Beschluss vom Landgericht Stendal (1. Große Strafkammer) - 501 Qs 3/10

Tenor

Auf die Beschwerde des Beschuldigten wird der Beschluss des Amtsgerichts Stendal (Gz.: 21 Gs .... Js 10954/09 – ...../09) vom 27. November 2009 über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis und die Anordnung der Beschlagnahme - Verwahrung - des Führerscheins des Beschuldigten aufgehoben.

Die Staatskasse trägt die Kosten der Ermittlungsmaßnahme.

Gründe

I.

1

Mit Beschluss vom 27. November 2009 hat das Amtsgericht Stendal dem Beschuldigten nach dessen Anhörung die Fahrerlaubnis gemäß § 111 a Abs. 1 StPO vorläufig entzogen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Beschluss des Amtsgerichts Stendal vom 27. November 2009 (Bl. 42 d. A.) Bezug genommen.

2

Gegen diesen Beschluss hat der Beschuldigte über seinen Verteidiger mit Schriftsatz vom 08. Dezember 2009 Beschwerde eingelegt und zur Begründung ausgeführt, dass ein dringender Tatverdacht hinsichtlich einer Trunkenheit im Verkehr nicht gegeben sei, da die entnommene Blutprobe einem Beweisverwertungsverbot unterliege. Hinsichtlich des weiteren Vorbringens wird auf den Schriftsatz vom 08. Dezember 2009 (Bl. 48 – 51 d. A.) Bezug genommen.

3

Das Amtsgericht Stendal hat der Beschwerde nicht abgeholfen und das Verfahren der Kammer zur Entscheidung vorgelegt.

II.

4

Die Beschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Schwerin vom 23.09.2008 über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis und die Beschlagnahme des Führerscheins ist gemäß § 304 Abs. 1, § 306 Abs. 1 StPO zulässig. Sie ist auch begründet.

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Gemäß § 111 a Abs. 1 StPO kann der Richter dem Beschuldigten durch Beschluss die Fahrerlaubnis vorläufig entziehen, wenn dringende Gründe vorhanden sind, dass die Fahrerlaubnis im Hauptsacheverfahren entzogen werden wird (§ 69 StGB). Das erfordert unter anderem einen dringenden Tatverdacht im Sinne des § 69 Abs. 1 Satz 1 StGB (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 51. Auflage, § 111a, Rdnr. 2).

6

Hieran fehlt es. Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen liegen infolge eines bestehenden Beweisverwertungsverbotes keine genügenden Anhaltspunkte dafür vor, dass der Beschuldigte im Zustand alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit ein Kraftfahrzeug geführt hat.

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Das Ergebnis der Untersuchung der dem Beschuldigten am 18. Juli 2009 um 02.58 Uhr entnommenen Blutprobe ist nicht verwertbar. Die Entnahme der Blutprobe wurde von dem ermittelnden Polizeibeamten angeordnet, ohne dass die formellen Voraussetzungen der Anordnung vorlagen. Nach § 81a Abs. 2 StPO steht die Anordnung der Blutentnahme vorrangig und ausschließlich dem Richter zu (vgl. u. a. OLG Jena, Beschluss vom 25. November 2008, Az.: 1 Ss 230/08; OLG Brandenburg, Beschluss vom 16. Dezember 2008, Az.: 2 Ss 69/08 und Beschluss vom 25. März 2009, Az.: 1 Ss 15/09; OLG Bamberg, Beschluss vom 19. März 2009. Az.: 2 Ss 15/09; OLG Hamm, Beschluss vom 12. März 2009; Az.: 3 Ss 31/09 und Beschluss vom 28. April 2009, 2 SS 117/09; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 02. Juni 2009; 1 Ss 183/08). Nur bei einer Gefährdung des Untersuchungserfolgs durch die mit der Einholung einer richterlichen Entscheidung einhergehende Verzögerung besteht auch eine Anordnungskompetenz der Staatsanwaltschaft und - nachrangig - ihrer Ermittlungspersonen. Die Strafverfolgungsbehörden müssen daher regelmäßig versuchen, eine Anordnung des zuständigen Richters zu erlangen, bevor sie selbst eine Blutentnahme anordnen. Die Gefährdung des Untersuchungserfolgs muss mit Tatsachen begründet werden, die auf den Einzelfall bezogen und in den Ermittlungsakten zu dokumentieren sind , sofern die Dringlichkeit nicht evident ist (vgl. BVerfG NJW 2007, 1345, 1346).

8

Erwägen der Staatsanwalt oder seine Ermittlungspersonen die Anordnung einer Blutprobenentnahme ohne Anrufung des Gerichts, so müssen sie Überlegungen zur voraussichtlichen Dauer bis zur Blutprobenentnahme im Falle der vorherigen Anrufung des Gerichts und zur Gefahr des Verlustes von Beweismitteln hierdurch anstellen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nicht jede Einholung einer richterlichen Anordnung nach § 81a StPO zwingend unter Aktenvorlage schriftlich zu erfolgen hat. Bei einer mündlichen Anordnung wäre die zeitliche Verzögerung, die in der Dauer der Mitteilung des Sachverhalts an den Staatsanwalt, der dann seinerseits den zuständigen Richter herausfinden und diesem den Sachverhalt schildern muss, eine gewisse Bedenkzeit des Staatsanwalts bezüglich seiner Antragstellung und des Richters bezüglich seiner Entscheidung und der Entgegennahme der Anordnung besteht, eher gering. In solchen Fällen muss zunächst die Herbeiführung einer richterlichen Anordnung versucht (es sei denn, der Beweisverlust wäre auch schon durch eine so geringfügige Verzögerung zu gewärtigen) und der Versuch in den Akten dokumentiert werden (vgl. OLG Hamm, NJW 2009, 242, 243).

9

Bei der hier in Rede stehenden Ermittlungsmaßnahme sind keine Gründe offenkundig, welche den Versuch, eine richterliche Anordnung einzuholen, von vornherein aussichtslos erscheinen ließen. Zwar wurde der Beschuldigte am 18. Juli 2009 (einem Sonnabend) gegen 02.35 Uhr in seinem verunfallten Pkw verletzt aufgefunden. Die Uhrzeit durfte aber keinen Anlass geben, den Versuch, den Richter telefonisch zu erreichen, von vornherein als aussichtslos anzusehen. Sowohl die Strafverfolgungsbehörden als auch die Ermittlungsrichter und die Gerichtsorganisation haben im Rahmen des Möglichen sicherzustellen, dass auch in der Masse der Alltagsfälle die in der Verfassung vorgesehene Regelzuständigkeit des Richters gewahrt bleibt. Die Strafverfolgungsbehörden müssen regelmäßig versuchen, eine Anordnung des instanziell und funktionell zuständigen Richters zu erlangen, bevor sie eine Blutentnahme durchführen lassen. Die Annahme von Gefahr im Verzug lässt sich grundsätzlich nicht allein damit begründen, eine richterliche Entscheidung sei gewöhnlicherweise am späten Nachmittag oder frühen Abend nicht zu erlangen. Dies kommt schon im Hinblick darauf nicht in Betracht, dass die Gerichte verfassungsrechtlich verpflichtet sind, die Erreichbarkeit eines Ermittlungsrichters, auch durch die Einrichtung eines Eil- oder Notdienstes, für den Fall, dass die Anordnung einer Wohnungsdurchsuchung erforderlich wird, zu sichern. Bei Tage (vgl. § 104 Abs. 3 StPO) muss die Regelzuständigkeit des Ermittlungsrichters in solchen Fällen uneingeschränkt gewährleistet sein. Deshalb verpflichtet der Richtervorbehalt aus Art. 13 Abs. 2 GG die Länder insoweit dazu, sowohl innerhalb als auch außerhalb der üblichen Dienstzeiten für die Erreichbarkeit des Ermittlungsrichters bei Tage Sorge zu tragen (vgl. BVerfG NJW 2009, 1444).

10

Dies schließt aber eine Erreichbarkeit des zuständigen Richters zur Nachtzeit nicht von vornherein aus und macht daher die Prüfung seiner Erreichbarkeit nicht entbehrlich. Nach Aktenlage wurde von den Polizeibeamten PHM BB weder der Versuch unternommen, den Richter noch den Bereitschaftsstaatsanwalt, der grundsätzlich zu jeder Tages- und Nachtzeit erreichbar ist, telefonisch zu erreichen. Da keine Dokumentationen zu einer denkbaren Gefahr im Verzug erfolgt sind, ist anzunehmen, dass dem Polizeibeamten der Richtervorbehalt schlicht nicht bekannt war oder dass er ohne Not eine Gefahr im Verzug angenommen hat. Aus diesem Grund war die von dem Polizeibeamten getroffene Anordnung rechtswidrig. Es bestand insoweit ein Beweisverwertungsverbot (vgl. OLG Stuttgart, a.a.O., m.w.N.).

11

Das Beweiserhebungsverbot hat im vorliegenden Fall ein Beweisverwertungsverbot zur Folge. Zwar hat die strafgerichtliche Rechtsprechung, der die Auslegung des Begriffs der Gefährdung des Untersuchungserfolgs durch Verzögerung in erster Linie obliegt, bisher nur in Sonderfällen schwerwiegender Rechtsverletzungen, die auf grober Verkennung der Rechtslage beruhten, ein Beweisverwertungsverbot angenommen. Sie hat dabei in erster Linie auf die Schwere des Eingriffs in Rechte des Betroffenen einerseits sowie auf das staatliche Ahndungsinteresse und das gefährdete Rechtsgut andererseits abgestellt, die gegeneinander abzuwägen sind. Ein Beweisverwertungsverbot ist danach insbesondere dann anzunehmen, wenn die Durchführung der Maßnahme auf einer bewusst fehlerhaften bzw. objektiv willkürlichen Annahme der Eingriffsbefugnis durch den Polizeibeamten beruht (vgl. OLG Stuttgart a. a. O.; OLG Celle, StV 2010, 14; OLG Oldenburg, StV 2010, 14; SchlH OLG, StV 2010, 13, 14). Letzteres ist hier der Fall. Denn entweder hat der Polizeibeamte, der die Blutentnahme angeordnet hat, die Voraussetzungen seiner Anordnungsbefugnis überhaupt nicht geprüft. Oder aber er hat Gefahr im Verzuge angenommen, obwohl die tatsächlichen Voraussetzungen hierfür weder geprüft noch dokumentiert worden sind.

12

Der dringende Tatverdacht im Sinne des § 69 Abs. 1 Satz 1 StGB lässt sich auch nicht anders begründen. Zwar kann die richterliche Überzeugung von einer Trunkenheitsfahrt sich bei Fehlen oder Unverwertbarkeit einer Blutprobe auch aus anderen Beweismitteln ergeben. Umstände, die zweifelsfrei auf durch Alkoholkonsum verursachte Fahruntüchtigkeit schließen lassen, lassen sich jedoch nach dem derzeitigen Ermittlungsstand nicht feststellen.

13

Sonstige Umstände, die auf eine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit hindeuten könnten, sind der Ermittlungsakte nicht zu entnehmen. Gegebenenfalls ist zur Ermittlung dieses Umstandes das sachverständige Zeugnis des leitenden Notarztes Dr. CC und das Zeugnis des Polizeibeamten BB einzuholen.

14

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 StPO.


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