Urteil vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (4. Kammer) - 4 Sa 324/15

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 19.5.2015 - 8 Ca 229/15 - wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

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Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung von Überbrückungsbeihilfe nach dem Tarifvertrag zur sozialen Sicherung der Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (TV - SozSich).

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Der am … 1954 geborene Kläger war in der Zeit von 1977 bis 2007 bei den US-Stationierungsstreitkräften beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fanden kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme die Bestimmungen des TVAL II und des TV - SozSich Anwendung.

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Der TV SozSich enthält u.a. folgende Bestimmungen:

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"§4
Überbrückungsbeihilfe

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1. Überbrückungsbeihilfe wird gezahlt

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a) zum Arbeitsentgelt aus anderweitiger Beschäftigung außerhalb des Bereichs der Stationierungsstreitkräfte,
b) zu den Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit aus Anlass von Arbeitslosigkeit...

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Protokollnotiz zu Ziffer 1a:

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Eine „anderweitige Beschäftigung" liegt nur vor, wenn die arbeitsvertragliche wöchentliche regelmäßige Arbeitszeit mehr als 21 Stunden beträgt."

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Das Arbeitsverhältnis des Klägers bei den US-Stationierungsstreitkräften endete zum 31.07.2007 wegen Personaleinschränkung im Sinne des § 2 Nr. 1 TV - SozSich.

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Seit dem 10.11.2008 war der Kläger bei der Fa. G. + S., zuletzt auf der Grundlage eines Arbeitsvertrages vom 01.09.2014, hinsichtlich dessen Inhalts auf Blatt 12 - 14 d. A. Bezug genommen wird, beschäftigt. Ausweislich der vom Kläger vorgelegten Lohnabrechnungen erhielt er in diesem Arbeitsverhältnis ab dem 10.11.2012 eine Arbeitsvergütung vom 450,00 € brutto monatlich, die sich ab dem 01.01.2013 auf 490,00 € und ab dem 01.09.2014 auf 850,00 € brutto monatlich erhöhte.

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Die Beklagte zahlte bis einschließlich September 2014 an den Kläger Überbrückungsbeihilfe zu dessen Arbeitsentgelt aus seiner Beschäftigung bei der Fa. G. + S. Ab Oktober 2014 hat die Beklagte diese Zahlungen eingestellt, da sie die Auffassung vertritt, das Arbeitsverhältnis des Klägers sei - insbesondere im Hinblick auf die geringe Arbeitsvergütung - nicht als "anderweitige Beschäftigung" im Sinne von § 4 TV SozSich zu qualifizieren.

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Von einer weitergehenden Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen. Insoweit wird Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 19.05.2015 (Bl. 92 - 96 d.A.).

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Der Kläger hat beantragt,

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festzustellen, dass dem Kläger auf Grundlage seines mit der Firma G. + S. G.S., P. bestehenden Arbeitsverhältnisses sowie auf Grundlage des dortigen Arbeitsverdienstes des Klägers in Höhe von monatlich 850,00 Euro (brutto) rückwirkend für die Zeit ab 1. Oktober 2014 und weiterhin für die Zeit bis 30. September 2017 die Überbrückungsbeihilfe nach dem Tarifvertrag zur Sozialen Sicherung der Arbeitnehmer bei den US-Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vom 31. August 1971 (TASS) zusteht.

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Die Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 19.05.2015 abgewiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht in den Entscheidungsgründen seines Urteils im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf Überbrückungsbeihilfe, da sein Arbeitsverhältnis bei der Fa. G. + S. im Hinblick auf die ursprünglich sittenwidrig zu niedrig bemessene Arbeitsvergütung nichtig sei. Selbst wenn man davon ausgehe, dass sich die anfängliche Sittenwidrigkeit infolge der Erhöhung der Arbeitsvergütung auf den streitgegenständlichen Zeitraum nicht mehr auswirke, stehe dem Anspruch des Klägers entgegen, dass er die von ihm abgeleisteten und von der Beklagten bestrittenen Arbeitsstunden nicht substantiiert dargelegt habe. Sein Sachvortrag sei insoweit schon keiner Beweisaufnahme zugänglich, da er selbst von einer schwankenden Arbeitszeit ausgehe und nicht ansatzweise erkläre, wann er die (erforderlichen) 22 Stunden wöchentlich erbracht habe, ob z.B. vormittags oder nachmittags oder ob er an manchen Werktagen in Vollzeit gearbeitet habe. Zur Darstellung aller Einzelheiten der erstinstanzlichen Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 6 - 8 (= Bl. 96 - 98 d.A.) des erstinstanzlichen Urteils verweisen.

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Gegen das ihm am 15.06.2015 zugestellte Urteil hat der Kläger am 14.07.2015 Berufung eingelegt und diese am Montag, dem 17.08.2015 begründet.

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Der Kläger macht im Wesentlichen geltend, das Arbeitsgericht habe bei seiner Entscheidung die maßgebliche Rechtslage verkannt. Die Feststellung des Arbeitsgerichts, dass die ihm gezahlte Arbeitsvergütung sittenwidrig zu niedrig sei, könne sich nur auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht beziehen und sei damit schon objektiv unzutreffend, da das Arbeitsgericht in seiner Entscheidung an anderer Stellte ausdrücklich ausführe, dass die seit September 2014 gezahlte Arbeitsvergütung nicht sittenwidrig sei. Hiermit lasse sich die auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bezogene Feststellung einer sittenwidrigen Vergütung nicht vereinbaren. Ausgehend von seiner Wochenarbeitszeit von 22 Stunden und einem Monatslohn von 850,00 € ergebe sich ein Bruttostundenlohn von 8,92 €. Wie sich aus dem von der Beklagten selbst vorgelegten Lohn- und Gehaltstarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer im Glaserhandwerk Pfalz ergebe, belaufe sich der dort festgelegte Tariflohn seit dem 01.10.2013 für ungelernte Arbeiter (Hilfskräfte) ab dem fünften Jahr der Betriebszugehörigkeit auf 12,29 € brutto je Arbeitsstunde. Der ihm gezahlte Lohn (8,92 €) betrage damit 72,58 % des bei Anwendung des Tarifvertrages zu zahlenden Stundenlohnes und bewege sich daher deutlich im nicht sittenwidrigen Bereich. Das vom Arbeitsgericht gefundene Ergebnis lasse sich auch nicht mit der Begründung rechtfertigen, dass er - der Kläger - möglicherweise früher einmal bei der Fa. G. + S. eine sittenwidrig niedrige Vergütung bezogen habe. Vielmehr sei ausschließlich auf die Zeit ab dem 01.10.2014 abzustellen. Unabhängig hiervon führe die Vereinbarung einer sittenwidrigen Vergütung nicht zur Nichtigkeit des Arbeitsverhältnisses, sondern nur zur Nichtigkeit der getroffenen Entgeltabrede. An deren Stelle trete die Verpflichtung des Arbeitgebers, die übliche Vergütung zu zahlen (§ 612 Abs. 2 BGB). Es sei daher ausgeschlossen, dass eine etwa tatsächlich gegebene Sittenwidrigkeit der Vergütung zum vollständigen Wegfall des Anspruchs auf Überbrückungsbeihilfe führe. An die Stelle des der Überbrückungsbeihilfe zugrunde zu legenden Arbeitsverdienstes trete keineswegs ein Arbeitsverdienst "null", sondern vielmehr der Arbeitsverdienst, den der Arbeitgeber wegen der Nichtigkeit der getroffenen Entgeltabrede nach Recht und Gesetz schulde.

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Zur Darstellung aller Einzelheiten des Vorbringens des Klägers im Berufungsverfahren wird auf dessen Berufungsbegründungsschrift vom 17.08.2015 (Bl. 125 - 129 d.A.) sowie auf den Schriftsatz des Klägers vom 24.03.2016 (Bl. 185 - 188 d.A.) Bezug genommen.

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Nachdem der Kläger im Berufungsverfahren zunächst seinen erstinstanzlichen Klageantrag unverändert weiterverfolgt hat, hat er im Hinblick auf den Umstand, dass sein Arbeitsverhältnis bei der Firma G. und S. zum 30.11.2015 endete, seinen Klageantrag auf die Zeit bis zum 30.11.2015 beschränkt und im Übrigen die Hauptsache für erledigt erklärt.

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Der Kläger beantragt:

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In Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichtes Kaiserslautern vom 19. Mai 2015, Aktenzeichen: 8 Ca 229/15, wird festgestellt, dass dem Kläger auf Grundlage seines mit der Firma G. + S. G.S., P., stehenden Arbeitsverhältnisses sowie auf Grundlage des dortigen Arbeitsverdienstes des Klägers in Höhe von monatlich 850,00 € (brutto) rückwirkend für die Zeit ab dem 01. Oktober 2014 und weiterhin für die Zeit bis zum 30. November 2015 die Überbrückungsbeihilfe nach dem Tarifvertrag zur sozialen Sicherung der Arbeitnehmer bei den US-Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vom 31. August 1971 (TASS) zusteht.

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Die Beklagte, die sich der (teilweisen) Erledigungserklärung des Klägers angeschlossen hat, beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Die Beklagte macht geltend, die Berufung sei unzulässig, da sich der Kläger in seiner Berufungsbegründung nicht mit der Hilfsbegründung des Arbeitsgerichts auseinandergesetzt habe. Im Übrigen verteidigt die Beklagte das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderungsschrift vom 28.09.2013 (Bl. 153 - 170 d.A.), auf die Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe

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Die an sich statthafte Berufung ist unzulässig.

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Zwar hat der Kläger form- und fristgerecht Berufung eingelegt und diese auch fristgerecht begründet. Die Berufungsbegründung genügt jedoch nicht den gesetzlichen Anforderungen.

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Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil und deren Erheblichkeit für das Ergebnis der Entscheidung ergibt. Erforderlich ist eine hinreichende Darstellung der Gründe, aus denen sich die Rechtsfehlerhaftigkeit der angefochtenen Entscheidung ergeben soll. Diese zivilprozessuale Regelung soll gewährleisten, dass der Rechtsstreit für die Berufungsinstanz durch eine Zusammenfassung und Beschränkung des Rechtsstoffs ausreichend vorbereitet wird. Deshalb hat der Berufungsführer die Beurteilung des Streitfalls durch den Erstrichter zu überprüfen und darauf hinzuweisen, in welchen Punkten und mit welchem Grund er das angefochtene Urteil für unrichtig hält. Dabei dürfen im Hinblick auf die aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Rechtsschutzgarantie zwar keine unzumutbaren Anforderungen an den Inhalt von Berufungsbegründungen gestellt werden. Die Berufungsbegründung muss aber auf den Streitfall zugeschnitten sein und im Einzelnen erkennen lassen, in welchen Punkten rechtlicher oder tatsächlicher Art und aus welchen Gründen das angefochtene Urteil fehlerhaft sein soll (BAG v. 18.05.2011 - 4 AZR 552/09 - AP Nr. 45 zu § 64 ArbGG 1979). Stützt das Arbeitsgericht sein Urteil bei einem Streitgegenstand auf mehrere voneinander unabhängige, die Entscheidung jeweils selbständig tragende rechtliche Erwägungen, dann muss die Berufungsbegründung alle diese Erwägungen angreifen. Setzt sich die Berufungsbegründung nur mit einer der beiden oder mehreren Erwägungen des Arbeitsgerichts auseinander, ist die Berufung insgesamt unzulässig. Die Begründung muss darlegen, warum jede Erwägung des Vordergerichts die Entscheidung nicht tragen könne. Dies gilt auch für eine Haupt- und die Entscheidung selbständig tragende Hilfsbegründung. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Rechtsmittelkläger erstinstanzlich zu allen Komplexen schriftsätzlich Stellung genommen hatte und er ergänzend hierauf verweist. Entscheidend ist, dass die Berufungsbegründung eine Auseinandersetzung mit allen die Entscheidung jeweils selbständig stützenden Erwägungen des Arbeitsgerichts vornimmt (Schwab/Weth, ArbGG, 3. Aufl., § 64 Rd.Ziff. 158 m.N.a.d.R.).

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Diesen Anforderungen wird die Berufungsbegründung des Klägers nicht gerecht. Zwar setzt sich die Berufungsbegründung eingehend mit der Erwägung des Arbeitsgerichts auseinander, dem Anspruch des Klägers auf Überbrückungsbeihilfe stehe entgegen, dass dessen Arbeitsverhältnis mit der Firma G. + S. infolge einer (ursprünglich) sittenwidrigen Entgeltabrede nichtig sei. Das Arbeitsgericht hat jedoch unter I. 2. seiner Entscheidungsgründe ausgeführt, die Klage sei auch dann unbegründet, wenn sich die Sittenwidrigkeit der ursprünglichen Entgeltabrede nicht auf den streitgegenständlichen Zeitraum auswirke. Dies deshalb (so das Arbeitsgericht), weil der Kläger nicht substantiiert dargelegt habe, dass er im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses 22 Stunden wöchentlich gearbeitet habe. Unabhängig von der Frage, ob diese (Hilfs-)begründung des Arbeitsgerichts einer rechtlichen Prüfung standhalten könnte, handelt es sich hierbei jedenfalls um eine selbständig tragende rechtliche Erwägung, auf die das Arbeitsgericht sein Urteil gestützt hat. Hinsichtlich dieser Erwägung enthält die Berufungsbegründung keinerlei Ausführungen. Es fehlt daher insoweit an einer ordnungsgemäßen Berufungsbegründung, was zur Verwerfung des Rechtsmittels als unzulässig führt.

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Die Berufung unterliegt auch insoweit der Verwerfung, als die Parteien die Hauptsache übereinstimmend teilweise für erledigt erklärt haben. Eine übereinstimmende Erledigungserklärung im Rechtsmittelzug setzt nämlich voraus, dass das Rechtsmittel statthaft und zulässig ist. Das unzulässige Rechtsmittel ist daher trotz beiderseitiger Erledigungserklärung zu verwerfen (Zöller/Vollkommer, ZPO, 31. Aufl., § 91 a Rd.Ziff. 19 m.N.a.d.R.).

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Nach alledem war zu entscheiden, wie geschehen.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

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Für die Zulassung der Revision bestand im Hinblick auf die in § 72 Abs. 2 ArbGG genannten Kriterien keine Veranlassung. Auf die Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision selbständig durch Beschwerde anzufechten (§ 72 a ArbGG), wird hingewiesen.

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