Urteil vom Landgericht Kiel (10. Zivilkammer) - 10 S 98/05

Tenor

Anmerkung der Dokumentationsstelle des Bundesgerichtshofs: Der Tenor wurde vom Gericht nicht mitgeteilt.

Tatbestand

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Der Kläger ist Insolvenzverwalter der Schuldnerin ... GmbH, deren Alleingeschäftsführer der Ehemann der Beklagten ist.

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Der Kläger verlangt die Auskehrung eines Betrages in Höhe von 4.102,12 €, welchen die Beklagte neun Tage vor Stellung des Insolvenzantrages durch die Schuldnerin von dieser erhalten hat.

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Mit Schreiben vom 29.09.2003 (Anlage B 1, Bl. 36 d.A.) bestätigte die Beklagte, dass sie der Firma ... GmbH einen zinslosen Barkredit in Höhe von maximal 4.500,00 € aus ihren Ersparnissen zur Verfügung stelle, um „Engpässe in der Materialbeschaffung zu überbrücken“. Nach dem weiteren Inhalt des Schreibens sollte die Auszahlung in bar nur nach Bedarf und Vorlage von Lieferantenauftragsbestätigungen erfolgen. Die Rückzahlung sollte nach Abschluss der geplanten Übernahme der Schuldnerin durch den jetzigen Geschäftsführer ..., den Ehemann der Beklagten, erfolgen, spätestens aber bis zum 31.12.2003. Das Schreiben der Beklagten zeichnete Herr ... unter der Bezeichnung als Kreditnehmer gegen.

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Am 30.12.2003 überwies die Schuldnerin, vertreten durch den Ehemann der Beklagten, an die Beklagte einen Betrag in Höhe von 4.102,12 € als Rückzahlung auf ein Darlehen.

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Am 08.01.2004 stellte die Schuldnerin, vertreten durch den Ehemann der Beklagten, Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin wegen Zahlungsunfähigkeit. Durch Beschluss vom 05.04.2004 eröffnete das Amtsgericht Norderstedt das Insolvenzverfahren und bestellte den Kläger zum Insolvenzverwalter.

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Mit Schreiben vom 22.09.2004 erklärte der Kläger die Anfechtung der Zahlung vom 30.12.2003 und forderte die Beklagte zur Auskehrung der erhaltenen 4.102,12 € auf.

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Der Kläger hat behauptet, die Beklagte habe bei Empfang der Überweisung Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin gehabt. Jedenfalls sei bei der Beklagten als Ehefrau des Geschäftsführers der Schuldnerin gemäß § § 130 Abs. 3, 138 Abs. 1, Abs. 2 Ziffer 3 InsO die Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit zu vermuten.

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Der Kläger hat beantragt,

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die Beklagte zu verurteilen, an ihn 4.102,12 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.04.2004 zu zahlen.

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Die Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Die Beklagte hat bestritten, von der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin gewusst zu haben. Vor Gewährung des Darlehens im September 2003 habe ihr Ehemann ihr erklärt, er benötige einen Überbrückungskredit zur Bezahlung dringend benötigter Materiallieferungen. Ihr Ehemann und der Steuerberater ... der Gemeinschuldnerin hätten ihr erklärt, dass sich die Schuldnerin in Verhandlungen mit ihrer Hausbank befände, um einen weiteren Kontokorrentkredit und damit ausreichende Liquidität zu erlangen. Der positive Abschluss dieser Verhandlungen stehe unmittelbar bevor, es seien nur noch Formalitäten zu erledigen, die noch Zeit in Anspruch nähmen. Über die zu finanzierenden Materiallieferungen hinaus hätten nach Angaben des Geschäftsführers der Schuldnerin und des Steuerberaters keine weiteren Verbindlichkeiten bestanden. Soweit Dritte weitere Forderungen geltend gemacht hätten, seien diese nach den Angaben ihres Ehemannes und des Steuerberaters nicht berechtigt gewesen.

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Die Beklagte hat weiter behauptet, sie sei davon ausgegangen, dass die Verhandlungen mit der Hausbank erfolgreich gewesen seien, als sie das Darlehen zurückerhalten habe.

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Das Amtsgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 4.102,12 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.04.2004 verurteilt und ihr die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, die von der Schuldnerin an die Beklagte vorgenommene Zahlung vom 30.12.2003 sei gemäß § 130 InsO anfechtbar und daher an den Insolvenzverwalter zurückzuzahlen. Im Zeitpunkt der Zahlung an die Beklagte sei die Schuldnerin zahlungsunfähig gewesen, da die offenen Verbindlichkeiten sich Ende des Jahres 2003 auf 50.000,00 € belaufen hätten. Der Beklagten sei die Zahlungsunfähigkeit auch bekannt gewesen. Insoweit gelte die Vermutung des § 130 Abs. 3 InsO, wonach gegenüber einer Person, die dem Schuldner zur Zeit der Handlung nahe stand, vermutet werde, dass diese Person die Zahlungsunfähigkeit gekannt habe. Hinzu komme, dass die Beklagte am 29.09.2003 der Schuldnerin einen Überbrückungskredit zur Verfügung gestellt habe, damit die Schuldnerin zumindest die laufenden Materiallieferungen habe bezahlen können. Schon aus diesem Umstand heraus habe sich der Beklagten die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin erschließen müssen. Dazu passten auch die vorgetragenen laufenden Gespräche mit der Hausbank über Möglichkeiten der Umfinanzierung bzw. Umschuldung, die aber allein nicht geeignet seien, die objektiv vorhandene Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin und damit auch die Vermutung des § 130 Abs. 3 InsO zu beseitigen.

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Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Die Beklagte meint, ihr müsse die positive Kenntnis darüber nachgewiesen werden, dass die Gemeinschuldnerin zahlungsunfähig gewesen sei. Zu Unrecht habe das Amtsgericht die Vermutung des § 130 Abs. 3 InsO angewandt. Die Vermutung gelte gemäß § 138 Abs. 2 Nr. 3 letzter Halbsatz InsO gerade nicht, weil der Ehemann der Beklagten als Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin kraft Gesetzes in Angelegenheiten der GmbH zur Verschwiegenheit verpflichtet gewesen sei, was sich aus § 85 GmbHG ergebe.

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Die Beklagte bestreitet weiterhin, von der Zahlungsunfähigkeit der Gemeinschuldnerin gewusst zu haben. Ihr Ehemann und der Steuerberater hätten ihr Ende September 2003 unter Vorlage von Dokumenten versichert, dass der positive Abschluss einer Anschlussfinanzierung durch die Hausbank der Gemeinschuldnerin unmittelbar bevorstehe.

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Die Beklagte beantragt,

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das am 15.09.2005 verkündete Urteil des Amtsgerichts Bad Segeberg aufzuheben und die Klage abzuweisen.

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Der Kläger beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Der Kläger hält die Vermutung in §§ 130 Abs. 3, 138 Abs. 2 Nr. 2 InsO für einschlägig, die Privilegierung in § 138 Abs. 2 Ziffer 3 zweiter Halbsatz InsO sei nur auf die Angehörigen von Rechtsanwälten, Steuerberatern, Wirtschaftsprüfern und sonstigen zur Berufsverschwiegenheit verpflichteten Insidern anwendbar. Darüber hinaus meint er, dass die Kenntnis der Beklagten von der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin bereits auf Grund der tatsächlichen Umstände, unter denen die Beklagte den Überbrückungskredit gegeben habe, anzunehmen sei.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

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Zu Recht hat das Amtsgericht die Beklagte zur Rückzahlung der 4.102,12 € verurteilt. Der Anspruch ergibt sich aus §§ 130 Abs. 1 Nr. 1, 143 InsO. Die Beklagte hat den Betrag neun Tage vor Stellung des Insolvenzantrages von der Schuldnerin erhalten und damit innerhalb der letzten drei Monate vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, der am 08.01.2004 gestellt wurde. Ende 2003 war die Schuldnerin auch zahlungsunfähig, da zu diesem Zeitpunkt Verbindlichkeiten der Schuldnerin in Höhe von über 50.000,00 € bestanden.

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Im Ergebnis zu Recht ist das Amtsgericht auch davon ausgegangen, dass die Beklagte bei Rückzahlung des Darlehens im Dezember 2003 Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin hatte. Auf die Beklagte ist die Vermutung der §§ 130 Abs. 3, 138 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2, Nr. 3 InsO anzuwenden. Bei der Beklagten handelt es sich um die Ehefrau des Geschäftsführers der Schuldnerin und damit einer Person, die auf Grund ihrer Verbindung zur Schuldnerin die Möglichkeit hat, sich über deren wirtschaftliche Verhältnisse zu unterrichten, § 138 Abs. 2 Nr. 2 InsO. Daher ist zu vermuten, dass die Beklagte als seine Ehefrau von der bereits im Dezember 2003 bestehenden Zahlungsunfähigkeit Kenntnis hatte.

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Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt ihr die Privilegierung in § 138 Abs. 2 Nr. 3, zweiter Halbsatz InsO nicht zugute. Die Privilegierung geht dahin, dass die Vermutung dann nicht besteht, wenn die in § 138 Abs. 2 Ziffer 1 und 2 InsO genannten Personen kraft Gesetzes in den Angelegenheiten des Schuldners zur Verschwiegenheit verpflichtet sind. Diese Ausnahme macht das Gesetz für Angehörige solcher Personen, die auf Grund ihrer Stellung im Unternehmen des Schuldners von einer Verschwiegenheitspflicht getroffen sind, weil solchen Personen nicht unterstellt werden soll, dass sie ihre Pflichten durch Weitergabe von Kenntnissen verletzt haben, die auf ihrer besonderen Informationsmöglichkeit beruhen und der Verschwiegenheit unterliegen (Uhlenbruck/Hirte, InsO, 12 Auflage, § 138 Rdnr. 50 m.w.N.). Die entsprechende Ausnahme gilt grundsätzlich auch für Geschäftsführer einer GmbH im Hinblick auf § 85 GmbHG (Uhlenbruck/Hirte, a.a.O., MüKo-Kirchhoff, InsO, 1. Auflage 2002, § 138 Rdnr. 37). Aufgrund der Tatsache, dass die Verschwiegenheitspflichten von GmbH-Geschäftsführern ausschließlich die Gesellschaft schützen soll (Baumbach-Hueck, GmbHG, 18. Auflage, § 85 Rn. 1), nicht aber die Gläubiger, deren Schutz über die Anfechtungsmöglichkeiten der §§ 130 ff. InsO bezweckt wird, hält die Kammer jedoch eine restriktive Auslegung des § 138 Abs. 2 Nr. 3 zweiter Halbsatz InsO für geboten. Denn aus der Natur der Verschwiegenheitspflichten betreffend GmbH-Geschäftsführer ergibt sich ein deutlicher Unterschied zu solchen Personen, die berufsmäßig zur Verschwiegenheit verpflichtet sind, z.B. Rechtsanwälten, Steuerberatern oder Wirtschaftsprüfern. Die Privilegierung von Angehörigen von GmbH-Geschäftsführern in § 138 Abs. 2 Nr. 3 zweiter Halbsatz InsO kann daher jedenfalls dann nicht gerechtfertigt sein, wenn die Verschwiegenheitspflichten tatsächlich nicht eingehalten wurden. So liegt es hier, sodass die Beklagte nicht auf die Privilegierung zurückgreifen kann und zu ihren Lasten die Vermutung des § 130 Abs. 3 InsO gilt. Die Beklagte hat unter Berufung auf das Zeugnis ihres Ehemannes, des Steuerberaters und eines Sachbearbeiters der Sparkasse ... vorgetragen, ihr sei Ende September 2003 erklärt worden, die Gemeinschuldnerin befinde sich in Verhandlungen mit ihrer Hausbank, um „einen weiteren Kontokorrentkredit und damit ausreichende Liquidität zu erlangen“. Durch die Durchführung der von der Beklagten finanzierten Aufträge seien Umsätze zu erzielen, welche die Betriebsausgaben vorübergehend decken könnten, Forderungen von Dritten seien nicht berechtigt gewesen. Daraus ergibt sich deutlich, dass der Ehemann der Beklagten seine Verschwiegenheitspflicht verletzt hat, indem er seine Ehefrau im einzelnen über die finanzielle Situation der Schuldnerin informiert hat, nämlich darüber, dass ausreichende Liquidität nicht vorhanden sei, nur durch von der Klägerin finanzierte Aufträge noch Umsätze erzielt werden könnten, welche die Betriebsausgaben decken können, schließlich dass Forderungen Dritter geltend gemacht würden, die aber nicht berechtigt seien. Damit hat der Geschäftsführer der Schuldnerin die aus seiner Sicht bestehende finanzielle Situation der Schuldnerin im September 2003 gegenüber der Beklagten vollständig aufgedeckt. Damit hat er seine Geheimhaltungspflichten aus § 85 GmbHG verletzt, denn die finanzielle Situation einer GmbH ist eine nicht offenkundige Tatsache i.S.d. § 85 GmbHG. .

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Aus den Informationen, die die Beklagte von ihrem Ehemann und dem Steuerberater erhielt, ergibt sich zugleich, dass die Beklagte auch positive Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin hatte, als sie Ende Dezember 2003 die Darlehensrückzahlung entgegen nahm. Soweit die Beklagte in der mündlichen Verhandlung beteuerte, über die finanziellen Verhältnisse der Schuldnerin nicht informiert gewesen zu sein, vermag die Kammer dies nicht zu glauben. Aus dem bereits erstinstanzlich vorgebrachten Vortrag ergibt sich das Gegenteil. Die Beklagte hatte danach im September 2003 Kenntnis davon, dass die Schuldnerin nicht über ausreichende Liquidität verfügte und Material für Aufträge nicht aus eigenen Mitteln finanzieren konnte. Die Beklagte streckte damit Geldsummen vor, die auch nach ihrem Kenntnisstand erforderlich waren, um überhaupt Materialien für Aufträge zu beschaffen, aus denen Umsätze zur Deckung der Betriebsausgaben erzielt werden sollten. Der Gläubiger kennt die Zahlungsunfähigkeit oder Zahlungseinstellung, wenn er selbst die Liquidität oder das Zahlungsverhalten des Schuldners wenigstens laienhaft entsprechend wertet, dabei reicht es aus, wenn der Gläubiger aus den ihm bekannten Tatsachen und dem Verhalten des Schuldners bei natürlicher Betrachtungsweise selbst den zutreffenden Schluss zieht, dass jener wesentliche Teile seiner ernsthaft eingeforderten Verbindlichkeiten im Zeitraum der nächsten drei Wochen nicht wird tilgen können (MüKo-Kirchhoff, InsO, 1. Auflage 2002, § 130 Rdnr. 33). Bei der von der Beklagten geschilderten Sachlage ist nicht davon auszugehen, dass die Beklagte nur die ungewisse Möglichkeit einer Zahlungsunfähigkeit befürchtete oder Zahlungsstockungen der Schuldnerin annahm. Vielmehr war der Beklagten bewusst, dass ohne ihr Darlehen die Schuldnerin ihre Tätigkeit hätte einstellen müssen, da nicht einmal für Aufträge benötigtes Material bezahlt werden konnte.

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An dieser Sachlage hat sich bis zur Rückzahlung des Darlehens im Dezember 2003 nichts verändert. Dem Vorbringen der Beklagten, sie sei seit September 2003 durchgehend davon ausgegangen, dass ein positiver Abschluss mit der Hausbank unmittelbar bevor stehe, was sie bei Rückzahlung des Darlehens als bestätigt angesehen habe, vermag die Kammer nicht zu folgen. Dass die Beklagte als Ehefrau des Geschäftsführers der Schuldnerin in den folgenden Monaten keine weiteren Informationen über den Verlauf der Verhandlungen und die finanzielle Situation der Firma von ihrem Ehemann erhalten haben will, hält die Kammer für lebensfremd vor dem Hintergrund, dass sie vorher dezidiert informiert worden war.

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Da die Beklagte auch nicht behauptet, von ihrem Ehemann über erfolgreiche Verhandlungen mit der Hausbank informiert worden zu sein, ist daher davon auszugehen, dass die Beklagte auch noch bei Rückzahlung des Darlehens Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin hatte. Allein die Rückzahlung des Darlehens lässt den Schluss auf eine gelungene Umfinanzierung oder eine sonstige finanzielle Erholung der Firma nicht zu.

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Die Berufung war nach alledem mit der Kostenfolge des § 97 ZPO zurückzuweisen.


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