Urteil vom Landgericht Köln - 25 O 401/12
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten der Streithilfe werden der Klägerin auferlegt.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
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T A T B E S T A N D:
2Die Klägerin, geboren am 05.07.1963, erlitt am 07.06.2009, einem Sonntag, abends eine Schnittverletzung am linken Unterarm körpernah. Umstände zur Entstehung der Verletzung sind streitig. Involviert war der Streithelfer, selbst Facharzt für Neurologie. Die Klägerin ist Neuropädiaterin.
3Die Klägerin stellte sich am 07.06.2009 abends gegen 22.30 Uhr notfallmäßig im Haus der Beklagten zu 3. vor, dort erfolgte eine Behandlung durch den Beklagten zu 2. Er dokumentierte „… abgeschlagenes Weinglas in den Unterarm gestochen bekommen“. Als radiologischer Befund wird ein „Fremdkörperausschluss“ angegeben. Als Therapie wird die Naht in Lokalanästhesie notiert. Palpatorisch (durch Tasten) sei kein Fremdkörper identifizierbar gewesen. Die Handgelenk- und Fingerstreckung sei nicht möglich gewesen. Außerdem: „Aufklärung über Nachuntersuchung am Folgetag durch uns/niedergel. Chirurgen“.
4Wegen der Einzelheiten wird auf die Dokumentation aus dem Haus der Beklagten zu 3. verwiesen.
5Für den 10.06.2009 ist eine Behandlung beim Streithelfer dokumentiert. Am Freitag, 12.06.2009, stellte sich die Klägerin beim Handchirurgen B in Köln vor. Am Montag, 15.06.2009, kam es zur Vorstellung im L-Hospital in G. Dort erfolgte am 16.06.2009 eine Operation bei beschriebener Durchtrennung des tiefen Astes des Nervus radialis. Es erfolgte die Naht des tiefen Astes des Nervus radialis. Außerdem wurden zwei Glaspartikel entfernt, deren Größe oder Lagebeziehung nicht gesondert aufgeführt wurde.
6Die Klägerin begehrt Schmerzensgeld, materiellen Schadensersatz sowie Feststellung.
7Sie behauptet, bei ihrer Behandlung im Haus der Beklagten zu 3. am 07.06.2009 sei gegen Grundsätze ärztlicher Kunst verstoßen worden. Insbesondere sei keine ausreichende Anamnese durchgeführt worden, die klinische Untersuchung sei unzureichend und unvollständig durchgeführt worden, die Wundinspektion sei unzureichend gewesen. Auch die Primärversorgung der verletzten Strukturen sei unzureichend gewesen. Am Folgemorgen sei eine operative Exploration sowie eine mikrochirurgische Versorgung vorzunehmen gewesen. Es hätte dafür Sorge getragen werden müssen, dass die Klägerin am Folgetag erscheint.
8Die Klägerin beantragt,
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1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, welches in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch in Höhe von 4.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07.02.2011;
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2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 67.772,31 € nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 07.02.2011 zu zahlen;
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3. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche weiteren zukünftigen materiellen und gegebenenfalls im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden zu ersetzen, welche dieser aus der fehlerhaften Behandlung vom 07.06.2009 im St. Vinzenz-Hospital entstanden sind und noch entstehen werden, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden, insbesondere Verdienstausfallschäden zu zahlen;
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4. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die hinter der Klägerin stehende Rechtsschutzversicherung, die DAS Rechtsschutzversicherung, zu Schaden-Nr. ####, nicht streitwerterhöhende außergerichtliche Gebühren in Höhe von 1.407,53 € gemäß der beigefügten Rechnung vom 17.02.2011 zu erstatten.
Die Beklagten beantragen,
15die Klage abzuweisen.
16Sie stellen einen Behandlungsfehler in Abrede. Zumindest sei ein solcher Fehler, sollte er vorliegen, ohne Folgen geblieben.
17Der Streithelfer beantragt,
18die Klage abzuweisen.
19Die Kammer hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 17.06.2013 (Bl. 90 ff. d.A.) in Verbindung mit dem Beschluss vom 11.09.2013 (Bl. 106 d.A.) und dem Beschluss vom 21.02.2014 (Bl. 167 d.A.) durch Einholung eines Sachverständigengutachtens.
20Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten des Sachverständigen Privatdozent Dr. E vom 14.02.2014 (Bl. 147 ff. d.A.) nebst Ergänzung vom 27.08.2014 (Bl. 253 ff. d.A.) sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 22.04.2015 (Bl. 346 ff. d.A.) verwiesen.
21Hinsichtlich aller weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Parteien zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, ergänzend Bezug genommen.
22E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E:
23Die zulässige Klage ist nicht begründet.
24Der Klägerin steht ein Schmerzensgeldanspruch, ein Anspruch auf materiellen Schadensersatz oder ein Anspruch auf Feststellung aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu, insbesondere nicht wegen rechtswidriger Körperverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB.
25Die Klägerin hat gegen die Beklagten keinen Anspruch aus dem rechtlichen Gesichtspunkt des Behandlungsfehlers.
26Denn die Beweisaufnahme hat nicht ergeben, dass es eine Abweichung der Behandlung der Klägerin im Haus der Beklagten zu 3. durch den Beklagten zu 2. vom medizinischen Standard (I) gegeben hätte, die auch für den Zustand der Klägerin im Jahr 2009 oder zu späterem Zeitpunkt ursächlich wäre (II).
27I.
281. Nach der eingehenden und umfänglich durchgeführten Beweisaufnahme ist mit dem Gutachten des Sachverständigen Privatdozent Dr. E davon auszugehen, dass die Behandlung durch den Beklagten zu 2. nicht fehlerfrei war.Bereits auf der Grundlage der Darstellung des Beklagten zu 2. und dessen handschriftlichen Aufzeichnungen ist der Sachverständige zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Empfehlung zur Wiedervorstellung (alternativ) bei einem niedergelassenen Chirurgen (ohne besondere unfall-/handchirurgische Kompetenz) nicht hinreichend war und als behandlungsfehlerhaft einzuordnen ist. Der Sachverständige hat dies überzeugend erläutert.Ebenso hat der Sachverständige die Inspektion des Wundbereiches auf der Suche nach möglichen Glassplittern als nicht genügend eingeschätzt.Soweit die Klägerin und der Beklagte zu 2. divergierende Darstellungen zum Inhalt der notfallmäßigen Behandlung gegeben haben, folgt die Kammer der Darstellung des Beklagten zu 2. Dieser hat – gestützt auf die schriftliche Dokumentation – mitgeteilt, dass und wie er zeitnah dokumentierte, und insbesondere auch gut nachvollziehbar erläutert, warum er ergänzend zu dem Notfallbogen (von dem die Klägerin einen gelben Durchschlag erhielt) noch eine interne Behandlungskarte fertigte. Die Kammer sieht keinen Anhalt dafür, an dieser Darstellung zu zweifeln.Die Darstellung der Klägerin ist – soweit entgegenstehend – nicht geeignet, die Kammer von einem Behandlungsinhalt zu überzeugen, der von dem dokumentierten Inhalt abweicht. Insbesondere vermag die Kammer auch nach dem persönlichen Eindruck in der mündlichen Verhandlung der Klägerin nicht mehr zu folgen als dem Beklagten zu 2.
292. Das vorgenannte behandlungsfehlerhafte Vorgehen ist als einfacher Behandlungsfehler einzuordnen, nicht hingegen als grob fehlerhaft. Auf die entsprechende Frage, nämlich ob insoweit ein eindeutiger Behandlungsfehler vorläge, der im Übrigen schlechterdings unverständlich sei, weil er einem Arzt nicht unterlaufen dürfe, hat der Sachverständige PD Dr. E in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass es nicht so sei, dass es schlechterdings unverständlich sei, ein – in der juristischen Terminologie – grober Fehler liege nicht vor.Die Kammer wertet dies in der von ihr vorzunehmenden rechtlichen Einschätzung – wie eingangs genannt – als nicht groben, sondern auch in der Summe einfachen Behandlungsfehler.
30II.
31Ausgehend von der Einordnung als einfacher Behandlungsfehler ist der Nachweis für den ursächlichen Zusammenhang zwischen Behandlungsfehler und nachoperativem – und bis heute nachwirkendem – Zustand der Klägerin von ihr zu führen gewesen. Indes hat sie diesen Nachweis nicht führen können.
32Der Sachverständige PD Dr. E hat – nach eingehender klinischer Untersuchung der Klägerin am 14.01.2014 – schon im Erstgutachten und dann in der Ergänzung ausgeführt, dass die letztlich durchgeführte Operation noch innerhalb des gebotenen Zeitfensters von 10 Tagen erfolgte und im Wege direkter Adaption der Nervenenden, spannungsfrei und ohne Nervenersatz. Aus Sachverständigensicht sei die jetzige von der Beklagten untersuchte Beschwerdesymptomatik, die sich klinisch objektivieren lässt, die Beeinträchtigung, welche durch die Verletzung hervorgerufen wurde.
33Diese Einschätzung hat der Sachverständige in der mündlichen Anhörung bekräftigt und vertieft. Es gebe keinen Anhalt dafür, dass eine frühere Operation zu einem besseren Ergebnis geführt hätte.
34Auch für die beiden bis zur Operation verbliebenen kleinen Glaspartikel sei nicht erkennbar, dass ihr Verbleiben bis zur Entfernung am 16.06.2009 zu irgendwelchen Folgen geführt habe. Insbesondere für einen entzündlichen Prozess gebe es keinen Anhalt.
35Zum Heilungsverlauf und zu Umständen zeitlicher Verzögerung hat der Sachverständige bereits im Erstgutachten ausgeführt, ein merklich besserer Heilungsverlauf durch direkte Operation am Unfalltag sei aufgrund der identischen Operationstechnik unwahrscheinlich. Auf entsprechende Nachfrage im Rahmen der Anhörung auch dazu, inwieweit zusätzliche Schmerzen durch die zeitliche Verzögerung abgrenzbar seien, hat der Sachverständige diese nicht eindeutig bejahen und zuordnen können.
36Die Kammer nimmt auf die überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Bezug und macht sie sich zu Eigen.
37Aus Sicht der Kammer ist im Übrigen ergänzend zu sehen, dass – eine korrekte Wiedervorstellungsempfehlung durch den Beklagten zu 2. ebenso unterstellt wie eine Befolgung dieser Empfehlung entsprechend einer Vermutung beratungskonformen Verhaltens (vgl. nur Geiß/Greiner, 7. Aufl. 2014, Rdnr. B 225) durch die Klägerin – dies nicht notwendigerweise zu einer Operation am 08.06.2009 geführt hätte. Spätestens am 09.06.2009 lag mit der Klägerin (vgl. Protokoll der Verhandlung vom 22.4.2015, Bl. 350 ff. d.A.) eine derartige Schwellung vor, dass nach Mitteilung eines ärztlichen Kollegen eine Operation zu diesem Zeitpunkt nicht sinnvoll gewesen sei. Der Sachverständige wiederum hat ausgeführt, dass je nach Ausprägung der Schwellung ein Zuwarten sinnvoll und angebracht sein könnte.
38Vor diesem Hintergrund steht für die Kammer nicht fest, dass die Klägerin bei korrekter Wiedervorstellungsempfehlung tatsächlich am Folgetag operiert worden wäre. Möglicherweise hätte eine zwischenzeitlich eingetretene Schwellung zu einer Verschiebung geführt. Auch eine – mit dem Sachverständigen hinreichende – Wiedervorstellungsempfehlung bei einem niedergelassenen unfall-/handchirurgisch kompetenten Arzt hätte nicht notwendigerweise eine Operation am gleichen Tag bedeutet. Dies zeigt sich darin, dass auch nach Vorstellung beim Handchirurgen B am Freitag, 12.06.2009, erst 4 Tage später, nämlich am 16.06.2009, die Operation (dann nochmals andernorts) durchgeführt wurde.
39Veranlassung zur Einholung weiterer Begutachtung – wie von Klägerseite beantragt – ist nicht gegeben. Der Sachverständige Privatdozent Dr. E hat vor der Kammer die an ihn gerichteten Fragen umfassend, gut abgewogen und überzeugend beantwortet. An seinem Expertenwissen hat die Kammer keine Zweifel, auch nicht soweit es die hier in Rede stehenden handchirurgischen Fragestellungen betrifft.
40Auch in Ansehung des Schriftsatzes der Klägerseite vom 13.5.2015 besteht keine Veranlassung zu anderer Entscheidung, insbesondere nicht zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung, § 156 ZPO.
41III.
42Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 709 ZPO.
43Streitwert (entsprechend den Angaben in der Klageschrift):
44Antrag zu 1.: 4.000,00 €,
45Antrag zu 2.: 67.772,31 €,
46Antrag zu 3.: 60.000,00 €
47Summe: 131.772,31 €.
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