzantrag des Klägers mit zwei oder mit drei Monatsgehältern zu bewerten war.
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Entgegen der Auffassung des Vordergerichts besteht insoweit keine Veranlassung, von der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammer des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz abzuweichen. Nach dieser Rechtsprechung ist gemäß § 23 RVG in Verbindung mit § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG für die Wertberechnung bei Streitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses höchstens der Betrag des für die Dauer eines Vierteljahres zu leistenden Arbeitsentgelts maßgebend. Hierbei ist auf eine typisierende Betrachtungsweise abzustellen. Bei einem Bestand des Arbeitsverhältnisses bis zu sechs Monaten im Zeitpunkt der Kündigung beträgt der Streitwert einen Monatsverdienst, von sechs bis zwölf Monaten zwei Monatsverdienste und von mehr als einem Jahr drei Monatsverdienste (vgl. nur Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 07.04.2010 - 1 Ta 88/10). Mit dieser Rechtsprechung hat sich das Beschwerdegericht insbesondere der Rechtsauffassung des Bundesarbeitsgerichts in seinem Beschluss vom 30.11.1984 (NZA 1985, 369) angeschlossen. In diesem Beschluss hat der 2. Senat des Bundesarbeitsgericht sich eingehend (vgl. Langtext bei juris) mit der Festsetzung des Gebührenstreitwertes im Kündigungsschutzverfahren auseinandergesetzt. Das Bundesarbeitsgericht hat in überzeugender Art und Weise unter Hinweis auf die damalige Rechtsprechung und insbesondere die Rechtsprechung von anderen Senaten des Bundesarbeitsgerichts begründet, dass ein Arbeitsverhältnis in den ersten sechs Monaten unter Anlegung einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise noch nicht den Wert hat, den etwa ein langjähriges Arbeitsverhältnis inne hat, da der Gesetzgeber an die Dauer des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses in zahlreichen Fällen gesetzliche Folgen knüpft. So greifen nach Überschreiten einer Bestandsdauer von sechs Monaten besondere gesetzliche Schutzrechte (u.a. nach § 1 Abs. 1 KschG, § 4 BurlG, § 8 BetrVG), weshalb es gerechtfertigt ist, hier eine erste Wertungsgrenze anzunehmen. Bei einer Bestandsdauer von sechs Monaten bis zu einem Jahr ist dem Bestand eines Arbeitsverhältnisses daher ein gegenüber dem Zeitraum unter sechs Monaten gesteigerter Wert zuzuerkennen, welcher typischerweise mit zwei Bruttomonatsgehältern anzusetzen ist, bevor sich nach Ablauf von einem Jahr das Arbeitsverhältnis derart verfestigt hat, dass die Festsetzung eines Vierteljahresgehalts regelmäßig als angemessen erscheint. Der Wert eines Kündigungsrechtsstreits wächst somit in der Regel zunehmend mit der Bestandsdauer. Mit dieser ausführlichen Begründung hat sich der 2. Senat in seinem Beschluss vom 19.10.2010 - 2 AZN 194/10 (JurBüro 2011, 88) mit keinem Wort auseinandergesetzt. Eingangs seiner neuen Entscheidungsgründe hat das BAG lediglich die Feststellung getroffen, dass im Regelfall der Dreimonatsverdienst festzusetzen ist, es sei denn, der Bestand des Arbeitsverhältnisses werde für einen geringeren Zeitraum geltend gemacht. Als einzige Fundstelle für diese nicht weiter begründete Entscheidung beruft sich der 2. Senat allein auf Germelmann (in GMP, ArbGG, 7. Aufl., § 12, Rn. 103). Wenngleich diese Satzformulierung des BAG klar erscheint, muss doch bezweifelt werden, ob es in seinem neuerlichen Beschluss überhaupt von seiner Entscheidung aus dem Jahr 1984 abweichen wollte. Dem BAG lag im Jahre 2010 eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Köln - 6 Sa 1045/09 zugrunde. Diesem Urteil ist - was sich aus der Sachverhaltsschilderung des BAG nicht ergibt - zu entnehmen, dass der dort langjährig beschäftigte Kläger einem Schwerbehinderten gleichgestellt war. In diesem Fall steht zweifelsohne fest, dass hier der volle Vierteljahresverdienst von § 42 Abs. 3 GKG auszuschöpfen war. Der dem BAG im Jahre 2010 vorliegende Sachverhalt war von daher nicht geeignet, zu einer Änderung der Rechtsprechung aus dem Jahre 1984 zu gelangen.
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Rein vorsorglich weist die erkennende Beschwerdekammer darauf hin, dass sie der Rechtsauffassung von Germelmann (a. a. O.) aus grundsätzlichen Erwägungen nicht folgen kann. Germelmann stellt allein auf den prozessualen Streitgegenstand aus dem Klageantrag ab. Das ist aber eine verkürzte Sicht der Dinge, da der Gebührenstreitwert ausgehend und unter Zugrundelegung der gestellten Anträge nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten festzusetzen ist. Dass ein Arbeitsverhältnis in den ersten zwölf Monaten ohne Vorliegen eines Sonderkündigungsschutzes nicht wirtschaftlich in gleicher Weise werthaltig ist, wie etwa ein langjährig bestehendes Arbeitsverhältnis, hat gerade der 2. Senat in seinem Urteil vom 10.06.2010 - 2 AZR 541/09 (NZA 2010, 1228 - Fall "Emmely") nachhaltig selbst unter Beweis gestellt. Der Gebührenstreitwert ist daher nicht allein anhand der gestellten Prozessanträge zu ermitteln, sondern entscheidend ist der objektiv wirtschaftliche Wert des Klageziels, das mit den Anträgen verfolgt wird (vgl. z. B. BGH, Beschl. v. 13.07.2011 - III ZR 23/11). Diese wirtschaftliche Betrachtungsweise findet ihren gesetzlichen Niederschlag auch im Gedanken der Geringerbewertung wertloser Forderungen in § 25 Abs. 1 Nr. 4 RVG. Auch im Rahmen der Insolvenzordnung bestimmt sich gem. § 182 InsO der Wert des Streitgegenstandes einer Klage auf Feststellung einer Forderung, deren Bestand vom Insolvenzverwalter oder von einem Insolvenzgläubiger bestritten worden ist, nach dem Betrag der bei der Verteilung der Insolvenzmasse für die Forderung zu erwarten ist. Der reine Prozessantrag ist nur ein Teil des Prüfgegenstandes.
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Nach alledem war unter Abänderung des erstinstanzlichen Beschlusses der Kündigungsschutzantrag mit zwei Monatsverdiensten des Klägers zu bewerten.
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Ein Rechtsmittel findet gegen diesen Beschluss nicht statt (§ 33 Abs. 4 Satz 2 RVG).
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Referenzen
- § 1 Abs. 1 KschG 1x (nicht zugeordnet)
- 2 AZR 541/09 1x (nicht zugeordnet)
- InsO § 182 Streitwert 1x
- RVG § 23 Allgemeine Wertvorschrift 1x
- 1 Ta 88/10 1x (nicht zugeordnet)
- 4 Ca 661/11 1x (nicht zugeordnet)
- RVG § 33 Wertfestsetzung für die Rechtsanwaltsgebühren 3x
- § 4 BurlG 1x (nicht zugeordnet)
- RVG § 25 Gegenstandswert in der Vollstreckung und bei der Vollziehung 1x
- § 42 Abs. 3 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- BetrVG § 8 Wählbarkeit 1x
- § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- 2 AZN 194/10 2x (nicht zugeordnet)
- 6 Sa 1045/09 1x (nicht zugeordnet)
- III ZR 23/11 1x (nicht zugeordnet)