Urteil vom Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt (2. Kammer) - 2 Sa 122/16

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Halle vom 22.10.2015 – 5 Ca 1007/15 NMB – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz noch über die Auflösung ihres Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung.

2

Die Klägerin war seit 25.10.1999 bei dem Beklagten, der einen Bäckereibetrieb unterhielt, als Verkäuferin in dessen Filiale M, die wiederum in einem Einkaufmarkt gelegen war, mit einer monatlichen Bruttovergütung von zuletzt 1.496,00 Euro beschäftigt.

3

Die Rechtsbeziehung der Parteien bestimmte sich nach dem Arbeitsvertrag vom 25.10.1999 (Bl. 9, 10 d. A.). Insgesamt beschäftigte der Beklagte in mehreren Filialen 25 Arbeitnehmer.

4

Er kündigte mit Schreiben vom 20.04.2015 (Bl. 14 d. A.) das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 31.05.2015. Gegen diese Kündigung hat sich die Klägerin mit einer am 07.05.2015 bei dem Arbeitsgericht eingegangenen Kündigungsschutzklage zur Wehr gesetzt. Der Beklagte hat darauf mit Schreiben vom 28.05.2015 (Bl. 30 d. A.) die Kündigung „zurückgezogen“.

5

Die Klägerin wiederum hat dieses Angebot mit Schreiben vom 29.05.2015 (Bl. 67 d. A.) nicht angenommen und klagerweiternd einen Auflösungsantrag – Auflösungstermin 31.05.2015 – gestellt. Sie hat die Auffassung vertreten, ihr sei die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Beklagten nicht zumutbar. Die mit falscher Frist – korrekt wäre ein Beendigungstermin zum 31.10.2015 gewesen – ausgesprochene Kündigung erweise sich als willkürlich. Die gelte umso mehr, weil der Beklagte erst nach Ausspruch der Kündigung das Gespräch mit ihr gesucht und ihr einen Klageverzicht angetragen habe (Schreiben vom 21.04.2015 – Bl. 29 d. A.).

6

Ungeachtet dessen sei das Arbeitsverhältnis – so hat die Klägerin behauptet – schon aufgrund der Verhaltensweise des Beklagten erheblich belastet worden. So habe dieser nach Einstellung einer Kollegin in die Leitung der von ihr geführten Filiale immer zugunsten derselben eingegriffen, so dass sie schlussendlich am 05.12.2014 die Filialleitung abgegeben habe. Weiter habe der Beklagte sie zu Unrecht häufig dahingehend kritisiert, sie rede zu viel mit den Kunden. Auch habe er ihr nur ungenaue Anweisungen zur Arbeitsausführung gegeben und sodann ihre Arbeitsleistung in unwirschem Ton kritisiert.

7

Darüber hinaus habe er sich ehrverletzend ihr gegenüber geäußert. So sei – von Kunden und Mitarbeitern des Einkaufsmarktes vernehmbar – die Äußerung gefallen, sie sei zu dumm zum Brötchen schmieren. Auch habe er ihr zu Unrecht vorgeworfen, sie sei unpünktlich. Die ihr gesetzlich zustehenden Pausen habe sie aufgrund der von ihr allein zu besetzenden Filiale nicht nehmen können. Seit Ende 2014 sei – unstreitig – der Lohn mehrfach unpünktlich gezahlt worden. In einem Kritikgespräch vor Ausspruch der Kündigung habe der Beklagte im Beisein seiner Mutter ihr die unzutreffenden Vorwürfe gemacht, sie trinke mit den Kunden Kaffee, meckere rum und sei unpünktlich. Schlussendlich habe er die Bescheinigung für die Agentur Arbeit nach § 312 SGB III erst nach Aufforderung (Schreiben vom 21.05.2015 – Bl. 31, 32 d. A.) ausgefüllt.

8

Die Klägerin hat beantragt,

9

1. es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung des Beklagten vom 20.04.2015, der Klägerin zugegangen am 20.04.2015, aufgelöst worden ist.

10

2. das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung des Beklagten an die Klägerin, deren Höhe in das Ermessen des Gerichtes gestellt wird, aber die Summe von 4.500,00 € nicht unterschreiten sollte, zum 31.05.2015 aufzulösen.

11

Der Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

13

Er hat die Behauptungen der Klägerin bestritten. Die Klägerin habe sehr wohl die ihr gesetzlich zustehenden Pausen in Anspruch nehmen können. Von der unpünktlichen Lohnzahlung seien alle Arbeitnehmer betroffen gewesen. In dem Gespräch im Beisein seiner Mutter, der im Betrieb eine weisungsberechtigte Position zukam, sei es lediglich darum gegangen, ob zur Vermeidung einer Rechtsstreitigkeit ein Abwicklungsvertrag zwischen den Parteien abgeschlossen werden könne.

14

Der Beklagte hat mit Schreiben vom 20.04.2017 das Arbeitsverhältnis der Parteien erneut – wegen Betriebsaufgabe – zum 31.10.2017 gekündigt. Die von der Klägerin hiergegen erhobene Kündigungsschutzklage bei dem Arbeitsgericht Halle (5 Ca 1004/17) ist zwischenzeitlich (rechtskräftig) abgewiesen worden.

15

Das Arbeitsgericht hat im vorliegenden Rechtsstreit mit Urteil vom 22.10.2015 festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die streitgegenständliche Kündigung nicht aufgelöst worden ist, jedoch den Auflösungsantrag zurückgewiesen und die Kosten des Rechtsstreits den Parteien anteilig auferlegt. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht u. a. ausgeführt, der Auflösungsantrag sei nicht begründet. Die Klägerin habe es nicht vermocht, in schlüssiger Form Gründe darzulegen, die eine nach der Gesetzessystematik nur ausnahmsweise zulässige Auflösung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen könnten. Wegen der weiteren Einzelheiten der angefochtenen Entscheidung wird auf Blatt 80 bis 97 der Akte verwiesen.

16

Die Klägerin hat gegen diese, ihr am 08.03.2016 zugestellte Entscheidung am 06.04.2016 Berufung eingelegt und jene nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 09.06.2016 am 09.06.2016 begründet.

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Mit ihrem Rechtsmittel verfolgt sie ihren Auflösungsantrag – nunmehr mit einem Beendigungsdatum 31.10.2015 – weiter.

18

Das Arbeitsgericht habe zu Unrecht die von ihr dargestellten Verhaltensweisen des Beklagten nicht als Auflösungsgrund gewertet. Die gelte insbesondere hinsichtlich der vorgetragenen ehrverletzenden Äußerung, sie sei zu dumm zum Brötchen schmieren. Diese Äußerung sei kurz nachdem der Beklagte die Anweisung gegeben habe, wieder belegte Brötchen in der Filiale zu verkaufen (Gesprächsprotokoll vom 27.03.2014 – Bl. 185 d. A.) in einem Vier-Augen-Gespräch gefallen. Es habe sich um die Reaktion des Beklagten auf eine Frage ihrerseits, wie die zu verkaufenden Brötchen zu belegen seien, gehandelt. Auslöser der Frage sei gewesen, dass ihre Kollegin entgegen der Festlegung im Gesprächsprotokoll die Brötchen jeweils doppelt belegt habe. In ähnlich ehrverletzender Form habe sich der Beklagte mehrfach auch im Beisein von Kunden geäußert: „Können Sie überhaupt rechnen? Machen Sie endlich! Erzählen Sie nicht so viel mit Kunden!“.

19

Die Klägerin beantragt,

20

unter teilweiser Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Halle vom 22.10.2015 – 5 Ca 1007/15 – das Arbeitsverhältnis zum 31.10.2015 aufzulösen und den Beklagten zur Zahlung einer Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, aber die Summe von 4.500,00 Euro nicht unterschreiten sollte, zu verurteilen.

21

Der Beklagte beantragt,

22

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

23

Er verteidigt die angefochtene Entscheidung und bestreitet weiter, gegenüber der Klägerin ehrverletzende Äußerungen getätigt zu haben.

24

Im Übrigen – so meint der Beklagte – verhalte die Klägerin sich widersprüchlich, da sie im Folgeprozess schriftsätzlich ihre Arbeitsleistung angeboten habe.

25

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen

Entscheidungsgründe

A.

26

Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Es handelt sich um das gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 ArbGG statthafte Rechtsmittel. Die Klägerin hat die einmonatige Notfrist zur Berufungseinlegung sowie die Frist zur Berufungsbegründung (§ 66 Abs. 1 Satz 1 und Satz 5 ArbGG) eingehalten.

B.

27

Die Berufung der Klägerin ist jedoch nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat den Auflösungsantrag zu Recht zurückgewiesen.

28

Nach dem sich zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bietenden Sachstand liegen die Voraussetzungen für eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 9 Abs. 1 KSchG nach Maßgabe des im Termin zeitlich angepassten Antrags der Klägerin – auch wenn man ihr Vorbringen der Entscheidungsfindung zugrunde legt – nicht vor.

29

Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 KSchG hat das Gericht das durch eine sozialwidrige Kündigung nicht beendete Arbeitsverhältnis durch Urteil aufzulösen, wenn dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten ist. Dafür muss kein wichtiger Grund i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB vorliegen, der dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unzumutbar machen würde. Es reicht aus, dass ihm die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auf unbestimmte Dauer unzumutbar ist. Dafür wiederum genügt nicht allein die Sozialwidrigkeit der Kündigung. Es bedarf vielmehr zusätzlicher, vom Arbeitnehmer darzulegender Umstände. Diese müssen im Zusammenhang mit der Kündigung oder doch dem Kündigungsschutzprozess stehen. Auflösungsgründe können sich demnach aus den Modalitäten der Kündigung als solcher und aus weiteren Handlungen des Arbeitgebers ergeben, die mit der Kündigung einhergehen (BAG 11.07.2013 – 2 AZR 241/12 – Rn. 15).

I.

30

Zutreffend ist das Arbeitsgericht davon ausgegangen, dass in einer vorher nicht kommunizierten Kündigung kein Auflösungsgrund zu sehen ist.

II.

31

Dahinstehen kann, ob eine willkürliche Kündigung an sich einen Auflösungsantrag zu rechtfertigen vermag. Dem Vorbringen der Klägerin ist nämlich nicht zu entnehmen, dass der Beklagte die zunächst streitgegenständliche Kündigung willkürlich ausgesprochen hat. Die von ihr hierzu vorgetragenen Tatsachen lassen einen solchen Schluss nicht zu. Allein aus der von dem Beklagten unzutreffend ermittelten Kündigungsfrist folgt dies nicht. Auch sein Angebot gegen Zahlung einer – wenn auch nicht dem § 1a KSchG entsprechenden – Abfindung auf das Klagerecht zu verzichten, erscheint nicht willkürlich. Eine Druckausübung kann hierin nicht gesehen werden. Die Kündigung war bereits erklärt. Der Klägerin stand es frei, das Angebot anzunehmen oder – ohne Preisgabe von Rechtspositionen – abzulehnen.

III.

32

Die von der Klägerin geschilderten Querelen mit dem Beklagten in Bezug auf die Leitung der Filiale stehen nicht mehr im Zusammenhang mit der Kündigung. Die Klägerin hat unstreitig, um diese zu beenden, bereits im Dezember 2014 die Filialleitung abgegeben.

IV.

33

Soweit die Klägerin geltend macht, der Beklagte habe die ihr zustehenden Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis nicht oder nicht rechtzeitig erfüllt (Pausennahme, Lohnzahlung), besteht bzw. bestand für sie die Möglichkeit, diese Rechtspositionen gerichtlich durchzusetzen oder aber – nach Abmahnung – das Arbeitsverhältnis selber zu kündigen und Schadenersatz nach § 628 BGB, bei dessen Bemessung auch eine Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes zu berücksichtigen ist (BAG 26.07.2007 – 8 AZR 796/06), geltend zu machen. Entsprechendes gilt für die nach ihrem Vorbringen erst nach Aufforderung erstellte Bescheinigung für die Agentur für Arbeit.

V.

34

Schlussendlich hat die Klägerin auch keine dem Beklagten zuzurechnende Ehrverletzung vorgetragen, die eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen vermag.

35

1. Soweit die Klägerin vorträgt, der Beklagte habe sie im Beisein von Kunden in barschem Ton angeredet, z. B. mit den Worten „Können Sie überhaupt rechnen?; Machen Sie endlich!; Erzählen Sie nicht so viel mit den Kunden!“ ist dieser Vortrag zumindest in zeitlicher Hinsicht zu unsubstantiiert, um ableiten zu können, dass diese Äußerungen noch derart auf das Arbeitsverhältnis einwirkten, dass für die Klägerin eine weitere Zusammenarbeit mit dem Beklagten nach dem 31.10.2015 unzumutbar erscheint.

36

2. Die nach dem Vorbringen der Klägerin unberechtigten Vorwürfe in dem Personalgespräch unmittelbar vor Ausspruch der Kündigung begründen keine Ehrverletzung. Auch nach ihrem Sachvortrag hat der Beklagte sich darauf beschränkt, aus seiner Sicht vorliegende Schlechtleistungen der Klägerin aufzuzeigen. Ob diese tatsächlich vorgelegen haben, ist nach der Systematik des KSchG in einem Kündigungsschutzrechtsstreit zu klären. Das Gespräch fand auch nicht im Beisein von Kunden oder Kollegen statt. Die anwesende Mutter des Beklagten nahm nach dem von der Klägerin nicht substantiiert bestrittenen Vorbringen des Beklagten eine weisungsberechtigte Position in seinem Unternehmen ein.

37

3. Hingegen lässt sich die von der Klägerin behauptete Äußerung des Beklagten, sie sei zu dumm zum Brötchen schmieren, als ehrverletzend einstufen. Jedoch rechtfertigt diese Äußerung – weitere für einen Auflösungsantrag verwertbare Tatsachen liegen wie ausgeführt nicht vor – die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht. Sie soll – das hat die Klägerin im Schriftsatz vom 17.07.2018 klargestellt – in einem Vier-Augen-Gespräch gefallen sein. Inwiefern dennoch – wie die Klägerin erstinstanzlich vorgetragen hat – hiervon Kunden und Personal des Einkaufsmarkts Kenntnis nehmen konnten, ist nicht näher dargelegt worden. Diese Tatsache in Verbindung mit dem weiteren Umstand, dass nach dem Vortrag der Klägerin im vorgenannten Schriftsatz die Äußerung kurz nach Erstellung eines Gesprächsprotokolls am 27.03.2014 gefallen sein soll, relativiert die behauptete Äußerung derart, dass sie einer weiteren Zusammenarbeit der Parteien nach dem 31.10.2015 nicht mehr entgegensteht. Die Klägerin hat nach ihrem eigenen Vorbringen das Arbeitsverhältnis auch nach der behaupteten Äußerung für rund ein weiteres Jahr fortgesetzt. Inwiefern der in einem Vier-Augen-Gespräch gefallenen Äußerung dennoch ein solches Gewicht beizumessen ist, dass es ihr nicht mehr zumutbar sein soll, das Arbeitsverhältnis in Bezug auf einen rund eineinhalb Jahre später liegenden Zeitpunkt fortzusetzen, ist nicht dargetan worden.

VI.

38

Nach alledem konnte das Rechtsmittel der Klägerin keinen Erfolg haben.

C.

39

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

D.

40

Gegen diese Entscheidung findet ein weiteres Rechtsmittel nicht statt. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor. Den entscheidungserheblichen Rechtsfragen kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Die Kammer weicht mit ihrer Entscheidung auch nicht von höchstrichterlicher Rechtsprechung ab.

41

Auf § 72a ArbGG wird hingewiesen.


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