Beschluss vom Landgericht Bonn - 36 T 294/16
Tenor
Auf die Beschwerde wird die unter dem 19.05.2016 getroffene Ordnungsgeldentscheidung dahingehend abgeändert, dass das festgesetzte Ordnungsgeld auf 500,00 € herabgesetzt wird.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
1
Gründe:
2I.
3Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Festsetzung eines Ordnungsgeldes von 1.000,00 EUR wegen verspäteter Einreichung der Jahresabschlussunterlagen 2013 bei dem Betreiber des elektronischen Bundesanzeigers. Das Bundesamt für Justiz hat der Beschwerdeführerin die Verhängung des Ordnungsgeldes mit Verfügung vom 14.04.2015, zugestellt am 20.04.2015, angedroht.
4Am 17.09.2015 wurde der Jahresabschluss im Bundesanzeiger veröffentlicht.
5Das Bundesamt für Justiz hat durch die angefochtene Entscheidung vom 19.05.2016 das bezeichnete Ordnungsgeld festgesetzt.
6Gegen die ihr am 25.05.2016 zugestellte Entscheidung hat die Beschwerdeführerin am 01.06.2016 Beschwerde eingelegt. Das Bundesamt für Justiz hat der Beschwerde mit Entscheidung vom 09.06.2016, die der Beschwerdeführerin bekannt gemacht wurde, nicht abgeholfen.
7II.
8Die gemäß §§ 335 Abs. 4, Abs. 5 S. 1 und 2 HGB statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde ist teilweise - im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang - begründet, im Übrigen unbegründet.
9Die gegen die Beschwerdeführerin ergangene Ordnungsgeldentscheidung war teilweise abzuändern - und zwar weil der Herabsetzungstatbestand des § 335 Abs. 4 S. 2 Nr. 1 HGB nach Sinn und Zweck des Gesetzes und dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers erfüllt ist (und nicht nur derjenige des § 335 Abs. 4 S. 2 Nr. 2 HGB). Nach dem Wortlaut des Gesetzes ist dieser Tatbestand zwar nur erfüllt, wenn die betreffende Gesellschaft von dem Recht einer Kleinstkapitalgesellschaft nach § 326 Abs. 2 HGB Gebrauch gemacht hat (was hier nicht der Fall ist), aber nach Sinn und Zweck der Regelung ist § 335 Abs. 4 S. 2 Nr. 1 HGB so auszulegen, dass über den reinen Wortlaut hinaus auch der Fall erfasst ist, dass die betreffende Gesellschaft von der Möglichkeit nach § 326 Abs. 2 HGB (Hinterlegung als Kleinstkapitalgesellschaft) hätte Gebrauch machen können - weil aufgrund des veröffentlichten Jahresabschlusses (oder zusätzlich durch weiteren Vortrag/Glaubhaftmachung der Gesellschaft) davon auszugehen ist, dass sie tatsächlich eine Kleinstkapitalgesellschaft ist. Die Regelung des § 335 Abs. 4 S. 2 Nr. 1 HGB verfolgt den Zweck, dass Kleinstkapitalgesellschaften bei Veröffentlichung nach Ablauf der Nachfrist aber immerhin vor der Ordnungsgeldentscheidung zur Verwirklichung der sodann nach allgemeiner Meinung nur noch bestehenden Bestrafungsfunktion - nach Wegfall des Erzwingungsfunktion - wirtschaftlich weniger stark belastet werden sollen durch das festzusetzende Ordnungsgeld als Kleinkapitalgesellschaften (§ 335 Abs. 4 S. 2 Nr.2 HGB: 1.000,00 €) und sonstige Kapitalgesellschaften (§ 335 Abs. 4 S. 2 Nr. 3 HGB: 2.500,00 €). Der Gesetzgeber hat sich hierbei zwar durch die Regelung in § 335 Abs. 4 S. 3 HGB gegen die teilweise beim Landgericht Bonn aus Gründen der Verhältnismäßigkeit zur alten Rechtslage vertretene Auffassung entschieden, dass eine solche Herabsetzung des Ordnungsgelds aufgrund des Verhältnismäßigkeitsgebots auch nach Erlass der Ordnungsgeldentscheidung, also auch bei Veröffentlichung erst im Beschwerdeverfahren - angemessen ist (vgl. LG Bonn, Beschluss vom 02.03.2012, 35 T 1121/11) - aus diesseits übrigens bis heute nicht nachvollziehbaren und der Gesetzesbegründung auch nicht plausibel zu entnehmenden Gründen. Aber ungeachtet dessen hat der Gesetzgeber mit der Regelung des § 335 Abs. 4 HGB n.F. jedenfalls die zum alten Recht entwickelte Rechtsprechung des Landgerichts Bonn dahingehend übernommen, dass die Veröffentlichung des Jahresabschlusses (vor Ordnungsgeldentscheidung) zu einer Herabsetzung des festzusetzenden Ordnungsgeldes führen soll, und zwar (als neue und begrüßenswerte gesetzgeberische Entscheidung) abgestuft in der Höhe danach, ob eine Kleinstkapitalgesellschaft, Kleinkapitalgesellschaft oder sonstige Kapitalgesellschaft vorliegt. Der Gesetzgeber hat in § 335 Abs. 4 S. 2 Nr. 1 HGB sodann zwar dem Wortlaut nach als Voraussetzung für die Herabsetzung zugunsten einer Kleinstkapitalgesellschaft aufgenommen, dass die betreffende Gesellschaft von dem Recht einer Kleinstkapitalgesellschaft nach § 326 Abs. 2 HGB, der Hinterlegung, Gebrauch gemacht hat. Dies sollte aber wohl lediglich der einfacheren Überprüfbarkeit für das Bundesamt für Justiz (bzw. für den "vorprüfenden" Bundesanzeigerverlag) dienen, ob es im betreffenden Fall um eine Kleinstkapitalgesellschaft geht. Keinesfalls wollte der Gesetzgeber insoweit eine rein formelle, im Nachhinein unüberwindbare Hürde für Kleinstkapitalgesellschaften aufbauen, um den wirtschaftlichen Vorteil der um 500,00 € höheren Herabsetzung des Ordnungsgeldes im Vergleich zur Kleinkapitalgesellschaft zu erlangen. Es entspricht offenkundig nicht dem Willen des Gesetzgebers und dem Sinn und Zweck von § 335 Abs. 4 S. 2 Nr. 1 HGB, einer Kleinstkapitalgesellschaft die Herabsetzung des Ordnungsgeldes auf 500,00 € zu verwehren, nur weil sie von der Möglichkeit des § 326 Abs. 2 HGB keinen Gebrauch gemacht hat (obwohl ihr dies objektiv möglich gewesen wäre) und den Jahresabschluss "formell wie eine Kleinkapitalgesellschaft" eingereicht hat. Der Gesetzgeber wollte nach der Gesetzesbegründung und nach der Systematik des Gesetzes offenkundig regeln, dass gegen Kleinstkapitalgesellschaften bei Veröffentlichung (vor Ordnungsgeldentscheidung) eine Herabsetzung des ansonsten festzusetzenden Ordnungsgeldes von 2.500,00 € oder mehr auf 500,00 € stattfinden soll. Zur Erreichung dieses Zwecks kann allein entscheidend sein, ob die betreffende Gesellschaft objektiv die Voraussetzungen des § 267a HGB erfüllt oder nicht. Das Bundesamt für Justiz kann dies auch in den Fällen der fehlenden Ausübung des Rechts nach § 326 Abs. 2 HGB anhand des eingereichten Jahresabschlusses zumindest dahingehend unschwer prüfen, ob die Voraussetzungen von § 267a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und von § 267a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 HGB erfüllt sind (wenn die Gesellschaft zusätzlich nichts zu der Anzahl der Arbeitnehmer im Jahresdurchschnitt vortragen sollte), womit das Vorliegen einer Kleinstkapitalgesellschaft positiv schon allein auf Basis des Inhalts des eingereichten und veröffentlichten Jahresabschlusses beurteilt werden könnte (wie im vorliegenden Fall). Falls dies nicht möglich sein sollte, verbliebe es sodann dabei, dass die Gesellschaft als Kleinkapitalgesellschaft zu behandeln wäre (soweit jedenfalls die Voraussetzungen von § 335 Abs. 4 S. 2 Nr. 2 HGB vorliegen). Dass das Bundesamt für Justiz die dargestellte Prüfung unschwer und ohne zusätzlichen Aufwand vornehmen könnte, zeigt sich im Übrigen daran, dass es ohnehin die Voraussetzungen nach § 335 Abs. 4 S. 2 Nr. 2 HGB i.V.m. § 267 HGB anhand des veröffentlichten Jahresabschlusses prüft, wie der vorliegende Fall auch zeigt. Ein Mehraufwand, faktisch "dieselbe Prüfung mit anderen Grenzwerten" vorzunehmen, ist nicht erkennbar. Mit anderen Worten: Das Bundesamt für Justiz könnte unschwer aufgrund des Inhalts des in den Fällen einer möglichen Herabsetzung zwingend vorliegenden Jahresabschlusses das Vorliegen einer Kleinstkapitalgesellschaft bejahen (oder verneinen, soweit kein weiterer Vortrag/Glaubhaftmachung der Gesellschaft erfolgt ist) und sodann zugunsten der objektiv vorliegenden Kleinstkapitalgesellschaft das Ordnungsgeld gemäß § 335 Abs. 4 S. 2 Nr. 1 HGB auf 500,00 € festsetzen. Allein dies wird dem Sinn und Zweck dieser Regelung und dem Willen des Gesetzgebers gerecht. Es erschiene auch im höchsten Maße unbillig, wenn das Bundesamt für Justiz quasi wider besseres Wissen eine Kleinstkapitalgesellschaft als Kleinkapitalgesellschaft behandeln dürfte (oder gar müsste). Gleiches gilt für die diese Norm anwendenden Gerichte.
10Zudem spricht auch der Rechtsgedanke des § 329 Abs. 2 HGB für die dargestellte Auslegung. § 329 Abs. 2 HGB findet keine analoge Anwendung zu Lasten einer Gesellschaft, die irrtümlich und versehentlich eine Erleichterung nicht in Anspruch genommen hat (LG Bonn, Beschluss vom 24.05.2016, 39 T 405/15)
11Sofern man der Auffassung sein wollte, dass die dargestellte Auslegung aufgrund des Wortlauts der Norm nicht möglich sei, ergäbe sich dieselbe Rechtsfolge aus einer sodann gebotenen analogen Anwendung von § 335 Abs. 4 S. 2 Nr. 1 HGB, weil insoweit aus denselben Erwägungen eine planwidrige Regelungslücke vorläge, die der Gesetzgeber offenkundig übersehen hätte und die durch die analoge Anwendung entsprechend der oben skizzierten Grundsätze zu schließen wäre.
12Die Einwände der Beschwerdeführerin zur fehlerhaften Zustellung der Androhungsverfügung sind unzutreffend. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen in der Nichtabhilfeentscheidung und auf den ausführlichen Hinweis des Dezernatsvorgängers vom 14.07.2016 Bezug genommen.
13Eine Kostenentscheidung zugunsten der Beschwerdeführerin gemäß § 335a Abs. 2 S. 6 HGB ist nicht veranlasst, weil die Beschwerde nur teilweise Erfolg hatte und insbesondere die Festsetzung eines Ordnungsgeldes als solches rechtmäßig war.
14Die Rechtsbeschwerde war gemäß § 335a Abs. 3 S. 1 HGB zuzulassen, da die oben dargestellte Rechtsfrage bisher ungeklärt ist und grundsätzliche Bedeutung hat.
15Wert des Beschwerdegegenstandes: 1.000,00 EUR.
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