Urteil vom Landgericht Freiburg - 3 S 19/01

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Freiburg vom 20.12.2000 - 4 C 717/00 - wie folgt abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten der Nebenintervenientin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

 
Die zulässige Berufung ist begründet.
Zunächst wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen.
Die Kläger haben die Voraussetzungen für den geltend gemachten Unterlassungsanspruch nicht bewiesen.
Im Einzelnen ist hierzu folgendes auszuführen:
Grundsätzlich können dem Mieter einer Wohnung Abwehransprüche nach § 1004 Abs. I 2 BGB gegen Immissionen, die vom Betrieb einer Mobilfunksendeanlage ausgehen, zustehen. Dies ist jedoch dann nicht der Fall, wenn die betroffenen Mieter die von der Mobilfunkanlage ausgehenden elektromagnetischen Felder dulden müssen (§ 906 Abs. I 1 BGB. Dies ist vorliegend nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme der Fall.
Immissionen durch elektromagnetische Felder sind Einwirkungen, die, wie jede andere Zufügung unwägbarer Stoffe, zu dulden sind, wenn sie zu keiner oder nur zu einer unwesentlichen Beeinträchtigung führen. Ob eine Beeinträchtigung wesentlich ist, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs von dem Empfinden eines verständigen Durchschnittsmenschen ab und davon, was diesem auch unter Würdigung anderer öffentlicher und privater Belange nicht mehr zuzumuten ist (vgl. BGH NJW 2004, 1318 m.w.N.). Eine gemäß § 906 Abs. I 2 BGB unwesentliche und damit hinzunehmende Beeinträchtigung ist in der Regel dann gegeben, wenn in Gesetzen oder Rechtsverordnungen festgelegte Grenz- oder Richtwerte von den nach diesen Vorschriften ermittelten und bewerteten Einwirkungen nicht überschritten werden.
Ausgehend von dem Sachverständigengutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Ing. ... vom 30.12.2003 sowie der Ergänzung vom 22.10.2004 sind die Grenz- und Richtwerte eingehalten.
Der Sachverständige hat unter Berücksichtigung der Standortbescheinigungen vom 26.11.1999 und 25.03.2003 dargestellt, dass die maßgeblichen Grenzwerte der 26.BImSchV, die maßgeblichen Grenzwerte des Entwurfs DIN VDE 0848-3-1 (VDE 0848 Teil 3-1): 2002-05 eingehalten seien und die Wohnung der Kläger außerhalb des Sicherheitsabstandes liege. In seinem Ergänzungsgutachten hat er zusätzlich ausgeführt, dass die Störfestigkeit von Herzschrittmachern entsprechend der Werte DIN VDE 0848-3-1 eingehalten sei und die Wohnung der Kläger außerhalb des Einwirkungsbereichs für aktive Körperhilfen gemäß § 10 Abs. I der Verordnung über das Nachweisverfahren zur Begrenzung elektromagnetischer Felder (BEMFV) liege. Ausweislich der Standortbescheinigung vom 25.03.2003 und dem Gutachten wurde damit den geltenden Grenz- und Richtwerten eindeutig genügt. Die Kammer schließt sich insoweit den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen an.
Soweit es die Frage der Berücksichtigung der thermischen wie athermischen Effekte elektromagnetischer Felder in der 26. BImSchVO bzw. DIN VDE 0848 angeht, wird zum einen auf die Ausführungen des BGH (a.a.O. Seite 1318) Bezug genommen. Im übrigen ist darauf hinzuweisen, dass es nicht Sache des Zivilgerichts ist, eine inhaltliche, die Angemessenheit der Grenzwerte in Frage stellende, Überprüfung der Verordnungen vorzunehmen, zumal insoweit noch keine verlässlichen wissenschaftlichen Erkenntnisse vorliegen und daher dem Verordnungsgeber ein angemessener Erfahrungs- und Anpassungsspielraum zukommt. Das Bundesverfassungsgericht (NJW 2002, 1639) hat insoweit ausgeführt, dass in einer solchen Situation der Ungewissheit die staatliche Schutzpflicht von den Gerichten weder verlangt, ungesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen mit Hilfe des Prozessrechts zur Durchsetzung zu verhelfen, noch, die Vorsorgeentscheidung des Verordnungsgebers unter Kontrolle zu halten und die Schutzeignung der Grenzwerte jeweils nach dem aktuellen Stand der Forschung zu beurteilen. Es sei vielmehr Sache des Verordnungsgebers, den Erkenntnisfortschritt der Wissenschaft mit geeigneten Mitteln nach allen Seiten zu beobachten und zu bewerten, um gegebenenfalls weitergehende Schutzmaßnahmen zu treffen. Eine Verletzung der Nachbesserungspflicht durch den Verordnungsgeber könne gerichtlich erst festgestellt werden, wenn evident sei, dass eine ursprünglich rechtsmäßige Regelung zum Schutz der Gesundheit aufgrund neuer Erkenntnisse oder einer veränderten Situation untragbar geworden sei.
10 
Ausgehend von den von beiden Seiten vorgelegten Gutachten, der Stellungnahme der Strahlenschutzkommission sowie dem Umstand, dass mittlerweile bei der Standortbescheinigung auch der Nachweis nach § 10 BEMFV zu führen ist, ist festzustellen, dass Untersuchungen zu den Auswirkungen elektromagnetischer Felder auf den Menschen seit längerer Zeit umfassend stattfinden, insbesondere auch zu den hier in Rede stehenden Einwirkungen unterhalb der derzeit geltenden Grenzwerte. Die Forschungen sind allerdings nicht abgeschlossen, so dass insoweit keine wissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse hinsichtlich einer Gesundheitsgefährdung vorliegen. Ein Gutachten könnte daher allenfalls eine wissenschaftlich nicht verlässlich explorierte komplexe Gefährdungslage widerspiegeln. Eine kompetente eigenständige Risikobewertung durch die Kammer kann daher nicht erfolgen. Die Einholung eines weiteren Gutachtens kam daher nicht in Betracht.
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Die Kläger können sich zur Begründung ihres Unterlassungsanspruchs auch nicht auf eine gesteigerte Fürsorgepflicht des Beklagten als Vermieter berufen.
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Wie oben ausgeführt, ist weder eine Störbeeinflussung der Funktion des Herzschrittmachers noch eine Gesundheitsgefährdung des Klägers bewiesen. Die Befürchtung des Mieters, die Anlage sei dennoch gesundheitsgefährdend, reicht nicht aus.
13 
Die aus dem Mietvertrag resultierenden Fürsorgepflichten des Vermieters beinhalten für den vorliegenden Fall die Einhaltung der vorgegebenen Richt- und Grenzwerte nach der Bundesimmissionsschutzverordnung, die sich an nachweisbaren Gesundheitsgefahren durch Hochfrequenzfelder orientiert. Eine weitergehende, sozusagen vorbeugende Fürsorgepflicht des Vermieters, allen denkbaren abstrakten Gefahren entgegenzuwirken, besteht nicht.
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In diesem Zusammenhang ist nochmals darauf hinzuweisen, dass für die Beurteilung auf das Empfinden eines verständigen Durchschnittsmenschen abzustellen ist.
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Soweit die Kläger in diesem Zusammenhang auf Entscheidungen aus dem Wohnungseigentumsgesetz hingewiesen haben (OLG Hamm, NJW 2002, 1730 f; BayObLG NZM 2002, 441) vermögen diese den Anspruch ebenfalls nicht zu begründen. Den Entscheidungen lagen jeweils die besonderen, aus dem Wohnungseigentum resultierenden wechselseitigen Rechte zugrunde, mithin andere Sachverhalte und Rechtsgrundsätze.
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Die Berufung war daher begründet.
17 
Gemäß § 543 Abs. II Nr. 2 ZPO war die Revision zuzulassen, weil der Sachverhalt in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich behandelt wird (vgl. z. B. Schmidt-Futterer Mietrecht 8. Aufl. § 536 Rdnr. 83).
18 
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10 ZPO.

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