Beschluss vom Landgericht Landau in der Pfalz (5. Strafkammer) - 5 Qs 19/17

Tenor

1. Der Beschluss des Amtsgerichts Kandel in der Pfalz vom 07.11.2017, durch den das Mobiltelefon der Angeklagten beschlagnahmt worden ist, wird aufgehoben.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die der Angeklagten hierin entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Landeskasse zur Last.

Gründe

I.

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Die Angeklagte hat im Rahmen der wegen einer fahrlässigen Körperverletzung gegen sie geführten Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Kandel vom 07.11.2017 mit ihrem Mobiltelefon Videoaufnahmen in der laufenden Hauptverhandlung angefertigt, auf denen einzelne Verfahrensbeteiligte zu erkennen sind. Der Aufforderung durch den Vorsitzenden, das zu unterlassen und das Mobiltelefon herauszugeben, kam die Beschwerdeführerin nicht nach. Daraufhin erließ der Vorsitzende einen Beschluss, wonach das Mobiltelefon der Angeklagten bis zum Sitzungsende sicherzustellen sei. Nachdem die Angeklagte die Herausgabe des Mobiltelefons immer noch verweigerte, wies der Vorsitzende sie darauf hin, dass die Sicherstellung ansonsten im Wege des unmittelbaren Zwanges durch die Justizwachtmeister erfolgen werde. Da die Angeklagte die Herausgabe weiterhin ablehnte, nahm ihr ein Justizwachtmeister das Mobiltelefon ab. Nach einer kurzen Unterbrechung der Sitzung befragte der Vorsitzende die Angeklagte, ob sie sich mit der Löschung der von ihr während der Hauptverhandlung angefertigten Aufnahmen einverstanden erkläre, was diese verneinte. Nach vorheriger Androhung beschlagnahmte das Gericht sodann das Mobiltelefon der Angeklagten. Sie wurde im Anschluss wegen fortgesetzter Störungen der Sitzung aus dem Sitzungssaal entfernt und das Gericht verhandelte zunächst in ihrer Abwesenheit. Die Hauptverhandlung wurde durch einen in der Hauptverhandlung am 07.11.2017 gefassten Beschluss ausgesetzt.

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Mit weiterem, erst nach Eintritt der Rechtskraft zu vollstreckendem Beschluss vom 07.11.2017 hat das Amtsgericht Kandel angeordnet, das beschlagnahmte Mobiltelefon der Beschwerdeführerin nach während der Hauptverhandlung angefertigten Ton-, Bild- und Videoaufnahmen zu durchsuchen, diese zu löschen und das Mobiltelefon anschließend an die Beschwerdeführerin herauszugeben.

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Mit Schreiben vom 08.11.2017, eingegangen beim Amtsgericht am selben Tag, führte die Beschwerdeführerin aus, dass sie „in ihrem fiktionalen platonischen Höhlengleichnis nicht mitspiele“ und sie sich grundlegend von dieser Art Geschäft distanziere, da sie kein Vertragsverhältnis mit der Geschäftsstelle unterhalte. In einem weiteren Schreiben vom gleichen Tag wendete sich die Beschwerdeführerin gegen die Beschlagnahme ihres Mobiltelefons und fordert unter Hinweis auf die Genfer Konvention sowie das Grundgesetz dessen unverzügliche Herausgabe.

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Das Amtsgericht Kandel hat das Schreiben als Beschwerde gewertet und dieser nicht abgeholfen.

II.

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Das Schreiben der Beschwerdeführerin vom 08.11.2017, mit dem sie die Herausgabe ihres Mobiltelefons verlangt, ist als Beschwerde gegen den in der Hauptverhandlung ergangenen Beschlagnahmebeschluss des Amtsgerichts Kandel vom 07.11.2017 auszulegen.

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1. Die Beschwerde der Angeklagten gegen die Beschlagnahme ihres Mobiltelefons ist statthaft.

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a) Nach § 304 Abs. 1 StPO ist die Beschwerde gegen alle von den Gerichten im ersten Rechtszug erlassenen Beschlüsse und Verfügungen des Vorsitzenden statthaft, soweit das Gesetz sie nicht ausdrücklich der Anfechtbarkeit entzieht. Zwar lehnte insbesondere die ältere fachgerichtliche Rechtsprechung eine Beschwerde gegen Verfügungen des Vorsitzenden nach § 176 GVG ab (vgl. bspw. OLG Köln, Beschluss vom 22. Mai 1963 – Az. 2 W 63-65/63; OLG Nürnberg, Beschluss vom 28. November 1968 – Az. Ws 506/68; OLG Hamm, Beschluss vom 1. Februar 1972 Az. 3 Ws 27/72; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 26. März 1987 – Az. 1 Ws 139-142/87), wohingegen die neuere fachgerichtliche Rechtsprechung, der sich die Kammer anschließt, insbesondere bei über die Hauptverhandlung hinausgehender Wirkung der sitzungspolizeilichen Anordnung und einer dauerhaften Beeinträchtigung von Grundrechten des von der sitzungspolizeilichen Maßnahme Betroffenen von der Statthaftigkeit der Beschwerde ausgeht (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 17.04.2015, Az. 1 BvR 3276/08; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 25. August 1976 – Az. 2 Ws 143/76; OLG München, Beschluss vom 14. Juli 2006 C Az. 2 Ws 679/06; LG Ravensburg, Beschluss vom 27. Januar 2007 – Az. 2 Qs 10/07). Danach ist die Beschwerde hier statthaft, weil die Beschlagnahme des Mobiltelefons der Angeklagten über das Ende der ausgesetzten Hauptverhandlung hinaus andauert.

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b) Der Zulässigkeit der Beschwerde steht auch nicht entgegen, dass das Schreiben vom 08.11.2017 von der Angeklagten nicht unterschrieben worden ist. Denn aus dem Schreiben gehen sowohl die Urheberschaft der Angeklagten als auch ihr Wille, Beschwerde einzulegen, zweifelsfrei hervor. Eine eigenhändig unterschriebene Erklärung ist daher nicht notwendig (vgl. BGHSt 2, 77; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl. 2016, Einl. Rn. 128).

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2. Die Beschwerde ist begründet. Die Beschlagnahme des Mobiltelefons der Beschwerdeführerin kann nicht über das Ende der ausgesetzten Hauptverhandlung hinaus als zulässige Maßnahme der Sitzungspolizei gemäß § 176 GVG betrachtet werden.

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Die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung obliegt nach § 176 GVG dem Vorsitzenden. Die Sitzungspolizei im Sinne von § 176 GVG umfasst hierbei nach der Rechtsprechung alle Befugnisse und Maßnahmen, die erforderlich sind, um – letztlich im Interesse der Wahrheitsfindung – den ungestörten Verlauf der Sitzung zu sichern. Dazu gehören der störungsfreie äußere Ablauf der Verhandlung, ferner die ungehinderte Entscheidungsfindung samt allen darauf gerichteten Beiträgen und Interaktionen der Verfahrensbeteiligten und der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Verfahrensbeteiligten (vgl. BGH, Urteil v. 7. Juni 2011 – Az. VI ZR 108/10; BGH, Beschluss vom 11. Februar 1998 – StB 3/98). Die Anordnungskompetenz des Vorsitzenden ist in räumlicher und zeitlicher Hinsicht auf die Sitzung begrenzt (Kissel/Mayer, Kommentar zum GVG, 8. Auflage, § 169 GVG Rdnr. 70 m.w.N.; MünchKommZPO-Zimmermann, 5. Aufl., § 176 GVG, Rn. 5 f.).

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Danach ist eine zeitlich über das Ende der Hauptverhandlung hinausgehende Beschlagnahme des Mobiltelefons keine Maßnahme der Sitzungspolizei mehr. Ein ungestörter Verlauf der ausgesetzten Hauptverhandlung kann hierdurch im Nachhinein nicht mehr gewährleistet werden. Von dem begrenzten Zweck der Regelung des § 176 GVG ist damit eine solche Maßnahme nicht gedeckt (aA LG Ravensburg, Beschluss vom 27. 1. 2007 – Az. 2 Qs 10/07).

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Eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs ist auch aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nicht erforderlich. Zunächst kann der Vorsitzende auf Grundlage des § 176 GVG bereits im Vorfeld Maßnahmen ergreifen, um die Anfertigung von Aufnahmen der Verfahrensbeteiligten während der Sitzung zu verhindern. Soweit trotz eines gerichtlichen Verbots Aufnahmen hergestellt worden sind, steht den Betroffenen derselbe Schutz gegen die Anfertigung und gegebenenfalls Veröffentlichung der Bilder zu, der sich aus den auch außerhalb des Gerichtssaals geltenden allgemeinen Grundsätzen ergibt (vgl. BGH, Urteil vom 07. Juni 2011, – VI ZR 108/10). Die Verfahrensbeteiligten können daher zivilrechtlich, gegebenenfalls im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes, gegen denjenigen vorgehen, der ihr Persönlichkeitsrecht durch Aufnahmen rechtswidrig beeinträchtigt. Daneben kann die Polizei das Bildmaterial bzw. das Speichermedium gemäß § 22 Nr. 1 POG-RP sicherstellen, wenn ein Verstoß gegen § 33 KunstUrhG droht (vgl. OVG Koblenz, Urteil vom 30. April 1997 – 11 A 11657/96). Beim Verdacht einer Straftat kann auch eine Beschlagnahme nach den §§ 94, 98 StPO erfolgen. Im Übrigen kann das Fertigen verbotener Aufnahmen auch eine Ungebühr im Sinne des § 178 GVG darstellen und dementsprechend mit Ordnungsmitteln belegt werden.

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Da der in der Hauptverhandlung ergangene Beschlagnahmebeschluss des Amtsgerichts Kandel aufgehoben werden muss, entfällt damit die Grundlage für den weiteren Beschluss vom 07.11.2017, mit dem die Durchsuchung des Mobiltelefons der Beschwerdeführerin nach Aufnahmen aus der Hauptverhandlung sowie die Löschung der Daten angeordnet worden ist. Dieser Beschluss wird – da bereits die Voraussetzungen der Beschlagnahme nicht gegeben sind – gegenstandslos.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO analog.

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