Beschluss vom Landgericht Karlsruhe - 3 Qs 62/12

Tenor

1. Die Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Karlsruhe vom 10. August 2012 wird kostenpflichtig als unbegründet verworfen.

2. Der Antrag des Verurteilten auf Bestellung von Rechtsanwalt N. W., Heilbronn zum Pflichtverteidiger für das Beschwerdeverfahren wird zurückgewiesen.

Gründe

 
I.
Am 12.10.1993 erging gegen K. B. ein Strafbefehl wegen wiederholter Zuwiderhandlung gegen die räumliche Beschränkung seiner Aufenthaltsgestattung gem. §§ 85 Nr. 2, 56 Abs. 2 AsylVfG a. F. über eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 15,00 DM wegen des Vorwurfs, als Asylbewerber, dessen Aufenthaltsrecht aufgrund seiner Aufenthaltsgestattung auf den Bereich der Stadt Ettlingen beschränkt gewesen sei, den Gestattungsbereich am 29.05.1993 nach Vorverstößen verlassen zu haben. Der Strafbefehl wurde am 30.10.1993 rechtskräftig. Die Akte ist mittlerweile ausgeschieden.
Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 28.02.2012 ließ der Verurteilte beantragen, das Verfahren wieder aufzunehmen und seinen Verteidiger als Pflichtverteidiger beizuordnen. Als Begründung ließ der Verurteilte vorbringen, dass das Amtsgericht Ettlingen übersehen habe, dass im Tatzeitpunkt für Jugoslawien ein dauerndes tatsächliches Abschiebungshindernis im Sinne des § 58 Abs. 4 S. 1 letzte Alt. AsylVfG a. F. bestanden habe, das zu seiner Freisprechung hätte führen müssen.
Durch den angegriffenen Beschluss des Amtsgerichts Karlsruhe vom 10.08.2012 wurde der Wiederaufnahmeantrag als unzulässig verworfen und der Beiordnungsantrag zurückgewiesen.
Hiergegen richtet sich die (sofortige) Beschwerde des Verurteilten vom 03.09.2012.
II.
1. Die zulässige sofortige Beschwerde gegen die Ablehnung des Wiederaufnahmeantrags durch das Amtsgericht Karlsruhe ist nicht begründet.
Das Amtsgericht hat den Antrag des Verurteilten auf Wiederaufnahme des Verfahrens zu Recht gem. § 368 Abs. 1 StPO als unzulässig verworfen.
Der Verurteilte hat keine neuen Tatsachen vorgebracht, die den allein in Betracht kommenden Wiederaufnahmegrund des § 359 Nr. 5 StPO rechtfertigen könnten.
Tatsachen sind nicht neu, wenn sie Gegenstand der Entscheidung geworden sind, was bei einem Urteil, das nach Durchführung einer Hauptverhandlung ergangen ist, voraussetzt, dass die Tatsachen im Rahmen dieser Hauptverhandlung verwertet worden sind. Im Strafbefehlsverfahren besteht hingegen die Besonderheit, dass eine Hauptverhandlung nicht stattfindet, so dass eine Tatsache schon dann nicht neu ist, wenn sie Gegenstand der Akte geworden ist (Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., Rn. 4 zu § 373 a). Durch den insbesondere vom Verteidiger herangezogenen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 14.09.2006 (NJW 2007, 207) wird dies gerade ausdrücklich bestätigt, wobei sich das Bundesverfassungsgericht mit der Sonderfrage auseinanderzusetzen hatte, ob von der genannten Voraussetzung der Aktenkundigkeit eine Ausnahme zuzulassen ist, wenn es sich um gerichts- oder offenkundige Tatsachen handelt, und diese im Ergebnis verneinte. Einschränkungen der genannten Voraussetzung lassen sich aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gerade nicht ableiten, zumal in dem dort entschiedenen Fall die Akte des Amtsgerichts durchaus noch vorhanden war.
Im vorliegenden Strafbefehlsverfahren kann nicht festgestellt werden, ob ein dauerhaftes tatsächliches Abschiebungshindernis für Jugoslawien Gegenstand der Entscheidung geworden war, da der Akteninhalt nicht mehr vorhanden und daher auch nicht mehr bekannt ist. Der Verurteilte trägt letztlich die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass dieser Umstand nicht bereits Gegenstand der Akte war (OLG Frankfurt, NJW 1978, 841; OLG Hamm, GA 1957, 90; Meyer-Goßner, a. a. O., Rn. 6 zu § 368; KK-Schmidt, StPO, Rn. 8 zu § 368). Dies liegt letztlich in der Konsequenz der für die Zulässigkeitsvoraussetzungen im Wiederaufnahmeverfahren den Verurteilten im Allgemeinen treffenden Darlegungspflicht.
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Der vereinzelt angeführte Grundsatz, der Verlust der Strafakte dürfe dem Betroffen nicht zum Nachteil gereichen, ist vorliegend auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht einschlägig. So soll im Revisionsverfahren der Verlust der Strafakte die Annahme eines Prozesshindernisses rechtfertigen, sofern Anklageschrift und Eröffnungsbeschluss nicht mehr rekonstruiert werden können (OLG Oldenburg, NStZ 2006, 119). Im Rahmen des Wiederaufnahmeverfahrens soll der Eignung der Bekundungen eines neuen Entlastungszeugen nicht entgegenstehen, dass die richterlichen Niederschriften über die Vernehmung des Belastungszeugen in der Hauptverhandlung verloren gegangen sind, so dass man sich zur Prüfung der Eignung mit den in den schriftlichen Urteilsgründen enthaltenen Angaben über den Inhalt der Vernehmung des Belastungszeugen begnügen muss (OLG Frankfurt, StV 1984, 17). Hiermit ist jedoch der vorliegende Fall, in dem Informationen über die Neuheit einer Tatsache gänzlich fehlen, weil die gesamte Akte planmäßig ausgeschieden wurde, nicht zu vergleichen. Den Wiederaufnahmeantrag in einem solchen Fall für zulässig zu erachten hieße, das in § 359 Nr. 5 StPO aufgestellte Erfordernis der Neuheit einer Tatsache oder eines Beweismittels nicht nur zu relativieren, sondern vollständig aufzugeben und damit gerade in den Fällen, deren Aburteilung bereits so lange zurückliegt, dass die Akte schon ausgeschieden wurde, auf diese einschränkende Voraussetzung, die im Allgemeinen der Verurteilte darzulegen hat, gänzlich zu verzichten. Dem widerspricht nicht nur der eindeutige Gesetzeswortlaut des § 368 Nr. 5 StPO, sondern vor allem die auch vom Bundesverfassungsgericht in seiner o. g. Entscheidung betonte Funktion des Wiederaufnahmeverfahrens, einen angemessenen Ausgleich zwischen Rechtssicherheit und Gerechtigkeit herzustellen, der gerade in den Verfahren, in denen der lange Zeitablauf das Bedürfnis nach Rechtssicherheit in verstärktem Umfang hervorbringt, nicht einseitig zu Ungunsten der Rechtssicherheit vorgenommen werden darf.
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2. Die zulässige Beschwerde des Verurteilten gegen die Zurückweisung seines Antrags auf Beiordnung von Rechtsanwalt W. ist gleichfalls nicht begründet.
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Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die Sach- und Rechtslage im vorliegenden Wiederaufnahmeverfahren keine besonderen Schwierigkeiten iSd. § 364a StPO aufweist, die der Beiordnung eines Verteidigers bedurft hätten, zumal die Einsichtnahme in die Strafakte durch einen Verteidiger im vorliegenden Fall ohnehin nicht in Betracht kam.
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3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 473 Abs. 1 StPO.
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4. Aus den bereits unter Ziffer 2. aufgeführten Gründen, war auch der Antrag des Verurteilten auf Beiordnung seines Verteidigers für das Beschwerdeverfahren zurückzuweisen.

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