Beschluss vom Landgericht Freiburg - 4 T 187/02

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Beteiligten Ziffer 1 wird der Beschluss des Nachlassgerichts Freiburg vom 13.05.2002 (9 GR N 243/00) aufgehoben. Das Nachlassgericht wird angewiesen, der Beteiligten zu Ziffer 1 einen Erbschein auszuteilen, wonach sie auf Grund letztwilliger Verfügung Erbin der Erblasserin geworden ist. Testamentsvollstreckung ist angeordnet.

2. Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei. Gerichtliche Auslagen werden nicht erhoben. Außergerichtliche Auslagen werden nicht erstattet.

3. Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird festgesetzt auf EUR 700.000,00.

Gründe

 
I.
Die am 09.10.2000 verstorbene Erblasserin hat am 06.10.2000 vor den Zeuginnen St. K., S.L. und A.G. ein Testament errichtet, wonach Alleinerbin die Beteiligte Ziffer 1 sein solle. Außerdem wurden verschiedene Vermächtnisse ausgesetzt und Testamentsvollstreckung angeordnet. Frühere letztwillige Verfügungen wurden aufgehoben.
Bereits am 16.09.2000 hatte die Erblasserin handschriftlich letztwillig verfügt und die Beteiligte zu 1 als "Erbin" eingesetzt, wobei der Inhalt dieser Verfügung wegen schlechter Leserlichkeit der Handschrift der Erblasserin zwischen den Beteiligten streitig ist.
Das Nachlassgericht hat mit der angefochtenen Entscheidung nach Anhörung der Zeuginnen K., L. und G. den Erbscheinsantrag der Beteiligten Ziff. 1 zurückgewiesen. Das Drei-Zeugen-Testament sei nicht wirksam errichtet. Die genannten Zeuginnen hätten ihre Funktion als Urkundsperson offenbar nicht erkannt. Sie hätten sich keine Gedanken darüber gemacht, ob sie möglicherweise vor Entfaltung einer eigenen Beurkundungstätigkeit verpflichtet gewesen seien, zumindest den Versuch zu unternehmen, die Beurkundung einem Notar oder einem Bürgermeister zu überlassen. Sie hätten bereits zwei Tage vor der Errichtung des Drei-Zeugen-Testaments von dem Wunsch der Erblasserin erfahren, ein Testament errichten zu wollen. Zu diesem Zeitpunkt hätte ohne weiteres die Möglichkeit bestanden, mit einem Notar des Notariats Freiburg einen Termin zur Beurkundung eines Testaments am darauffolgenden Freitag zu vereinbaren.
Soweit die Antragstellerin ihren Erbscheinsantrag hilfsweise auf die letztwillige handschriftliche Verfügung vom 16.09.2000 gestützt hat, ist das Nachlassgericht zu der Überzeugung gelangt, dass die Erblasserin die Beteiligte zu 1 nicht als Alleinerbin eingesetzt habe. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.
Die Kammer hat durch den beauftragten Richter die Zeuginnen K., L. und G. vernommen. Außerdem hat sie eine Stellungnahme des sachverständigen Zeugen Dr. J. O. vom 23.02.2003 eingeholt. Der Zeuge war behandelnder Arzt. Die Stellungnahme ist den Beteiligten bekannt gegeben worden. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Akten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde der Beteiligten Ziffer 1 ist zulässig und begründet.
1. Nach § 2250 Abs. 2 BGB kann jemand, der sich in so naher Todesgefahr befindet, dass voraussichtlich auch die Errichtung eines Testaments nach § 2249 BGB nicht mehr möglich ist, das Testament durch mündliche Erklärung vor drei Zeugen errichten. Von dieser Möglichkeit hat die Erblasserin vorliegend wirksam Gebrauch gemacht.
Bereits dem Wortlaut der genannten Vorschrift lässt sich entnehmen, dass schon das objektive Vorliegen der beschriebenen Todesgefahr dem Erblasser die Möglichkeit eröffnet, nach der genannten Vorschrift zu testieren. Nichts anderes besagt auch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGHZ 3, 372, 376, 377). In der angegebenen Entscheidung führt der Bundesgerichtshof aus, dass in zahlreichen, wenn nicht in den meisten Fällen der Errichtung eines Nottestamentes der Tod des Erblassers binnen so kurzer Zeit nach der Testamentserrichtung eintreten wird, dass man das Bestehen der nahen Todesgefahr zu dem maßgebenden Zeitpunkt schon nach dem Grundsatz des Anscheinsbeweises wird annehmen können. Wenn eine nahe Todesgefahr, die im Augenblick der Testamentserrichtung wirklich vorhanden ist, vorübergeht, ohne zum Tod zu führen, also in einem späteren Zeitpunkt nicht mehr besteht, so wird nach den überzeugenden Ausführungen des Bundesgerichtshofes dadurch die Tatsache, dass sie zu dem früheren Zeitpunkt bestanden hat, nicht nachträglich beseitigt. Das ist selbstverständlich und brauchte vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich hervorgehoben zu werden. Die in § 2250 Abs. 3 Satz 2 BGB angeordnete entsprechende Anwendung von § 2249 Abs. 2 BGB hat also einen Sinn nur dann, wenn neben dem Vorliegen einer wirklich nahen Todesgefahr auch die bloße Besorgnis einer solchen als Voraussetzung für die gültige Errichtung eines Nottestamentes ausreicht (BGH aaO. S. 376). Dementsprechend hat das Reichsgericht in einer sachlich nicht überholten Entscheidung vom 06.03.1943 im unmittelbaren Anwendungsbereich des Nottestamentes vor einem Bürgermeister zu § 2249 Abs. 2 Satz 2 BGB ausgesprochen, dass das vor ihm errichtete Nottestament auch dann gültig ist, wenn der Bürgermeister zwar selbst nicht die Besorgnis eines vorzeitigen Ablebens des Erblassers hatte, objektiv eine solche Besorgnis jedoch vorgelegen hat (RGZ 171, 27, 28).
Der maßgebliche Zeitpunkt für das Vorliegen der Todesgefahr und für die Beurteilung, ob dann selbst die Errichtung eines Testaments nach § 2249 BGB nicht mehr möglich ist, ist der Zeitpunkt der Testierung. Es kommt nicht darauf an, ob der Erblasser bereits Tage zuvor das Verfahren zur Errichtung eines Nottestaments vor drei Zeugen in Gang gesetzt hat. Der Erblasser ist - mit dem Risiko, dass eine weitere Verzögerung eine letztwillige Verfügung vereitelt - befugt, mit der Errichtung seiner letztwilligen Verfügung beliebig zuzuwarten. Der Erblasser ist nicht gehalten, sich zu einer rechtzeitigen Testierung zu entschließen, um die Errichtung eines Testamentes vor einem Notar oder eines Nottestamentes vor einem Bürgermeister zu ermöglichen. Folglich kommt es nicht darauf an, ob es der Erblasserin bzw. deren Gehilfen durch rechtzeitiges Handeln möglich gewesen wäre, auf den 06.10.2000, dem Zeitpunkt der Errichtung der letztwilligen Verfügung, eine notarielle Beurkundung ihres letzten Willens zu organisieren. Maßgeblich ist vielmehr die Sachlage zum Zeitpunkt der Errichtung des Nottestamentes, d. h. am 06.10.2000.
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Die Kammer teilt nicht die Besorgnis des Nachlassgerichts, dass hierdurch die Möglichkeit eröffnet werde, die grundsätzlich strengen Formvorschriften, die für das Recht der Testamentserrichtung gälten, ohne Not in einem weiten Bereich außer Kraft zu setzen. Bereits für den Regelfall stehen dem Erblasser zwei Formen der ordentlichen Testamentserrichtung zur Verfügung (vgl. § 2231 BGB). Die Möglichkeit, nach § 2047 BGB zu testieren, zeigt, dass der Gesetzgeber neben der qualitativ hochwertigen Form der Errichtung einer letztwilligen Verfügung vor dem Notar auch andere Formen toleriert, die den vom Nachlassgericht hervorgehobenen Bedürfnissen der Sicherheit des Rechtsverkehrs und dem Schutz der Interessen eines Erblassers und der möglichen Erben unter Umständen nur maßvoll gerecht werden. Folglich stehen dem Erblasser in den tatbestandlich beschriebenen besonderen Situationen der §§ 2249 und 2250 BGB besondere Formen der Errichtung einer letztwilligen Verfügung zur Verfügung mit den damit notwendig verbundenen Risiken, die der Erblasser bzw. die von ihm vorgesehenen Erben zu tragen haben, wenn es nicht zu der wirksamen Errichtung der beabsichtigten letztwilligen Verfügung mit dem ins Auge gefassten Gehalt kommt. Dass der Erblasser, um in den Genuss der Möglichkeit einer Errichtung einer letztwilligen Verfügung nach § 2250 BGB zu kommen, mit der Errichtung des Testaments zuwartet, ist hinzunehmen. Missbrauch hierdurch ist nicht zu befürchten, da der Erblasser mit erheblichem eigenen Risiko handelt.
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2. Der sachverständige Zeuge Dr. O. hat berichtet, dass die Erblasserin wegen eines im Oktober 1999 diagnostizierten Ovarialkarzinoms behandelt worden sei. Schon im Februar 2000 hätten sich erste Hinweise auf ein Fortschreiten der Erkrankung ergeben. Deshalb sei die Intensität der Chemotherapie zurückgenommen und im August 2000 auf eine niedriger dosierte Chemotherapie in Form von Tabletteneinnahme umgestellt worden. Dies bedeutet, dass der Arzt bereits damals von einem irreversiblen Vorgang überzeugt war. Der sachverständige Zeuge hat des weiteren berichtet, dass die Erblasserin noch bis zum 19.09.2000 in der Lage gewesen sei, ihn in seiner Praxis aufzusuchen. Danach sei eine deutliche Verschlechterung des Allgemeinzustandes aufgetreten, so dass sie ihr Haus nicht mehr habe verlassen können. Zu diesem Zeitpunkt sei die Tumorerkrankung deutlich fortschreitend mit deutlichem Kräfteverfall bei vollständiger Appetitlosigkeit gewesen. Spätestens Ende September 2000 sei die Patientin vollständig bettlägerig gewesen. Seit dem 05.10.2000 sei eine weitere Verschlechterung mit zunehmenden Schmerzen und weiterem Kräfteverfall eingetreten. Zu diesem Zeitpunkt sei die Patientin moribund gewesen, d. h. das Ableben der Patientin sei zu erwarten gewesen, wobei aus medizinischer Sicht der Zeitpunkt des zu erwartenden Ablebens in Stunden nicht anzugeben sei. Aus Sicht des sachverständigen Zeugen ist bereits am 06.10.2000 jederzeit mit dem Ableben der Patientin zu rechnen gewesen.
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Diesen Eindruck haben auch die vom Berichterstatter der Kammer gehörten Zeuginnen bestätigt. Die Kammer folgt deshalb den überzeugenden Ausführungen des sachverständigen Zeugen Dr. O. Da bei der Errichtung des Testaments am 06.10.2000 um 10:30 Uhr jederzeit mit dem Ableben der Erblasserin zu rechnen war, bestand damals objektiv die Gefahr, dass sie vor Hinzuziehung eines Notars, der nach den Ausführungen des Nachlassgerichts bei einer Anforderung am Vormittag des 06.10.2000 noch am selben Tag, einem Freitag, die Beurkundung vorgenommen hätte, versterben würde. Dass innerhalb des genannten Zeitraumes ein Bürgermeister oder eine nach den gesetzlichen Vorschriften zu seiner Vertretung befugte Person (vgl. § 2249 Abs. 5 BGB) zur Beurkundung des Nottestamentes eintreffen würde, ist auszuschließen und wird auch vom Nachlassgericht nicht angenommen. Ohnehin war stündlich mit dem Ableben der Erblasserin zu rechnen, weshalb zum maßgeblichen Zeitpunkt der Testamentserrichtung eine anderweitige, vom Gesetz vorgesehene Testiermöglichkeit nicht mehr gegeben war.
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3. Weitere Bedenken gegen die Gültigkeit des Testamentes sind nicht ersichtlich, von keinem der Beteiligten vorgetragen und auch vom Nachlassgericht nicht erörtert.
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4. Der Wert des Beschwerdegegenstandes bestimmt sich nach dem Nettonachlasswert. Die Entscheidung beruht im Übrigen auf den §§ 131 KostO, 13 a FGG.

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