Urteil vom Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein (1. Kammer) - 1 Sa 70 öD/21

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Flensburg vom 27.01.2021 - 1 Ca 1135/19 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten im Berufungsverfahren noch über die Rechtmäßigkeit einer fristgemäßen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin.

2

Die am ….1980 geborene, ledige und bei Zugang der Kündigung kinderlose Klägerin ist seit dem 01.01.2006 auf Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrags beim beklagten Land beschäftigt. Sie wird als Serviceangestellte beim Sozialgericht ... im Umfang von 60% der regelmäßigen Arbeitszeit einer Vollzeitkraft beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der TV-L Anwendung. Die Klägerin ist eingruppiert in die Entgeltgruppe 3 TV-L. Für die Angestellten des Gerichts gilt eine Gleitzeitregelung, die Kernarbeitszeit beginnt um 9.00 Uhr.

3

Die Klägerin arbeitet montags, mittwochs und freitags jeweils 8 Stunden. Sie wird in der Poststelle des Sozialgerichts eingesetzt und ist an ihren Arbeitstagen dort die einzige Mitarbeiterin. Wegen der der Klägerin übertragenen Aufgaben wird auf die umfangreiche Darstellung im Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.

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Zwischen Juni 2018 und Februar 2019 verließ die Klägerin wiederholt zum Rauchen das Gerichtsgebäude, ohne sich auszustempeln. In einem wegen dieses Verhaltens geführten Gesprächs am 27.02.2019 teilte der Geschäftsleiter des Sozialgerichts … der Klägerin mit, sie begehe durch das unterlassene Ausstempeln einen Arbeitszeitbetrug. Die Parteien verständigten sich auf die Erteilung einer Abmahnung und dass die Klägerin einen Teil der versäumten Arbeitszeit nacharbeiten solle. Wegen der Einzelheiten der mit Schreiben vom selben Tag erteilten „Abmahnung“ wird auf Bl. 31 d.A. verwiesen.

5

Mit Schreiben vom 31.07.2019 (Bl. 28 d.A.) erteilte das beklagte Land der Klägerin eine weitere Abmahnung, in der neben anderem auch das verspätete Erscheinen der Klägerin zu einer internen dienstlichen Fortbildung als arbeitsvertragswidrig gerügt wurde.

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Am Montag, dem 21.10.2019 erschien die Klägerin zunächst nicht zur Arbeit, sodass die Bearbeitung der eingegangenen Post entsprechend einer „Notfallliste“ verteilt wurde. Gegen 10.30 Uhr rief die Klägerin beim Geschäftsleiter … an und teilte mit, sie habe verschlafen. Sie versicherte, dies werde nicht mehr vorkommen und bot an, den Tag als Urlaubstag anzurechnen. So geschah es dann auch. Am 23.10.2019 sprach Herr ... die Klägerin auf ihr Verhalten am Montag an. Die Einzelheiten dieses Gesprächs sind streitig.

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Am Freitag, dem 25.10.2019 rief die Klägerin gegen 11.30 Uhr bei der Verwaltungsgeschäftsstelle des Sozialgerichts an und teilte mit, dass sie erneut verschlafen habe. Um 14.30 Uhr erschien sie zum Dienst und arbeitete bis 18.30 Uhr.

8

Am Montag, dem 28.10.2019 erschien die Klägerin um 9.07 Uhr zur Arbeit. Im Laufe des Tages wurde sie zum Verhalten am 25.10.2019 angehört und teilte u.a. mit, sie habe am Vorabend des 21. und des 25.10. ein homöopathisches Mittel (Baldrian1200) eingenommen und jeweils den Wecker nicht gehört.

9

Mit Schreiben vom 30.10.2019 (Bl. 24 ff. d.A.), das der Klägerin am 01.11.2019 zuging, kündigte das beklagte Land das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos und hilfsweise fristgemäß zum nächstmöglichen Zeitpunkt.

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Gegen beide Kündigungen hat die Klägerin fristgemäß Kündigungsschutzklage eingereicht und das Fehlen eines wichtigen Grundes für die fristlose Kündigung sowie die mangelnde soziale Rechtfertigung der ordentlichen Kündigung geltend gemacht.

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Sie hat im Wesentlichen vorgetragen: Sie sei zu keinem Zeitpunkt wirksam abgemahnt worden. Sie habe verschlafen, da ihre hohe Arbeitsbelastung sich für sie auch als psychische Belastung ausgewirkt habe. In der Folge sei sie dann nicht in der Lage gewesen, private Schicksalsschläge wie den Tod ihres Vaters und die Erkrankung und Pflegebedürftigkeit ihrer Mutter abzufangen. Sie habe daher unter Schlaflosigkeit gelitten, was zu den Verspätungen geführt habe.

12

Das beklagte Land hat im Wesentlichen erwidert: Die Klägerin sei mit den Schreiben vom 27.02. und 31.07.2019 wirksam und einschlägig abgemahnt worden. Außerdem habe Herr ... die Klägerin in dem Gespräch am Mittwoch, den 23.10.2019 auf ihre Dienstpflichten hingewiesen und verdeutlicht, dass die Aufgaben der Klägerin ein Zuspätkommen nicht zuließen. Die Klägerin sei auch ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass ein weiteres Zuspätkommen nicht toleriert, sondern das Arbeitsverhältnis dann beendet werde.

13

Wegen des weiteren Sach- und Streitstands in der ersten Instanz und hinsichtlich der dort gestellten Anträge wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung verwiesen.

14

Das Arbeitsgericht hat nach Durchführung einer Beweisaufnahme durch Urteil festgestellt, dass die fristlose Kündigung vom 30.10.2019 unwirksam ist und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat es, soweit für das Berufungsverfahren von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt: Die fristgemäße Kündigung des Arbeitsverhältnisses sei wirksam. Die Klägerin sei am 25. und 29. (gemeint ersichtlich: 28.)10. vorwerfbar verspätet zur Arbeit erschienen. Ihre Einlassung, sie habe ein Schlafmittel genommen und den Wecker nicht gehört, entlaste sie nicht. Sie sei wegen ihrer Verspätungen zuvor auch am 23.10. durch den Geschäftsleiter ... abgemahnt worden. Von der entsprechenden Aussage des als Zeugen vernommenen Geschäftsleiters sei die Kammer überzeugt. Bei Abwägung der beiderseitigen Interessen sei die ordentliche Kündigung durch das beklagte Land berechtigt. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung verwiesen.

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Gegen das am 17.02.2021 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 17.03.2021 Berufung eingelegt und diese am Montag, den 19.04.2021 begründet.

16

Sie führt aus: Das Arbeitsgericht sei fehlerhaft von einer glaubwürdigen und schlüssigen Aussage des Zeugen ... ausgegangen. Es habe nicht berücksichtigt, dass das Gespräch vom 23.10.2019 nicht dokumentiert und eine schriftliche Abmahnung nicht Inhalt ihrer Personalakte geworden sei. Das Gespräch vom 23.10. sei auch weder im Kündigungsschreiben, noch in der Klageerwiderung erwähnt worden. Der Zeuge habe auch den Gesprächsverlauf am 23.10. unzutreffend wiedergegeben. Nach der Entschuldigung des Zeugen ... habe das Gericht nicht berücksichtigt, ob die Erklärungen von Herrn ... vom Empfängerhorizont aus als Abmahnung zu verstehen seien. Das bestreite sie weiterhin. Sie habe das Gespräch so gedeutet, dass der Zeuge Verständnis für ihre Situation gehabt habe.

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Die Aussage des Zeugen, der ihr Vorgesetzter gewesen sei, sei wie Parteivortrag zu werten.

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Im Übrigen sei ihre Verspätung entschuldigt. Sie habe für Anfang Oktober 2019 einen Urlaubsantrag gestellt, der abgelehnt worden sei. Sie habe dringenden Regenerationsbedarf gehabt. Die Reduzierung ihrer Arbeitszeit auf 60% habe nicht zu einer Reduzierung ihrer Arbeitsbelastung geführt.

19

Die Klägerin beantragt,

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das Urteil des Arbeitsgerichts Flensburg vom 21.01.2021 – 1 Ca 1135/19 – teilweise abzuändern und

21

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 30.10.2019, zugestellt am 01.11.2019 beendet worden ist,

22

2. das beklagte Land zu verurteilen, die Klägerin für den Fall des Obsiegens mit dem Feststellungsantrag zu 1. zu den im Arbeitsvertrag vom 28.12.2005 in der Fassung des Änderungsvertrags vom 09.06.2019 geregelten Arbeitsbedingungen als Justizangestellte bis zur Rechtskraft der Entscheidung über den Feststellungsantrag weiter zu beschäftigen.

23

Das beklagte Land beantragt,

24

die Berufung zurückzuweisen.

25

Es trägt vor: Das Arbeitsgericht habe den Rechtsstreit zutreffend entschieden. Unstreitig sei die Klägerin am 25. und 28.10.2019 verspätet zum Dienst erschienen. Ihr Verhalten sei weder infolge der Ablehnung eines Urlaubsantrags, noch wegen ihres angeblichen Regenerationsbedürfnisses entschuldigt.

26

Wegen verspäteten Dienstantritts sei die Klägerin auch einschlägig abgemahnt gewesen. Bereits durch die Abmahnung vom 31.07.2019 sei die Klägerin einschlägig gewarnt worden. Dort sei darauf hingewiesen worden, dass sie wiederholt zu dienstlichen Veranstaltungen zu spät gekommen sei, zuletzt zu einer Schulung am 31.07.2019 und dass weiteres Fehlverhalten die Kündigung rechtfertigen könne. Die fehlerhafte Angabe der Uhrzeit ändere hieran nichts. Im Übrigen könne auch eine formal mangelhafte Abmahnung die Rüge- und Warnfunktion einer Abmahnung erfüllen. Außerdem sei die Klägerin am 23.10. durch den Zeugen ... wirksam abgemahnt worden, wie auch das Arbeitsgericht festgestellt habe. Dies habe der Zeuge bestätigt. Angesichts des Umstandes, dass die Klägerin bereits an den nächsten beiden Arbeitstagen wieder zu spät erschienen sei, sei die Abmahnung nicht noch einmal gesondert dokumentiert worden, zumal seine Mitarbeiter davon ausgegangen seien, es lägen bereits zwei einschlägige Abmahnungen vor. Der Glaubwürdigkeit des Zeugen stehe dessen Vorgesetzteneigenschaft nicht entgegen. Die Interessenabwägung des Arbeitsgerichts sei nicht zu beanstanden.

27

Wegen des weiteren Sach- und Streitstand im Einzelnen wird auf den Inhalt der Akte verwiesen.

Entscheidungsgründe

28

Die gemäß § 64 Abs. 2 lit. c ArbGG statthafte, form- und fristgemäß eingelegte und begründete und damit zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat den Antrag der Klägerin auf Feststellung der Unwirksamkeit der ordentlichen Kündigung vom 30.10.2019 zu Recht abgewiesen. Der Weiterbeschäftigungsantrag der Klägerin ist auch im Berufungsverfahren nicht zur Entscheidung angefallen.

29

A. Die Klage ist unbegründet, soweit sie sich gegen die Wirksamkeit der Kündigung vom 30.10.2019 richtet. Diese Kündigung ist wirksam.

30

I. Die Kündigung ist schriftlich (§ 623 BGB) unter Einhaltung der maßgeblichen Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Quartalsende (§ 34 Abs. 1 S. 2 TV-L) erklärt. Die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin ist nicht nach § 34 Abs. 2 TV-L ausgeschlossen, da die am …1980 geborene Klägerin bei Zugang der Kündigung am 01.11.2019 das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte. Damit beendet die Kündigung das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 30.06.2020.

31

II. Die Kündigung ist auch nicht sozial ungerechtfertigt im Sinne des § 1 Abs. 1° KSchG. Sie ist vielmehr durch Gründe im Verhalten der Klägerin nach § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG sozial gerechtfertigt. Die wiederholten Verspätungen der Klägerin bei der Arbeitsaufnahme rechtfertigen die ordentliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

32

1. Durch die verspätete Arbeitsaufnahme am 25.10.2019 um fünfeinhalb Stunden und am 28.10.2019 um 7 Minuten hat die Klägerin ihre Verpflichtung zum pünktlichen Arbeitsantritt verletzt. Die entsprechenden Sachverhalte sind zwischen den Parteien unstreitig.

33

Die Klägerin kann ihre Verspätungen auch nicht mit „Arbeitsüberlastung“ oder der „Ablehnung eines Urlaubsantrags“ und einer daraus resultierenden Erschöpfung entschuldigen. Der Vortrag hierzu ist bereits nicht schlüssig. Es ist nicht erkennbar, wieso eine Überlastung der Klägerin mit ihren täglichen Aufgaben ihr ein pünktliches Erscheinen am Arbeitsplatz nicht möglich macht. Der Arbeitsbeginn bis 9:00 Uhr ist nicht besonders früh und jedem Beschäftigten ohne weiteres möglich. Eine Arbeitsüberlastung ist von der Klägerin im Übrigen auch nicht substantiiert geltend gemacht. Die ihr zugewiesenen Aufgaben sind für die Poststelle eines Gerichts absolut üblich. Und: Wie bereits ausgeführt, selbst wenn wegen hoher Eingänge die Klägerin in besonderem Maße belastet war und ihre Arbeit nicht schaffen sollte, begründet dies immer noch nicht, warum sie nicht bis 9:00 Uhr ihre Arbeit aufnehmen kann.

34

Soweit sie erstinstanzlich angegeben hat, sie habe unter Schlafmangel gelitten, ist dies den privaten Lebensumständen der Klägerin zuzurechnen und vermag das Bestehen einer Pflichtverletzung nicht zu beseitigen.

35

2. Einer Abmahnung der Klägerin bedurfte es vor Ausspruch der ordentlichen Kündigung nicht.

36

a) Allerdings ist grundsätzlich vor Ausspruch einer verhaltensbedingten ordentlichen Kündigung in aller Regel eine einschlägige Abmahnung erforderlich. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach einer Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (zuletzt BAG, Urteil vom 20.05.2021 – 2 AZR 596/20 – Juris, Rn. 27). Eine Abmahnung kann im Einzelfall dann entbehrlich sein, wenn besondere Umstände belegen, dass diese nicht erfolgversprechend gewesen wäre. Dies ist insbesondere anzunehmen, wenn erkennbar ist, dass der Arbeitnehmer gar nicht gewillt ist, sich vertragsgerecht zu verhalten (BAG, Urteil vom 18.05.1994 – 2 AZR 626/93 – Juris, Rn. 21).

37

b) Nach diesen Maßstäben musste das beklagte Land die Klägerin vor Ausspruch der ordentlichen Kündigung nicht noch einmal gesondert abmahnen. Aus den Gesamtumständen des Einzelfalls einschließlich der Einlassungen der Klägerin im Berufungstermin steht für die Kammer fest, dass die Klägerin nicht ernsthaft gewillt war, sich vertragsgerecht zu verhalten.

38

Dafür sprechen zunächst die massiven Verspätungen der Klägerin in engem zeitlichen Zusammenhang. Sie war am 21., 25. und 28.10. nicht pünktlich zur Arbeit erschienen. Dabei meldete sie sich am 21.10. eineinhalb Stunden nach dem spätest vorgesehenen Arbeitsbeginn und am 25.10. erst zweieinhalb Stunden nach dem spätest vorgesehenen Arbeitsbeginn. Die Klägerin war damit an drei von vier aufeinanderfolgenden Arbeitstagen unpünktlich. Hierin liegt eine massive Verletzung ihrer vertraglichen Pflichten.

39

Auf diese Pflichtverletzung ist sie im Gespräch mit dem Geschäftsleiter ... am 23.10.2019 ausdrücklich hingewiesen worden. Die Klägerin hat in ihrer Anhörung vor dem Berufungsgericht eingeräumt, dass Gegenstand des Gesprächs die Verspätungen gewesen seien. Sie habe sich für diese entschuldigt, habe die Erklärungen des Herrn ... aber nicht als Abmahnung verstanden. Der Klägerin war aber spätestens zu jenem Zeitpunkt bewusst, dass sie durch die Verspätungen ihre Arbeitspflicht verletzt.

40

Aus dieser Erkenntnis hat die Klägerin indes keinerlei Konsequenzen gezogen. Sie hat selbst angegeben, vor dem nächsten Arbeitstag, den 25.10.2019, erneut ein Schlafmittel genommen zu haben, obwohl sie wegen dieses Schlafmittels bereits am 21.10. nicht pünktlich zur Arbeit erschienen war. Sie hat auch sonst keine Maßnahmen ergriffen, um ein erneutes Verschlafen zu verhindern. Das zeigt aus Sicht der Kammer, dass die Klägerin nicht ernsthaft gewillt war, sich vertragsgerecht zu verhalten. Für die weitere Verspätung am 28.10.2019 hat die Klägerin schon gar keine Erklärung mehr abgegeben.

41

Die Erklärungen der Klägerin im Berufungstermin bestätigen diese Einschätzung. Dort hat die Klägerin auf Befragen ausgeführt, es sei „nicht so schlimm“ und führe nicht zu betrieblichen Störungen, wenn die Post einmal liegen bliebe. Das zeigt erkennbar fehlendes Unrechtsbewusstsein. Unstreitig und gerichtsbekannt muss die eingehende Post am selben Tag verteilt werden, insbesondere können jederzeit Eilanträge oder vergleichbare sonst schnellstmöglich zu erledigende Anträge eingehen. Dass dann andere Kollegen für die Klägerin diese Arbeit erledigen, weil sonst der Gerichtsbetrieb eingeschränkt wird, stellt für die Klägerin ersichtlich kein Problem dar. Vor diesem Hintergrund war es aus Sicht der Kammer mit einer „Entschuldigung“ der Klägerin im Gespräch mit Herrn ... am 23.10.2019 nicht getan. Sie hätte vielmehr Konsequenzen für ihr Handeln ergreifen müssen, um zukünftig spätestens bei Beginn der Kernarbeitszeit am Arbeitsplatz zu sein.

42

3. Ungeachtet dessen ist die Klägerin zusätzlich auch noch am 23.10.2019 im Gespräch durch den Zeugen ... abgemahnt worden.

43

a) Das hat dieser bei seiner Vernehmung vor dem Arbeitsgericht ausdrücklich ausgesagt. Er hat erklärt, er habe die Klägerin ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er sie am liebsten bereits sofort „rausschmeißen würde“. Ferner hat er ausgesagt, er habe der Klägerin gesagt, es sei definitiv das letzte Mal gewesen, dass er sich so etwas wie das Verschlafen gefallen lasse und dass eine schriftliche Abmahnung noch zusätzlich erfolgen werde. Diese Erklärung hat er auf ausdrückliche Nachfrage der Vorsitzenden vor dem Arbeitsgericht noch einmal bestätigt. Diese Erklärungen sind als Abmahnung zu werten. Die Klägerin wusste damit, dass bei einer erneuten Verspätung der Bestand ihres Arbeitsverhältnisses in Gefahr war.

44

b) Das Arbeitsgericht hat die Aussage des Zeugen ... unter 2. b) cc) der Entscheidungsgründe (Seite 13 - 15 des angefochtenen Urteils) ausführlich gewürdigt und für glaubhaft erachtet. Erhebliche Einwendungen, die eine erneute Anhörung des Zeugen ... gebieten würden, sind in der Berufungsbegründung nicht vorgetragen.

45

Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist das Berufungsgericht grundsätzlich an die Tatsachenfeststellungen des ersten Rechtszugs gebunden. Bei Zweifeln an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen ist eine erneute Beweisaufnahme zwingend geboten. Das gilt insbesondere für die erneute Vernehmung von Zeugen, die grundsätzlich gemäß § 398 Abs. 1 ZPO im Ermessen des Berufungsgerichts steht. Das Berufungsgericht ist verpflichtet, einen in erster Instanz vernommenen Zeugen erneut zu vernehmen, wenn es die protokollierte Aussage anders als die Vorinstanzen verstehen oder würdigen will. Die nochmalige Vernehmung eines Zeugen kann unterbleiben, wenn sich das Berufungsgericht auf solche Umstände stützt, die weder die Urteilsfähigkeit, das Erinnerungsvermögen oder die Wahrheitsliebe des Zeugen (d.h. seine Glaubwürdigkeit) noch die Vollständigkeit oder Widerspruchsfreiheit seiner Aussage betreffen. Hat das erstinstanzliche Gericht über streitige Äußerungen und die Umstände, unter denen sie gemacht worden sind, Zeugen vernommen und ist es aufgrund einer Würdigung der Aussagen zu einem bestimmten Ergebnis gekommen, so darf das Berufungsgericht diese Aussagen nicht verwerfen und zum gegenteiligen Ergebnis kommen, ohne zuvor die Zeugen selbst vernommen zu haben (BGH, Urteil vom 21.10.2020 – XII ZR 114/19 – Juris, Rn. 6).

46

Nach diesen Maßgaben ist eine erneute Zeugenvernehmung des Geschäftsleiters ... im Berufungsverfahren nicht geboten, selbst wenn man davon ausgeht, es hätte noch einer vorherigen Abmahnung der Klägerin bedurft.

47

Die Angriffe der Berufung sind nicht geeignet, die Würdigung des Arbeitsgerichts in Frage zu stellen. Die Berufungskammer schließt sich der Einschätzung des Arbeitsgerichts an.

48

Soweit die Klägerin darauf abstellt, es fehle an einer Dokumentation der Abmahnung vom 23.10. 2019 in der Personalakte, erklärt sich dies ohne weiteres mit den zeitlichen Abläufen. Die weiteren Verspätungen der Klägerin haben die Notwendigkeit der Erteilung einer schriftlichen Abmahnung „überholt“, da sie unmittelbar an den folgenden Arbeitstagen nach dem Gespräch mit der Klägerin aufgetreten sind. Dass das beklagte Land selbst schriftsätzlich in erster Instanz zunächst nicht ausdrücklich vorgetragen hat, am 23.10. sei die Klägerin auch abgemahnt worden, steht der Glaubwürdigkeit des Zeugen nicht entgegen. Der Vortrag ist im Kammertermin ausdrücklich klargestellt worden. Die Beweisaufnahme des Arbeitsgerichts hat die Richtigkeit der Behauptung ergeben. Für ihre Einschätzung, sie sei nicht davon ausgegangen, dass ihr eine Abmahnung erteilt worden sei, liefert die Klägerin keinen tatsächlichen Vortrag. Sie hat zu den konkreten Erklärungen, die Herr ... ihr gegenüber abgegeben hat, auch im Berufungsverfahren nichts dargelegt. Dass dieser möglicherweise freundlich gewesen ist oder – wie er in seiner Zeugenaussage ausgeführt hat – sich für die persönlichen Angriffe entschuldigt hat, ändert an dem Inhalt seiner sonstigen Erklärungen zum Vorliegen einer Pflichtverletzung und deren Folgen im Wiederholungsfall nichts.

49

Schließlich steht auch die Vorgesetzteneigenschaft des Zeugen in seiner Rolle als Geschäftsleiter nicht der Glaubhaftigkeit des Zeugen entgegen. Als Geschäftsleiter ist der Zeuge ... für die ordnungsgemäße Organisation der Gerichtsverwaltung verantwortlich. Dazu gehört auch, auf die Einhaltung der Regelungen zu den Arbeitszeiten durch die Beschäftigten hinzuweisen und gegebenenfalls personalrechtliche Maßnahmen einzuleiten. Anhaltspunkte für eine fehlende Glaubhaftigkeit der Aussage im Einzelfall ergeben sich hieraus nicht. Hierzu hat die Klägerin auch konkret nichts behauptet.

50

4. Die Kündigung ist auch nach Abwägung der Interessen der Klägerin am Fortbestand ihres Arbeitsverhältnisses gegenüber den Interessen des beklagten Landes an dessen Beendigung gerechtfertigt.

51

Insoweit schließt sich die Berufungskammer in vollem Umfang den Ausführungen des Arbeitsgerichts unter 2 c) der Entscheidungsgründe (Seite 15 - 17 des Urteils) an und nimmt gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf diese Bezug. Das Arbeitsgericht hat die wechselseitigen Interessen umfassend und in jeder Hinsicht gegen einander abgewogen und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass das Interesse des beklagten Landes an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses das Interesse der Klägerin an dessen Fortbestand überwiegt. Es hat dabei die langjährige Betriebszugehörigkeit der Klägerin ebenso zu deren Gunsten berücksichtigt wie den bis Ende 2018 ungestörten Verlauf der Vertragsbeziehung. Es hat dann aber aus der Gleichgültigkeit der Klägerin gegenüber den Interessen des beklagten Landes und der Verharmlosung ihres Verhaltens den Schluss gezogen, dass eine erneute Abmahnung der Klägerin nicht erfolgversprechend gewesen wäre und ein Fortbestand des Arbeitsverhältnisses dem beklagten Land nicht zuzumuten sei. Dem ist aus Sicht des Berufungsgerichts nichts Neues hinzuzufügen. Auch die Klägerin hat sich im Übrigen gegen die Ausführungen zur Interessenabwägung in der Berufungsbegründung nicht gewandt.

52

B. Der Weiterbeschäftigungsantrag der Klägerin ist nicht zur Entscheidung angefallen.

53

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.


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