Urteil vom Landgericht Münster - 05 T 373/11
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden den Gläubigern zu je ½ Anteil auferlegt.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Wert für das Beschwerdeverfahren: 1.745,76 Euro
1
Gründe:
2Mit Beschluss des Amtsgerichts vom 27.11.2007 in dem Verfahren 85 IK 111/07 wurde über das Vermögen des Schuldners das Insolvenzverfahren eröffnet. Mit Beschluss vom 30.11.2010 wurde das Insolvenzverfahren aufgehoben. Der Schuldner ist seitdem in der Wohlverhaltensphase, die sechs Jahre ab Insolvenzeröffnung dauert. Die Gläubiger betreiben nunmehr gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung aus den vollstreckbaren Ausfertigungen aus der Insolvenztabelle lfd. Nr. 4-6 wegen Ansprüchen aus unerlaubter Handlung.
3Auf Antrag der Gläubiger erließ das Amtsgericht am 26.01.2011 einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss, mit dem Ansprüche des Schuldners gegen die Drittschuldnerin, soweit sie nicht an den Treuhänder abgetreten sind, gepfändet wurden. Gemäß § 850f Abs. 2 ZPO wurde der monatliche pfandfreie Betrag auf 700,00 Euro festgesetzt.
4Die Zustellung war zunächst versehentlich unterblieben. Mit Schreiben vom 24.02.2011 teilte der Rechtspfleger beim Amtsgericht den Gläubigern mit, dass nicht beabsichtigt sei, diese nachzuholen. Nach nochmaliger Prüfung sei festzustellen, dass das Vollstreckungshindernis gemäß § 294 Abs. 1 InsO vorliege. Der Schuldner sei in der Wohlverhaltensphase. Auch wenn der Insolvenzgläubiger in den Vorrechtsbereich pfänden wolle, der nicht von der Abtretungserklärung gemäß § 287 Abs. 2 InsO erfasst werde, finde § 294 Abs. 1 InsO dennoch Anwendung. Die Bearbeitung wurde im März von einem anderen Rechtspfleger übernommen, der die Auffassung seines Vorgängers nicht teilte und die Zustellung veranlasste.
5Mit Schriftsatz vom 31.03.2011 hat der Schuldner Erinnerung gegen den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss eingelegt und sich insoweit auf das Vollstreckungsverbot gem. § 294 InsO bezogen.
6Der Rechtspfleger hat der Erinnerung nicht abgeholfen und die Akten der zuständigen Richterin am Amtsgericht vorgelegt. Diese hat mit dem angefochtenen Beschluss vom 05.05.2011 den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 26.01.2011 aufgehoben und den Antrag der Gläubiger vom 20.01.2011 zurückgewiesen. Selbst nach § 89 Abs. 2 InsO sei eine Vollstreckung in den Sonderbetrag nur für Neugläubiger möglich, die Gläubigerin sei jedoch Insolvenzgläubigerin. Im Rahmen des § 294 InsO gelte nichts anderes.
7Hiergegen wenden sich die Gläubiger mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 16.05.2011. Die Pfändung sei ausdrücklich auf den Sonderbetrag gem. §850f Abs. 2 ZPO beschränkt worden. Die Abtretung der pfändbaren Bezüge an den Treuhänder gem. § 287 InsO werde dadurch nicht berührt und damit andere Insolvenzgläubiger nicht benachteiligt. Es sei nicht hinnehmbar, dass der Schuldner während der Wohlverhaltensphase die gem. § 850f Abs. 2 ZPO für den Deliktsgläubiger pfändbaren Beträge behalten dürfe. Dies sei ein Wertungswiderspruch zu § 302 Nr. 1 InsO, wonach die Deliktsforderungen nicht unter die Restschuldbefreiung fallen würden.
8Das Amtsgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten der Kammer zur Entscheidung vorgelegt.
9Die Gläubiger haben im Beschwerdeverfahren weiter vorgetragen, sie seien zusätzlich Absonderungsberechtigte aufgrund des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses des Amtsgerichts Münster vom 27.07.2007, Az. 22 M 2094/07, der dem Arbeitgeber des Schuldners bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens zugestellt worden sei. Ferner haben die Gläubiger beantragt, das Beschwerdeverfahren auszusetzen, weil sie im Restschuldbefreiungsverfahren die vorzeitige Versagung der Restschuldbefreiung beantragt hätten und dieses Verfahren vorgreiflich sei. Ferner sei § 294 InsO verfassungswidrig. Die Gläubiger haben Fristverlängerung von drei Wochen nach rechtskräftiger Entscheidung über den Versagungsantrag bezüglich der Restschuldbefreiung beantragt, um zu der Frage der Verfassungswidrigkeit weiter vorzutragen.
10Der Schuldner hat beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Während der Dauer der Wohlverhaltensphase sei der Deliktsgläubiger nach dem Gesetz gerade nicht privilegiert.
11Die Akten des Amtsgerichts Münster 85 IK 111/07 lagen der Kammer bei der Entscheidung vor.
12Die sofortige Beschwerde ist zulässig aber unbegründet.
13Zu Recht hat das Amtsgericht den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 26.01.2011 aufgehoben und den Antrag der Gläubiger vom 20.01.2011 zurückgewiesen. Die Pfändung war und ist unzulässig, da das Vollstreckungsverbot des § 294 Abs. 1 InsO entgegen steht. Dieses Vollstreckungsverbot gilt für Insolvenzgläubiger, also auch für die hiesigen Gläubiger, uneingeschränkt. Der Gesetzeswortlaut sieht keine Ausnahme vor, nicht einmal die des § 89 Abs. 2 Satz 2 InsO, die allerdings auch nur für Neugläubiger gilt – was die hiesigen Gläubiger nicht sind.
14Die Auffassung der Beschwerdeführer, dass § 294 InsO teleologisch zu reduzieren sei, findet keinerlei Stütze im Gesetzeswortlaut und auch nicht in Rechtsprechung in Literatur (vgl. BAG, Urteil vom 17.09.2009, Az. 6 AZR 369/08, NJW 2010, Seite 253; AG Göttingen, Beschluss vom 06.06.2005, Az. 74 IN 215/03; AG Bremen, Beschluss vom 26.10.2007, Az. 248 M 480854/07; Andres/Leithaus, InsO, 2. Auflage § 294 Rn. 1; Münchener Kommentar Insolvenzordnung, 2. Auflage, § 294 Rn. 6) . Allenfalls für Neugläubiger wird dies aufgrund der Gesetzesformulierung „Insolvenzgläubiger“ und aufgrund des Rechtsgedankens des § 89 Abs. 2 Satz 2 InsO vertreten (vgl. Hamburger Kommentar, 3. Auflage, § 294 Rn. 3 und 4; Heidelberger Kommentar Insolvenzordnung, 5. Auflage, § 294 Rn. 3, 11; Kübler/Prütting/Bork, Kommentar zur Insolvenzordnung, Stand Dezember 2009, § 294 Rn. 2c; Uhlenbruck, Insolvenzordnung Kommentar, 13. Auflage, 294 Rn. 6). Selbst die von den Beschwerdeführern zitierte Fundstelle Frankfurter Kommentar belegt das Gegenteil (vgl. Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, 5. Auflage 2009, § 294 Rn. 6a und 8: „Nach dem Wortlaut der Norm ist damit auch eine Pfändung der Unterhalts- und Deliktsgläubiger für ihre vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandenen Insolvenzforderungen, vgl. § 40 InsO, in den ihnen nach §§ 850d, 850f Abs. 2 ZPO vorbehaltenen Bereich ausgeschlossen. ... In der Treuhandperiode muss deswegen eine privilegierte Vollstreckung zugunsten der Unterhaltsgläubiger und Gläubiger von Forderungen aus vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlungen ausscheiden. ... § 294 Abs. 1 InsO kann insoweit nicht mehr teleologisch reduziert werden.“).
15Dieses ist auch nicht unlogisch, weil vom Gesetzgeber eben gewünscht ist, dass während der Treuhandphase alle Insolvenzgläubiger – auch Unterhalts- und Deliktsgläubiger - gleiche Befriedigungsmöglichkeiten haben (vgl. BGH Beschluss vom 13.07.2006, Az. IX ZB 288/03). Das Vermögen, das den (Insolvenz-)Gläubigern haftungsrechtlich zugewiesen ist, soll möglichst umfangreich geschützt werden, um die Gläubigergleichbehandlung durchzusetzen (vgl. Münchener Kommentar Insolvenzordnung, 2. Auflage § 294 Rn. 6). Zudem soll vor dem Hintergrund des Sanierungsgedankens der Schutz des zukünftigen Vermögens künftiger Bezüge gewährleistet werden (vgl. Münchener Kommentar a.a.O.). Allenfalls Neugläubiger haben während der Treuhandphase die Möglichkeit, gem. § 850f Abs. 2 ZPO in die gem. § 850c ZPO unpfändbaren Bezüge zu vollstrecken. Würde man dies entgegen dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift auch für Insolvenzgläubiger zulassen, so würden deren Vollstreckungsmöglichkeiten während der Treuhandphase weiter gehen als während des Insolvenzverfahrens (vgl. Münchener Kommentar a.a.O.).
16Denn der BGH hat bereits mehrfach entschieden, dass die Ausnahme vom Vollstreckungsverbot im Rahmen des § 89 Abs. 2 Satz 2 InsO ausschließlich für Neugläubiger von Unterhalts- und Deliktsansprüchen gilt, nicht aber für Unterhalts- und Deliktsgläubiger, die an dem Insolvenzverfahren teilnehmen (vgl. BGH Beschlüsse vom 27.09.2007, Az. IX ZB 16/06 und vom 20.12.2007, Az. IX ZB 280/04).
17Dem steht auch nicht der Rechtsgedanke des § 302 Nr. 1 InsO entgegen. Vielmehr ergibt sich aus dem Gesetzeszusammenhang, dass eine Privilegierung der Deliktsgläubiger erst nach dem Ende der Wohlverhaltensphase eintreten soll (vgl. AG Bremen, Beschluss vom 26.10.2007, Az. 248 M 480854/07).
18Soweit die Gläubiger vortragen, sie seien ohnehin absonderungsberechtigt aufgrund des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses des Amtsgerichts Münster vom 27.07.2007, Az. 22 M 2094/07, der dem Arbeitgeber des Schuldners bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens zugestellt worden sei, so ist dem nicht zu folgen. Vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgebrachte Pfändungen werden vielmehr gem. § 114 Abs. 3 InsO unwirksam (vgl. Kübler/Prütting/Bork, Kommentar zur Insolvenzordnung, Stand Dezember 2009, § 294 Rn. 2c), es sei denn es handelt sich um nach Insolvenzeröffnung entstandene Unterhaltsforderungen (vgl. BAG Beschluss vom 17.09.2009, Az. 6 AZR 369/08).
19Eine Aussetzung des Beschwerdeverfahrens, um den Ausgang des Antrages der Gläubiger auf Versagung der Restschuldbefreiung in dem Verfahren des Amtsgerichts Münster 85 IK 111/07 abzuwarten, kam aus Sicht der Kammer nicht in Betracht. Wann über den Antrag entschieden wird, ist zur Zeit völlig unklar. Wie sich aus den beigezogenen Akten ergibt, läuft dort zur Zeit noch eine Stellungnahmefrist bis zum 22.09.2011. Es ist dem Schuldner nicht zuzumuten, weiter abzuwarten, wenn ihm derzeit, wie er selbst vorgetragen hat, nur 700,00 Euro monatlich vom Arbeitgeber ausgezahlt werden. Zudem ist zu erwarten, dass gegen die Entscheidung des Amtsgerichts, unabhängig davon wie sie ausfällt, weitere Rechtsmittel durch die eine oder andere Seite eingelegt werden. Unabhängig davon bleibt es den Gläubigern unbenommen, nach rechtskräftiger Entscheidung über ihren Antrag einen neuen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss zu beantragen.
20Sofern die Gläubiger zu der Frage der Verfassungswidrigkeit des § 294 InsO gem. Art. 14 GG weiter vortragen möchten, können sie dies ggf. mit der Rechtsbeschwerde tun. Im vorliegenden Verfahren bestand hinreichend Gelegenheit zur Stellungnahme, weshalb die Kammer es nicht für angemessen hielt, weitere Fristen zu gewähren, zumal die Rechtslage aus Sicht der Kammer eindeutig ist.
21Die Kammer hat die Rechtsbeschwerde gem. §§ 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 ZPO zugelassen, da der zur Entscheidung stehenden Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung zukommt und der BGH hierüber noch nicht entschieden hat.
22Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97, 100 Abs. 1 ZPO.
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