Beschluss vom Landgericht Mannheim - 1 Qs 1/04

Tenor

Die Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Mannheim vom 13.01.2004 (42 Gs 2754/03) wird mit der Maßgabe kostenpflichtig als unzulässig verworfen, dass der Beschluss wie folgt ergänzt wird:

Die molekulargenetische Untersuchung des bei dem Betroffenen erhobenen Materials darf nur zur Feststellung darauf erfolgen, ob das am Tatort aufgefundene Spurenmaterial von dem Betroffenen stammt.

Gründe

 
I.
Mit dem angefochtenen Beschluss ordnete das Amtsgericht die Entnahme einer Blutprobe bei dem Betroffenen gem. § 81 c Abs. 2 StPO und deren molekulargenetische Untersuchung durch das LKA Baden-Württemberg an. Dem Betroffenen wurde nachgelassen, die Blutentnahme durch die Abgabe einer Speichelprobe abzuwenden.
Vor dem Erlass des Beschlusses wurde dem Vertreter des Betroffenen der Antrag der Staatsanwaltschaft Mannheim zur Kenntnis- und Stellungnahme zugeleitet. In dem Antrag wurden die Tatsachen aufgeführt, auf die sich das vom LKA ermittelte Täterprofil stützt.
Dem Ermittlungsverfahren, das bisher gegen Unbekannt geführt wird, liegt ein Tötungsdelikt zugrunde, bei dem der Täter sich an dem Opfer auch sexuell verging. Als Täter kommt daher nur eine männliche Person in Frage. Die Staatsanwaltschaft Mannheim geht aufgrund einer vom LKA erstellten Fallanalyse davon aus, dass der Täter entweder in Tatortnähe wohnt oder jedenfalls über gute Ortskenntnisse verfügt. Der Betroffene ist Mitarbeiter beim (wird ausgeführt) der (wird ausgeführt). Deren Betriebsgelände liegt in unmittelbare Nähe des Tatortes. Aufgrund dieses Bezuges und der Art seiner Tätigkeit ergibt sich die Wahrscheinlichkeit, dass der Betroffene über eine gute Ortskenntnis verfügt.
Des Weiteren wurde am Tatort eine Unterhose des mutmaßlichen Täters gefunden, die eine Größe aufweist, die der Konfektionsgröße des Betroffenen entspricht. Weiterhin wurde von einer in der Nähe des Tatortes installierten Überwachungskamera am Tattag ein bisher unbekannter Mann gefilmt, bei dem es sich möglicherweise um den Täter handeln könnte. Die Körpergröße dieser Person korrespondiert mit der des Betroffenen.
Aufgrund des vorgenannten Täterprofils beabsichtigt die Polizei bei allen tatortnah beschäftigten Männern auf freiwilliger Basis eine Speichelprobe zu erheben und diese einer molekulargenetischen Untersuchung zu unterziehen. Bisher wurden ca. 3000 Speichelproben erhoben. Der Täter konnte noch nicht ermittelt werden. Der Betroffene verweigerte die freiwillige Teilnahme.
Dem Vertreter des Betroffenen wurde auf Antrag der Staatsanwaltschaft durch die Kammer nur eine stark eingeschränkte Akteneinsicht gewährt. In dem übersandten Aktenauszug befand sich ein Auszug aus der Fallanalyse, welche im Wesentlichen aus einer Zusammenfassung der Ergebnisse bestand und ein optoelektronisches Gutachten mit den Lichtbildern einer in Tatortnähe gefilmten unbekannten Person. Die Staatsanwaltschaft sah bei einer weitergehenden Akteneinsicht den Untersuchungszweck gefährdet.
II.
Die Beschwerde des Betroffenen ist zulässig aber unbegründet.
Die Erhebung der Blutprobe ist statthaft gem. § 81 c Abs. 2 Alt. 2 StPO.
Der Betroffene ist nicht Beschuldigter, so dass § 81 a StPO als Ermächtigungsgrundlage ausscheidet. Der Umstand, dass er zu dem Kreis einer nach allgemeinen Merkmalen umrissenen Gruppe von männlichen Personen gehört, auf die das Täterprofil zutrifft, macht ihn eben so wenig zum Beschuldigten (vgl. Satzger JZ 2001, 639, 643; Volk NStZ 2002, 561, 563; Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl. Einl. Rdnr. 78) wie die Verweigerung der Teilnahme am freiwilligen Massengentest und die Einlegung eines Rechtsmittels gegen die Anordnung des Amtsgerichts (BVerfG NJW 1996, 1587, 1588).
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Die Anordnung der Erhebung der Blutprobe ist jedoch gem. § 81 c Abs. 2 Alt. 2 StPO zulässig. Hier gilt im Gegensatz zu Abs. 1 nicht der Zeugen- und Spurengrundsatz, sondern der Aufklärungsgrundsatz (Meyer-Goßner, a.a.O., § 81 c Rdnr. 18; Satzger a.a.O. S. 645; Krause in Löwe-Rosenberg StPO, 25. Aufl. § 81 c Rdnr. 24). Die Anordnung kann sich daher auch gegen einen Unverdächtigen - wie hier den Betroffenen - richten, wenn die Entnahme der Blutprobe zu einem Aufklärungserfolg führen kann. Da der Täter Spurenmaterial am Tatort zurückließ, kann die Entnahme der Blutprobe bei dem Betroffenen und deren molekulargenetische Untersuchung und der anschließende Vergleich mit dem Spurenmaterial zweifellos einen Aufklärungserfolg zur Folge haben. Das heißt aber nicht, wie der Vertreter des Betroffenen meint, damit könne letztlich gegen jede männliche Person die Erhebung einer Blutprobe angeordnet werden, denn es ist weiterhin erforderlich, dass die Maßnahme auch unerlässlich und nicht unzumutbar ist (§ 81 c Abs. 4 StPO).
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Das Kriterium der Unerlässlichkeit verschärft die Anordnungsvoraussetzungen, ohne dass es jedoch notwendig wäre, erst alle anderen Beweismöglichkeiten auszuschöpfen, bevor die Maßnahme angeordnet werden dürfte (Krause, a.a.O. Rdnr. 26; Rogall in SK-StPO, § 81 c Rdnr. 38; Senge in KK-StPO, 5. Aufl. § 81 c Rdnr. 5). Die Maßnahme ist daher sicher dann unerlässlich, wenn die Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) sie gebietet, weil andere Maßnahmen gegenwärtig nicht zur Verfügung stehen oder nicht den gleichen Erfolg versprechen. Jedenfalls letzteres ist vorliegend gegeben: Nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis gehört der Betroffene zu einem Kreis von Personen, auf die das Täterprofil zutrifft und dessen Erstellung sich auf eine Vielzahl von Tatsachen (Ortskenntnis, Körpergröße, Konfektionsgröße, etc.) stützt. Da nach der Fallanalyse der Täterkreis zudem örtlich eingrenzbar erscheint und in dem mit größter Wahrscheinlichkeit vom Täter herrührenden Spurenmaterial beste Ermittlungsansätze vorliegen, gebietet es die Aufklärungspflicht geradezu, den von der Polizei ins Auge gefassten Personenkreis zu überprüfen. Dies gilt umso mehr, als ähnlich Erfolg versprechende Maßnahmen nach einer Ermittlungsdauer von mehreren Monaten nicht gegeben sind. Die Auswahl des zu untersuchenden Personenkreises ist damit nicht, wie der Vertreter des Betroffenen vorträgt, willkürlich von der Polizei festgelegt, sondern vom Ermittlungsergebnis her determiniert. Zudem haben die Ermittlungsbehörden, was der Vertreter des Betroffenen ebenfalls verkennt, bei der Gestaltung des Ermittlungsverfahrens ein Auswahlermessen (Meyer-Goßner, a.a.O. § 163 Rdnr. 47), welches das Gericht nur auf seine rechtlichen Grenzen überprüfen kann und das vorliegend - wie ausgeführt- sachgerecht ausgeübt wurde. Da nach fast neunmonatigen erfolglosen Ermittlungen auch nicht von einer vorschnellen Ergreifung der Maßnahme gesprochen werden kann, ist die Anordnung der Maßnahme zur Ermittlung des Täters unerlässlich.
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Sie ist weiterhin auch zumutbar (§ 81 c Abs. 4 StPO). Der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruches kommt ebenso Verfassungsrang zu (vgl. BVerfGE 77, 65, 76; BVerfG NStZ 1996, 45), wie dem Recht des Betroffenen auf Unversehrtheit seiner Person. Daher sind die beteiligten Rechtsgüter unter Würdigung aller persönlichen und tatsächlichen Umstände gegeneinander abzuwägen. Der Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Betroffenen ist, soweit die Blutentnahme wie vorgeschrieben von einem Arzt erfolgt (§ 81 c Abs. 2 S. 3 StPO), gering, zumal dem Betroffenen nachgelassen wurde, diesen Eingriff durch die Abgabe einer Speichelprobe abzuwenden. Demgegenüber geht es um die Aufklärung eines Tötungsdeliktes, mithin einer der schwersten Straftaten. Die Kammer hat dabei auch bedacht, dass bereits die Blutentnahme zum Zwecke der molekulargenetischen Untersuchung in das Recht des Betroffenen auf informationelle Selbstbestimmung eingreift. Allerdings werden seine Interessen auch hier nur im Randbereich tangiert, denn die Untersuchung wird nur im sog. nicht codierten Bereich der DNA vorgenommen, dem nach dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft keine genetisch bedingten Persönlichkeitsmerkmale zuzuordnen sind (BVerfG NStZ, 1996, 45; ebenso Satzger a.a.O S. 642). Eine Ausforschung derartiger Persönlichkeitsmerkmale ist durch § 81 e Abs. 1 S. 3 StPO überdies verboten. Weiterhin ist die Befürchtung des Betroffenen, möglicherweise in potentiellen Täterkarteien katalogisiert zu werden, unbegründet, denn seine Daten sind unverzüglich zu vernichten sobald sich herausstellt, dass sie für die vorliegenden Ermittlungen nicht mehr erforderlich sind (§ 81 e Abs. 2 S. 2 i.V.m. § 81 a Abs. 3 StPO), was schon dann gegeben ist, wenn die Untersuchung negativ ausfällt. Bei einem Kapitalverbrechen der hier in Rede stehenden Art ist daher die Relation zwischen der Schwere der Tat und dem geringfügigen Eingriff der Blutentnahme sowie dem mit Rücksicht auf das Aufklärungsinteresse ebenfalls als gering zu bewertenden Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gewahrt, so dass die Interessen des Betroffenen hinter dem Aufklärungsinteresse der Strafverfolgungsbehörden, welches in dem rechtsstaatlich besonders wichtigen Legalitätsprinzip wurzelt (BVerfGE 16, 194, 202), zurück zu stehen haben.
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Die Maßnahme ist auch nicht deswegen unzumutbar, weil der Betroffene anführt, er könne schon vom Outfit und dem Aussehen her nicht die Person sein, die auf der Video-Aufnahme abgebildet ist (vgl. LG Regensburg StraFo 2003, 127). Soweit mit Outfit die Kleidung gemeint ist, kommt dem keine Bedeutung zu, weil diese naturgemäß jederzeit gewechselt werden kann. Auch auf ein abweichendes Aussehen kann sich der Betroffene nicht berufen, weil das Video-Bild neben der Körpergröße keine weitere Individualisierungsmerkmale aufweist, die den Schluss des Betroffenen rechtfertigen könnten.
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Die molekulargenetische Auswertung der bei dem Betroffenen erhobenen Blutprobe rechtfertigt sich aus § 81 e Abs. 1 S. 2 StPO.
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Nicht zutreffend ist die Auffassung des Vertreters des Betroffenen, die Auswertung sei unzulässig, weil diese gem. § 81 e Abs. 1 S. 1 StPO nur zur Feststellung erfolgen dürfe, ob aufgefundenes Spurenmaterial von dem Beschuldigten oder dem Verletzten (die Feststellung der Abstammung ist hier nicht relevant und braucht nicht weiter erörtert zu werden) stamme (ebenso Satzger a.a.O. S. 646). Dabei wird verkannt, dass § 81 e Abs. 1 S. 2 StPO die Untersuchung für - in Bezug auf Satz 1 - entsprechende Feststellungen an dem nach § 81 c StPO erlangten Material erlaubt. Da Satz 1 auf nach § 81 a Abs. 1 StPO erlangtes Material beim Beschuldigten abstellt, kann die Entsprechung gem. Satz 2 für nach § 81 c StPO erlangten Materials bei einem sonstigen Beteiligten nicht anderes bedeuten, als die Untersuchung darauf, ob aufgefundenes Spurenmaterial von dem sonstigen Beteiligten, hier also von dem Betroffenen stammt. Die gegenteilige Auffassung beachtet nicht den Wortlaut der Vorschrift und würde die Norm in dieser Alternative zudem weitgehend leer laufen lassen, denn es ist kaum eine Konstellation denkbar, bei der die Feststellung nötig wäre, ob das bei dem sonstigen Beteiligten erhobene Material von dem Beschuldigten stammt. Auch die Vertreter der Gegenmeinung (vgl. etwa Satzger a.a.O. S. 647) müssen letztlich einräumen, dass ihre Auslegung des § 81 e Abs. 1 S. 2 StPO in dieser Alternative keinen wirklich praxisrelevanten Anwendungsfall erfasst. Die dort genannten Fälle (u.a. Zwillingsbruder) wirken reichlich konstruiert, so dass nicht anzunehmen ist, der Gesetzgeber habe nur diese im Auge gehabt.
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Satzger (a.a.O. S. 646, rechte Spalte) weist allerdings zutreffend darauf hin, dass § 81 e Abs. 1 S. 3 StPO alle Feststellungen außer solchen nach Satz 1 verbietet. Die Auslegung der Vorschrift ergibt jedoch, dass der Wortlaut des Satzes 3 zu eng gefasst ist. Es wäre widersinnig, in Satz 2 zunächst dem Satz 1 entsprechende Feststellungen zuzulassen, nur um diese sodann in Satz 3 sofort wieder zu verbieten. Satz 3 verfolgt vielmehr den Zweck, die Ausforschung von Persönlichkeitsmerkmalen zu verhindern (ebenso Krause, a.a.O. § 81 e Rdnr. 25; Senge, a.a.O. § 81 e Rdnr. 4 unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte), lässt im Übrigen aber die nach Satz 1 und Satz 2 statthaften Feststellungen zu. Um den Schutzzweck des § 81 c Abs. 1 S. 3 StPO zu gewährleisten, ist jedoch der Feststellungsumfang im Anordnungsbeschluss genau zu bezeichnen, was die Kammer im Beschlusstenor nachholte. Die hier vertretene Auffassung entspricht überdies der überwiegenden Meinung (Senge a.a.O. § 81 e Rdnr. 3a; Meyer-Goßner a.a.O. § 81 Rdnr. 6; Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 4. Aufl., Rnr.370).
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Die Kammer vermochte der Auffassung des Vertreters des Betroffenen nicht zu folgen, wonach das Beschwerdegericht nur die Erkenntnisse verwerten dürfe, welche in dem ihm übersandten Aktenauszug enthalten seien. Nach h.M. muss der Betroffenen vor einer Entscheidung nach § 81 c StPO überhaupt nicht angehört werden (Senge a.a.O § 81 c, Rdnr. 19, m.w.N.). Selbst wenn man eine Anhörung für erforderlich hält, wozu auch die Kammer neigt, wurde § 33 Abs. 3 StPO genüge getan. Die danach vorgeschriebene Information kann, sie muss aber nicht durch Akteneinsicht erfolgen. Ein Recht auf Akteneinsicht steht dem Vertreter des Betroffenen im Gegensatz zum Verteidiger des Beschuldigten (§ 147 StPO) nicht zu. Sein Auskunftsrecht ist durch die Zwecke des Strafverfahrens beschränkt (§ 477 Abs. 2 S. 1 StPO), insbesondere darf der Untersuchungszweck nicht gefährdet werden (§ 147 Abs. 2 StPO entsprechend). Die gem. § 33 Abs. 3 StPO gebotene Information muss den Betroffenen lediglich in die Lage versetzen, seine Rechte wirksam zu verfolgen. Vorliegend wurden dem Betroffenen alle Merkmale des Täterprofils und die Tatsachen mitgeteilt, die Grundlage für dessen Erstellung waren, so dass er in die Lage versetzt wurde, sich hierzu zu äußern. Eine weitergehende Information oder Akteneinsicht durfte wegen der sonst möglichen Gefährdung des Ermittlungserfolges versagt werden.
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Der Betroffene beruft sich insoweit zu Unrecht auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11.07.1994 (NStZ 1994, 551). Das Bundesverfassungsgericht hat es vielmehr in dieser Entscheidung gerade gebilligt, dass das Ermittlungsverfahren bis zur Klärung des Verdachts nicht offen geführt wird (a.a.O. S. 552). Lediglich bei einem inhaftierten Beschuldigten verdichten sich die Informationsrechte aufgrund der Schwere des Eingriffs in seine Freiheitsrechte, was seinen einfachgesetzlichen Ausdruck in besonderen Vorschriften (§§ 115, 115 a StPO und in Art. 5 Abs. 3 EMRK) findet. Da der Grundrechtseingriff vorliegend auch nicht annähernd so schwerwiegend ist (s.o.), verbleibt es bei der Grundregel des § 33 Abs. 3 StPO. Mit den genannten Informationen und der beschränkten Akteneinsicht wurde dem Betroffenen im ausreichenden Maße rechtliches Gehör gewährt.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 S. 1 StPO.

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