Urteil vom Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt (5. Kammer) - 5 Sa 440/09

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Zwischenurteil des Arbeitsgerichts Halle vom 29.09.2009 – 4 Ca 382/09 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

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Die Parteien streiten in einem Kündigungsschutzverfahren darüber, ob die Erklärung des Prozessbevollmächtigten der Beklagten vom 16. 7. 2009 als Widerruf des Vergleiches vom 7. 7. 2009 zu werten ist.

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Dieser Vergleich lautete wie folgt:

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„… Die Parteien genehmigen den Wortlaut folgenden gerichtlich protokollierten Vergleichs :

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1. Beide Parteien sind sich darüber einig, dass das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund einer ordentlichen, fristgemäßen, arbeitgeberseitigen, betriebsbedingten Kündigung zum 31.07.2009 endet.

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2. Allein für den Verlust des Arbeitsplatzes zahlt die Beklagte der Klägerin eine Abfindung in Höhe von 12.750,00 € brutto gemäß § 9, 10 KSchG.

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3. Die Beklagte verpflichtet sich, unter dem Beendigungsdatum der Klägerin ein wohlwollendes, qualifiziertes Zeugnis zu erstellen, welches sich auf Leistung und Führung erstreckt und ihr späteres Fortkommen nicht negativ beeinträchtigt auf der Grundlage des erteilten Zwischenzeugnis vom 28.02.2008.

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4. Die Klägerin verpflichtet sich, das vor dem Verwaltungsgericht Halle anhängige Verfahren, Aktenzeichen 7 A 227/09, zurückzunehmen und die ihnen in diesem Verfahren entstandenen Kosten gegeneinander aufgehoben werden.

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5. Damit ist der Rechtsstreit erledigt.

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6. Der Beklagten wird ein Widerrufsrecht bis zum 16.07.2009 eingeräumt. Sollte der Widerruf nicht bis zum 16.07.2009 beim Arbeitsgericht Halle eingegangen sein, wird der Vergleich am 17.07.2009 rechtsbeständig.

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Vorgespielt und genehmigt

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Für den Fall eines Widerrufes sollte am 8. 9. 2009, 13.00 Uhr, eine Entscheidung verkündet werden. Am 16. 7. 2009, 12.10 Uhr, ging per Fax beim Arbeitsgericht Halle eine Erklärung des Prozessbevollmächtigten der Beklagten folgenden Inhalts ein:

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„… treten wir hiermit von dem am 07.07.2009 vor dem Arbeitsgericht Halle geschlossenen Vergleich zurück. Einfache und beglaubigte Abschrift anbei.

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Rechtsanwalt

xy

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Die Klägerin hat gemeint, es sei kein Rücktrittsrecht gem. § 346 BGB vereinbart worden, sondern ein Widerrufsrecht. Widerrufen habe die Beklagte innerhalb der Widerrufsfrist nicht. Ihr Rücktritt vom Vergleich sei juristisch gesehen etwas anderes als ein Widerruf desselben. Einer Umdeutung müsse widersprochen werden.

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Die Klägerin hat beantragt,

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es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit entsprechend des gerichtlichen Vergleiches vom 7. 7. 2009 erledigt wurde.

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Hilfsweise hat der Prozessvertreter die Anträge aus dem Protokoll der Kammerverhandlung vom 7. 7. 2009 gestellt.

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Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

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Mit Zwischenurteil vom 29. 9. 2009 hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass das Verfahren nicht durch den gerichtlichen Vergleich vom 7. 7. 2009 beendet worden ist Die Kostenentscheidung hat es der Schlussentscheidung vorbehalten und den Streitwert auf 1.500,00 € festgesetzt.

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Zur Begründung hat es – kurz zusammengefasst – ausgeführt, es stehe den Prozessparteien frei, in dem Vergleich aufschiebende oder auflösende Bedingungen (§ 158 BGB) oder unter einer Zeitbestimmung (§ 163 BGB) abzuschließen. Auch hätten sie die Möglichkeit, im Vergleich einen Rücktritt gemäß §§ 346 ff. BGB oder einen Widerruf zu vereinbaren.

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Aus dem unter Widerrufsvorbehalt abgeschlossenen Vergleich entstünden, wenn sich an ein anderer Wille der Partei nicht unmittelbar aus dem Vergleichswortlaut ergebe, bindende Rechtswirksamkeit erst, wenn bei Ablauf der Widerrufsfrist feststehe, dass der Vergleich Bestand haben solle.

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Hier habe der Prozessvertreter der Beklagten mit Fax vom 16. 7. 2009, eingegangen beim Arbeitsgericht 11.46 Uhr, mitgeteilt, dass man von dem am 7. 7. 2009 vor dem Arbeitsgericht Halle geschlossenen Vergleich zurücktreten wolle. Diese Prozesshandlung sei ihrem Sinn gemäß auszulegen. Die Beklagtenseite habe deutlich erklärt, dass sie den abgeschlossenen Vergleich vom 7. 7. 2009 und dessen Inhalt für sich selbst nicht mehr akzeptiere. Dabei sei es nach Auffassung der Kammer unwichtig, welche konkreten Begriffe auch ein Prozessvertreter wähle. Es könne nicht an dem Wort Widerruf allein festgemacht werden, dass eine bestimmte Prozesshandlung deshalb unberücksichtigt bleiben müsse.

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In der deutschen Sprache seien so viele Umgehungen möglich, um deutlich den Willen der Prozesspartei deutlich zu machen. Es sei unrichtig, wenn die Klägerin behaupte, die Beklagte habe den „Rücktritt“ als solches erklärt, sondern sie habe deutlich gemacht, dass sie sich vom Inhalt des Vergleiches distanzieren wolle und dieses sei unter anderem auch als Widerruf zu sehen. Das gleiche wären ähnliche Erklärungen wie „fühle ich mich an den Vergleich nicht mehr gebunden“, „sind wir mit dem Inhalt des Vergleiches nicht einverstanden“ oder „wollen wir den Inhalt des Vergleiches nicht erfüllen“.

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Im Rahmen der Auslegung von Prozesshandlungen, auch wenn sie von einem Juristen erfolgt sei, sei dennoch für die Kammer deutlich gewesen, dass es sich hierbei um eine wenn auch nicht im Wortlaut hundertprozentig übereinstimmende Erklärung des Widerrufes gehandelt hat, so doch um eine Prozesserklärung, die die Wirksamkeit des Widerrufs in diesem Vergleich entsprochen und den Prozessvergleich zerstört habe.

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Da dieser unwirksame Vergleich nicht zur Beendigung des Rechtsstreites führe, sei im Rahmen eines Zwischenurteils zu entscheiden.

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Ergänzend wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils 1. Instanz Bezug genommen.

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Gegen dieses ihr am 27. 10. 2009 zugestellte Zwischenurteil hat die Klägerin am 27. 11. 2009 Berufung nebst Berufungsbegründung eingelegt.

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Sie verteidigt ihren erstinstanzlich verteidigten Rechtsstandpunkt und beantragt:

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1. Unter Abänderung des Zwischenurteils des Arbeitsgerichts Halle vom 29.09.2009, Az.: 4 Ca 382/09, wird festgestellt, dass der Rechtsstreit entsprechend des gerichtlichen Vergleichs der Parteien vom 07.07.2009 erledigt wurde.

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2. Die Kosten des Rechtstreits werden der Beklagten auferlegt.

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Die Beklagte beantragt,

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Die Berufung der Klägerin vom 26.November 2009 in der Fassung der Anträge vom 25. Januar 2010 kostenpflichtig zurückzuweisen.

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Ergänzend wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg. Die Beklagte hat am 16. 7. 2009 den am 7. 7. 2009 abgeschlossenen Vergleich wirksam widerrufen. Das Verfahren ist deshalb fortzusetzen.

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I. Sie hat zwar sprachlich und terminologisch wenig geschickt mit den Worten widerrufen, „ treten wir hiermit von dem am 07.07.2009 vor dem Arbeitsgericht Halle geschlossenen Vergleich zurück “.

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II. Zutreffend hat das Arbeitsgericht diese Erklärung jedoch als Erklärung des Widerrufs des Vergleichs im Sinne dessen Ziff. 6 angesehen.

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1. Es hat zutreffend darauf hingewiesen, die Beklagtenseite habe durch das Fax vom 16. 7. 2009 deutlich erkennbar erklärt, sie akzeptiere den abgeschlossenen Vergleich vom 7. 7. 2009 nicht mehr. Es könne nicht am Wort „Widerruf“ allein festgemacht werden, dass eine bestimmte Prozesshandlung unberücksichtigt bleiben müsse. Zutreffend hat das Arbeitsgericht erkannt, dass auch Prozesserklärungen der Auslegung zugänglich sind und zuweilen ihrer bedürfen.

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So auch im vorliegenden Fall.

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Für die Klägerin war klar erkennbar, dass die Beklagte an dem (widerruflichen) Vergleich nicht mehr festhalten, ihn vielmehr aus der Welt schaffen wollte. Hierzu war allerdings allein der Widerruf das zulässige und nach verständiger Auslegung erkennbare Gestaltungsmittel der Beklagten. Im Gegensatz zur Ansicht der Klägerin braucht sich die Beklagte nicht an der – allerdings missglückten – Formulierung des „Rücktritts“ festhalten zu lassen. Auch die Klägerin hätte unschwer erkennen können, was die Beklagte mit ihrem „Rücktritt“ tatsächlich hat erklären wollen: den Widerruf des Vergleichs.

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2. Die Berufungskammer geht davon aus, dass die juristisch wohl beratene Klägerin die Erklärung der Beklagten wohl auch durchaus in diesem Sinne verstanden haben dürfte, zumindest nach kundiger Unterrichtung durch ihren Prozessbevollmächtigten. Nachvollziehbar ist allerdings auch, dass die Klägerin den streitbefangenen Vergleich als für sie äußerst vorteilhaft angesehen hat mit der Folge, dass sie den an sich nicht fern liegenden Versuch unternommen hat, sich der Bestandskraft des Vergleichs auf diesem prozessualen Wege zu versichern.

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Allerdings musste diesem Versuch der erstrebte Erfolg versagt bleiben, so dass das erstinstanzliche Verfahren fortzuführen ist.

III.

42

Die Klägerin hat die Kosten ihres erfolglosen Berufungsverfahrens zu tragen, § 97 Abs. 1 ZPO.


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