Urteil vom Landgericht Dortmund - 2 O 387/19
Tenor
I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Kosten des Rechtstreits nach einem Streitwert von bis zu 170.000,00 EUR trägt der Kläger.
III.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags.
1
T a t b e s t a n d
2Der Kläger macht gegen die Beklagte Sicherheitsleistung für eine zukünftige Nachhaftungsumlage geltend
3Die Beklagte, ein Eisenbahnunternehmen und eine Tochtergesellschaft der B1 GmbH, war vom 01.07.1995 bis zum 31.12.2004 Mitglied des Klägers, einem Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit mit dem Zweck, den Mitgliedern Versicherungsschutz im Bereich der Bahnbetriebs- und Kraftfahrtversicherung gewähren.
4Bis Ende des Jahres 2004 galt für den Verein die Satzung mit Stand 26.06.2002 (i.W.: A1-Satzung 2002, Anlage BLD 5, roter Anlagenband) u.a. mit folgenden Regelungen:
5§ 12 Haftung des ausgeschiedenen Mitglieds
6(1) Das ausgeschiedene Mitglied haftet auch weiterhin für die Unfälle, die sich während seiner Zugehörigkeit zum Verband ereignet haben, einschließlich der anteiligen Verwaltungskosten, und für die Verwaltungskosten des Geschäftsjahres, in dem es ausscheidet.
7(2) Der Vorstand kann von dem Mitglied Sicherheitsleistungen für die ihm hiernach obliegenden Leistungen verlangen. Er kann mit dem ausscheidenden Mitglied auch eine Vereinbarung über eine einmalige Abfindung treffen.
8§ 39a Satzungsänderungen
9Änderungen von Satzungsbestimmungen, die den Umfang des Versicherungsschutzes (§ 3), Erwerb und Verlust der Mitgliedschaft (§§ 4 bis 12) und die Rechte und Pflichten der Mitglieder (§§ 13 bis 38) betreffen, gelten auch für bestehende Versicherungsverhältnisse.
10Satzungsänderungen erfolgten im Mai 2011 (A1-Satzung 2011, BLD 4, roter Anlagenband) und im Januar 2019 (A1-Satzung 2019, BLD 1, roter Anlagenband), u.a. mit folgenden Regelungen:
11A1-Satzung 2011
12§ 12 Haftung des ausgeschiedenen Mitglieds
13(1) Das ausgeschiedene Mitglied haftet auch weiterhin für die Kosten der Versicherungsfälle, die sich während seiner Zugehörigkeit zum Verband ereignet haben sowie für die anteiligen Verwaltungskosten. Diese Nachhaftung erfolgt in der Weise, dass das ausgeschiedene Mitglied noch so lange, aber nur noch insoweit am verbandlichen Umlageverfahren (§§ 26 bis 28) beteiligt bleibt, bis alle während seiner Mitgliedschaft eingetretenen Versicherungsfälle reguliert worden sind. Für die nach seinem Ausscheiden neu eintretenden Versicherungsfälle haftet das ausgeschiedene Mitglied nicht mehr.
14(2) Für die vom Mitglied nach Absatz 1 geschuldeten Leistungen (Nachhaftungsumlagen) kann der Vorstand Sicherheitsleistungen im Sinne des § 232 BGB oder § 108 Absatz 1 Satz 2 ZPO verlangen. Er kann mit dem ausscheidenden Mitglied auch eine Vereinbarung über eine einmalige Abfindung treffen.
15A1-Satzung 2019
16§ 13 Nachhaftung nach Kündigung der Mitgliedschaft bzw. nach Ausschluss eines Mitglieds
17(1) Mitglieder, denen der Versicherungsverein gekündigt hat oder die ihre Mitgliedschaft selbst gekündigt haben, sowie ausgeschlossene Mitglieder sind mit Blick auf die Abwicklung der zum Wirksamwerden der Kündigung bzw. des Ausschlusses noch bestehenden Versicherungsverhältnisse zur Zahlung von Nachschüssen verpflichtet, bis die Abwicklung abgeschlossen ist.
18(2) Mitglieder, denen der Versicherungsverein gekündigt hat oder die ihre Mitgliedschaft selbst gekündigt haben, sowie ausgeschlossene Mitglieder haften weiterhin für die Kosten solcher Versicherungsfälle, die sich während der Mitgliedschaft ereignet haben, sowie für die anteiligen Verwaltungskosten.
19(3) Die Nachhaftung nach Abs. 2 erfolgt in der Weise, dass das betreffende Mitglied noch so lange, aber nur noch insoweit am Umlageverfahren des Versicherungsvereins gemäß Umlagenbedingungswerk (Anlage 1 zur Satzung) beteiligt bleibt, bis alle vom Beginn seiner Mitgliedschaft bis zum Wirksamwerden der Kündigung bzw. des Ausschlusses eingetretenen Versicherungsfälle reguliert worden sind.
20(4) Für die nach Wirksamwerden der Kündigung bzw. des Ausschlusses neu eintretenden Versicherungsfälle haftet das betreffende Mitglied nicht mehr. Insoweit besteht auch keine Versicherungsdeckung mehr für das betroffene Mitglied.
21(5) Die von einem Mitglied, dem der Versicherungsverein gekündigt hat oder das seine Mitgliedschaft selbst gekündigt hat, bzw. einem ausgeschlossenen Mitglied nach Absatz 2 geschuldeten Leistungen (Nachhaftungsumlagen) sind auf Anforderung des Versicherungsvereins jeweils binnen einmonatiger Frist entweder unmittelbar auf eines der Geschäftskonten des Versicherungsvereins einzuzahlen oder durch Stellung einer Bankbürgschaft im Sinne des § 232 BGB oder § 108 Absatz 1 Satz 2 ZPO zu besichern.
22(6) […]
23Mit Schreiben vom 07.06.2018 (Anlage BLD 8) forderte der Kläger von der Beklagten erstmalig eine Sicherheitsleistung für die Nachhaftungsumlage in Höhe von 165.076,00 EUR durch Zahlung oder Vorlage einer Bankbürgschaft. Zur Begründung führte der Kläger aus, dass das neue europäische Aufsichtsregime für Versicherungsunternehmen „Solvency II“ auch für den A1 gelte. Die zuständige Aufsichtsbehörde akzeptiere daher nicht länger ungesicherte Nachhaftungsansprüche als Gegenstand des sog. Sicherungsvermögens. Vor diesem Hintergrund hätten Vorstand und Aufsichtsrat des A1 daher beschlossen, bei allen ausgeschiedenen Mitgliedern die gemäß Satzung vorgesehene Sicherheitsleistung anzufordern.
24Die Beklagte wies mit Anwaltsschreiben vom 16.10.2018 (Anlage BLD 9) das klägerische Begehren zurück. Zur Begründung führte sie u.a. aus, dass die vorrangige Einzahlung einer Sicherungssumme nicht den Sicherheitsleistungen gem. § 232 BGB entspreche, daneben sei die Anforderung einer Bankbürgschaft ebenfalls nicht von § 232 BGB gedeckt. Das Anerbieten eines tauglichen Bürge sei insoweit ausreichend.
25Mit Schreiben vom 18.02.2019 teilte der Kläger der Beklagten sodann die „alljährlichen Rückstellungen für die zukünftige Umlagezahlungspflicht“ in Höhe von 162.248,00 EUR für die Bahnbetriebsversicherung sowie 2.120,00 EUR für die Kraftfahrbetriebsversicherung mit.
26Nach weiterer außergerichtlicher Korrespondenz forderte der Kläger mit Anwaltsschreiben vom 15.11.2019 (Anlage BLD 7) erneut zur Leistung der begehrten Sicherheit durch Zahlung oder Gestellung einer Bankbürgschaft unter Fristsetzung bis zum 29.11.2019 auf. Die Beklagte kam der Aufforderung nicht nach. Die Parteien erörterten jedoch eine einvernehmliche Lösung dahingehend, dass eine Abfindungssumme gezahlt werden könne oder aber eine Konzernbürgschaft des Mutterkonzerns, der B1 GmbH gestellt werden könne.
27Nach fruchtlosem Verlauf der vorgerichtlichen Auseinandersetzung verfolgt der Kläger mit seiner, der Beklagten am 09.01.2020 zugestellten Klage sein Begehren nunmehr gerichtlich weiter.
28Er ist der Auffassung, für die Frage der geforderten Sicherheit sei vorliegend auf § 13 Abs. 5 A1-Satzung 2019 abzustellen. Trotz Ausscheidens der Beklagten im Jahre 2004 habe sich die Beklagte das Satzungswerk 2019 als maßgebliches Regime für etwaige Sicherheitsleistungen im Hinblick auf die, die Beklagte treffende Nachhaftung entgegenhalten zu lassen. Satzungsänderungen in der Vergangenheit wirkten aufgrund der Regelung in § 39a der zum Zeitpunkt des Ausscheidens der Beklagten maßgeblichen A1-Satzung 2002 auch für und gegen die Beklagte. Diese habe dem Kläger daher nach ihrer Wahl entweder Sicherheit durch Zahlung oder durch Gestellung einer Bankbürgschaft zu leisten. Die von der Beklagten außergerichtlich angebotene Konzernbürgschaft des Mutterkonzerns, der B1 GmbH als Holdinggesellschaft, sei als Sicherheit nicht ausreichend.
29Der Kläger behauptet – unter Korrektur seiner außergerichtlichen Forderung – zuletzt, der Nachhaftungsanspruch belaufe sich auf insg. 163.005,00 EUR (Anlage BLD 23 zum Schriftsatz vom 18.05.2021 (Bl. 207 ff. d.A.).
30Da die Beklagte die entsprechende Sicherheitsleistung zu Unrecht verweigert habe, habe sie auch die Kosten, der außergerichtlichen Rechtsverfolgung, die sie mit 1.449,36 beziffert, zu tragen bzw. den Kläger hiervon freizustellen.
31Der Kläger beantragt:
321. Die Beklagte wird verurteilt, nach ihrer Wahl als Sicherheit für zukünftige Nachhaftungsumlagen entweder einen Betrag in Höhe von 163.005,00 EUR an den Kläger zu zahlen oder eine schriftliche, selbstschuldnerische, unbefristete und unwiderrufliche Bürgschaft eines deutschen Kreditinstituts in Höhe von 163.005,00 EUR zugunsten des Klägers zu stellen.
332. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.449,36 EUR nebst Zinsen ab dem 07.08.2018 freizustellen.
34Die Beklagte beantragt,
35die Klage abzuweisen.
36Sie ist der Auffassung, die A1-Satzung in der Fassung aus dem Jahre 2019 finde auf die Beklagte keine Anwendung. Die Klausel des §§ 39a A1-Satzung 2002, mit der der Kläger die Wirksamkeit von Satzungsänderungen auch gegenüber ausgeschiedenen Mitgliedern begründe, sei unwirksam. Für die Beklagte seien allein die Regelungen der Satzung, die zum Zeitpunkt des Ausscheidens der Beklagten Geltung gehabt habe, namentlich die Regelung des § 12 A1-Satzung 2002 maßgeblich. Hieraus ergebe sich jedoch kein Anspruch des Klägers auf Sicherheitsleistung in Form von Zahlung oder Gestellung einer Bankbürgschaft. Die Regelung spreche lediglich allgemein von „Sicherheitsleistungen“ und beziehe sich daher allein auf die in § 232 BGB genannten, materiell-rechtlichen Sicherheitsleistungen, nicht aber auf etwaige prozessuale Sicherheitsleistungen, wie sie in § 108 Abs. 1 S. 2 ZPO genannt seien. § 232 BGB sehe als Sicherheit jedoch gerade nicht die Zahlung oder die Gestellung einer Bürgschaft als Sicherheit vor.
37Daneben ist die Beklagte der Auffassung, der Anspruch des Klägers sei aufgrund erstmaliger Geltendmachung im Jahre 2018 mit Blick auf das Ausscheiden der Beklagten aus dem klägerischen Verein im Jahre 2004 sowohl verjährt, wie auch verwirkt.
38Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
39Die Kammer hat mit Beschluss vom 21.12.2021 (Bl. 324 d.A.) mit Einverständnis der Parteien das schriftliche Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO angeordnet, eine Frist zur Einreichung von Schriftsätzen bis zum 27.01.2022 gesetzt und Verkündungstermin auf den 17.02.2022 anberaumt.
40Soweit der Kläger mit nachgelassenem Schriftsatz vom 27.01.2022 (Bl. 395 ff.d.A.) angeregt hat, den Verkündungstermin mit Blick auf eine zu erwartende Entscheidung des Bundesgerichtshofs in einem Parallelverfahren zu verlegen, so ist die Kammer dem nicht nachgekommen.
41E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
42I.
43Die zulässige Klage ist unbegründet, dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Sicherheitsleistung in Form von Zahlung oder Gestellung einer Bankbürgschaft nicht zu.
441.
45Der klägerische Anspruch kann sich vorliegend allein aus § 12 Abs. 2 A1-Satzung 2002 ergeben. Nur diese Satzung findet auf das Verhältnis der Parteien (noch) Anwendung, da sie zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Kündigung der Beklagten zum 31.12.2004 in Kraft war.
46Die nachfolgenden Satzungen aus den Jahren 2011 und 2019 wurden weit nach Ausscheiden der Beklagten wirksam und können daher das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien nicht mehr regeln.
47Nach der Rechtsprechung des BGH ist für eine Leistungspflicht der Mitglieder eines Vereins allein maßgeblich die Satzung, wie sie zum Zeitpunkt der Mitgliedschaft des ausscheidenden Mitglieds Gültigkeit hatte (vgl. BGH, Beschl. v. 14.07.2010, IV ZR 250/09, so auch LG Bielefeld, Urt. v. 30.12.2021, 3 O 1/20, Anlage BLD 27, Bl. 413 d.A.; LG Bremen, Urt. v. 11.11.2021, 6 O 2005/19, Anlage BLD 26, Bl. 404 d.A.; OLG Naumburg, Urt. v. 19.08.2021, 4 U 9/21, Anlage BLD 25, Bl. 293 d. A.).
48Nach Ausscheiden des Mitglieds geschaffene Satzungsbestimmungen berühren daher das Verhältnis des ausgeschiedenen Mitglieds zum Verein nicht mehr.
49Daran ändert auch die Regelung in § 39a der A1-Satzung 2002 nichts, denn die Regelung ist unwirksam, indem sie das ausgeschiedene Mitglied im Hinblick auf tiefgreifende Satzungsänderungen nach dessen Ausscheiden unangemessen benachteiligt.
50Anders als das OLG Naumburg in der vorzitierten Entscheidung ist die Kammer der Auffassung, dass eine Inhaltskontrolle nach AGB-Recht eröffnet ist, da die Bereichsausnahme des § 310 Abs. 4 S. 1 BGB hier nicht greift. Vorliegend betrifft die Frage der Satzungsänderung nicht allein die mitgliedschaftsrechtliche Stellung der (ausgeschiedenen) Vereinsmitglieder, sondern weist einen Doppelcharakter im Hinblick auf das vereinsrechtliche wie auch das versicherungsrechtliche Verhältnis auf (vgl. BGH, Urt. v. 08.10.1997, IV ZR 220/96; Urt. v. 10.10.2012, IV ZR 10/11; Urt. v. 10.10.2012, IV ZR 12/11).
51Inhaltlich erlaubt die Änderungsklausel nämlich auch eine Änderung des Umfangs des Versicherungsschutzes und der Rechte und Pflichten der Mitglieder im Versicherungsfall. Damit greift sie unmittelbar in das (Versicherungs-) Vertragsverhältnis zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer ein. Soweit die Satzung überdies versicherungsvertragliche Bedingungen für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert, weist sie auch im übrigen Merkmale von Allgemeinen Geschäftsbedingungen auf, die – wie unstreitig auch Allgemeine Versicherungsbedingungen sonst – der Inhaltskontrolle nach AGB-Recht unterliegen (vgl. BGH, Urt. v. 08.10.1997, IV ZR 220/96, Rn. 34 – zitiert nach juris).
52Gemessen an den höchstrichterlich entwickelten AGB-rechtlichen Grundsätzen verstößt § 39a der A1-Satzung 2002 gegen das Transparenzgebot, da nicht erkennbar ist, inwieweit Satzungsänderungen in der Zukunft das ausgeschiedene Mitglied u.a. wirtschaftlich belasten könnten (vgl. BGH, Urt. v. 10.10.2012, IV ZR 10/11; Urt. v. 10.10.2012, IV ZR 12/11).
53Daneben führt § 39a der A1-Satzung zu einer unangemessenen Benachteiligung des (ausgeschiedenen) Mitglieds, da es auf die Satzungsänderungen in der Zukunft und die damit verbundenen etwaigen Nachteile keinen Einfluss mehr zu nehmen vermag (vgl. BGH, Beschl. v. 14.07.2010, IV ZR 250/09; Urt. v. 08.10.1997, IV ZR 220/96, Rn. 35 – zitiert nach juris).
542.
55Aus § 12 Abs. 2 der danach maßgeblichen A1-Satzung 2002 ergibt sich jedoch kein Anspruch des Klägers auf Zahlung der geforderten Sicherheitsleistung.
56Die Regelung eröffnet schon ihrem Wortlaut nach keinen Zahlungsanspruch, soweit sie lediglich von „Sicherheitsleistungen“ spricht. Hierzu gehört die Zahlung gerade nicht (so i.E. auch OLG Naumburg, a..a.O, Anlage BLD 25, dort S. 8, Bl. 300 d. A.; LG Bremen, a.a.O., Anlage BLD 26, dort S. 7, Bl. 410 d.A.; LG Bielefeld, a.a.O., Anlage 27, dort S. 12, Bl. 424 d.A.).
57Was mit „Sicherheitsleistungen“ im Sinne des § 12 Abs. 2 A1-Satzung 2002 gemeint ist, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln. Der Prüfungsmaßstab ist dabei jedoch versicherungsrechtlicher Natur, da die Satzung – wie ausgeführt – im Verhältnis zum Beklagten wie Allgemeine Versicherungsbedingungen zu behandeln ist.
58Versicherungsbedingungen sind nach ständiger Rechtsprechung des BGH so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss (zuletzt BGH, Urt. v. 31.03.2021, IV ZR 221/19 unter Verweis auf – u.a. – BGH, Urt. v. 06.07.2016, IV ZR 44/15, Urt. v. 18.11.2020 - IV ZR 217/19, st. Rspr.).
59§ 12 Abs. 2 der A1-Satzung 2002 stellt allgemein auf eine Sicherheitsleistung ab, konkretisiert die Form der Sicherheitsleistung nicht. Zur Ausfüllung des Begriffs wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer – nach den obigen Grundsätzen – etwaige gesetzliche Regelungen der Sicherheitsleistungen in den Blick nehmen und zwar allein die materiell-rechtliche Regelung des § 232 BGB.
60Eine Ausgestaltung des Begriffs der Sicherheitsleistung unter Rückgriff auf die – allein prozessrechtliche – Regelung des § 108 Abs. 1 S. 2 ZPO ist hingegen nicht geboten (so wohl auch OLG Naumburg, a.a.O, Anlage BLD 25, dort. S. 9, Bl. 301 d.A.). Soweit die vorzitierten Entscheidungen der Landgerichte Bielefeld und Bremen die Sicherheitsleistungen des § 232 BGB ohne nähere Begründung auch auf die (prozessuale) Sicherheit gem. § 108 ZPO erstrecken, entbehrt dies nach hiesiger Auffassung einer rechtlichen Grundlage.
61Anders als das OLG Naumburg in der vorzitierten Entscheidung ist die Kammer jedoch der Auffassung, dass sich ein Anspruch auf Gestellung einer Bankbürgschaft aus § 232 BGB gerade nicht herleiten lässt.
62Nach § 232 Abs. 1 BGB kann der Schuldner, der Sicherheit zu leisten hat, diese unter anderem durch Hinterlegung von Geld oder Wertpapieren, durch Verpfändung von Forderungen oder beweglichen Sachen, durch Bestellung von Schiffshypotheken etc. oder durch Bestellung von Hypotheken an inländischen Grundstücken sowie durch Verpfändung von Forderungen, für die eine Hypothek an einem inländischen Grundstück besteht sowie durch Verpfändung weiterer Sicherungsrechte bewirken. § 232 Abs. 1 BGB benennt also konkret die Arten der Sicherheitsleistungen.
63Lediglich subsidiär spricht Abs. 2 von der Stellung eines „tauglichen Bürgen“ und lässt diese Form der Sicherheitsleistung zu, wenn und soweit die Sicherheit nicht in der in Abs. 1 vorgesehenen Weise geleistet werden kann.
64Das Wahlrecht obliegt dabei jedoch – jedenfalls im Erkenntnisverfahren – grundsätzlich dem Schuldner, wie sich aus § 264 Abs. 1 1. HS BGB ergibt. Allerdings wird selbst durch die Verurteilung des Schuldners zu einer Sicherheitsleistung nicht dessen Befugnis berührt, analog § 264 Abs. 1 2.HS BGB noch eine andere Sicherheit zu leisten (vgl. MüKo/Grothe, BGB, 9. Aufl. 2021, § 232, Rn. 11). Danach obliegt es nicht dem Kläger, die Art der Sicherheitsleistung vorzugeben, wenn und soweit – wie hier – eine vertragliche Abrede über die Art der zu leistenden Sicherheit nicht besteht.
65Das ihr eröffnete Wahlrecht hat die Beklagte grundsätzlich auch ausgeübt, indem sie eine Konzernbürgschaft ihres Mutterkonzerns anbot. Allein vor diesem Hintergrund ist aus Sicht der Kammer die Annahme, die Beklagte habe sich vorliegend ihres Wahlrechts begeben, indem sie die Leistung einer Sicherheit verweigerte, nicht haltbar (so aber wohl OLG Naumburg, a.a.O., Anlage BLD 25, dort S. 10, Bl. 302 d.A.).
66Vielmehr hat die Beklagte bereits in der außergerichtlichen Korrespondenz deutlich gemacht, das Sicherungsbegehren des Klägers mit Blick auf die Nachhaftung grundsätzlich nachvollziehen zu können. Zwischen den Parteien wurden intensive Vergleichsgespräche geführt, die u.a. eine Abfindungszahlung der Beklagten bei gleichzeitiger Entlassung aus der Nachhaftung beinhalteten. Alternativ bot die Beklagte – insoweit unstreitig – die Gestellung einer Konzernbürgschaft des Mutterkonzerns an und präsentierte damit einen – aus ihrer Sicht – tauglichen Bürgen i. S. d. §§ 232 Abs. 2, 239 Abs. 1 BGB. Damit übte die Beklagte das ihr zustehende Wahlrecht gem. § 264 Abs. 1 1. HS BGB aus.
67Dem Kläger ist es hiernach verwehrt, der Beklagten die Art der Sicherheitsleistung vorzugeben. Ein klägerischer Anspruch – wie beantragt – besteht nicht.
683.
69Der geltend gemachte klägerische Anspruch ist daneben auch verwirkt, § 242 BGB.
70Verwirkt ist ein Recht, wenn der Berechtigte es längere Zeit nicht geltend gemacht hat und der Verpflichtete sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Berechtigten darauf eingerichtet hat und sich auch darauf einrichten durfte, dass dieser das Recht auch in Zukunft nicht mehr geltend machen werde (vergleiche statt vieler: BGH, NJW 2010,3714; NJW 2011, 212; NJW 2014, 1230).
71Dabei bedarf es eines Zeit-, sowie eines Umstandsmoments.
72Hinsichtlich des Zeitmoments muss seit der Möglichkeit, das Recht geltend zu machen, längere Zeit verstrichen sein, wobei die genaue Dauer des Zeitraums nach den Umständen des Einzelfalls zu bewerten ist. Während dieses Zeitraums darf der Berechtigte jedenfalls nichts zur Durchsetzung seines Rechts getan haben.
73Vorliegend hatte der Kläger seit Ausscheiden der Beklagten zum Ende des Jahres 2004 bis Mitte des Jahres 2018, mithin über einen Zeitraum von mehr als 14 Jahren, von der ihm satzungsgemäß eingeräumten Möglichkeit, Sicherheitsleistung für die Nachhaftungsumlage zu verlangen, keinen Gebrauch gemacht. Das erforderliche Zeitmoment sieht die Kammer als gegeben an.
74Hinsichtlich des Umstandsmoments gilt das Folgende:
75Erstmalig mit Schreiben vom 18.06.2018 (Anlage BLD 8) hatte der Kläger unter anderem die Beklagte angeschrieben und darauf hingewiesen, dass aufgrund der Umsetzung der EU-Richtlinie „Solvency II“ und des damit einhergehenden neuen europäischen Aufsichtsregimes für Versicherungsunternehmen der Aufsichtsrat des Klägers per Beschluss vom 19.03.2018 den Vorstand angehalten habe, von der Möglichkeit einer Sicherheitsleistung nach § 12 Abs. 2 der A1-Satzung 2011 Gebrauch zu machen.
76Gleichwohl forderte der Kläger mit seinem nachfolgenden jährlichen Rundschreiben vom 18.02.2019 (Anlage BLD 6) im Hinblick auf die Gesamt-Umlageverpflichtung per Jahresabschluss 2018 lediglich dazu auf, entsprechend der auf das betreffende Mitglied entfallenden Umlageverpflichtung bilanzielle Rückstellungen zu bilden, wie es der gelebten Praxis in der Vergangenheit entsprach. Zu einer – wie auch immer gearteten – Sicherheitsleistung wurde hingegen nicht aufgefordert, obgleich die in Bezug genommene Umlageverpflichtung derjenigen entsprach, für die mit vorherigem Schreiben aus Juni 2018 wiederum eine Sicherheitsleistung gefordert worden war.
77Mit dem Inhalt der jeweiligen Schreiben setzte sich der Kläger selbst in Widerspruch.
78Zudem forderte er die ausgeschiedenen Mitglieder erstmalig zur Leistung einer Sicherheit auf zu einem Zeitpunkt, zu dem die Vorgaben der „Solvency II“-Richtlinie bereits über zwei Jahre in nationales Recht umgesetzt worden waren. Die Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht erfolgte durch eine VAG-Novelle und trat zum 01.01.2016 in Kraft. Gleichwohl hatte der Kläger es für die Geschäftsjahre 2016 und 2017 verabsäumt, auf die geänderten rechtlichen Solvabilitätsanforderungen für Versicherungsunternehmen sowie auf das Erfordernis einer Sicherheitsleistung hinzuweisen. Der Einwand des Klägers, erst die Umsetzung der EU-Richtlinie habe es erfordert, Sicherheitsleistungen von den ausgeschiedenen Mitgliedern zu verlangen, verfängt daher insoweit nicht, als die Bestimmungen der zugrunde liegenden Satzung die Möglichkeit einer Sicherheitsleistung seit jeher vorsah und diese Möglichkeit nicht erst seit der Umsetzung der EU-Richtlinie mit in die Satzung neu aufgenommen wurde.
79Dass der Kläger gleichwohl davon absah, von seinen Möglichkeiten Gebrauch zu machen und es während des gesamten Zeitraums von 2004 bis 2018 bei seinen ausgeschiedenen Mitgliedern ausreichen ließ, bilanzielle Rückstellungen für die gesamte Umlageverpflichtung zu bilden, durfte bei der Beklagten berechtigterweise den Eindruck erwecken, dass eine Sicherheitsleistung für die Nachhaftung nicht (mehr) gefordert wird.
80Dass der Kläger auch nach Inkrafttreten von „Solvency II“ nicht bereits für das Geschäftsjahr 2016 eine Sicherheitsleistung forderte, verstärkte diesen Eindruck noch zusätzlich.
81Das erforderliche Umstandsmoment ist demnach ebenfalls gegeben.
824.
83Mit Blick auf das Vorstehende war über die seitens der Beklagten erhobene Verjährungseinrede nicht mehr zu entscheiden.
845.
85Soweit der Kläger mit fristgerecht eingereichtem Schriftsatz vom 27.01.2022 anregte, den anberaumten Verkündungstermin zu verlegen, da mit einer Entscheidung des BGH über die gegen die vorzitierte Entscheidung des OLG Naumburg gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten zu rechnen sei, hatte die Kammer der Anregung nicht zu folgen.
86Ausweislich des beklagtenseits überreichten Schreibens des Prozessbevollmächtigten der Beklagten vor dem BGH (Anlage OK 4, Bl. 435 d. A.) hatte der BGH mitgeteilt, nicht vor dem 02.03.2022 über die Nichtzulassungsbeschwerde zu beraten. Dass mit einer Entscheidung des BGH in Kürze zu rechnen sei, ergibt sich hieraus mitnichten.
87Für eine Verlegung des anberaumten Termins bestand somit keine Veranlassung.
886.
89Die Nebenforderungen teilen das Schicksal der Hauptforderung.
90II.
91Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 709 S. 2 ZPO.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
- ZPO § 709 Vorläufige Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung 1x
- BGB § 239 Bürge 1x
- IV ZR 220/96 3x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 91 Grundsatz und Umfang der Kostenpflicht 1x
- BGB § 232 Arten 12x
- 4 U 9/21 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 310 Anwendungsbereich 1x
- BGB § 242 Leistung nach Treu und Glauben 1x
- 6 O 2005/19 1x (nicht zugeordnet)
- IV ZR 44/15 1x (nicht zugeordnet)
- IV ZR 12/11 2x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 108 Art und Höhe der Sicherheit 5x
- IV ZR 217/19 1x (nicht zugeordnet)
- IV ZR 10/11 2x (nicht zugeordnet)
- 3 O 1/20 1x (nicht zugeordnet)
- IV ZR 221/19 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 128 Grundsatz der Mündlichkeit; schriftliches Verfahren 1x
- IV ZR 250/09 2x (nicht zugeordnet)