Beschluss vom Landgericht Frankenthal (Pfalz) (1. Zivilkammer) - 1 T 139/12


Tenor

Der Beschluss vom 21. Mai 2012 wird aufgehoben.

Der Antrag der Schuldnerin auf Restschuldbefreiung wird zugelassen.

Der Schuldnerin werden die Verfahrenskosten für die Verfahrensabschnitte „Eröffnungsverfahren“ und „eröffnetes Insolvenzverfahren“ gestundet.

Gründe

I.

1

Die Schuldnerin beantragte im April 2012 die Eröffnung des Verbraucherinsolvenz-verfahrens sowie zugleich die Erteilung der Restschuldbefreiung und Stundung der Verfahrenskosten. Während das Verbraucherinsolvenzverfahren durch Beschluss vom 21.5.2012 eröffnet wurde, nachdem die Schuldnerin zugesichert hatte, einen durch Dritte finanzierten Kostenvorschuss zu leisten, wurden die Anträge auf Restschuldbefreiung und Kostenstundung durch weiteren Beschluss vom 21.5.2012 unter Hinweis auf eine 3-jährige Sperrfrist als unzulässig verworfen. Die Schuldnerin hatte bereits 2011 unter dem Az. 3 a IK 241/11die Verfahrenseröffnung beantragt. Wegen Fehlens notwendiger Unterlagen und Verstreichens der zur Nachreichung gesetzten Monatsfrist galt ihr damaliger Antrag in Anwendung des § 305 Abs. 3 S. 2 InsO als zurückgenommen, was durch Beschluss vom 27.7.2011 festgestellt wurde.

2

Gegen den Verwerfungsbeschluss vom 21.5.2012, zugestellt am 4.6.2012, richtet sich die sofortige Beschwerde der Schuldnerin. Die vom Gericht angenommene Sperrfrist sei gesetzlich nicht verankert und lasse sich auch nicht dogmatisch herlei-ten. Hätte der Gesetzgeber die Unzulässigkeit einer neuen Antragstellung binnen einer bestimmten Frist gewollt, so hätte er dies gesetzlich normieren können. Eine zu vermeidende Mehrbelastung des Insolvenzgerichtes liege nicht vor, da sämtliche Tatsachen, die für die Entscheidung über die Restschuldbefreiung und die Kosten-stundung relevant werden, bereits bei der Entscheidung über Eröffnung des Ver-braucherinsolvenzverfahrens geprüft wurden.

3

Das Insolvenzgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie der Beschwerdekammer des Landgerichts zur Entscheidung vorgelegt.

II.

4

Die gemäß §§ 6, 4 d Abs. 1, 289 Abs. 2 InsO, 567 ff ZPO zulässige Beschwerde der Schuldnerin führt auch in der Sache zum Erfolg. Entgegen der Ansicht des Insol-venzgerichts ist der Antrag der Schuldnerin auf Restschuldbefreiung zulässig; auch der Kostenstundungsantrag durfte daher nicht unter Hinweis auf die Unzulässigkeit des Restschuldbefreiungsantrages verworfen werden.

5

Zutreffend ist zwar, dass der Bundesgerichtshof in den zitierten Entscheidungen (u. a. BGH, B. v. 12.5.2011 - IX ZB 221/09 - m. w. N.) in entsprechender Anwendung des § 290 Abs. 1 Nr.3 InsO eine 3-Jahres-Sperre für die erneute Beantragung einer Restschuldbefreiung entwickelt hat, wenn der erste Antrag wegen Vorliegens von Versagungsgründen ohne Erfolg blieb oder - zur Vermeidung einer Entscheidung des Insolvenzgerichts über einen Versagungsantrag - zurückgenommen wurde oder im vorangegangenen, durch Gläubiger eingeleiteten Insolvenzverfahren ein solcher Antrag vom Schuldner nicht gestellt wurde. Ob diese Analogiebildung berechtigt ist oder mangels vom Gesetzgeber übersehener Regelungslücke unzulässig (vgl. Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl., § 290 Rn 66 a a. E.), mag an dieser Stelle dahinstehen.

6

Diese Rechtsprechung gilt nämlich nach Ansicht des Beschwerdegerichts zumindest nicht - nochmals analog - für den vorliegenden Fall der gemäß § 305 Abs. 3 S. 2 InsO fingierten Rücknahme des vorangegangenen Eröffnungsantrages. Die nicht fristgerechte Nachreichung von fehlenden Unterlagen bzw. Erklärungen in dem früheren Verfahren ist nicht mit den vom BGH entschiedenen Fallgruppen vergleichbar. Die Regelung des § 305 Abs. 3 S. 2 InsO dient im Grunde der Verfahrensbeschleunigung und -vereinfachung, stellt aber keine Notfrist in dem Sinne dar, dass eine erneute Antragstellung durch die Schuldnerin ausgeschlossen wäre. Vielmehr kann sie - worauf auch das Amtsgericht in dem feststellenden Beschluss vom 27.7.2011 hingewiesen hatte und was auch dem Begründungsansatz des Beschwerdegerichts gegen die Anfechtbarkeit des die Rücknahmefiktion feststellenden Beschlusses entspricht (vgl. B. v. 15.9.2010 - 1 T 213/10) - jederzeit einen neuen, mit vollständigen, ordnungsgemäß ausgefüllten und unterschriebenen Unterlagen versehenen Antrag einreichen (so auch Uhlenbruck, § 305 Rn 144, 148). Eine zeitliche Einschränkung lässt sich insoweit dem Gesetz (derzeit) nicht entnehmen; selbst in dem 2007 diskutierten Regierungsentwurf (abgedruckt in der Beilage zur NZI 10/2007) war eine Sperrfrist für Fälle der vorliegenden Art nicht vorgesehen.

7

Es erscheint zudem nicht angemessen, die im früheren Verfahren - möglicherweise sogar unverschuldet - säumige Schuldnerin durch Auferlegung einer 3-jährigen Sperrfrist zu sanktionieren, zumal ihr diese Sperre nicht angekündigt wurde. Eine Aufklärung der Gründe der unterbliebenen Nachreichung von Unterlagen oder Erklärungen findet regelmäßig - wie auch vorliegend - mangels Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde gegen die feststellende Entscheidung (oder bloße Mitteilung der Rücknahmefiktion) nicht statt. Ein unredliches Verhalten der Schuldnerin kann - anders als in den bisher vom BGH entschiedenen Fällen - nicht zwangsläufig unterstellt werden (vgl. FK-Grothe, InsO, § 305 Rn. 64). Auch der Vorwurf, die Schuldnerin verstoße bereits gegen die Beschleunigungsmaxime im Insolvenzverfahren, indem sie ihren früheren Antrag so mangelhaft gestaltet hatte, dass sie die Frist zur Behebung nicht einzuhalten vermochte (so AG Hamburg, B. v. 9.11.2011 - 68 c IK 891/1), kann nach hiesiger Ansicht nicht zur Begründung einer Sperrfrist genügen. Jedem redlichen Schuldner wird gemäß § 1 S. 2 InsO die Gelegenheit gegeben, Rest-schuldbefreiung zu erlangen, und zwar nach den gesetzlich vorgegeben Bedingun-gen, zu denen aber der Ablauf einer von dem Insolvenzgericht angenommenen Sperrfrist nicht gehört. Die Gerichte sind als Rechtsanwender nicht befugt, dem redlichen Schuldner noch weitere Hürden auf dem langen und nicht unbeschwerlichen Weg zur Restschuldbefreiung zu errichten.

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Hinzu kommt im vorliegenden Fall, dass das Insolvenzgericht durch die - parallel zur Ablehnung der Restschuldbefreiungs- und Kostenstundungsanträge erfolgte- Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits mit dem gesamten Vorgang belastet ist. Eine irgendwie geartete Verzögerung oder nennenswerte Mehrbelastung durch die Bearbeitung der fraglichen Anträge ist nicht erkennbar, da sämtliche zur Entscheidungsfindung maßgeblichen Tatsachen auch Gegenstand des eröffneten Verfahrens sind.

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Im Ergebnis ist somit der Restschuldbefreiungsantrag der Schuldnerin zulässig. Über seinen Erfolg in der Sache wird erst nach Ablauf der Wohlverhaltensperiode zu entscheiden sein.

10

Auch der Verfahrenskostenstundungsantrag ist zulässig und begründet, § 4a Abs. 1, 2 InsO. Denn die Schuldnerin ist nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage, die Kosten des Verfahrens aufzubringen. Das ergibt sich aus den durch Vorlage von Lohnbescheinigung und Arbeitslosengeldbescheid glaubhaft gemachten Angaben der Schuldnerin im Eröffnungsantrag.

11

Da das Rechtsmittel vollen Erfolg hat (vgl. GKG-KV Nr. 2361) und kein „Gegner“ vor-handen ist, ist eine Kostenentscheidung nicht veranlasst.

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