Beschluss vom Landgericht Magdeburg (1. Große Strafkammer) - 21 Qs 94/12

Tenor

Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Aschersleben vom 5. November 2012 wird auf seine Kosten als unbegründet verworfen.

Gründe

I.

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Mit am 22. Oktober 2012 dem Verteidiger des Angeklagten zugestellten Strafbefehl vom 8. Oktober 2012 hat das Amtsgericht Aschersleben gegen den Angeklagten wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln, konkret 10 Gramm Cannabisharz, auf Antrag der Staatsanwaltschaft Magdeburg eine Geldstrafe in Höhe von 20 Tagessätzen zu jeweils 10,- Euro verhängt.

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Hiergegen legte der Angeklagte rechtzeitig Einspruch ein und beantragte, seinen bisherigen Verteidiger als Pflichtverteidiger gemäß § 140 Abs. 2 StPO beizuordnen.

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Mit Beschluss vom 5. November 2012 wies das Amtsgericht Aschersleben den Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers mit der Begründung zurück, dass weder die Schwere der Tat noch die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheinen lassen.

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Gegen den Beschluss hat der Angeklagte durch seinen Verteidiger Beschwerde mit der Begründung eingelegt, er stehe aufgrund des Urteils des Amtsgerichts Aschersleben vom 13. Juni 2008, Az. 2 Ls 227 Js 4022/08, wegen einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren unter Bewährung und der Tatvorwurf falle in die Bewährungszeit. Die Verurteilung erfolgte in dieser Sache im Wesentlichen wegen mehrerer gemeinschaftlich begangener Diebstähle mit Waffen.

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Das Amtsgericht Aschersleben hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache der Kammer zur Entscheidung vorgelegt.

II.

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Die nach § 304 Abs. 1 StPO zulässige Beschwerde ist unbegründet.

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Die Mitwirkung eines Verteidigers ist hier nicht notwendig. Nach § 140 Abs. 2 StPO bestellt der Vorsitzende einen Verteidiger, wenn wegen der Schwere der Tat oder der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder der Beschuldigte sich nicht selbst verteidigen kann. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.

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Bei der Frage, ob die Schwere der Tat die Mitwirkung eines Verteidigers als geboten erscheinen lässt, ist im Ausgangspunkt auf die zu erwartende Rechtsfolgenentscheidung abzustellen (M-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 140 StPO Rdnr. 23). Bei einer Straferwartung von mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe ist dabei stets die Schwere der Tat anzunehmen, auch wenn die Strafe zur Bewährung ausgesetzt wird (Laufhütte in: Karlsruher Kommentar, 6. Aufl., § 140 Rdnr. 21 m.w.N. zur Rechtsprechung). Eine solche Straferwartung besteht hier aber nicht. Im Strafbefehl vom 8. Oktober 2012 wird der zu erwartende Strafumfang mit einer Geldstrafe in Höhe von 20 Tagssätzen bereits in groben Zügen konkretisiert. Es ist zu erwarten, dass sich die Strafe auch nach durchgeführter Hauptverhandlung im unteren Rahmen des gesetzlich Zulässigen halten wird.

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Neben der Straferwartung im konkreten Verfahren sind aber auch sonstige schwerwiegende Nachteile zu berücksichtigen, die der Angeklagte in Folge der Verurteilung zu gewärtigen hat. So kann eine Tat auch dann im Einzelfall als schwer angesehen werden, wenn ein Bewährungswiderruf in anderer Sache droht. Anders als bei der Bewertung der im konkreten Verfahren abzuurteilenden Tat kann ein drohender Bewährungswiderruf die Schwere der nunmehr angeklagten Tat aber nicht allein deswegen begründen, weil die zur Bewährung ausgesetzte Strafe ein Jahr übersteigt (OLG Naumburg, Urteil vom 27. November 1996, Az. 2 Ss 307/96, Rdnr. 7, zitiert nach juris). Denn der in dem neuen Verfahren zu erwartenden Rechtsfolge kommt bei der Beurteilung der Schwere der Tat erheblich stärkeres Gewicht zu als der Höhe der Bewährungsstrafe, deren Widerruf als mittelbare Folge einer neuen Verurteilung zu erwarten steht, da der Widerruf der Bewährung nie zwingende Folge einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe wegen einer in der Bewährungszeit begangenen erneuten Straftat ist, § 56 f Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und Abs. 2 StGB (OLG Naumburg, a. a. O.; LG Magdeburg, Beschlüsse vom 10. Mai 2012, Az. 21 Qs 32/12 und 24. November 2011, Az. 21 Qs 82/11). Etwas anderes kann allenfalls dann gelten, wenn der Widerruf der Strafaussetzung aufgrund der neu begangenen Tat mit hoher Wahrscheinlichkeit eintreten wird oder dem Angeklagten durch die erneute Verurteilung und den Bewährungswiderruf eine mehrjährige Strafverbüßung droht. Das ist hier aber nicht der Fall.

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Zwar steht der Angeklagte hinsichtlich der im Urteil des Amtsgerichts Aschersleben vom 13. Juni 2008 erkannten Freiheitsstrafe von zwei Jahren noch bis zum 12. Juni 2013 unter Bewährung. Auch hat der Angeklagte nach dieser Verurteilung noch weitere Straftaten begangen, die zur Verhängung von Geldstrafen und in der Folge auch zu einer einmaligen Verlängerung der Bewährungszeit führten. Jedoch ist schon aufgrund des im Strafbefehl vom 8. Oktober 2012 zum Ausdruck kommenden Strafumfangs nicht mit einem Widerruf der Strafaussetzung in der vorbezeichneten Sache zu rechnen. Denn zum einen ist eine im Rahmen des § 56 f Abs. 1 Nr. 1 StGB relevante Straftat regelmäßig dann nicht geeignet, die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag, zu enttäuschen, wenn es sich wie hier um eine Straftat geringeren Gewichts handelt, die der Ausgangstat nach ihrer Schutzrichtung nicht ähnlich ist (OLG Nürnberg, Beschluss vom 15. Februar 2002, Az. Ws 69/00, Rdnr. 16, zitiert nach juris; Stree/Kinzig in: Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 56 f Rdnr. 4 m. w. N.). Zum anderen bleibt es dem die Bewährungsaufsicht führenden Gericht nach § 56 e StGB unbenommen, durch das nachträgliche Erteilen von Auflagen und Weisungen auf den Bewährungsverlauf des Angeklagten Einfluss zu nehmen. Da die (fakultative) Anordnung einer Auflage nicht nur eine Maßnahme mit repressivem Charakter ist, sondern auch ein Mittel, um das Bewährungsziel zu erreichen und dem Täter klar zu machen, dass Straftaten nicht ohne Reaktion bleiben (Fischer, StGB, 59. Aufl., § 56 b StGB, Rdnr. 3), erscheint eine derartige Maßnahme unter den gegebenen Umständen als eher wahrscheinlich als ein Widerruf der Strafaussetzung, zumal § 56 f Abs. 2 StGB als Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ausdrücklich auf die Möglichkeit dieses Vorgehens verweist, selbst wenn ein Widerruf grundsätzlich gerechtfertigt wäre.

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Soweit verschiedene Gerichte die Schwere der Tat im Einzelfall schon dann angenommen haben, wenn die zu erwartende Strafe für die nunmehr abzuurteilende Tat unter Hinzurechnung der zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe ein Jahr übersteigt (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 30. Mai 2012, Az. 32 Ss 52/12, Rdnr. 11, zitiert nach juris; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 24. Januar 2011, Az. 53 Ss 4/11, Rdnr. 8 ff., zitiert nach juris; LG Magdeburg NStZ 2009, 87/88; LG Fulda, Beschluss vom 9. Oktober 2008, Az. 2 Qs 88/08, Rdnr. 3, zitiert nach juris; Hans. OLG Hamburg, Beschluss vom 23. Juni 2008, Az. 1 Ss 107/08, Rdnr. 18; LG München Beschluss vom 17. Juni 2008, Az. 18 Qs 38/08. Rdnr. 4/5, zitiert nach juris; OLG Hamm, Beschluss vom 10. Juni 2008, Az. 5 Ss 237/08, Rdnr. 5, zitiert nach juris; Saarländisches OLG, Beschluss vom 24. April 2007, Az. Ss 25/2007 (28/07), Rdnr. 9, zitiert nach juris; LG Zweibrücken Beschluss vom 12. März 2007 Az. Qs 24/07, Rdnr. 3, zitiert nach juris), so ist zu berücksichtigen, dass in diesen Fällen stets auch für die neu abzuurteilende Tat die Verhängung einer – wenn auch zum Teil geringen – Freiheitsstrafe wahrscheinlich war bzw. zusätzlich eine Gesamtstrafenbildung mit Strafen aus anderen Verfahren in Betracht kam. In diesen Fällen stand von vornherein ein Bewährungswiderruf greifbar im Raum. Damit ist die hier zu beurteilende Konstellation nicht vergleichbar, in der ein Widerruf der Strafaussetzung und damit eine Freiheitsstrafe von über einem Jahr gerade nicht konkret drohen.

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Auch aus anderen Gründen kommt eine Pflichtverteidigerbestellung nicht in Betracht, da die Sach- und Rechtslage einfach gelagert ist und nichts dafür spricht, dass der Angeklagte sich nicht allein verteidigen könnte.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 S. 1 StPO.


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