Beschluss vom Landgericht Kiel - 7 Qs 45/17

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass der Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Kiel vom 30.06.2017 mit den Aktenzeichen 43 Gs 2649/17 rechtswidrig gewesen ist.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die dem Beschwerdeführer insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

I.

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Der Beschwerdeführer (Bf.) wendet sich gegen einen Beschluss des Amtsgerichts Kiel, in welchen wegen des Verdachts der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen die Durchsuchung seiner Geschäftsstelle angeordnet worden ist.

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Die politische Partei A..., Landesverband Schleswig Holstein betreibt bei dem sozialen Netzwerk "Facebook" des Internetdienstleisters Facebook Inc. eine geschlossene Gruppe mit dem Namen "A... Schleswig Holstein". Der Beschuldigte ist im Impressum der Gruppenhomepage als für deren Inhalt verantwortlich nach § 55 Abs. 2 RStV angegeben. Eine der Anwendungsmöglichkeiten von Facebook besteht darin, Einträge oder Mitteilungen zu "teilen". Der "geteilte" Beitrag wird sodann bspw. den Gruppenmitgliedern, Nutzern, die sich bei der Gruppe angemeldet haben, und auf der Gruppenseite als geteilter Beitrag unter dem Gruppennamen angezeigt. Für eine geschlossene Gruppe besteht diese Möglichkeit nur für diejenigen bei Facebook angemeldeten Nutzer, die – wie der Bf. – für die geschlossene Gruppe über Administratorenrechte verfügen. Am 07.03.2017 wurde um 13:12 Uhr von der Gruppe "A... Schleswig-Holstein" bei Facebook eine Grafik des süddeutschen A...-Politikers B... geteilt und mit einem Text versehen. Auf dem Bild findet sich zunächst auf blauem Grund in drei Zeilen der Text

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"DIE NAZIS SIND SCHON WIEDER DA; SIE NENNEN SICH JETZT ANTIFA!!!.

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Unter diesem Text befinden sich nebeneinander und mit einem Gleichheitszeichen verbunden die Symbole der NS-Organisation "Sturmabteilung (SA)" und der "Antifaschistischen Aktion". Die Symbole sind kreisrund und haben einen Durchmesser, der ungefähr der Absatzhöhe des vorangestellten Textes entspricht. Unter den Symbolen finden sich kurze Erläuterungen, um was für Symbole es sich handelt. Im Anschluss folgt ein weiterer, kleingedruckter Text:

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"Erst muss der Steuerzahler diese Truppen mitfinanzieren (die ganzen sogenannten Toleranzvereine), dann darf er für die Schäden aufkommen, die diese Chaoten verursachen!".

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Das geteilte Bild ist vorab mit einem Text versehen, in welchem es heißt:

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"Mittlerweile haben sich die faschistischen Methoden die im Wahlkampf in Schleswig-Holstein durch zum Teil vom Verfassungsschutz beobachteten Linksextremisten bis nach Bayern herumgesprochen. Erschwerend kommt hinzu, dass sich Gewerkschaften, SPD und Linken es sich nicht nehmen lassen mit diesen extremistischen Organisationen Schulter an Schulter auf die Straße zu stellen. Das durch die gleichen Akteure Wirte bedrohen, deren Gaststätten beschädigen und Verwaltungen, die eigent…".

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Es folgt ein Link unter den Worten „Mehr Anzeigen“, wo vermutlich weiterer Text angezeigt werden kann, der nicht zur Akte gelangt ist (wegen der weiteren Einzelheiten vgl. Blatt 12 der Akte). Am 28.06.2017 ergingen die Beschlüsse zu Lasten des Beschuldigten und am 30.06.2017 zu Lasten des Bf., die am 20.07.2017 vollzogen wurden. Eine Anfrage gegenüber der Facebook Inc. erbrachte am 19.07.2017 das Ergebnis, dass IP-Adressen von Benutzern für eine aktive Session geloggt und IP-Adressen nicht mit einzelnen Beiträgen verknüpft würden, der konkrete Nutzer also nur über den zeitlichen Rahmen der Nutzung ermittelt werden könne. Bis zum 15.08.2017 ergingen seitens der Polizei und des LKA SH weitere Fragen an die Facebook Inc. Diese solle Protokolle übersenden und mitteilen, wer am Tattag administrativen Zugang zur Gruppe gehabt habe und welche Geräte-IDs gespeichert seien.

II.

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1. Die Beschwerde ist zulässig, obgleich die mit dem angefochtenen Beschluss angeordneten Durchsuchungsmaßnahmen bereits abgeschlossen sind. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unterliegen jedenfalls Wohnungsdurchsuchungen auch nach ihrer Beendigung aufgrund des damit verbundenen schwerwiegenden Grundrechtseingriffs der richterlichen Kontrolle, weil sich die Belastung durch den Grundrechtseingriff typischerweise auf eine Zeitspanne beschränkt, in der eine gerichtliche Entscheidung im Beschwerdeverfahren nicht zu erlangen ist (vgl. dazu Meyer-Goßner, in Meyer-Goßner/Schmidt, StPO, 58. Aufl., 2015, vor § 296, Rdnr. 18 ff.). Die Kammer sieht diese Voraussetzungen auch für die Geschäftsstelle eines Landesverbandes einer politischen Partei als erfüllt an.

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2. Die Beschwerde ist begründet. Der Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Kiel ist rechtswidrig.

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Zum Zeitpunkt des Erlasses des Beschlusses lagen die Voraussetzungen des § 103 StPO nicht vor. Hiernach sind Durchsuchungen nur zur Ergreifung des Beschuldigten oder zur Verfolgung von Spuren einer Straftat oder zur Beschlagnahme bestimmter Gegenstände und nur dann zulässig, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass die gesuchte Person, Spur oder Sache sich in den zu durchsuchenden Räumen befindet. Erforderlich ist danach lediglich ein Verdacht, der die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens rechtfertigt (sog. "Anfangsverdacht") und eine auf kriminalistische Erfahrung gestützte Vermutung, dass die als Beweismittel be- oder entlastenden Gegenstände sich in den zu durchsuchenden Räumen befinden. Eine Durchsuchung darf nicht der Ermittlung von Tatsachen dienen, die zur Begründung eines Verdachts erforderlich sind; denn sie setzt einen Verdacht bereits voraus (vgl. BVerfGK 8, 332, 336; BVerfGK 11, 88, 92). Notwendig ist, dass ein auf konkrete Tatsachen gestütztes, dem Beschwerdeführer angelastetes Verhalten geschildert wird, das den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllt. Diese Voraussetzungen waren hier nicht erfüllt.

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a. Der Beschuldigte ist nach Überzeugung der Kammer zum Zeitpunkt des Erlasses der Anordnungen einer Tat nach § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht den Anforderungen entsprechend verdächtig gewesen. Mithin lagen auch die Voraussetzungen einer Durchsuchung bei dem Bf. nach § 103 StPO nicht vor. Nach § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB wird u.a. bestraft, wer im Inland Kennzeichen einer der in § 86 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 StGB bezeichneten Parteien oder Vereinigungen in von ihm verbreiteten Schriften (§ 11 Abs. 3 StGB) verwendet. Bestraft wird damit die abstrakte Gefahr einer inhaltlichen Identifizierung mit dem Bedeutungsgehalt symbolträchtiger Kennzeichen, deren Verbreitung oder Verwendung den Anschein erwecken kann, verfassungswidrige Organisationen könnten trotz ihres Verbots ungehindert agieren (Laufhütte/Kuschel in: Laufhütte u.a., StGB Leipziger Kommentar, 12. Aufl. 2007, § 86a, Rn. 2). Verwenden ist dabei jeder Gebrauch, der das Kennzeichen optisch oder akustisch wahrnehmbar macht, ohne dass es auf eine körperliche Überlassung ankommt (Laufhütte/Kuschel in: Laufhütte u.a., StGB Leipziger Kommentar, 12. Aufl. 2007, § 86a, Rn. 12).

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b. Unabhängig von der Frage ob im Einzelfall die "Sozialadäquanzklausel" nach § 86a Abs. 3 StGB einschlägig ist, wird in der Literatur und in der Rechtsprechung die Frage gestellt, wie weit der Tatbestand der Regelung reicht, wobei insbesondere das Merkmal des "Verwendens" diskutiert wird.

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Denkbar ist zunächst, zu fordern, dass das Verwenden sich als Bekenntnis zu den Zielen der verbotenen Organisation darstellt. Handlungen, mit denen sich der Täter offensichtlich von der Ideologie der Organisation distanziert und seine Gegnerschaft zum Ausdruck bringt; Kritik an Methoden der verbotenen Organisation, Satire und auch Handlungen "neutraler" Art fielen dann aus dem Anwendungsbereich des Tatbestandes heraus (so etwa Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, 29. A., 2014, StGB § 86a Rn. 5-8, beck-online. m.w.N.).

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Dem widerspricht aber, dass beispielsweise kommerzielle Tätigkeiten ebenfalls aus dem Anwendungsbereich herausfielen. Wenn man ein massives, sich ständig wiederholendes und als Mittel des politischen Kampfes sich einbürgerndes Verwenden verbotener Kennzeichen durch solche politischen Gruppen, die Gegner der verbotenen Organisation sind und die anderen politischen Gruppierungen eine Übereinstimmung mit deren Zielen vorhalten wollen, erlauben würde, könnte außerdem die rechtliche Folge eintreten, dass in politisch unruhiger Zeit die Kennzeichen verbotener Parteien und Vereinigungen wieder zum politischen Alltagsbild gehören würden. Das aber würde dem Zweck des § 86a StGB zuwiderlaufen, die Verwendung solcher Kennzeichen in der Öffentlichkeit grundsätzlich auszuschließen (zum Ganzen BGHSt 25, 30).

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Der BGH hat den Begriff des Verwendens zunächst im umfassenden Sinne verstanden, seine Ansicht im Laufe der Zeit aber modifiziert. Ausgangspunkt hierfür war, dass der Gesetzgeber ein Bedürfnis für gewisse Einschränkungen des Tatbestands gesehen und mangels möglicher Verfeinerung der tatbestandlichen Umschreibung die Auslegung im Einzelnen der Rechtsprechung überlassen hatte (siehe dazu BGHSt 25, 30, Rn. 5, nach juris). Dem wird eine Auslegung unter Berücksichtigung des von § 86a StGB verfolgten Zwecks eines weitgespannten Schutzes gerecht, die eine Überdehnung des Tatbestands dadurch vermeidet, dass sie eine solche Kennzeichenverwendung vom Tatbestand ausschließt, die diesem Schutzzweck ersichtlich nicht zuwiderläuft. Als Schutzzweck der Strafvorschrift ist dabei im Einzelnen nicht nur die Abwehr einer Wiederbelebung der verbotenen Organisation oder der von ihr verfolgten verfassungsfeindlichen Bestrebungen, auf die das Kennzeichen symbolhaft hinweist, zu verstehen. Die Vorschrift dient auch der Wahrung des politischen Friedens dadurch, dass jeglicher Anschein einer solchen Wiederbelebung sowie der Eindruck bei in- und ausländischen Beobachtern des politischen Geschehens in der Bundesrepublik Deutschland vermieden wird, in ihr gebe es eine rechtsstaatswidrige innenpolitische Entwicklung, die dadurch gekennzeichnet sei, dass verfassungsfeindliche Bestrebungen der durch das Kennzeichen angezeigten Richtung geduldet würden. Auch ein solcher Eindruck und die sich daran knüpfenden Reaktionen können den politischen Frieden empfindlich stören. § 86 a StGB will auch verhindern, dass die Verwendung von Kennzeichen verbotener verfassungsfeindlicher Organisationen sich wieder derart einbürgert, dass das Ziel, solche Kennzeichen aus dem Bild des politischen Lebens in der Bundesrepublik grundsätzlich zu verbannen, nicht erreicht wird, mit der Folge, dass sie schließlich auch wieder von den Verfechtern der politischen Ziele, für die das Kennzeichen steht, gefahrlos gebraucht werden können (zum Ganzen BGHSt 25, 30, Rn. 9 nach juris).

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Nach dieser auch nach Ansicht der Kammer zutreffenden Rechtsprechung erfüllt die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in Darstellungen, bei denen sich bereits aus ihrem Inhalt in offenkundiger und eindeutiger Weise ergibt, dass sie in einem nachdrücklich ablehnenden Sinne gebraucht werden, unabhängig von deren Umfang nicht den Straftatbestand des § 86a StGB (BGHSt 51, 247). Die Gegnerschaft muss sich eindeutig und offenkundig ergeben und ein Beobachter sie somit auf Anhieb erkennen können. Ist dagegen der Aussagegehalt einer Darstellung mehrdeutig oder die Gegnerschaft nur undeutlich erkennbar, so ist der Schutzzweck des § 86 a StGB verletzt. Dies ist etwa der Fall, wenn das Durchstreichen des Hakenkreuzes so dünn erfolgt, dass aus einer gewissen Entfernung nur noch das Hakenkreuz, nicht mehr aber die Distanzierung erkennbar ist (vgl. BGH a.a.O.). Für die Beantwortung der Frage, ob die konkrete Kennzeichenverwendung dem Schutzzweck des § 86 a StGB erkennbar nicht zuwiderläuft, sind die gesamten Umstände der Tat zu berücksichtigen (BGHSt, 52, 375).

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c. Unter Berücksichtigung dieser Anforderungen ist das Merkmal "Verwenden" nach § 86a StGB im vorliegenden Fall nicht erfüllt.

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In erster Linie augenfällig sind bei dem von der Gruppe "A... Schleswig-Holstein" geteilten Beitrag der voran gestellte Text "DIE NAZIS ..usw." und die folgenden Symbole. Beide Bestandteile werden auch bei einem flüchtigen Blick eines objektiven Beobachters unmittelbar wahrgenommen. Das inkriminierte Symbol der NS-Organisation "SA" springt dabei auch nicht wie etwa das erheblich bekanntere Nazi-Symbol "Hakenkreuz" kraft seiner besonderen Bekanntheit hervor. Aus dem Zusammenhang wird schnell und nachvollziehbar deutlich, dass sich der Teilende von "SA" und "Antifa" distanzieren will. Es wird ersichtlich, dass der Teilende seine Geringschätzung gegenüber der "Antifa" zum Ausdruck bringen will. Diese Geringschätzung hat aber notwendigerweise zum Inhalt, dass der Teilende sich gerade auch vom Bezugsobjekt, also von der "SA", distanziert und zum Bezugspunkt seiner Geringschätzung macht. Diese Einschätzung wird von den weiteren Umständen, also dem nicht so augenfälligen Begleittext, gestützt, so dass keine Mehrdeutigkeiten zu erkennen sind. So ist etwa von "faschistischen Methoden" die Rede, die "Linksextremisten" zur Last gelegt werden. Es findet sich wiederum die Bezugnahme zu den Verhältnissen des verbrecherischen NS-Regimes, welche als Bezugspunkt für den Ausdruck der Geringschätzung benutzt werden. Die Darstellung richtet sich zwar in erster Linie gegen die "Antifa", dies hindert die eindeutige und offenkundige Distanzierung von der "SA" aber nicht.

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d. Anderes ergibt sich auch nicht aus der Rechtsprechung des BGH, wonach eine Beschränkung der Tatbestandsrestriktion bei gehäuftem Gebrauch der verbotenen Kennzeichen vorzunehmen ist. Bei einer einmaligen Verwendung, bei der das Kennzeichen nur kurz in Erscheinung tritt, soll es der Feststellung besonderer Umstände bedürfen, um das Handeln als Verstoß gegen § 86 a StGB einzuordnen. Der Tatbestand soll aber erfüllt sein, wenn etwa bei einer Demonstration solche Kennzeichen in einer Häufung verwendet werden würden, dass die Gefahr besteht, sie könnten sich entgegen dem Schutzzweck des § 86 a StGB wieder einbürgern. Im Kern geht es dem BGH hierbei um die Gefahr der Missinterpretation (siehe zum ganzen BGHSt 51, 247). Eine solche ist nach Aktenlage aber nicht erkennbar. Bei dem Vorgang selbst scheint es sich um einen Einzelfall zu handeln, der erkennbar durch tagesaktuelle und individuelle Umstände geprägt ist. Es lässt sich der Akte auch nicht entnehmen, dass der Beitrag eine außerordentlich große Anzahl von Lesern erreicht hätte.

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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 StPO analog.


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