Urteil vom Landgericht Hamburg (16. Kammer für Handelssachen) - 416 HKO 130/20
Tenor
1. Die einstweilige Verfügung des Landgerichts Hamburg vom 01.09.2020 wird aufgehoben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Antragstellerin bleibt nachgelassen, die Vollstreckung der Antragsgegnerin im Kostenpunkt durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Antragsgegnerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Der Streitwert wird auf EUR 250.000,00 festgesetzt.
Tatbestand
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Die Antragstellerin nimmt die Antragsgegnerin auf Unterlassung wegen geltend gemachter unlauterer Wettbewerbs- und Geschmacksmusterverletzung in Anspruch.
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Beide Parteien sind im Bereich der Konfitüren- und Honigherstellung in Deutschland tätig. Im Februar 2017 führte die Antragstellerin erfolgreich die mit einem silbernen Deckel versehene „GLÜCK“-Konfitüre in den Lebensmittelhandel ein, im Herbst 2019 erweiterte sie ihr bestehendes Produktsortiment um sechs Honigsorten, die sowohl den Namen „GLÜCK“ tragen als auch - bis auf einen goldenen Deckel - in gleicher Verpackung vertrieben werden.
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Im gleichen Zeitraum brachte die Antragsgegnerin ebenfalls eine Produktreihe von verschiedenen Honigsorten auf den Markt, die unter dem Namen „LieBee“ – anstelle des i-Punktes befindet sich eine Biene – veräußert wurden. Die Marke „LieBee“ wurde unter der Nummer ... auch als Wort-/Bildmarke eingetragen.
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Hinsichtlich dieser Aufmachung machte die Antragstellerin mit der Begründung, die Verpackungsgestaltung der Antragsgegnerin würde der von ihr vertriebenen „GLÜCK“-Marmelade so sehr ähneln, dass der Verbraucher zwischen den beiden Produkten nicht unterscheiden könne, einen Unterlassungsanspruch im Wege einer einstweiligen Verfügung geltend. Den am 10.12.2019 gestellten Verfügungsantrag wies das Landgericht Hamburg durch Beschluss zurück (Az. 327 O 427/19, ASt 3). Auf die hiergegen eingelegte Beschwerde gab das Hanseatische Oberlandesgerichtes Hamburg mit Beschluss vom 01.04.2020 (Az. 5 W 18/20) dem Verfügungsbegehren statt, weil es einen Unterlassungsanspruch gem. § 8 Abs. 1, Abs. 3, §§ 3, 4 Nr. 3 lit. a) und b) UWG bejahte (ASt 2). Nach Widerspruch seitens der Antragsgegnerin wurde dieser Verfügungsbeschluss vom Landgericht Hamburg durch Urteil vom 23.07.2020 bestätigt (ASt 4). Hiergegen hat die Antragsgegnerin Berufung eingelegt, die zurzeit noch beim Hanseatischen OLG Hamburg anhängig ist.
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Unter Beibehaltung der ursprünglichen Form des Glases gestaltete die Antragsgegnerin das Design ihres Honigglases um, indem sie insbesondere die Schriftfarbe des Frontaufdruckes von weißer in rote Schrift änderte und hinter den Schriftzug ein Herz platzierte:
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Von diesem Umstand setzte der Prozessbevollmächtigte der Antragsgegnerin den Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin mit E-Mail vom 07.05.2020 in Kenntnis (ASt 5) unter Beifügung einer Abbildung des neuen Glases und der Frage, ob die Antragstellerin mit der Umgestaltung einverstanden sei. Weiter wurde darauf hingewiesen, dass man davon ausgehe, dass seitens der Antragstellerin keine rechtlichen Einwände mehr erhoben würden, wenn man „bis zum 15. Mai keine gegenteilige Mitteilung erhalten“ sollte. Man werde „sodann den ‚LieBee-Honig‘ in der umgestalteten Ausstattung in den Verkehr bringen“. Mit Mail vom 12.05.2020 erbat die Antragstellerin zunächst eine Abbildung von besserer Qualität, welche ihr unter dem 14.05. übermittelt wurde (ASt 7), woraufhin der Antragsgegnerin unter dem 18.05.2020 mitgeteilt wurde, dass die Antragstellerin noch etwas Zeit zur Beantwortung der Anfrage benötige (ASt 8). Am 03.06.2020 teilte der Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin dem Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin dann in einer E-Mail (ASt 9) mit, dass die Änderungen des neuen „LieBee“-Glases nicht ausreichen würden, um eine erneute Verwechslungsgefahr mit dem „GLÜCK“-Glas auszuschließen und die Antragstellerin der neuen Verpackung daher nicht zustimmen könne.
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Nachdem der „LieBee“-Honig gleichwohl in dem zuvor widersprochenen Design in den Vertrieb gelangt war – streitig ist zwischen den Parteien, wann die Antragstellerin davon Kenntnis erlangte, – mahnte die Antragstellerin die Antragsgegnerin am 12.08.2020 erfolglos ab (ASt 16) und stellte am 25.08.2020 Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung. Daraufhin hat die Kammer in Besetzung durch den Vorsitzenden alleine unter Berücksichtigung der von der Antragsgegnerin vorsorglich hinterlegten Schutzschrift durch Beschluss vom 01.09.2020 der Antragsgegnerin verboten, Honig zu vertreiben, wenn dieser in Gläsern verpackt ist, wie oben auf S. 4 abgebildet. Hiergegen richtet sich der Widerspruch der Antragsgegnerin.
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Die Antragstellerin ist der Auffassung, auch das neue „LieBee“-Glas stelle eine nachschaffende Leistungsübernahme des „GLÜCK“-Glases dar, da die wenigen marginalen Veränderungen der umgestalteten Verpackung nicht ausreichen würden, einen abweichenden Gesamteindruck hervorzurufen. Insoweit reiche die Auswechslung des Schriftzuges in rote Farbe nicht aus, zumal dieser auch noch weiß umrandet sei, so dass insgesamt ein „weißes“ Farbkonzept vorliege. Von Bedeutung sei, dass das „GLÜCK“-Glas eine im hier relevanten Markt ungewöhnliche Tiegelform aufweise und u.a. deshalb entsprechend dem Judikat des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg über eine hohe wettbewerbliche Eigenart verfüge, zumal es sich auffällig von den anderen Konfitüren- und Honiggläsern im Einzelhandel absetze. Diese Nachahmung sei deshalb auch als unlauter zu qualifizieren, da sie zu einer vermeidbaren Herkunftstäuschung i.S.d. § 4 Nr. 3 lit. a) UWG führe, die insbesondere nicht dadurch verhindert werde, dass das Produkt der Antragsgegnerin den Markennamen „LieBee“ trage, was vom Verbraucher verbal mit dem Begriff „Liebe“ assoziiert werde und erst in zweiter Instanz mit dem englischen Wort „Bee“, zu deutsch „Biene“.
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Der ebenso wie das Wort „Glück“ mit positiven Gefühlen besetzte Begriff „Liebe “werde als Emotionsschlagwort vom Verbraucher als Sortimentserweiterung verstanden, sodass der Käufer gerade keine Differenzierung zwischen den Produkten vornehme. Zudem würde die Antragsgegnerin auch die Wertschätzung unangemessen i.S.v § 4 Nr. 3 lit. b) UWG ausnutzen, da sich die Marke „GLÜCK“ schon lange vor der Markteinführung des „LieBee“-Honigs erfolgreich am Markt positioniert habe.
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Hilfsweise macht die Antragstellerin eine Geschmacksmusterverletzung geltend, deren Vorliegen ebenfalls einen Unterlassungsanspruch gem. Art. 89 Abs. 1 Gemeinschaftsgeschmacksmusterverordnung (GGV) i.V.m. Art. 19 Abs. 1, Art. 10 Abs. 1 GGV begründen würde.
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Die Antragstellerin beantragt,
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die einstweilige Verfügung des Landgerichts Hamburg vom 01.09.2020 (Az.: 416 HKO 130/20) zu bestätigen.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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die einstweilige Verfügung des Landgerichts Hamburg vom 01.09.2020 (Az.: 416 HKO 130/20) aufzuheben und den auf ihren Erlass gerichteten Antrag zurückzuweisen.
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Sie bezweifelt, dass die beiden Geschäftsführer der Antragstellerin nicht bereits vor dem 05.08.2020 erfahren hätten, dass die Antragsgegnerin das angegriffene „LieBee“-Glas in dem vorliegend angegriffenen Design auf den Markt bringen wolle und ist unter umfangreichem Vorbringen, auf dessen Inhalt verwiesen wird, der Ansicht, es liege kein Verfügungsgrund vor.
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Aber auch ein Verfügungsanspruch sei nicht gegeben, da sich das jetzt angegriffene „LieBee“-Glas durch zahlreiche Gestaltungsmerkmale – insbesondere der Form, der Schriftart- und -farbe, des Logos und zuletzt auch wegen seiner Haptik – deutlich vom „GLÜCK“-Glas absetze. Auch der Sinngehalt der beiden Wörter sei so unterschiedlich, dass darin keine Nachahmung gesehen werden könne, weshalb auch eine mittelbare Verwechslungsgefahr ausgeschlossen sei. Insoweit sei auch zu berücksichtigen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichthofes eine derartige mittelbare Verwechslungsgefahr „nur bei Vorliegen besonderer Umstände angenommen werden“ könne, die hier nicht gegeben seien.
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Weiterhin mangele es an dem für § 8 Abs. 1 UWG erforderlichen Wettbewerbsverhältnis, zwar nicht im rechtlichen jedoch im tatsächlichen Sinne. Der direkte Wettbewerb auf dem Honigmarkt sei vorliegend nicht zu berücksichtigen, da zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des „LieBee“-Honigs der „GLÜCK“-Honig noch recht unbekannt gewesen sei. Insoweit könne sich die Antragsgegnerin auch auf eine unabhängige Parallelschöpfung berufen. Für eine Verwechslungsgefahr bestehe dementsprechend schon kein Raum, denn das angegriffene Produkt sei lediglich auf dem Honigmarkt anzusiedeln, so dass sich der erfolgreiche Absatz der schon länger im Handel befindlichen „GLÜCK“-Marmelade gerade nicht auf den Honigabsatz auswirken könne, mithin weder eine Täuschung noch eine Ausnutzung der Wertschätzung i.S.d. § 4 Nr. 3. lit. a) und lit. b) UWG vorliegen könne. Generell würde der Marke „GLÜCK“ auch die für eine Verwechslung bzw. Rufausbeutung erforderliche Bekanntheit fehlen (AG 17, 18). Schließlich liege auch keine Geschmacksmusterverletzung vor, sodass daraus auch kein Unterlassungsanspruch abgeleitet werden könne.
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Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt und die Aufmachung der von den Parteien zur Akte gereichten Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist unbegründet mit der Folge, dass die einstweilige Verfügung des Landgerichts Hamburg vom 01.09.2020 aufzuheben und der Antrag auf Erlass derselben zurückzuweisen war.
A.
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Zwar hat die Antragsgegnerin die zu Gunsten der Antragstellerin gem. § 12 Abs. 2 UWG vermutete Dringlichkeit nicht erschüttern können. Dies hat die Kammer in der mündlichen Verhandlung am 11.11.2020 dargelegt, weshalb hier – da letztlich nicht entscheidend – von näheren Ausführungen abgesehen wird.
B.
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Soweit es den Verfügungsanspruch betrifft, hat die Antragstellerin einen solchen allerdings nicht glaubhaft machen können. Ihr steht weder der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. §§ 3, 4 Nr. 3 lit. a), lit. b) UWG (dazu I. und II.) noch der hilfsweise geltend gemachte Anspruch aus Art. 89 Abs. 1 lit. a) GGV i.V.m. Art. 19 Abs. 1, Art. 10 Abs. 1 GGV (dazu III.) zu.
I.
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Ein Unterlassungsanspruch aus ergänzendem wettbewerbsrechtlichem Leistungsschutz gem. § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. §§ 3, 4 Nr. 3 lit a) UWG ist nicht gegeben.
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1. Allerdings ist von einem konkreten Wettbewerbsverhältnis zwischen den Parteien auszugehen. Die beteiligten Unternehmer müssen gleichartige Waren oder Dienstleistungen anbieten oder das Angebot der Nachahmung muss den Absatz der Originalware oder -dienstleistung beeinträchtigen (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG). Im Interesse eines wirksamen lauterkeitsrechtlichen Individualschutzes sind dabei an das Bestehen eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses keine hohen Anforderungen zu stellen (vgl. BGH GRUR 2004, 877, 878 – Werbeblocker I; Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 38. Aufl., § 2, Rn. 102), sodass es auf eine Differenzierung zwischen rechtlichem und tatsächlichem Wettbewerb nicht ankommt. Bei dem angegriffenen Produkt „LieBee“-Honig im Glas handelt es sich wie auch bei der „GLÜCK“-Marmelade (im Glas) um einen süßen Brotaufstrich, der jeweils im Lebensmitteleinzelhandel (LEH) an den Endverbraucher vertrieben wird. Dabei besteht Substituierbarkeit, da für einen nicht unbeträchtlichen Teil der Endabnehmer die angebotenen Produkte austauschbar sind (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen, a.a.O., Rn. 108a).
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2. Der Begriff der Waren und Dienstleistungen im Sinne von § 4 Nr. 3 UWG ist ebenfalls weit auszulegen, sodass darunter Leistungs- und Arbeitsergebnisse aller Art fallen (BGH GRUR 2012, 1155, Rn. 19 – Sandmalkasten; BGH GRUR 2015, 1214, Rn. 73 – Goldbären) und somit auch solche Konsumgüter wie der „LieBee“-Honig und die „GLÜCK“-Konfitüre.
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3. Da im Interesse der Wettbewerbsfreiheit vom Grundsatz der Nachahmungsfreiheit auszugehen ist, begründet das Vorliegen einer Nachahmung für sich genommen nicht die Unlauterkeit im Sinne des § 4 Nr. 3 UWG. Deren Anbieten kann allerdings nach § 4 Nr. 3 UWG wettbewerbswidrig sein, wenn das nachgeahmte Produkt wettbewerbliche Eigenart besitzt und besondere Umstände – wie eine vermeidbare Herkunftstäuschung (§ 4 Nr. 3 lit. a) UWG) oder eine unangemessene Ausnutzung oder Beeinträchtigung der Wertschätzung des nachgeahmten Produkts (§ 4 Nr. 3 lit. b) UWG) – hinzutreten, aus denen die Unlauterkeit folgt (BGH GRUR 2017, 79 – Segmentstruktur).
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Die Frage, ob der Tatbestand des ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes erfüllt ist, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes von einer Abwägung der einander widerstreitenden Interessen und der Prüfung der Wechselwirkung zwischen dem Grad der wettbewerblichen Eigenart, der Intensität der Nachahmung und den besonderen wettbewerblichen Umständen ab (BGH GRUR 2013, 951, Rn. 14 – Regalsystem, m.w.N.). Je größer die wettbewerbliche Eigenart und je höher der Grad der Übernahme sind, desto geringere Anforderungen sind an die besonderen Umstände zu stellen, welche die Wettbewerbswidrigkeit begründen (st. Rspr, vgl. etwa BGH GRUR 2009, 1069, Rn. 12 – Knoblauchwürste; BGH GRUR 2013, 1052, Rn. 15 – Einkaufswagen III; BGH GRUR 2017, 1135, Rn. 17 – Leuchtballon).
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a) Wettbewerbliche Eigenart wiederum setzt voraus, dass die konkrete Ausgestaltung oder bestimmte Merkmale eines Erzeugnisses geeignet sind, die angesprochenen Verkehrskreise auf die betriebliche Herkunft oder die Besonderheiten des Erzeugnisses hinzuweisen (st. Rspr., vgl. BGH GRUR 2013, 951 - Regalsystem m.w.N.). Eine wettbewerbliche Eigenart des nachgeahmten Produktes ist anzunehmen, wenn dieses sich aufgrund seiner konkreten Ausgestaltung oder seiner charakteristischen Merkmale nach seinem Gesamteindruck so von anderen Produkten im Marktumfeld abhebt, dass der Verkehr es einem bestimmten Hersteller zuordnet (BGH GRUR 2013, 951 - Regalsystem).
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Entsprechend dem Judikat des Hanseatischen Oberlandesgerichts in der vorherigen Auseinandersetzung geht die Kammer von einer hohen wettbewerblichen Eigenart des „GLÜCK“-Glas aus, welches sich dadurch von vergleichbaren Teilen des Konfitürenmarkts absetzt. Diese wettbewerbliche Eigenart ergibt sich insbesondere aus der Kombination folgender Merkmale: die verwendete Tiegelform, die nach unten abgerundete Glasgestaltung, der dickwandige Glasboden, der dazu führt, dass die Illusion eines freischwebenden Bodens erzeugt wird, darüber hinaus der reduzierte „No Label-Look“, der durch die weiße Schrift und den Direktdruck unterstrichen wird, sowie der Name „GLÜCK“, der in der Schrifttypografie „Handschrift“ aufgedruckt ist und schließlich der Markenname als solcher.
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b) Ausgehend hiervon stellt das „LieBee“-Glas jedoch keine unlautere Nachahmung des Verfügungsmusters i.S.d § 4 Nr. 3 UWG dar.
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aa) Eine Nachahmung liegt vor, wenn das angegriffene Produkt dem Originalprodukt so ähnlich ist, dass es sich in ihm wiedererkennen lässt (BGH GRUR 2015, 1214, Rn. 78 - Goldbären). Hierfür ist zu prüfen, ob das angegriffene Produkt die prägenden Gestaltungsmerkmale des Originalproduktes übernimmt, die dessen wettbewerbliche Eigenart ausmachen (BGH GRUR 2007, 795, Rn. 32 - Handtaschen; BGH GRUR 2010, 1125, Rn. 25 - Femur Teil). Bei der Beurteilung der Ähnlichkeit ist auf die Gesamtwirkung der einander gegenüberstehenden Produkte aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers abzustellen (BGH GRUR 2010, 80, Rn. 39 - LIKEaBIKE, m.w.N.). Hinsichtlich der Intensität der Nachahmung ist zwischen identischen, nahezu identischen und nachschaffenden Nachahmungen zu unterscheiden (vgl. BGH GRUR 2007, 795, Rn. 29 - Handtaschen). Eine nahezu identische Nachahmung liegt vor, wenn nach dem Gesamteindruck der sich gegenüberstehenden Erzeugnisse die Nachahmung nur geringfügige Abweichungen vom Original aufweist (BGH GRUR 2010, 1125, Rn. 25 - Femur Teil). Eine nachschaffende Übernahme ist gegeben, wenn die fremde Leistung lediglich als Vorbild genutzt wird und eine bloße Annäherung an das Originalprodukt festzustellen ist (Köhler/Bornkamm/Feddersen, a.a.O., § 4 Rn. 3.37).
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bb) Das angegriffene „LieBee“-Glas hat die oben dargelegten Merkmale, die dem „GLÜCK“-Glas eine wettbewerbliche Eigenart zukommen lassen, nicht in einer Weise übernommen, dass das eine Produkt, nicht mehr von dem anderen zu unterscheiden ist. Der jeweilige Gesamteindruck der beiden Gläser eröffnet dem Verbraucher, dem das „Glück“-Glas bekannt ist und der nun das „LieBee“-Glas im Regal vorfindet, genügend Differenzierungskriterien, anhand derer die Individualität der beiden Gläser hervorgehoben wird und den kundigen Konsument davor bewahrt, dass „GLÜCK“-Glas mit dem „LieBee“-Glas zu verwechseln bzw. letzteres für eine Sortimentserweiterung von ersterem zu halten. Dementsprechend besteht kein Raum für eine Herkunftstäuschung nach § 4 Nr. 3 lit. a) UWG, denn gerade die Merkmale, die beim „GLÜCK“-Glas für eine wettbewerbliche Eigenart sprechen, finden sich beim „LieBee“-Glas im Rahmen einer Gesamtschau so nicht wieder.
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Ebenso wenig kommt es zu einer mittelbaren Herkunftstäuschung. Damit gemeint ist die Situation, dass der angesprochene Verkehr die Nachahmung zwar nicht für das Originalprodukt, aber für eine neue Serie oder ein unter einer Zweitmarke vertriebenes Produkt des Originalherstellers hält oder wenn er von einer geschäftlichen oder organisatorischen Beziehung zwischen den betroffenen Parteien ausgeht (BGH GRUR 2009, 1069, Rn. 15 – Knoblauchwürste; BGH GRUR 2019, 196, Rn. 15 – Industrienähmaschinen). Es hängt vom Einzelfall ab, wie deutlich und auffällig das Produkt mit der Herstellerangabe oder der Markenbezeichnung zu versehen ist, um einer solchen mittelbaren Herkunftstäuschung entgegen zu wirken (BGH GRUR 2001, 443, 445 f – Viennetta; BGH GRUR 2005, 166, 170 – Puppenausstattungen). Die im weiteren Verlauf dargestellten Unterschiede hindern die Annahme einer mittelbaren Herkunftstäuschung.
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(1) Allerdings besitzen beide Gläser eine ähnliche Form, die im Fruchtaufstrichsegment nicht weit verbreitet und dem Verbraucher eher aus dem Kosmetikbereich bekannt ist. Darin erschöpft sich aber schon zu einem Großteil die Ähnlichkeit der beiden Gläser (dazu weiter unten). Während das „GLÜCK“-Glas eine glatte Oberfläche aufweist, ist das „LieBee“-Glas geriffelt und verjüngt sich nach unten hin. Dieser Unterschied sticht nicht nur optisch hervor, sondern wird darüber hinaus vor allem dann wahrgenommen, wenn das Glas in die Hand genommen wird. Ebenso unterscheiden sich die verwendeten Deckel der beiden Produkte. Das „GLÜCK“-Glas verfügt über einen silbernen Deckel mit Manufaktur-Optik, der an den Seiten geriffelt ist, wohin gegen das „LieBee“-Glas mit einem goldenen – für Honigprodukte typisch – glatten Deckel verschlossen wird. Von einer besonderen Nachahmung hinsichtlich der Form unter Bezugnahme des Verschlusses kann daher nicht gesprochen werden.
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(2) Die durch den dicken Glasboden erreichte Illusion einer „Regalschwebe“ ist nur dem „GLÜCK“-Glas gemein, das „LieBee“-Glas ist durchgängig eingefärbt. Der Effekt der „Regalschwebe“ lässt das „GLÜCK“-Glas vor allem schwerer aussehen als das „LieBee“-Glas und möchte so dem potentiellen Käufer auch den Eindruck von mehr Inhalt vermitteln. Auch wirkt es dadurch wesentlich bulliger als das „LieBee“-Glas.
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(3) Der sogenannte „No Label-Look“, der sich aus dem reduzierten Direktdruck in weißer Schrift und dem Fehlen der Angabe einer Dachmarke oder anderen Herstellerinformationen speist, wird so nicht vom „LieBee“-Glas übernommen. Im Vergleich zu anderen Konfitüren- und Honigmarken ist der Frontaufdruck des „LieBee“ Glases zwar ebenfalls weniger intensiv gestaltet. Allerdings sticht die in roter Farbe gehaltene Aufschrift „LieBee“, die sich eindeutig und prägend von der zuvor gewählten rein weißen Aufschrift unterscheidet, deutlich hervor. Die die dezente weiße Umrandung ändert hieran nichts, denn gerade diese führt dazu, dass die rote Schriftform deutlich und hervorgehoben als „rot“ wahrgenommen wird. Im Gegensatz zum Direktdruck des „GLÜCK“-Glases besticht das „LieBee“-Glas jetzt zusätzlich durch ein auffallend verspieltes Design, was insbesondere durch das im Hintergrund eingefügte Herz und die über dem i befindliche Biene verstärkt und durch das geriffelte Glas betont wird. Von einem reduzierten oder gar puristischen, cleanen Look kann hinsichtlich des „LieBee“-Honigs nicht gesprochen werden. Diese fröhlich verspielte Aufmachung setzt sich im Deckel fort. Während der silberne, „nüchterne“ „GLÜCK“-Deckel lediglich von der Aufschrift „GLÜCK“ in weißer Farbe geprägt wird, die auf dem silbernen Glück nicht besonders hervorsticht, sondern so die zurückhaltende Optik fortsetzt, prangen auf dem goldenen „LieBee“-Deckel derselbe Aufdruck wie auf der Front des Glases sowie die Worte „Aus Liebe zum Honig“ und „von deiner LieBee GmbH Berlin“. Auffallend ist wiederum der rote Schriftzug. Die Etikettierung, die grafischen Symbole sowie die Farbe des Aufdrucks ergeben beim „LieBee“-Glas nunmehr gerade keinen sogenannten „No Label-Look“ wie es das „GLÜCK“-Glas vermittelt und auch für sich in Anspruch nimmt.
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(4) Unterstrichen wird dieser optische Unterschied dann im weiteren Verlauf durch die unterschiedlichen Schrifttypen. Während die Marke „GLÜCK“ die Schrifttypografie „Handschrift“ in Großbuchstaben verwendet, erscheint das Wort „LieBee“ in groß- und kleingeschriebenen und miteinander verbundenen Buchstaben in Schreibschrift. Um die Bedeutung der Marke hervorzuheben, wird das „B“ innerhalb des Wortes großgeschrieben. Auch hier wird der Gesamteindruck eines zurückhaltenden Designs durch die Aufschrift „GLÜCK“ fortgesetzt. Die Buchstaben sind voneinander getrennt und muten eckig an, im Unterschied zum Design des „LieBee“-Glases, das auch eine viel verspieltere, femininere Schriftart gewählt hat.
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(5) Ganz wesentlich wird eine gravierende Differenzierung dadurch erzeugt, dass die beiden Markennamen nicht nur in ihrer Optik, sondern vor allem in ihrer Bedeutung voneinander abweichen. „GLÜCK“ suggeriert dem Verbraucher, durch den Kauf dieses Produktes erhalte er eine Portion Glück, ein positives Gefühl, von dem man nie genug haben kann. Diese taktische Marketingentscheidung wird nicht einfach von der Marke „LieBee“ übernommen. Anders als bei dem deutschen Wort „Glück“, ist das Wort „LieBee“ eine Mischung aus dem deutschen Wort „Liebe“ und dem englischen Wort „Bee“ für Biene. Es handelt sich um eine kreative Wortmischung aus englischer und deutscher Sprache, die so vorher nicht existiert hat. Dass das „Bee“ mit „Biene“ zu assoziieren ist, wird dadurch deutlich, dass „Lie“ und „Bee“ optisch nicht miteinander verbunden sind und das große „B“ in Verbindung mit „ee“ – also Biene - und nicht ein einfaches „e“ als letzter Buchstabe von „Liebe“ zu sehen ist. Zusätzlich versteht sich die Biene über dem „i“ sich als weiterer klarer Bienenhinweis. Sogenannte „denglische“ Wortspiele sind im Marketing nicht neu und vor allem jüngeren Konsumenten geläufig. Folglich kommt es auch auf die Aussprache an, so wird die Marke „LieBee“ nicht wie das deutsche Wort „Liebe“ ausgesprochen, sondern wie „Lie“ und dann das englische Wort „Bee“ (deutsch ausgesprochen „Bie“). Durch die korrekte Aussprache und die optische Wahrnehmung des Honigs als solchem sowie dem Aufdruck der Marke erschließt sich dem Verbraucher ohne Weiteres die Bedeutung, er wird die ganze Darstellung als witziges Wortspiel auffassen. Die von der Kammer im Beschluss vom 01.09.2020, der vom Vorsitzenden alleine gefasst worden ist, geäußerte Auffassung, „LieBee“ könne auch als „Liebe“ und damit in Assoziation zu „Glück“ wahrgenommen werden, erweist sich mithin nach Überprüfung nicht als hinreichend tragfähig. Demgemäß stehen im Ergebnis die Produkte „GLÜCK“ und „LieBee“ vor allem hinsichtlich ihrer Bedeutung eigenständig nebeneinander. Dass beide dem Käufer durch den Kauf positive Emotionen vermitteln wollen, kann dieser Tatsache nicht entgegenstehen, da jede Art von Marketing den Verbraucher mit gutem Gefühl zu einer Kaufentscheidung veranlassen will. Die Auffassung der Antragstellerin, der Verbraucher könnte annehmen, bei „LieBee“ handele es sich um eine Zweit- oder Handelsmarke des Herstellers „GLÜCK“, da sie sich die beiden Produkte vor allem in Bezug auf ihre optische Erscheinung und hinsichtlich ihres Namens in semantischer wie in klanglicher Hinsicht diametral voneinander unterscheiden, erweist sich letztlich nicht als überzeugend.
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c) Soweit die Antragstellerin trotz der dargestellten Differenzierungskriterien eine Verwechslungsgefahr annimmt, kann dem nicht gefolgt werden. Sie argumentiert, der durchschnittliche Verbraucher, der das „GLÜCK“-Glas kenne und die beiden Gläser „GLÜCK“ und „LieBee“ im Supermarkt nicht nebeneinander sehe, könne nicht zwischen den beiden Produkten differenzieren und würde daher einem Irrtum unterliegen und das „LieBee“-Glas mit dem „GLÜCK“-Glas zumindest mittelbar verwechseln oder es für eine Produkterweiterung halten. Dabei verkennt die Antragstellerin jedoch, dass die Assoziation mit einem anderen Produkt nicht automatisch zur Erfüllung des Tatbestandes des § 4 Abs. 3 UWG führt. Dies hat der Bundesgerichtshof in einer neueren Entscheidung dargelegt (GRUR 2020, 1202, Rn. 39 – Yoofood/Yo), wo es heißt:
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„Eine Verwechslungsgefahr im weiteren Sinn kann gegeben sein, wenn der Verkehr zwar die Unterschiede zwischen den Zeichen erkennt, wegen ihrer teilweisen Übereinstimmung aber von wirtschaftlichen oder organisatorischen Zusammenhängen zwischen den Zeicheninhabern ausgeht. Eine solche Verwechslungsgefahr kann grundsätzlich nur bei Vorliegen besonderer Umstände angenommen werden. Der Umstand, dass ein Zeichen geeignet ist, bloße Assoziationen an ein fremdes Kennzeichen hervorzurufen, reicht nicht aus.“
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Solche Umstände sind hier weder ersichtlich noch von der Antragstellerin hinreichend glaubhaft gemacht. Es ist daher nicht schädlich, dass die beiden Gläser teilweise in ihrer optischen Gestaltung aneinander heranrücken, z.B. hinsichtlich des Fehlens eines Etiketts oder der kongruierenden Tiegelform. Selbst wenn der Verbraucher, der „GLÜCK“ kennt und dann den „LieBee“-Honig im Regal sieht, denkt: „Das erinnert mich jetzt ein wenig an das mir bekannte „GLÜCK“-Glas“ ist darin weder eine un- noch eine mittelbare Herkunftstäuschung zu erkennen, weil der angesprochene Konsument gleichzeitig erkennen wird, dass es sich um eine witzige Vermittlung des Produktes „Honig“ („Bee“) handelt. Der Wettbewerb im Rahmen von Lebensmittelverpackungen lebt von Innovationen und dem Versuch, sich von seinen Konkurrenten abzugrenzen und Alleinstellungsmerkmale zu kreieren. Das bedeutet aber nicht, dass der Hersteller einer im Vergleich mit den bisherigen Konfitürengläser moderneren Verpackung diese gänzlich für sich monopolisieren kann und jedes Produkt, das gewisse Assoziationen mit dem von ihm vertrieben Produkt weckt, mit Mitteln des Lauterkeitsrechts unterbinden kann.
II.
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Ein Unterlassungsanspruch wegen Ausnutzung der Wertschätzung nach § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. §§ 3, 4 Nr. 3 lit. b) UWG ist ebenfalls nicht gegeben.
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Auch eine derartige Ausnutzung der Wertschätzung hat die Antragstellerin nicht glaubhaft machen können.
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1. Eine solche liegt vor, wenn nachgeahmte Leistungsergebnisse angeboten werden und der nachahmende Mitbewerber dadurch die Wertschätzung der nachgeahmten Waren unangemessen ausnutzt oder beeinträchtigt. Ob eine unlautere Ausnutzung der Wertschätzung der nachgeahmten Produkte vorliegt, beurteilt sich nach einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles, darunter insbesondere dem Grad der Anlehnung und der Stärke des Rufs der nachgeahmten Ware. Ebenso wie bei der Herkunftstäuschung ist es für eine unlautere Rufausnutzung nicht ausreichend, wenn lediglich Assoziationen an ein fremdes Produkt und damit Aufmerksamkeit erweckt werden (s.o, sowie BGH GRUR 2013, 1052, Rn. 38 – Einkaufswagen III, BGH GRUR 2019, 196, Rn. 23 – Industrienähmaschinen).
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2. Von einer Anlehnung an das „GLÜCK“-Glas ist nicht auszugehen, weil sich die Gläser in wesentlichen Punkten eindeutig voneinander unterscheiden (vgl. Ziffer I. 3. b) bb)) und der daraus resultierende abweichende Gesamteindruck für die Annahme einer Nachahmung i.V.m. einer Ausnutzung der Wertschätzung keinen Raum lässt. Der Aufdruck der Marke „GLÜCK“ dominiert das Marmeladenglas in hohem Maße und springt dabei jedem potentiellen Käufer direkt ins Auge. Mangels Bezugnahme zu diesem recht einprägsamen Produkt, fehlt es an einer Ausnutzung dieser Wertschätzung seitens der Antragsgegnerin, denn wo keine Verbindung zu einem existierenden Produkt geknüpft wird, kann es auch zu keiner Nutzbarmachung der kommerziellen Vorteile kommen. Die Antragstellerin verkennt in ihrem Begehren, dass die wenigen Gemeinsamkeiten der beiden Produkte nicht ausreichen, um von einer Anlehnung an das Verfügungsmuster zu sprechen. Mangels Anlehnung an das Produkt der Antragstellerin, scheidet auch eine Rufausnutzung der „GLÜCK“-Marke aus. Die Frage, ob die Bekanntheit der Marke „GLÜCK“ überhaupt ausreicht, um von einer Rufausnutzung zu sprechen, kann im Ergebnis dahinstehen.
III.
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Auch der hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf Unterlassung nach Art. 19 Abs. 1 GGV, den die Antragstellerin vorranging auf die Verletzung des Gemeinschaftsgeschmackmuster Nr. … und nachranging auf die Verletzung des Gemeinschaftsgeschmackmusters Nr. … stützt, steht der Antragstellerin nicht zu.
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1. Nach Art. 10 Abs. 1 GGV erstreckt sich der Umfang des Schutzes aus dem Gemeinschaftsgeschmacksmuster auf jedes Geschmacksmuster, das beim informierten Benutzer keinen anderen Gesamteindruck erweckt. Die Prüfung, ob ein Modell in den Schutzbereich eines Geschmacksmusters eingreift, erfordert, dass der Schutzumfang des Geschmacksmusters bestimmt sowie sein Gesamteindruck und derjenige des angegriffenen Modells ermittelt und verglichen werden (vgl. BGH GRUR 2011, 1117, Rn. 34 – ICE).
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Bei der Beurteilung des Schutzumfangs des Klagemusters ist nach Art. 10 Abs. 2 GGV der Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers bei der Entwicklung seines Geschmacksmusters zu berücksichtigen. Der Schutzumfang des Klagemusters wird auch durch seinen Abstand zum vorbekannten Formenschatz bestimmt. Dieser Abstand ist durch einen Vergleich des Gesamteindrucks des Klagemusters und der vorbekannten Formgestaltungen zu ermitteln (BGH GRUR 2016, 803, Rn. 31 – Armbanduhr). Je größer der Abstand des Klagemusters zum vorbekannten Formenschatz ist, desto größer ist der Schutzumfang des Klagemusters zu bemessen (BGH GRUR 2013, 285, Rn. 32 – Kinderwagen II). Der anerkannte Grundsatz, dass der Schutzumfang eines Geschmacksmusters von dessen Abstand zum vorbekannten Formenschatz abhängt, gilt auch für die Bestimmung des Schutzumfangs eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters nach Art. 10 Abs. 2 GGV (vgl. BGH GRUR 2011, 1117, Rn. 35 – ICE; GRUR 2013, 285, Rn. 32 – Kinderwagen II; vgl. auch EuGH GRUR Int. 2010, 602, Rn. 72 - PepsiCo/Grupo Promer). Für die Frage, welchen Abstand das Klagemuster zum vorbekannten Formenschatz einhält, kommt es nicht auf einen Vergleich einzelner Merkmale des Klagemusters mit einzelnen Merkmalen vorbekannter Muster an. Maßgeblich ist vielmehr der jeweilige Gesamteindruck der sich gegenüberstehenden Muster, der darüber entscheidet, wie groß die Ähnlichkeit des Klagemusters mit dem vorbekannten Formenschatz ist (vgl. BGH GRUR 2011, 142, Rn. 17 – Untersetzer; GRUR 2012, 512, Rn. 26 – Kinderwagen I).
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2. Nach dieser Maßgabe ist von einem durchschnittlichen Schutzumfang auszugehen, da der Abstand zum bekannten Formenschatz gering ist. Zwar weicht das Verfügungsmuster in seinem Gesamteindruck partiell von anderen Gläsern für Konfitüren und Honig im Einzelhandel ab, jedoch sind diese Abweichungen nicht so markant, dass sie einen besonders großen Schutzumfang rechtfertigen würden. Zu erwähnen sind in diesem Kontext auch die sog. Einweckgläser, die zum Einkochen und Aufbewahren von Früchten bekannt sind (vgl. S. 33 der Widerspruchsbegründung oben) und von vielen Verbrauchern mit Marmelade in Zusammenhang gebracht werden, wenn auch nicht der gekauften, sondern eher der selbstgemachten. Die „GLÜCK“-Form findet sich in diesen Gläsern zum Teil wieder, insbesondere in der gewölbten Tulpenform.
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Vergleicht man die beiden Geschmacksmuster mit dem in Streit stehenden „LieBee“-Glas so ergibt sich für den Verbraucher sehr wohl der Eindruck, dass die Gläser unterschiedlichen Herstellern zuzuordnen sind und gerade kein einheitlicher Gesamteindruck erzeugt wird. Die deutlichen Gestaltungsunterschiede des „LieBee“-Glases – erwähnt sei nochmal der eher leichte, zierliche und sich nach unten verjüngende Gesamteindruck aufgrund der runden und an den Seiten geriffelten Form – im Vergleich mit den beiden Verfügungsmustern, die demgegenüber von einem voluminöseren und kräftigeren Gesamteindruck geprägt sind, schließen eine Geschmacksmusterverletzung aus. Dementsprechend schadet es auch nicht, das einzelne Gestaltungsmerkmale wie beispielsweise die leicht ähnliche Form isoliert betrachtet Assoziationen wecken können, da es gerade auf den Gesamteindruck ankommt, wie der Bundesgerichtshof in seinen Entscheidungen „Untersetzer“ (GRUR 2011, 142 ff.) und „Kinderwagen I“ (GRUR 2012, 512 ff.) deutlich gemacht hat.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen richten sich nach den §§ 91 Abs. 1 S.1, 708 Nr. 6 und 711 ZPO.
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Referenzen
- 416 HKO 130/20 2x (nicht zugeordnet)
- 327 O 427/19 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 711 Abwendungsbefugnis 1x
- § 12 Abs. 2 UWG 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 91 Grundsatz und Umfang der Kostenpflicht 1x
- § 4 Abs. 3 UWG 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x
- § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG 1x (nicht zugeordnet)
- § 8 Abs. 1 UWG 1x (nicht zugeordnet)
- § 4 Nr. 3 UWG 4x (nicht zugeordnet)
- 5 W 18/20 1x (nicht zugeordnet)