Urteil vom Landgericht Kleve - 1 O 444/10
Tenor
1. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin alle Schäden zu ersetzen, die diese infolge der Ordnungsverfügung der Beklagten gegen die Klägerin vom 10.05.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Landrates des Kreises xy vom 22.06.2006 sowie deren Vollziehung erlitten hat und weiterhin erleidet.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Tatbestand
1Die im Jahr 1998 gegründete Klägerin betreibt u.a. Wettannahmestellen.Am 16.02.2006 eröffnete sie eine Wettannahmestelle an dem T-Straße in xx, in der sie X aus allen Bereichen des Sports entgegennahm und diese, soweit nicht der Pferdesportbereich betroffen war, an die Firma U. Ltd. vermittelte. Die Firma U. Ltd. ist aufgrund einer von der maltesischen Glücksspielaufsicht erteilten Erlaubnis berechtigt, allgemeine Sportwetten zu festen Gewinnquoten innerhalb und außerhalb Maltas zu veranstalten.
2Mit Bescheid vom 10.05.2006 untersagte der Bürgermeister der Beklagten der Klägerin gestützt auf § 14 Abs.1 OBG NRW die Vermittlung und Abwicklung von Sportwetten, wobei er aufgab, die Vermittlung von Sportwetten binnen 7 Tagen nach Zustellung des Bescheides einzustellen. Die sofortige Vollziehung wurde angeordnet und für den Fall der Nichtbefolgung die Festsetzung eines Zwangsgeldes in Höhe von 7.500,00 € angedroht.Gegen diese Untersagungsverfügung legte die Klägerin am 12.05.2006 Widerspruch ein, den der Landrat des Kreises Wesel mit Bescheid vom 22.06.2006 zurückwies. Ein von der Klägerin bei dem Verwaltungsgericht gestellter Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederherzustellen, wurde in beiden Instanzen abgelehnt.Die Klägerin stellte die Vermittlung von Sportwetten ein.
3Die Klage der Klägerin in der Hauptsache wurde von dem Verwaltungsgericht Düsseldorf mit Urteil vom 09.11.2007 (- 3 K #####/#### -) abgewiesen. Dagegen legte die Klägerin Berufung ein zum Oberverwaltungsgericht NRW.Nach einem Hinweis des Oberverwaltungsgericht NRW vom 06.09.2013 darauf, dass nach den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts vom 20.06.2013 das Sportwettenmonopol in Nordrhein-Westfalen die europarechtliche Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit verletze, wie auch das Oberverwaltugnsgericht NRW zuvor bereits entschieden habe, hob die Beklagte die Untersagungsverfügung vom 10.05.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.06.2006 mit Wirkung für die Vergangenheit und die Zukunft auf und gab eine Kostenübernahmeerklärung ab.Die Parteien erklärten daraufhin das verwaltungsgerichtliche Verfahren übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt, nachdem das Oberverwaltungsgericht NRW darauf hingewiesen hatte, dass es kein Fortsetzungsfeststellungsinteresse mehr erkenne.
4Die Klägerin trägt vor, ihr stehe ein Anspruch auf Entschädigung aus § 39 Abs. 1 b OBG NRW zu, da die Untersagungsverfügung rechtswidrig gewesen sei. Die durch die Beklagte untersagten Tätigkeiten stellten keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dar und insbesondere verstoße die Klägerin durch sie nicht gegen § 284 StGB.
5Ihr sei durch die Untersagung der Weiterführung der Wettannahmestelle ein Schaden entstanden, der noch in der Entwicklung begriffen sei.
6Die Klägerin beantragt,
7festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin alle Schäden zu ersetzen, die diese infolge der Ordnungsverfügung der Beklagten gegen die Klägerin vom 10.05.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Landrates des Kreises Wesel vom 22.06.2006 sowie deren Vollziehung erlitten hat und weiterhin erleidet.
8Die Beklagte beantragt,
9die Klage abzuweisen.
10Sie trägt vor, die Feststellungsklage sei unzulässig. Die Klägerin sei verpflichtet, den bereits erlittenen Schaden zu berechnen und insoweit Leistungsklage zu erheben.
11Die Klage sei aber auch unbegründet, da die Untersagungsverfügung rechtmäßig ergangen sei. Die Beklagte sei in eigener Zuständigkeit gehalten gewesen, gegen nicht erlaubte terrestrische Sportwettbüros ordnungsrechtlich vorzugehen. Ihr Entschließungsermessen, gegen unerlaubtes Glücksspiel vorzugehen, sei wegen dessen Strafbarkeit auf Null reduziert (Bl. 78 G.A.).
12In einem späteren Schriftsatz (Bl. 233 ff. G.A.) trägt die Beklagte sodann vor, sie habe ausschließlich auf Anweisung der Bezirksregierung Düsseldorf vom 05.07.2004 gehandelt (Weisung gem. § 9 OBG). Daher sei nicht sie als angewiesene Behörde haftbar sondern die anweisende Behörde. Mindestens seit dem Jahre 2011 habe das Land NRW durch Runderlass und Rundverfügung Kommunen angewiesen, private Wettbüros mit Anordnung des sofortigen Vollzugs zu schließen. Diese Weisung habe der Innenminister auch im Jahre 2006 wiederholt.
13Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
14Die Akten 3 K #####/#### Verwaltungsgericht Düsseldorf lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
15Die Klage ist zulässig und begründet.
16Die Klage ist zulässig.
17Insbesondere hat die Klägerin ein Feststellungsinteresse (§ 256 ZPO) hinsichtlich der Verpflichtung der Beklagten, ihr die Schäden zu ersetzen, die ihr aus der Ordnungsverfügung vom 10.05.2006 entstanden sind.Zwar müsste die Klägerin zwischenzeitlich in der Lage sein, ihren Schaden zu beziffern, da die Schadensentwicklung spätestens mit der Aufhebung der streitbetroffenen Ordnungsverfügung durch Schreiben vom 30.09.2013 ihren Abschluss gefunden hat, so dass eine Leistungsklage möglich wäre.
18Jedoch war, als die Klägerin die Klage anhängig gemacht hat (31.12.2010), die Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen, da die streitbetroffene Ordnungsverfügung noch bestand und es damit der Klägerin nach wie vor verboten war, die von ihr in 2006 eröffnete Wettannahmestelle in xx zu betreiben.Solange aber eine Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen ist und der Geschädigte damit lediglich in der Lage wäre, einen Teil des Schadens zu be-ziffern und mit einer Leistungsklage geltend zu machen, steht es ihm frei, auch den gesamten Anspruch im Wege der Feststellungsklage geltend zu machen (vgl. BeckOK ZPO-Bacher, § 256 ZPO, Rn 27 / BGH NJW 1984, 1552 ff., 1554).Nachdem die Klägerin in solcher Weise zulässig Feststellungsklage erhoben hatte, brauchte sie auch nicht zur Leistungsklage überzugehen, als die Beklagte die streitbetroffene Ordnungsverfügung zurück genommen hat, womit die Klägerin nunmehr in die Lage versetzt ist, ihren Schaden vollständig zu beziffern (vgl. BeckOK ZPO – Bacher, § 256 ZPO, Rn 27 / BGH NJW 2011, 3361, Rn 16).
19Die Klage ist auch begründet.Die Klägerin hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Ersatz des Schadens, der ihr aufgrund der Ordnungsverfügung der Beklagten vom 10.05.2006 entstanden ist, § 39 OBG NRW.
20Die Ordnungsverfügung vom 10.05.2006, mit der die Beklagte der Klägerin die Vermittlung von Sportwetten in deren C-Straße in xx untersagt hat, war rechtswidrig.Das staatliche Sportwettenmonopol in Nordrhein-Westfalen, auf das dieses Ordnungsverfügung gestützt war, war verfassungswidrig (BVerfG, Urteile vom 28.03.2006 - 1 BvR #####/#### - und vom 22.11.2007 - 1 BvR #####/#### -) und hat die europarechtliche Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit verletzt (BVerwG, Urt. vom 20.06.2013).
21Dies hat die Beklagte auch anerkannt, indem sie in dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht NRW (- 4 A 77/08 -) über die Rechtmäßigkeit dieser Verfügung nach entsprechendem Hinweis vom 06.09.2013 die streitbetroffene Ordnungsverfügung mit Schriftsatz vom 30.09.2013 zurück genommen hat.Damit ist es der Beklagten jedenfalls in dem hiesigen Verfahren unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben verwehrt, von diesem Anerkenntnis abzuweichen (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 04.03.2014, - 4 A 80/08 -, Rn 43).
22Auf ein Verschulden der Beklagten bei Erlass dieser Ordnungsverfügung kommt es nicht entscheidungserheblich an, da § 39 Abs. 1 b) OBG NRW ausdrücklich eine verschuldensunabhängige Haftung der Ordnungsbehörde für objektiv rechtswidrige Maßnahmen normiert.
23Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die streitbetroffene Ordnungsverfügung der Beklagten auf der Grundlage eines insoweit verfassungswidrigen und europarechtswidrigen Gesetzes erlassen wurde, da vorliegend der Schaden der Klägerin nicht unmittelbar durch dieses Gesetz entstanden ist sondern durch die objektiv rechtswidrige Umsetzung des Gesetzes durch die Beklagte in Form des Erlasses der Ordnungsverfügung vom 10.05.2006.Eine Grundlage dafür, dass auch in einem solchen Fall eine Haftung der handelnden Ordnungsbehörde gem. § 39 OBG NRW nicht bestehen soll, ist nicht zu erkennen.Eine solche Einschränkung ergibt sich nicht aus den Regelungen der §§ 39 ff. OBG NRW.Auch trägt die Entscheidung des BGH vom 12.03.1987, III ZR 216/85 eine solche Einschränkung nicht.In dieser Entscheidung wird ausdrücklich darauf abgestellt, dass eine Entschädigung für Schaden, der auf legislativem Unrecht basiert, allein auf der Basis eines im Rahmen eines richterrechtlich geprägten und ausgestalteten Haftungsinstituts nicht gewährt werden kann, sondern es insoweit jedenfalls einer Anspruchsgrundlage bedarf, die auf einer Entscheidung des Parlamentsgesetzgebers beruht (BGH aaO, zit. aus Juris Rn 36).Vorliegend ist jedoch Anspruchsgrundlage nicht ein richterrechtlich geprägtes Haftungsinstitut sondern eine entsprechende Norm in einem formellen Gesetz, nämlich § 39 OBG NRW. In dieser Norm kommt der Wille des Gesetzgebers, eine Haftung für jedwede rechtswidrige Maßnahme einer Ordnungsbehörde zu schaffen, deutlich zum Ausdruck. Von der dabei bestehenden Möglichkeit, diese Haftung einzuschränken, etwa auf die Fälle rein fehlerhafter Gesetzesanwendung oder schuldhaften Verhaltens, hat der Gesetzgeber keinen Gebrauch gemacht, sondern durch die Formulierung der Norm deren umfassenden Anwendungsbereich betont.
24Daher ist dieser Norm auch kein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, dass sie dann nicht anwendbar sein soll, wenn die objektiv zu bestimmende Rechtswidrigkeit der schadensstiftenden Maßnahme darauf beruht, dass bereits die zur Begründung der Maßnahme herangezogene Norm rechtswidrig ist.
25Auch haftet die Beklagte für den entstandenen Schaden und nicht etwa das Land Nordrhein-Westfalen, da die Beklagte trotz entsprechenden Hinweises in der Verfügung vom 26.06.2012 und dann nochmals in der mündlichen Verhandlung vom 28.11.2012 keine konkrete Weisung des Landes Nordrhein-Westfalen im Sinne des § 9 OBG NRW vorgetragen und belegt hat, die die Beklagte der Verantwortung für die erlassene Ordnungsverfügung entheben könnte.Das auf den Hinweis in der Verfügung in Kopie vorgelegte Schreiben der Bezirksregierung Düsseldorf vom 29.03.2004 enthält bereits seinem Wortlaut nach keine Weisung. Hinsichtlich des in Kopie weiter vorgelegten Schreibens der Bezirksregierung Düsseldorf vom 05.07.2004 fehlt es an Vortrag dazu, ob dies Grundlage der Verfügung vom 10.05.2006 war und warum dies zuvor im Vortrag der Beklagten keine Erwähnung gefunden hat. Es kann daher offen bleiben, ob es sich bei diesem Schreiben tatsächlich um eine Weisung im Sinne des § 9 OBG NRW gehandelt hat, die die Beklagte hinsichtlich des Erlasses der streitbetroffenen Ordnungsverfügung gebunden hat.Erhebliche Zweifel ergeben sich daraus, dass in diesem Schreiben gänzlich unbestimmt davon die Rede ist, dass „gegen illegale Wettbüros vorzugehen ist“, ohne nähere Ausführung, was konkret unter einem illegalen Wettbüro im Sinne dieses Schreibens zu verstehen ist, insbesondere auch ob darunter auch eine Stelle zur Vermittlung von Sportwetten fällt, wie die Klägerin sie betrieben hat.
26Die beiden weiteren vorgelegten Schreiben stammen aus 2011 und kommen somit nicht als Grundlage für die in 2006 erlassene Ordnungsverfügung in Betracht.
27Dass die Beklagte vorliegend nicht auf Weisung gehandelt sondern eigenes Ermessen ausgeübt hat, ergibt sich auch daraus, dass in der Ordnungsverfügung vom 10.05.2006 kein Hinweis auf eine etwa zugrunde liegende Weisung enthalten ist. In dem Widerspruchsbescheid vom 22.06.2006 wird weiter dementsprechend ausgeführt, dass „die Entscheidung, ob eine Maßnahme nach § 14 Abs.1 OBG getroffen wird, im pflichtgemäßen Ermessen des WG lag“ und damit also der Beklagten. Damit korrespondiert auch, dass die Beklagte in der Klageerwiderung noch vorgetragen hat, dass die Beklagte „als zur Rechtsanwendung verpflichtete Behörden in eigener Zuständigkeit gehalten [ist], gegen nicht erlaubte terristische Sportwettenbüros ordnungsrechtlich vorzugehen“ (Bl. 78 d.A.).
28Erstmals im Schriftsatz vom 20.10.2011 (Bl. 233 d.A.) behauptet die Beklagte „ausschließlich auf Anweisung der Bezirksregierung Düsseldorf (Weisung gem. § 9 Ordnungsbhördengesetz)“ gehandelt zu haben. Zu dem Widerspruch, in den sie sich damit zu ihrem vorherigen Vortrag setzt, erklärt sich die Beklagte nicht.
29Auch trägt sie im Zusammenhang damit keine Weisung hinreichend konkret vor. Als einziges wird insoweit ein Schreiben des Innenministers vom 30.06.2006 hinreichend nachvollziehbar vorgetragen. Dies kann jedoch schon deshalb keine der hier streitbetroffenen Ordnungsverfügung zugrunde liegende Weisung enthalten haben, weil es erst 1 ½ Monate nach Erlass der Ordnungsverfügung überhaupt geschrieben wurde.
30Damit besteht aber ein Anspruch der Klägerin auf Schadenersatz dem Grunde nach, wobei auch hinreichend wahrscheinlich ist, dass ihr aus dem Verbot der Fortsetzung der Vermittlung von Sportwetten in ihrer C-Straße in Kamp-Lintfort ein Schaden entstanden ist.
31Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.
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Referenzen
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- 4 A 80/08 1x (nicht zugeordnet)
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- ZPO § 256 Feststellungsklage 3x
- StGB § 284 Unerlaubte Veranstaltung eines Glücksspiels 1x
- §§ 39 ff. OBG 1x (nicht zugeordnet)
- § 39 OBG 3x (nicht zugeordnet)
- § 9 OBG 3x (nicht zugeordnet)
- § 14 Abs.1 OBG 2x (nicht zugeordnet)
- § 39 Abs. 1 b OBG 1x (nicht zugeordnet)