Urteil vom Landgericht Hamburg (2. Zivilkammer) - 302 O 365/14

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 13.025,21 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 05.02.2015 zu zahlen.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 68% und die Beklagte 32%.

4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 40.625,21 € festgesetzt.

Tatbestand

1

Der Kläger macht gegenüber der Beklagten Schadensersatzansprüche geltend.

2

Der Kläger ist Eigentümer des u.a. mit einem Remisen-Gebäude bebauten Grundstücks E. .../...a in H.. Die Beklagte ist Bauträgerin des Nachbarobjekts E. ... in H., einer Neubaumaßnahme bestehend aus dem Neubau eines Wohnhauses mit drei Vollgeschossen und einer Remise mit zwei Vollgeschossen zuzüglich eines Dachgeschosses sowie einer Tiefgaragenanlage. Vor Beginn der Baumaßnahme erstellte der Sachverständige Prof. Dipl.-Ing. Z. auf Veranlassung der Beklagten mit Zustimmung des Klägers das Gutachten vom 31.10.2008 zur Beweissicherung des Altbestands, insbesondere des auf dem Grundstück des Klägers befindlichen Remisen-Gebäudes (nachfolgend das „Objekt“, vgl. Anlagenkonvolut SK 1 nebst Bilddokumentation Anlage SK 2). Auf Veranlassung der Beklagten erfolgten hinsichtlich des Objekts zudem Höhenmessungen und die Setzung von Rissmarken (Anlagen SK 4 und SK 5). Baubeginn auf dem Grundstück E. ... war Anfang des Jahres 2009, am 31.03.2011 fand eine Erörterung der Parteien hinsichtlich der an dem Objekt entstandenen Setzrisse statt (Anlage SK 3).

3

Auf Antrag des Klägers wurde ein selbständiges Beweisverfahren unter dem Az. 302 OH 3/12 zu den Fragen der Rissbildungen an dem Objekt, deren Ursachen, Maßnahmen und Kosten der Beseitigung sowie zur Frage eines merkantilen Minderwerts durchgeführt. Die genannte Akte wurde vom Gericht beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht. Auf das Gutachten des Sachverständigen H1 vom 20.11.2013 nebst Ergänzungsgutachten vom 28.02.2014 und 15.07.2014 sowie das Gutachten des Sachverständigen H2 vom 03.09.2013 wird verwiesen. Den Gutachten zufolge belaufen sich die Schadensbeseitigungskosten auf einen Betrag in Höhe von netto € 13.025,21 und ein merkantiler Minderwert des Objekts auf € 27.600,00.

4

Der Kläger behauptet, die von dem Sachverständigen H1 festgestellten Schäden des Objekts seien durch die Bauarbeiten auf dem Nachbargrundstück verursacht worden. Auch nach vollständiger Beseitigung der Schäden verbleibe ein merkantiler Minderwert des Objekts in Höhe von € 27.600,00.

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Der Kläger beantragt,

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die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger € 40.625,21 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie trägt vor, ein Verstoß der Beklagten gegen anerkannte Regeln der Technik liege nicht vor. Da die Beklagte sämtliche Arbeiten durch ausgewählte Fachfirmen habe erbringen lassen, möge sich der Kläger an die verantwortlichen Nachunternehmer wenden. Die Geltendmachung eines merkantilen Minderwerts komme zudem nicht in Betracht, da es sich um oberflächliche Risse handele, über die bei Verkauf des Objekts nicht aufgeklärt werden müsse und kein geringeres Vertrauen in die Qualität des Objekts rechtfertigen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die ausgetauschten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist teilweise begründet.

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Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Ersatz der Schadensbeseitigungskosten (hierzu unter I.), er hat jedoch keinen Anspruch auf Ersatz eines merkantilen Minderwerts (hierzu unter II.).

I.

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Die Beklagte ist dem Kläger gegenüber aus § 906 Abs. 2 S. 2 BGB analog in Höhe von € 13.025,21 ersatzpflichtig, da das klägerische Objekt infolge Bodenerschütterungen ausgelöst durch Bauarbeiten auf dem Nachbargrundstück beschädigt worden ist.

14

Der verschuldensunabhängige nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch analog § 906 Abs. 2 S. 2 BGB besteht nach gefestigter Rechtsprechung regelmäßig dann, wenn von einem Grundstück im Rahmen privatwirtschaftlicher Nutzung Einwirkungen auf ein anderes Grundstück ausgehen, die zwar rechtswidrig sind und deshalb nicht geduldet werden müssen, der betroffene Eigentümer jedoch aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen gehindert ist, solche Störungen gemäß § 1004 Abs. 1 BGB zu unterbinden, und die dadurch entstehenden Nachteile das zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden Beeinträchtigung überschreiten (vgl. BGH, Urteil vom 02.03.1984, Az.V ZR 54/83, zitiert nach juris). Der Ausgleichsanspruch ist dabei nicht auf die Folgen der Zuführung unwägbarer Stoffe beschränkt, sondern hat auch andere Störungen, insbesondere Beschädigungen wegen Erschütterungen zum Gegenstand. Der Ersatzanspruch kommt auch in Fällen sog. faktischer Duldung zur Anwendung, wenn der Eigentümer eines Grundstückes wesentliche Beeinträchtigungen beispielsweise durch Bauarbeiten auf dem Nachbargrundstück deshalb hinnehmen muss, weil ihm eine rechtzeitige Abwehr dieser Beeinträchtigung unverschuldet nicht möglich ist.

15

Die Voraussetzungen eines solchen Ausgleichsanspruchs sind hier erfüllt. Vorliegend sind die Beschädigungen durch Risse im Mauerwerk an Wänden eine wesentliche, nicht mehr hinnehmbare Beeinträchtigung des klägerischen Objekts. Die Baumaßnahme der Beklagten stellen eine vom anderen Nachbargrundstück stammende Einwirkung dar. Diese konnte der Kläger aufgrund der fehlenden Vorhersehbarkeit nicht rechtzeitig abwehren.

16

Die Beeinträchtigungen des klägerischen Objekts rühren von den Bauarbeiten der Beklagten auf dem Nachbargrundstück her und bilden die Ursache für die Schäden des Klägers. Der Kläger kann sich diesbezüglich auf einen Anscheinsbeweis berufen, der bei typischen Geschehensabläufen den Nachweis eines ursächlichen Zusammenhangs ohne exakte Tatsachengrundlage auf der Grundlage von Erfahrungssätzen erlaubt. Dies setzt einen bestimmten Tatbestand voraus, der nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache für den Eintritt eines bestimmten Erfolges hinweist (vgl. BGH zum Anscheinsbeweis, Urteil vom 19.01.2010, Az: VI ZR 33/09, zitiert nach juris). Es ist Sache des in Anspruch genommenen, den Anschein durch die Behauptung und den Beweis konkreter Tatsachen zu entkräften. Vorliegend hat der Sachverständige H1 in seinem Gutachten festgestellt, dass zum einen ein zeitlicher Zusammenhang besteht, als dass die von ihm festgestellten Risse in dem Gutachten des Prof. Z. nicht bzw. nicht so vorhanden waren. Zudem besteht den Ausführungen des Sachverständigen zufolge ein räumlicher Zusammenhang zwischen den verformungsrelevanten Bautätigkeiten auf dem Nachbargrundstück einerseits und den festgestellten Rissen im Objekt anderseits. Schließlich liegen mit dem Schadensbild typische Symptome für eine Gebäude- und Bauteilverformung vor, die auf eine Untergrundverformung zurückzuführen sind. Das Gericht folgt nach eigener Überzeugungsbildung den Feststellungen des Sachverständigen, dessen Gutachten nachvollziehbar und ohne logische Fehler ist. Der Sachverständige legt die zutreffenden Anknüpfungspunkte zu Grunde und erläutert nachvollziehbar schlüssig, wie er zu seinen Ergebnissen kommt. Alternative Schadensursachen hat die Beklagte nicht vorgetragen.

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Der Kläger hätte die Beeinträchtigung seines Eigentums auch nicht nach § 1004 i.V.m. § 906 Abs 1 Satz 1 BGB abwehren können. Die Beklagte selbst hat angegeben, ausgewählte Fachfirmen beauftragt zu haben, so dass auch für den Kläger mangels Vorhersehbarkeit der Schäden kein Anlass bestand, die Baumaßnahme zu verhindern.

18

Dem Kläger steht im Hinblick auf die in seinem Wohnhaus entstandenen Risseschäden ein Anspruch auf Geldentschädigung in Höhe von € 13.025,21 zu. Bezüglich der Höhe wird auf die von den Parteien nicht angegriffenen Ausführungen des Sachverständigen H1 in seinem Gutachten verwiesen, denen sich das Gericht anschließt (Anlage GA 1 zum Gutachten vom 20.11.2013).

II.

19

Dem Kläger steht jedoch ein Anspruch auf Entschädigung wegen eines nach vollständiger Schadensbeseitigung verbleibenden merkantilen Minderwertes nicht zu. Ein merkantiler Minderwert am klägerischen Grundstück ist zur Überzeugung des Gerichts nicht eingetreten.

20

Ein merkantiler Minderwert liegt vor, wenn nach erfolgter Mängelbeseitigung eine verringerte Verwertbarkeit gegeben ist, weil die maßgeblichen Verkehrskreise ein im Vergleich zur vertragsgemäßen Ausführung geringeres Vertrauen in die Qualität des Gebäudes haben (BGH Urteil vom 06.12.2012,Az: VII ZR 84/10, zitiert nach juris). Die Wertminderung ist nur auf das konkrete Objekt bezogen und durch die individuellen Eigenschaften des geschädigten Objektes unter Berücksichtigung der konkreten Schadensursache und der zum Wertermittlungsstichtag herrschenden allgemeinen Marktbedingungen vorzunehmen. Dabei kann das Gericht im Rahmen der freien Überzeugung nach § 287 Abs. 1 ZPO den Minderwert schätzen (BGH a.a.O.).

21

Die Schätzung des Gerichts führt vorliegend zu dem Ergebnis, dass nach erfolgter vollständiger Schadensbeseitigung kein merkantiler Minderwert des klägerischen Grundstücks verbleibt. Das Gericht hat seiner Schätzung zunächst die Höhe der Schadensbeseitigungskosten zugrunde gelegt. Diese liegen hier gemäß den Feststellungen des Sachverständigen H1 bei € 13.025,21, während sich der Verkehrswert des Objekts den von den Parteien insoweit nicht angegriffenen Ausführungen des Sachverständigen H2 zufolge auf € 920.000,00 beläuft. Die Schadenssumme hat demzufolge einen Umfang von lediglich 1,42% des Verkehrswerts des klägerischen Grundstücks. Erfahrungsgemäß führen jedoch nur besonders gravierende Mängel, die auch nach ihrer Beseitigung der Sache als Makel anhaften und in der allgemeinen Verkehrsanschauung weiterhin die Befürchtung eines Folgeschadens aufkommen lassen, zu dauerhaften Wertminderungen. Die an dem klägerischen Objekt eingetretenen Einwirkungen haben indes nicht das Ausmaß erreicht, die es für den maßgeblichen Verkehrskreis befürchten lassen, dass Folgeschäden entstehen könnten, zumal seit dem Schadensereignis bereits nahezu fünf Jahre vergangen sind und das Auftreten weiterer Rissbildungen nicht vorgetragen wurde. Insoweit ist der vorliegende Fall auch nicht mit den von der Klägerseite zitierten Gerichtsentscheidungen vergleichbar, da es sich dort um Fallkonstellationen handelte, in denen der Mangel regelmäßig nicht vollständig behebbar war (dies gilt auch für die Entscheidung des BGH vom 06.12.2012, Az: VI ZR 84/10, zitiert nach juris, wo den Mängeln ein Planungsfehler zugrunde lag).

22

Das Gutachten des Sachverständigen H2 ist zur Überzeugungsbildung des Gerichts vom Vorliegen eines merkantilen Minderwerts zudem nicht geeignet. Zwar hat der Sachverständige H2 im selbständigen Beweisverfahren aufgrund der Rissbildung am klägerischen Objekt - ohne Kenntnis der konkreten Schadensbeseitigungskosten - einen merkantilen Minderwert des Objekts in Höhe von 3% des Verkehrswerts geschätzt. Zur Begründung führt der Sachverständige aber lediglich aus, dass aufgrund fehlender Ableitungen konkreter Zahlen bzw. Beträge nur ein prozentualer Abschlag erfolgen könne, der das angenommene Verhalten der Marktteilnehmer widerspiegele. Da in der Wertermittlungsliteratur solche Abschläge in aller Regel zwischen 10% und 20% liegen würden, hier jedoch die exponierte Lage und die besonderen Begehrlichkeiten zu berücksichtigen seien, schätze der Sachverständige den Minderwert auf 3%. Eine weitere Begründung liefert der Sachverständige nicht, unberücksichtigt bleibt in seiner Schätzung zudem, dass die Schadensbeseitigungskosten nicht einmal die Hälfte des von ihm geschätzten Minderwerts ausmachen. Angesichts dieses geringen Schadensumfangs ist bereits zweifelhaft, ob der Kläger als redlicher Verkäufer einen Kaufinteressenten über die ausgeführten Mängelbeseitigungsarbeiten informieren müsste. Ungeachtet dessen ist das Gericht davon überzeugt, dass sich der Verkehrswert des klägerischen Grundstücks auch bei Kenntnis des Marktes von der erfolgten Mangelbeseitigung nicht mindert. Dem liegen die - auch von dem Sachverständigen H2 angenommen - Umstände zugrunde, dass es sich um ein Objekt innerhalb einer Örtlichkeit mit einer stark überdurchschnittlichen Nachfrage und darüber hinaus angesichts des vorhandenen Elbblicks um einen Teilmarkt mit noch stärker limitiertem Angebot und noch stärkerer Nachfrage handelt. Vollständig beseitigte Risse im Mauerwerk, die nach allgemeinen Erkenntnissen in Altbauten regelmäßig vorhanden sind und in dem klägerischen Objekt gemäß den Feststellungen des Prof. Z. auch vor den Baumaßnahmen schon vorhanden waren, spielen in Verkaufsverhandlungen eines solchen Objekts nach Auffassung des Gerichts keine im Verkaufswert meßbare Rolle. Es handelt sich insoweit um eine Einzelfallentscheidung bezogen auf die konkreten Umstände. Der von der Beklagten aufgezeigten starren Grenze, wonach ein merkantiler Minderwert dann nicht zu berücksichtigen ist, wenn die Schadensbeseitigungskosten unter 10 % des mangelfreien Gebäudewerts liegen, folgt das Gericht nicht.

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Die Beklagte hat die dem Kläger geschuldete Schadenersatzleistung nach §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB ab Rechtshängigkeit und damit ab dem 05.02.2015 zu verzinsen.

24

Die Entscheidung über die Kosten ergeht nach § 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.

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