Beschluss vom Landgericht Hamburg - 330 T 10/18

Tenor

I. Auf die sofortige Beschwerde der Schuldnerin wird der Beschluss des Amtsgerichts Hamburg (67g IN 555/14) vom 04.01.2018 abgeändert:

Der Restschuldbefreiungsversagungsantrag des Gläubigers vom 29.11.2017 wird als unbegründet zurückgewiesen.

I. Die Kosten des Verfahrens trägt der Gläubiger.

Gründe

1

Die sofortige Beschwerde der Schuldnerin ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

2

Die Voraussetzungen für die Annahme einer Erwerbsobliegenheitsverletzung gemäß §§ 287b, 290 Abs. 1 Nr. 7 InsO lagen nicht vor. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts im angefochtenen Beschluss war die Schuldnerin unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des vorliegenden Einzelfalles für den Zeitraum ab 22.05.2016 nicht gehalten, einer Vollzeittätigkeit nachzugehen:

3

Nach der Rechtssprechung des Bundesgerichtshofes (Beschluss vom 03.12.2009 - IX ZB 139/07) entfällt eine Erwerbsobliegenheit des Schuldners, wenn ihm die Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit auf Grund der Umstände des Einzelfalles nicht zugemutet werden kann. Die Frage, ob und in welchem Umfang ein Schuldner neben einer von ihm übernommenen Kinderbetreuung erwerbstätig sein muss, richtet sich in erster Linie nach den spezielleren familienrechtlichen Verpflichtungen. Als Grundlage der Beurteilung sind hierbei die zu § 1570 BGB entwickelten familienrechtlichen Maßstäbe heranzuziehen (BGH a.a.O.). Hierbei ist zu beachten, dass dann, wenn aus einer zumutbaren Tätigkeit kein pfändbares Einkommen erzielbar gewesen wäre, es an der für § 295 Abs. 1 InsO maßgeblichen konkreten Beeinträchtigung der Gläubiger fehlt. Denn eine Obliegenheitsverletzung rechtfertigt eine Versagung der Restschuldbefreiung nur dann, wenn dadurch die Befriedigung der Insolvenzgläubiger beeinträchtigt wird. Deren Schlechter-Stellung muss konkret messbar sein; eine bloße Gefährdung der Befriedigungsaussichten der Insolvenzgläubiger reicht nicht aus (vgl. BGH a.a.O., Rd. 10 m.w.N.). Aus diesem Grunde könnte im vorliegenden Falle die Versagung der Restschuldbefreiung nur dann angenommen werden, wenn die Schuldnerin zu einer Vollzeittätigkeit verpflichtet gewesen wäre, wodurch sie pfändbare Einkünfte in Höhe von monatlich etwa € 1.758,38 hätte erzielen können, nicht jedoch auch bei Annahme einer Obliegenheit zur Aufnahme einer Halbzeittätigkeit, bei welcher sie lediglich Einkünfte hätte erzielen können, die unter der Pfändungsgrenze gelegen hätten.

4

Unter Berücksichtigung der heranzuziehenden familienrechtlichen Vorschriften ist davon auszugehen, dass nach Vollendung des dritten Lebensjahres eines Kindes grundsätzlich eine Erwerbsobliegenheit des betreuenden Elternteils einsetzt. Mit der Neuregelung des Betreuungsunterhaltes durch das Gesetz zur Änderung des Unterhaltsrechts vom 21.12.2007 hat der Gesetzgeber einen auf drei Jahre befristeten Basisunterhalt eingeführt, der aus Gründen der Billigkeit verlängert werden kann. Im Rahmen dieser Billigkeitsentscheidung sind nach dem Willen des Gesetzgebers kind- und elternbezogene Verlängerungsgründe zu berücksichtigen. Allerdings verlangt die gesetzliche Neuregelung nach der Rechtssprechung des Bundesgerichtshofes keinen abrupten Wechsel von der elterlichen Betreuung zu einer Vollzeiterwerbstätigkeit. Denn nach Maßgabe der im Gesetz genannten kindbezogenen (§ 1570 Abs. 1, S. 3 BGB) Gründe ist auch nach dem neuen Unterhaltsrecht ein gestufter Übergang bis hin zu einer Vollzeiterwerbstätigkeit möglich (vgl. BGH, Urteil vom 01.06.2011, XII ZR 45/09 Rd. 16, 18). In diesem Zusammenhang hat der Bundesgerichtshof auch festgestellt, dass als kindbezogene Verlängerungsgründe gerade auch eine besondere seelische Belastung eines Kindes zu berücksichtigen ist, vorausgesetzt, diese kann im Einzelfall konkret festgestellt werden (vgl. BGH a.a.O. Rd. 25).

5

Im vorliegenden Fall geht die Kammer im Hinblick auf das vorgelegte ärztliche Attest des Herrn Prof. Dr. med. D. N. vom 17.01.2018 (Anlage B2/Blatt 47 der Akte) davon aus, dass das am 21.05.2013 geborene Kind der Schuldnerin, L. A. W., im Zeitraum von September 2016 bis Mai 2017 unter massiven Angstzuständen und Verlustängsten gelitten hat. Diese Ängste des Kindes bahnten sich schon kurz nach der Arbeitsaufnahme am 06.06.2016 an (vgl. Anlage B3, B4 und B5). Aus diesen Gründen war die Schuldnerin nach Auffassung der Kammer für den hier in Rede stehenden Zeitraum nicht gehalten, eine Vollzeittätigkeit aufzunehmen, durch welche sie noch längere Zeit von ihrem Kind getrennt gewesen wäre. Soweit das Amtsgericht im angefochtenen Beschluss argumentiert hat, der Ehegatte der Schuldnerin sei aus § 1353 Abs. 1 S. 2 BGB als Beistandsschuldner im Rahmen seiner Möglichkeiten verpflichtet gewesen, der Schuldnerin zu helfen; es sei nicht ersichtlich, warum es dem selbstständig tätigen Ehemann der Schuldnerin nicht möglich gewesen sei, die Tochter zumindest einige Tage in der Woche zur Kita zu bringen, greift diese Erwägung für den in Rede stehenden Sachverhalt nicht. Denn aufgrund der eidesstattlichen Versicherung gemäß Anlage B6 ist davon auszugehen, dass der Ehemann der Schuldnerin seine selbstständige Tätigkeit nur nebenberuflich ausgeführt hat, er darüberhinaus jedoch eine Vollzeitbeschäftigung ausübt, bei welcher er täglich um 6.20 Uhr aus dem Hause geht und erst zwischen 16.30 Uhr und 17.30 Uhr wieder im Hause ist.

6

Nach alledem war der angefochtene Beschluss abzuändern und der Restschuldbefreiungsversagungsantrag als unbegründet zurückzuweisen.

7

Die Kostenentscheidung hat ihre Grundlage in § 91 Abs. 1, S. 1 ZPO.

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen