Urteil vom Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt (6. Kammer) - 6 Sa 244/14
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Halle vom 19.02.2014 – 9 Ca 186/13 – abgeändert.
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht aufgrund der am 24.03.2011 vereinbarten Befristung zum 31.12.2012 beendet worden ist.
Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses aufgrund Befristung.
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Die Klägerin war vom 12.04.1999 bis zum 31.12.2012 bei dem Beklagten als technische Assistentin in der von ihm in H, W betriebenen Forschungsstelle für E der P (im Folgenden: FS) tätig. Die Rechtsbeziehungen der Parteien bestimmten sich nach Maßgabe von vier, sich nahtlos aneinanderreihenden befristeten Arbeitsverträgen. Der erste Arbeitsvertrag (Bl. 7 – 11 d.A.) datiert vom 19.04.1999 und enthält eine Laufzeit bis 31.03.2004. Am 22.03.2004 schlossen die Parteien einen weiteren befristeten Arbeitsvertrag (Bl. 13 – 16 d.A.) mit einer Laufzeit vom 01.04.2004 bis 31.05.2008, in dem als Befristungsgrund das Auslaufen der Forschungsstelle benannt worden ist. Der dritte, am 10.03.2008 geschlossene befristete Arbeitsvertrag (Bl. 18 – 21 d.A.) weist eine Laufzeit vom 01.06.2008 bis 31.05.2011 auf. In der hierzu gefertigten Niederschrift nach dem Nachweisgesetz (Bl. 22 d.A.) wird als Befristungsgrund auf „Haushaltsmittel, die haushaltsrechtlich für eine befristete Beschäftigung bestimmt sind“, verwiesen. Schlussendlich schlossen die Parteien unter dem 24.03.2011 einen vierten befristeten Arbeitsvertrag (Bl. 23 – 26 d.A.) mit einer Laufzeit vom 01.06.2011 bis 31.12.2012. Die hierzu gefertigte Niederschrift (Bl. 27 f. d.A.) weist als Befristungsgrund erneut die Schließung der Forschungsstelle aus. Weiter behält sich der Beklagte in der Niederschrift vor, die Befristung auf andere Sachgründe zu stützen.
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Der Einsatz der Klägerin erfolgte jeweils in unterschiedlichen Bereichen der Forschungsstelle.
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Unter dem Datum 19./20.12.2012 vereinbarte der Beklagte mit der M H (MLU) einen Kooperationsvertrag (Bl. 242 ff.d.A.). Danach errichtet die MLU zum 01.01.2013 ein „Gemeinsames Forschungsprojekt“. In dieser Forschungsgruppe (im Folgenden: gFP 5), die sich ebenfalls mit der Faltung von Proteinen beschäftigt, sind weiterhin – den Vorgaben im Kooperationsvertrag entsprechend – ein Teil der bisher bei dem Beklagten in der FS beschäftigten Arbeitnehmer tätig. Insbesondere arbeiten dort 3 von 4 (wissenschaftlichen) Gruppenleitern an den in dem Kooperationsvertrag vereinbarten Forschungsprojekten. Die gFP 5 nutzt dabei die bis zum 31.12.2012 von dem Beklagten angemieteten Räume in dem Gebäude W – jedoch nicht in vollem Umfang. Ebenfalls in diesen Räumen tätig ist eine von dem Beklagten gegründete sog. Emeritusgruppe. Leiter dieser Gruppe ist Herr Prof. Dr. F, der bis zum 31.05.2011 die Funktion des geschäftsführenden Direktors der FS inne hatte und nach der zu jenem Datum erfolgten Emeritierung die Geschäfte der FS als kommissarischer Leiter bis zum 31.12.2012 fortgeführt hat. Der Emeritusgruppe, die organisatorisch einer von dem Beklagten in G betriebenen Einrichtung angegliedert ist, gehören weiter eine ehemalige Verwaltungskraft der FS, eine dort bisher tätige technische Kraft sowie die ebenfalls in der FS tätige Sekretärin des Herrn Prof. Dr. F an.
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Auch die Klägerin nahm zum 01.01.2013 auf Basis eines mit der MLU bis zum Ende des Jahres 2017 befristet abgeschlossenen Arbeitsvertrages eine Tätigkeit als technische Mitarbeiterin in der gFP 5 auf.
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Sie hat die Auffassung vertreten, der streitgegenständlichen Befristung komme keine Rechtswirksamkeit zu. Es fehle bereits an einem Befristungsgrund für den letzten am 24.03.2011 abgeschlossenen Arbeitsvertrag. Zu jenem Zeitpunkt habe für den Beklagten keine ausreichende Prognosegrundlage für einen nur befristet bestehenden Bedarf an der Arbeitskraft der Klägerin bestanden. Wie sich aus der Niederschrift ergebe, in der der Beklagte sich die Berufung auf weitere Befristungsgründe vorbehalten habe, habe er zum damaligen Zeitpunkt überhaupt keine Gründe für eine (weitere) Befristung des Arbeitsverhältnisses zur Grundlage des Vertrages gemacht.
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Jedenfalls sei im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung des über fast 14 Jahre bestehenden Arbeitsverhältnisses die Befristung als rechtsmissbräuchlich anzusehen. So sei davon auszugehen, dass bereits die ersten drei befristeten Arbeitsverträge nicht von einem erforderlichen Sachgrund getragen gewesen seien. Bei der Tätigkeit der Klägerin habe es sich um in der FS anfallende Daueraufgaben gehandelt. Dem Beklagten sei es mit den vereinbarten Befristungen allein darum gegangen, den der Klägerin ansonsten zustehenden Kündigungsschutz zu umgehen.
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Die Klägerin hat beantragt,
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festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht aufgrund der am 24. März 2011 vereinbarten Befristung am 31. Dezember 2012 beendet worden ist.
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Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er hat die Auffassung vertreten, der streitgegenständlichen Befristung komme Rechtswirksamkeit zu. Die Abrede beruhe auf der von dem Senat des Beklagten am 18.03.2011 beschlossenen endgültigen Schließung der FS zum 31.12.2012, wie sich aus dem Sitzungsprotokoll (Bl. 159 – 161 d.A.) eindeutig ergebe. Der hierauf basierenden Prognose eines (nur noch) vorübergehenden Bedarfs an der Arbeitskraft der Klägerin stehe die zeitlich wesentlich später abgeschlossene Kooperationsvereinbarung mit der MLU nicht entgegen. Diese Vereinbarung begründe gerade keine – einer Befristung entgegenstehende – Fortführung der FS, sei es auch im Wege des Betriebsübergangs durch die MLU. Die neugebildete gFP 5 weise als Teil der MLU eine völlig andere Organisationsstruktur auf. Auch die im Rahmen der gFP 5 zu absolvierenden Forschungsthemen unterscheiden sich inhaltlich von jenen der FS. Letztendlich habe der Beklagte durch die Kooperationsvereinbarung lediglich der MLU Drittmittel in Form eines Pauschalbetrages für weitere Forschungsprojekte zur Verfügung gestellt. Zwar sei auch der ehemalige Leiter der FS, Prof. Dr. F in diese Forschungsprojekte im Rahmen der Emeritusgruppe involviert, keineswegs komme ihm jedoch die Funktion eines Leiters der gFP 5 zu. Diese Position werde vielmehr von dem an der MLU tätigen Prof. Dr. S auch tatsächlich ausgeübt.
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Im Übrigen sei die Kooperationsvereinbarung mit der MLU schon deshalb nicht geeignet, die von dem Beklagten getroffene Prognose in Zweifel zu ziehen, weil die Idee zu einer solchen Zusammenarbeit erst im Jahr 2012, nämlich bei einem Treffen des damaligen Vizepräsidenten des Beklagten, Prof. Dr. J, mit dem Kanzler der MLU am 16.02.2012 erstmals aufgekommen sei.
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Der erste zwischen den Parteien geschlossene Arbeitsvertrag sei entgegen der Annahme der Klägerin nicht ohne Sachgrund geschlossenen worden. Sachgrund hierfür sei vielmehr die begrenzte Laufzeit eines von einer sog. Nachwuchsgruppe betreuten Forschungsprojekts gewesen, in dessen Rahmen die Klägerin als technische Mitarbeiterin zunächst eingesetzt worden sei. Die zweite Befristung beruhte auf der damaligen Annahme, Herr Prof. Dr. F, auf dessen Person die gesamte Forschungsstelle zugeschnitten gewesen sei („ad-personam-Einrichtung“), werde mit Erreichen des 65. Lebensjahres zum 31.05.2008 emeritieren. Tatsächlich habe Prof. Dr. F jedoch von der Option Gebrauch gemacht, sein aktives Beschäftigungsverhältnis um 3 Jahre – bis zum 31.05.2008 – zu verlängern. Dementsprechend sei auch der dritte befristete Vertrag mit der Klägerin abgeschlossen worden, wobei es sich bei der Benennung des Befristungsgrundes in der Niederschrift um eine Falschbezeichnung gehandelt habe. Im weiteren Verlauf habe sich ergeben, dass die Forschungsarbeiten aufgrund der herausragenden Forschungsergebnisse aber auch aufgrund eingeworbener Drittmittel noch bis zum 31.12.2012 unter der (kommissarischen) Leitung des nunmehr emeritierten Prof. Dr. F fortgesetzt werden können.
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Die Klägerin hat hierzu entgegnet, sie bestreite, dass der Beklagte tatsächlich den in dem von ihm vorgelegten Sitzungsprotokoll aufgeführten Beschluss zur Schließung der FS getroffen habe. Ebenfalls werde bestritten, dass die Idee zu einer Kooperation mit der MLU erst im Jahr 2012, nämlich am 16.02.2012, aufgekommen sei. Hiergegen spreche, dass ihr – unstreitig – bereits am 26.03.2012 die Aufgabe übertragen worden sei, ab April 2012 Forschungsprojekte auf die MLU zu überführen.
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Im Übrigen sei es keineswegs so, dass dem Beklagten lediglich die Funktion eines Drittmittelgebers betreffend die von der gFP 5 durchgeführten Forschungsprojekte zukomme. Die in dem Kooperationsvertrag getroffene Vereinbarung, insbesondere die „Übernahme“ von Personal, das bisher in der FS tätig war, zu genau vorgegebenen arbeitsvertraglichen Bedingungen lasse jedenfalls in Verbindung mit der Zusammenarbeit zwischen der gFP 5 und der von dem Beklagten geführten Emeritusgruppe nur den Schluss darauf zu, die Forschungseinrichtung werde – wenn auch in organisatorisch veränderter Form – tatsächlich fortgeführt.
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Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 19.02.2014 die Klage abgewiesen und die Kosten des Rechtsstreits der Klägerin auferlegt. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, die Befristungskontrollklage sei unbegründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien sei durch die im letzten Arbeitsvertrag vom 24.03.2011 enthaltene Befristung zum 31.12.2012 beendet worden. Diese Befristung sei von einem Sachgrund getragen, nämlich der bei Vertragsschluss bereits von dem Senat beschlossenen Schließung der FS zum 31.12.2012. Ungeachtet des Bestreitens der Klägerin sei die Kammer davon überzeugt, dass der Beklagte tatsächlich einen solchen Beschluss gefasst habe. Die zeitlich später vereinbarte Kooperation zwischen dem Beklagten und der MLU sei für die auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zu beziehenden Prognose unerheblich. Die von dem Beklagten gewählte Vertragsgestaltung sei auch nicht als rechtsmissbräuchlich anzusehen. Zwar erstrecke sich die Vertragslaufzeit auf annähernd 14 Jahre. Bei Bewertung der Gesamtumstände sei jedoch auch zu berücksichtigen, dass der Beklagte sich auf die in Art. 5 Abs. 3 GG garantierte Wissenschaftsfreiheit berufen könne. Wegen der weiteren Einzelheiten der angefochtenen Entscheidung wird auf Bl. 191 – 206 d.A. verwiesen.
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Gegen dieses, ihr am 22.05.2014 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 17.06.2014 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 22.08.2014 am 21.08.2014 begründet.
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Mit ihrem Rechtsmittel verfolgt sie ihren Befristungskontrollantrag weiter. Sie bestreitet weiterhin eine wirksame Beschlussfassung durch den Senat des Beklagten betreffend die Schließung der FS zum 31.12.2012. Gegen eine derartige Beschlussfassung spreche im Übrigen, dass – unstreitig – keiner der unbefristet bei dem Beklagten in der FS tätigen Arbeitnehmer im Verlaufe des Jahres 2012 eine Beendigungskündigung zum 31.12.2012 erhalten habe. Vielmehr habe der damalige Vizepräsident des Beklagten im Februar 2012 auf einer Betriebsversammlung mitgeteilt, alle Arbeitnehmer werden zu unveränderten Bedingungen auf die MLU übergehen. Jedenfalls sei entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts die von dem Beklagten gewählte Vertragsgestaltung, nämlich vier befristete Arbeitsverträge über einen Zeitraum von annähernd 14 Jahren, rechtsmissbräuchlich. Das Arbeitsgericht habe zu Unrecht seine gegenteilige Auffassung mit Art. 5 Abs. 3 GG begründet, da die Klägerin unstreitig nicht im Bereich der Wissenschaft und Forschung für den Beklagten tätig geworden sei.
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Die Klägerin beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Halle vom 19.02.2014 – 9 Ca 186/13 – abzuändern sowie festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht aufgrund der dam 24.03.2011 vereinbarten Befristung am 31.12.2012 beendet worden ist.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
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Er verteidigt die angefochtene Entscheidung. Es sei unzutreffend, dass der damalige Vizepräsident Prof. Dr. J den Mitarbeitern der FS zugesagt habe, sie werden alle von der MLU übernommen. Das von der Klägerin benannte Gespräch habe nach dem Treffen zwischen Prof. Dr. J und dem Kanzler der MLU stattgefunden. Hier sei lediglich darüber informiert worden, dass mit der MLU über eine Kooperation verhandelt werde.
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Zu Recht habe das Arbeitsgericht auch einen institutionellen Rechtsmissbrauch verneint. Die gewählte Vertragsgestaltung habe sich an den Gegebenheiten, nämlich Einsatz der Klägerin zunächst in der sog. Nachwuchsgruppe und anschließend an der jeweils zu erwartenden Emeritierung des Leiters der Forschungsstelle Prof. Dr. F orientiert.
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Im Übrigen habe die Klägerin mehrere, ihr im Verlaufe des Rechtsstreits unterbreitete Angebote, an anderen Instituten des Beklagten tätig zu werden, abgelehnt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
A.
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Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Es handelt sich um das gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 ArbGG statthafte Rechtsmittel. Die Klägerin hat die Fristen des § 66 Abs. 1 Satz 1, Satz 5 ArbGG gewahrt.
B.
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Die Berufung der Klägerin ist auch begründet. Das Arbeitsgericht hat zu Unrecht die Befristungskontrollklage abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien wird nicht durch die streitige Befristung im Arbeitsvertrag vom 24.03.2011 zum 31.12.2012 aufgelöst. Der Befristungsabrede kommt keine Rechtswirksamkeit zu (§ 16 Satz 1 TzBfG).
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Streitgegenstand ist nach Antrag und Klagebegründung ausschließlich die Wirksamkeit der (im letzten) Arbeitsvertrag der Parteien vom 24.03.2011 vereinbarten kalendermäßigen Befristung auf den 31.12.2012. Ungeachtet der Frage, ob im Fall der Unwirksamkeit der Befristung das Arbeitsverhältnis der Parteien gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB zum 01.01.2013 auf die MLU übergegangen ist, ist der Beklagte für den hier allein streitgegenständlichen Befristungskontrollantrag gemäß § 17 TzBfG passiv legitimiert, weil dieser Antrag sich (sog. erweiterter punktueller Streitgegenstand) auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien des Rechtsstreits im unbefristeten Zustand zum Stichtag 31.12.2012 bezieht, ein Betriebsübergang jedoch erst mit Ablauf dieses Tages in Betracht kommt (vgl. hierzu BAG 23.07.2014 – 7 AZR 853/12 – Rn. 24).
I.
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Dabei kann dahinstehen, ob die Befristungsvereinbarung vom 24.03.2011 durch den Sachgrund des § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TzBfG – vorübergehender betrieblicher Bedarf – gerechtfertigt ist, was jedenfalls voraussetzen würde, dass bei Abschluss jenes Vertrages eine ausreichende Prognosegrundlage dahin, die FS werde „ersatzlos“ zum 31.12.2012 geschlossen, objektiv gegeben war.
II.
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Der Rechtswirksamkeit der letzten Befristung steht jedenfalls entgegen, dass diese sich unter Beachtung des Gesamtverlaufes des Arbeitsverhältnisses als rechtsmissbräuchlich (§ 242 BGB) erweist.
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Die Gerichte dürfen sich bei der Befristungskontrolle nicht auf die Prüfung des geltend gemachten Sachgrunds beschränken. Sie sind vielmehr aus unionsrechtlichen Gründen verpflichtet, durch Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls auszuschließen, dass Arbeitgeber missbräuchlich auf befristete Arbeitsverträge zurückgreifen (EuGH 26.01. 2012 – C-586/10 – [Kücük] Rn. 40). Diese zusätzliche Prüfung ist im deutschen Recht nach den Grundsätzen des institutionellen Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) vorzunehmen.
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Die Prüfung, ob der Arbeitgeber missbräuchlich auf befristete Arbeitsverträge zurückgegriffen hat, verlangt eine Würdigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls (vgl. EuGH 26.01.2012 – C-586/10 – [Kücük] Rn. 40, 43, 51, 55; BAG 18.07.2012 – 7 AZR 443/09 – Rn. 40). Von besonderer Bedeutung sind die Gesamtdauer der befristeten Verträge sowie die Anzahl der Vertragsverlängerungen. Ferner ist der Umstand zu berücksichtigen, ob der Arbeitnehmer stets auf demselben Arbeitsplatz mit denselben Aufgaben beschäftigt wurde oder ob es sich um wechselnde, ganz unterschiedliche Aufgaben handelt. Bei zunehmender Anzahl befristeter Verträge und Dauer der befristeten Beschäftigung eines Arbeitnehmers kann es eine missbräuchliche Ausnutzung der dem Arbeitgeber an sich rechtlich eröffneten Befristungsmöglichkeit darstellen, wenn er gegenüber einem bereits langjährig beschäftigten Arbeitnehmer trotz der tatsächlich vorhandenen Möglichkeit einer dauerhaften Einstellung immer wieder auf befristete Verträge zurückgreift. Zu berücksichtigen ist außerdem, ob die Laufzeit der Verträge zeitlich hinter dem prognostizierten Vertretungsbedarf zurückbleibt. Bei der Gesamtwürdigung können daneben weitere Gesichtspunkte eine Rolle spielen. Zu denken ist dabei insbesondere an die Zahl und Dauer von Unterbrechungen zwischen den befristeten Verträgen sowie an branchenspezifische Besonderheiten, etwa bei Saisonbetrieben. Auch können bei der Gesamtbeurteilung grundrechtlich gewährleistete Freiheiten von Bedeutung sein.
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Zur Bestimmung der Schwelle einer rechtsmissbräuchlichen Gestaltung von Sachgrundbefristungen kann an die gesetzlichen Wertungen in § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG angeknüpft werden. Die Vorschrift macht eine Ausnahme von dem Erfordernis der Sachgrundbefristung und erleichtert damit den Abschluss von befristeten Verträgen bis zu der festgelegten Höchstdauer von zwei Jahren bei maximal dreimaliger Verlängerungsmöglichkeit. Sie kennzeichnet den nach Auffassung des Gesetzgebers unter allen Umständen unproblematischen Bereich. Ist ein Sachgrund nach § 14 Abs. 1 TzBfG gegeben, lässt erst das erhebliche Überschreiten dieser Grenzwerte den Schluss auf eine missbräuchliche Gestaltung zu. Zumindest regelmäßig besteht hiernach bei Vorliegen eines die Befristung an sich rechtfertigenden Sachgrunds kein gesteigerter Anlass zur Missbrauchskontrolle, wenn die in § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG für die sachgrundlose Befristung bezeichneten Grenzen nicht um ein Mehrfaches überschritten sind. Werden diese Grenzen jedoch alternativ oder insbesondere kumulativ mehrfach überschritten, ist eine umfassende Missbrauchskontrolle geboten, in deren Rahmen es Sache des Arbeitnehmers ist, noch weitere für einen Missbrauch sprechende Umstände vorzutragen. Werden die in § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG genannten Grenzen alternativ oder insbesondere kumulativ in gravierendem Ausmaß überschritten, kann eine missbräuchliche Ausnutzung der an sich eröffneten Möglichkeit zur Sachgrundbefristung indiziert sein. In einem solchen Fall hat allerdings der Arbeitgeber regelmäßig die Möglichkeit, die Annahme des indizierten Gestaltungsmissbrauchs durch den Vortrag besonderer Umstände zu entkräften (BAG 29.04.2015 – 7 AZR 310/13 Rn. 24 – 26).
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1. Vorliegend ist eine Rechtsmissbrauchskontrolle angezeigt, weil die Gesamtlaufzeit der vier befristeten Verträge die nach § 14 Abs. 2 TzBfG mögliche Höchstdauer von 2 Jahren erheblich – um annähernd das Sechsfache – übersteigt. Zwar hält sich die Anzahl der befristeten Arbeitsverträge, die dem Gesamtarbeitsverhältnis zugrunde liegen, innerhalb des von § 14 Abs. 2 TzBfG vorgegebenen Rahmens. Angesichts der gravierenden Überschreitung der zulässigen Höchstdauer erscheint der Kammer dennoch eine Rechtsmissbrauchskontrolle angezeigt.
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2. Dabei kann dahinstehen, ob der Rechtsmissbrauch bereits allein aufgrund der Vertragsdauer als indiziert anzusehen ist. Jedenfalls ergibt sich aus den vorliegenden Gesamtumständen, dass die von dem Beklagten gewählte Vertragsgestaltung sich als institutioneller Rechtsmissbrauch darstellt. Die Befristung des 2., 3. und 4. Vertrages beruht nach dem eigenen Sachvortrag des Beklagten auf dem Umstand, dass im Hinblick auf die Person des Leiters der FS eine Einstellung des Forschungsbetriebes seitens des Beklagten erwogen wurde, ohne dies jedoch zunächst „förmlich“ zu beschließen. Auf dieser Annahme fußend hat der Beklagte mit einer Mitarbeiterin, die mit technischen – nicht mit wissenschaftlichen – Daueraufgaben betraut war, das Arbeitsverhältnis über insgesamt fast 14 Jahre „in der Schwebe“ gehalten. Er hat auch dann noch weiter auf dieser Grundlage befristete Arbeitsverträge abgeschlossen, als sich seine ursprüngliche Annahme, Herr Prof. Dr. F werde mit Vollendung des 65. Lebensjahres emeritieren, was nicht gleichbedeutend mit einem Rückzug aus der Forschung ist, nicht bewahrheitet hatte. Auch die der nächsten Befristung zugrundeliegende Annahme, ein solcher „Rückzug“ werde mit der nunmehr endgültig feststehenden Emeritierung zum 31.05.2011 erfolgen, hat sich als unzutreffend erwiesen. Der Beklagte hat vielmehr aktiv handelnd daran mitgewirkt, dass die Forschung des Herrn Prof. Dr. F und damit die Tätigkeit der FS auch über dieses Enddatum hinaus unverändert fortgesetzt werden konnte, indem er Herrn Prof. Dr. F nach seiner Emeritierung zum kommissarischen Leiter der FS bestellt hat. Wie zwischenzeitlich feststeht, ist auch mit dem letztgenannten Datum keine Beendigung der Forschungstätigkeit des Herrn Prof. Dr. F verbunden gewesen. Dieser kann vielmehr erneut mit aktiver Unterstützung des Beklagten in Form der von ihm gegründeten Emeritusgruppe seine Forschungstätigkeit bis zum Jahr 2017 fortsetzen.
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Bei Würdigung dieser Umstände erscheint es der Kammer als institutionell rechtsmissbräuchlich, wenn man das Arbeitsverhältnis einer technischen Mitarbeiterin, die Daueraufgaben zu erledigen hat, allein an die für den Leiter der Forschungsstelle geltenden Altersgrenzen betreffend seine aktive Tätigkeit als Professor bindet, wohl wissend, dass es im wissenschaftlichen Bereich nicht unüblich ist, dass herausragende Wissenschaftler auch nach ihrer Emeritierung weiter in ihrem Forschungsgebiet tätig sind. Vorliegend hat der Beklagte dieses Unterfangen aktiv in Form der Bestellung des Herrn Prof. Dr. F zum kommissarischen Leiter der FS und anschließend durch Gründung einer Emeritusgruppe bestehend auch aus nicht wissenschaftlichen Mitarbeitern unterstützt. Die von der Klägerin auszuübende Tätigkeit war auch nicht unmittelbar an die Person des Prof. Dr. F gebunden. Der Beklagte räumt vielmehr selber ein, die Klägerin sei in unterschiedlichen Abteilungen der FS im Verlaufe der rund 14-jährigen Betriebszugehörigkeit als technische Mitarbeiterin eingesetzt worden.
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Ein dennoch dem Beklagten zuzuerkennendes berechtigtes Interesse an der befristeten Beschäftigung einer technischen Kraft über rund 14 Jahre ergibt sich nach dem sich bietenden Sachverhalt auch nicht aus Art. 5 Abs. 3 GG. Die Klägerin war unstreitig nicht mit wissenschaftlichen Aufgaben betraut. Dies verkennt das Arbeitsgericht. Art. 5 Abs. 3 GG mag im Hinblick auf die Prüfung eines institutionellen Rechtsmissbrauches bei befristet beschäftigten wissenschaftlichen Mitarbeitern durchaus zugunsten des Beklagten zu berücksichtigen sein. Hieraus folgt jedoch nicht, dass der Beklagte sich auf die Wissenschaftsfreiheit auch für die Befristung von Arbeitsverhältnissen, die diesem Bereich nicht zugeordnet sind, zur Abwendung eines Rechtsmissbrauchs erfolgreich berufen kann (vgl. BAG 08.11.2006 – 5 AZR 706/05 – Rn. 24 betr. Art. 5 Abs. 1 GG – Rundfunkfreiheit – bezogen auf programmgestaltende Mitarbeiter).
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Im Übrigen konnte nicht unberücksichtigt gelassen werden, dass der Beklagte vorliegend die für die Qualifizierung des wissenschaftlichen Nachwuchses geltenden zeitlichen Grenzen einer zulässigen Befristung nach § 2 Abs. 1 WZVG von insgesamt 12 Jahren überschritten hat. Wenngleich diese Bestimmung vorliegend nicht zur Anwendung kommt, so kann auch hieraus – ebenso wie aus § 14 Abs. 2 TzBfG – eine gesetzgeberische Grenze hinsichtlich der Frage, in welchem zeitlichen Umfang Befristungen im Bereich einer Forschungseinrichtung maximal zulässig sind, abgeleitet werden.
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Letztendlich spricht gegen eine Rechtfertigung der von dem Beklagten gewählten Vertragspraxis, für rund 14 Jahre von dem gesetzlichen Regelfall des unbefristeten Arbeitsverhältnisses abzuweichen, der Umstand, dass ein Einsatz der Klägerin als technische Mitarbeiterin in anderen Einrichtungen des Beklagten für diesen durchaus möglich ist, wie sich aus den von dem Beklagten selbst vorgetragenen Stellenangeboten, die im Verlauf des Rechtsstreits der Klägerin unterbreitet worden sind, ergibt. Ein auf dieser Grundlage abgeschlossenes unbefristetes Arbeitsverhältnis hätte für den Beklagten letztendlich auch nicht bedeutet, dass er die Klägerin ungeachtet eines Wegfalls der Beschäftigungsmöglichkeit in der FS dauerhaft hätte weiterbeschäftigen müssen. Hierfür sieht der Gesetzgeber vielmehr die Möglichkeit einer betriebsbedingten Kündigung vor.
III.
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Nach alledem war auf die Berufung der Klägerin das erstinstanzliche Urteil abzuändern und der Befristungskontrollklage stattzugeben.
C.
D.
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Gegen diese Entscheidung findet ein weiteres Rechtsmittel nicht statt. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor. Den entscheidungserheblichen Rechtsfragen kommt keine grundsätzliche Bedeutung (mehr) zu. Die Kammer wendet die von dem Bundesarbeitsgericht entwickelten Grundsätze zur Prüfung des institutionellen Rechtsmissbrauchs unter Beachtung der Besonderheiten des vorliegenden Einzelfalles auf diesen an.
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Auf § 72a ArbGG wird hingewiesen.
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