Urteil vom Landgericht Koblenz (6. Zivilkammer) - 6 S 340/14
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts Koblenz vom 25.07.2014, Az. 162 C 128/13, abgeändert: Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Kosten einer operativen Magenverkleinerung für die Klägerin zu übernehmen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
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Die seit Jahren an einer Adipositas per magna leidende Klägerin (BMI > 40 kg/m²) begehrt von der beklagten Krankenversicherung die Übernahme der Kosten für eine chirurgische Magenverkleinerung.
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Wegen der Einzelheiten wird auf die Feststellungen in dem angefochtenen Urteil (Bl. 251 ff. d. GA) Bezug genommen, § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.
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Das Amtsgericht hat nach Einholung von zwei medizinischen Sachverständigengutachten die Klage auf Feststellung einer Leistungspflicht mit der Begründung abgewiesen, die Klägerin habe die medizinische Notwendigkeit der beabsichtigten operativen Maßnahme nicht mit ausreichender Sicherheit nachweisen können. Es sei nicht erwiesen, dass konservative Behandlungsmöglichkeiten erschöpft seien.
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Gegen dieses Urteil, das der Klägervertreterin am 29.07.2014 zugestellt worden ist, hat die Klägerin am 13.08.2014 Berufung eingelegt und diese nach entsprechender Fristverlängerung am 29.10.2014 begründet.
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Sie beantragt,
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unter Abänderung des angefochtenen Urteils festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Kosten einer operativen Magenverkleinerung für die Klägerin zu übernehmen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Die Berufungskammer hat ergänzend Beweis erhoben durch Anhörung des Sachverständigen Prof. Dr. med. M. in der Sitzung vom 20.01.2015.
II.
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Die zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg.
1.
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Die vorliegende Klage gerichtet auf Feststellung der Eintrittspflicht des Versicherers für die noch nicht entstandenen Kosten einer erst zukünftigen Behandlung ist zulässig.
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Der Bundesgerichtshof bejaht die Zulässigkeit einer Feststellungsklage dieser Art jedenfalls dann, wenn die Feststellung ein gegenwärtiges Rechtsverhältnis in dem Sinne betrifft, dass die zwischen den Parteien des Rechtsstreits bestehenden Beziehungen schon zur Zeit der Klageerhebung wenigstens die Grundlage bestimmter Ansprüche bilden. Das ist der Fall, wenn das Begehren nicht nur auf künftige, mögliche, sondern auf bereits aktualisierte, ärztlich für notwendig erachtete, bevorstehende Behandlungen gerichtet ist. Außerdem muss ein Feststellungsinteresse dahingehend bestehen, dass durch ein Feststellungsurteil eine sachgemäße und erschöpfende Lösung des Streits über die Erstattungspflicht zu erwarten ist (BGH, Urteil vom 08.02.2006 – IV ZR 131/05, zit. nach juris). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Klägerin hat zwar noch keinen Heil- und Kostenplan eingereicht, doch hat sie aussagefähige ärztliche Atteste ihres behandelnden Arztes Dr. med. K. (Anlagen K 2 und K 3, Bl. 8 ff. d. GA) vorgelegt, aus denen sich ergibt, dass die vorgeschlagene operative Magenverkleinerung aus ärztlicher Sicht erforderlich ist. Darüber hinaus hat sie sich ausweislich des Widerspruchsschreibens des Facharztes für Chirurgie/Viszeralchirurgie und Urologie Priv. Doz. Dr. med M. vom 13.04.2012 (Anlage K 4, Bl. 13 f. d. GA) bereits in dem Adipositas Zentrum Frankfurt an der Klinik Rotes Kreuz vorgestellt. Damit hat sich die Notwendigkeit der Behandlung in Bezug auf einen Erstattungspflichten auslösenden Versicherungsfall so weit verdichtet, dass sich aus dem Kreis der im Versicherungsvertrag allgemein angelegten vielfältigen Anspruchsmöglichkeiten ein das Feststellungsbegehren rechtfertigendes gegenwärtiges Rechtsverhältnis gebildet hat (vgl. BGH, a.a.O.). Es ist auch zu erwarten, dass durch das Feststellungsurteil der bestehende Streit, ob für die in Aussicht genommene Behandlungsmethode der chirurgischen Magenverkleinerung grundsätzlich Versicherungsschutz besteht, bereits jetzt sachgemäß und erschöpfend beigelegt werden kann (vgl. BGH, a.a.O.).
2.
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Die Feststellungsklage ist auch begründet. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme geht die Kammer davon aus, dass sich der von der Beklagten nach § 192 VVG i.V.m. § 1 Abs. 2 MB/KK zu gewährende Versicherungsschutz auch auf die von der Klägerin in Aussicht genommene operative Magenverkleinerung erstreckt, da diese vorliegend medizinisch notwendig ist und konservative Behandlungsmöglichkeiten erschöpft sind.
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Eine Heilbehandlung ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs medizinisch notwendig, wenn es nach den objektiven medizinischen Befunden und wissenschaftlichen Erkenntnissen im Zeitpunkt der Behandlung vertretbar ist, sie als medizinisch notwendig anzusehen. Das ist im allgemeinen dann der Fall, wenn eine wissenschaftlich anerkannte Behandlungsmethode zur Verfügung steht, die geeignet ist, die Krankheit zu heilen oder zu lindern (BGH, Urteil vom 12.03.2003 – IV ZR 278/01, zit. nach juris).
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Das massive Übergewicht der Klägerin, infolge dessen sogar bereits Begleiterkrankungen aufgetreten sind (vgl. Ärztliches Attest Dr. Med. K. vom 26.01.2012, Anlage K 2, Bl. 8 f. d. GA), stellt eine Krankheit im krankenversicherungsrechtlichen Sinne dar, die eine Behandlung mit dem Ziel einer Gewichtsreduktion erforderlich macht.
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Zwar würde durch die beabsichtigte Operation zur Magenverkleinerung in ein funktionell intaktes Organ eingegriffen und dieses regelwidrig verändert, nicht aber die Adipositas kausal behandelt (vgl. BSG, Urteil vom 19.02.2003 – B 1 KR 1/02 R, zit. nach juris). Allerdings kann auch eine Maßnahme, die nur mittelbar auf die Erkrankung Einfluss nimmt, aus medizinischer Sicht eine Heilmaßnahme sein (Voit, in: Prölss/Martin, VVG, 28. Aufl. 2010, § 192 Rn. 53).
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So liegt der Fall hier. Die operative Magenverkleinerung ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme geeignet, bei der Klägerin zu einer nachhaltigen Gewichtsreduktion zu führen. Beide vom Gericht mit der Begutachtung beauftragte Sachverständige gelangen darüber hinaus übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass aufgrund der Krankheitsgeschichte der Klägerin nicht davon auszugehen ist, dass durch weitere konservative Therapiemaßnahmen eine langfristige Gewichtsreduktion erzielt werden kann.
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Vielmehr geht der Sachverständige Prof. Dr. med. H. in Anbetracht des Alters der Klägerin davon aus, dass sich langfristig die Begleiterkrankungen unter konservativer Therapie verstärken werden und die in Aussicht genommene operative Behandlung der Adipositas eine ultima ratio darstellt.
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Der Sachverständige Prof. Dr. med. M. hat in der mündlichen Erläuterung seines Gutachtens vor der Berufungskammer noch einmal klargestellt, dass angesichts der von der Klägerin über Jahre hinweg durchgeführten konservativen Behandlungen (vgl. hierzu Ärztliches Attest Dr. med. K. vom 10.03.2012, Anlage K 3, Bl. 10 ff. d. GA), die unterschiedlichen Ansätzen gefolgt seien und zwar kurzzeitig zu Gewichtsreduktionen geführt hätten, bei denen sich jedoch zu keinem Zeitpunkt ein länger andauernder Erfolg der jeweiligen Maßnahme eingestellt habe, davon ausgegangen werden müsse, dass die Klägerin mit einer konventionellen Therapie keine reelle Chance habe, nachhaltig ihr Gewicht zu reduzieren – noch dazu im Hinblick auf ihre eingeschränkte körperliche Belastbarkeit. Welche bariatrisch-chirurgische Maßnahme für die Klägerin konkret die sinnvollste wäre, müsse im einzelnen mit dem Operateur besprochen werden. Der Sachverständige hält jedoch eine Schlauchmagenbildung oder eine Magenbypass-OP für angebrachter und empfehlenswerter als etwa die ursprünglich in Aussicht genommene Magenbandimplantation.
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Die Kammer folgt den nachvollziehbaren und überzeugenden sachverständigen Ausführungen, die überdies auf mehrere wissenschaftliche Untersuchungen verweisen können, nach denen der gesundheitliche Zustand der Patienten durch operative Maßnahmen der Adipositas-Chirurgie signifikant verbessert werden kann.
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Die Klage ist schließlich auch nicht unbegründet wegen der weiten Fassung ihres Klageantrags. Denn die Klägerin will ersichtlich nur die medizinische Notwendigkeit der chirurgischen Magenverkleinerung und die daran anknüpfende grundsätzliche Leistungsverpflichtung der Beklagten festgestellt wissen; das lässt vertragliche Einwendungen der Beklagten aus anderen Gesichtspunkten unberührt. Der Feststellungsantrag zielt mithin lediglich darauf, dass sich der von der Beklagten zu gewährende Versicherungsschutz auf diese Art der Heilbehandlung erstreckt, nicht aber auf weitere Voraussetzungen, von denen die Erstattungsfähigkeit in Rechnung gestellter Kosten im Einzelnen abhängen kann (vgl. BGH, Urteil vom 08.02.2006 – IV ZR 131/05, zit. nach juris). Damit ist den in der Berufungserwiderung diesbezüglich geäußerten Bedenken der Beklagten hinreichend Rechnung getragen.
3.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihr Rechtsgrundlage in §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
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Referenzen
- § 192 VVG 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 711 Abwendungsbefugnis 1x
- ZPO § 713 Unterbleiben von Schuldnerschutzanordnungen 1x
- IV ZR 278/01 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 91 Grundsatz und Umfang der Kostenpflicht 1x
- 162 C 128/13 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x
- IV ZR 131/05 2x (nicht zugeordnet)
- 1 KR 1/02 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 540 Inhalt des Berufungsurteils 1x