Beschluss vom Landgericht Stendal (5. Zivilkammer) - 25 T 150/12

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde des Schuldners wird der Beschluss des Amtsgerichts Burg vom 21. Mai 2012 - 36 M 402/12 - abgeändert und der Antrag des Gläubigers auf Festsetzung des pfandfreien Betrages nach § 850 d ZPO vom 25. Mai 2012 zurückgewiesen.

2. Der Gläubiger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

1

Die nach §§ 567 Abs. 1 Nr. 1, 793 ZPO statthafte und fristgerecht eingelegte Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg und führt zu einer Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Das Vermögen des Schuldners unterliegt keiner verschärften Pfändbarkeit nach § 850 d Abs. 1 ZPO. Diese Vorschrift bestimmt, dass bei gesetzlichen Unterhaltsansprüchen eines Verwandten Beschränkungen der Zwangsvollstreckung in das Arbeitseinkommen nicht gelten. Dem Schuldner ist lediglich so viel zu belassen, als er für seinen notwendigen Unterhalt und zur Erfüllung seiner gesetzlichen Unterhaltspflichten bedarf.

1.

2

Der Gläubiger vollstreckt wegen gesetzlicher Unterhaltsansprüche nach § 1601 BGB. Dass der titulierte Unterhalt aufgrund eines Verwandtschaftsverhältnisses (§ 1589 BGB) geleistet wird, folgt aus der vollstreckbaren Urkunde des Kreises Warendorf vom 07.12.2010.

2.

3

Da der Schuldner keine weiteren gesetzlichen Unterhaltspflichten hat, ist ihm lediglich sein notwendiger eigener Unterhalt zu belassen. Dieser entspricht dem Lebensunterhalt im Sinne des 3. und 11. Kapitels des SGB XII, also den Sozialhilfevorschriften (vgl. BGH, MDR 2004, 53). Dem Schuldner sind jedoch die mit der Erzielung seines Einkommens verbundenen Ausgaben etwa Fahrtkosten sowie ein „Erwerbstätigenbonus“ zu belassen (vgl. Zöller, ZPO, 29. Aufl., § 850 d Rn. 7). Für die Bemessung des pfandfreien Betrages kommt es auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung durch das Beschwerdegericht an. Denn die Festsetzung des pfandfreien Betrages soll ja gewährleisten, dass der Schuldner trotz verschärfter Pfändung seines Arbeitseinkommens in der Zukunft seinen notwendigen Unterhalt zu decken vermag. Im Einzelnen:

4

a) Regelsatz nach § 28 Abs. 1 SGB XII 374,00 Euro

5

Der Bedarf einer nicht in einer Einrichtung lebenden Person wird - mit Ausnahme der Kosten für Unterkunft und Heizung - in einem Regelsatz pauschaliert. Er umfasst den notwendigen Lebensunterhalt, insbesondere Kleidung, Körperpflege, Hausrat und persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens. Dazu gehören im vertretbaren Umfang auch Beziehungen zur Umwelt und eine Teilnahme am kulturellen Leben.

6

b) Kosten der Unterkunft nach § 29 Abs. 1 SGB XII 207,50 Euro

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Dass der Schuldner diesen Betrag für die Miete aufwendet, ist zwischen den Parteien unstreitig und daher für das Gericht maßgeblich.

8

c) Werbungskosten (hier: Fahrtkosten) 990,00 Euro

9

Pfandfrei bleiben auch die Beträge, die der Schuldner aufwenden muss, um seine Einkünfte zu erzielen. Hierzu gehören insbesondere die von ihm aufgewandten Fahrtkosten.

10

Die vom Schuldner in Ansatz gebrachte Kreditrate bleibt hierbei allerdings außer Ansatz. Denn einerseits wird der Pkw nicht ausschließlich beruflich genutzt. Die Zins- und Tilgungsanteile, die auf seine private Nutzung entfielen, wären nicht ansatzfähig. Zudem darf es nicht sein, dass der Schuldner auf Kosten des Gläubigers Eigentum bildet. Die Zeit der Abzahlung ist in der Regel wesentlich kürzer als die Lebensdauer eines Pkw. Der Schuldner würde also bevorteilt, wenn er seine Verbindlichkeiten gegenüber dem Leasingunternehmen bzw. der Bank in Ansatz bringen könnte, nur um die Übereignung eines langlebigen Wirtschaftsgutes auf sich zu erreichen.

11

Ansatzfähig sind allerdings diejenigen Kosten, die tatsächlich anfallen. Ihre Höhe ist nach §§ 287 ZPO; 5 Abs. 2 Nr. 2 JVEG auf 0,30 Euro pro Kilometer zu schätzen. Da der Schuldner seit dem 15.07.2011 einen (einfachen) Arbeitsweg von 75 Kilometern hat, ergeben sich Fahrtkosten von 990,00 Euro (22 Arbeitstage pro Monat x 150 Kilometer [Hin- und Rückweg] x 0,30 Euro pro Kilometer).

12

„Erwerbstätigenbonus“ nach § 82 Abs. 3 SGB XII 182,00 Euro

13

Bei erwerbstätigen Personen, die Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt erhalten, sind - über die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben hinaus - Beträge vom pfändbaren Einkommen abzusetzen. Ihre Höhe richtet sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls, etwa Art und Umfang der Tätigkeit, den individuellen Verhältnissen des Hilfeempfängers, insbesondere seinem Alter und Leistungsvermögen. Der Abzug rechtfertigt sich in einer entsprechenden Anwendung von § 82 Abs. 3 SGB XII. Danach ist einem erwerbstätigen Hilfeempfänger 30 % seines Einkommens aus selbständiger oder nichtselbständiger Arbeit zu belassen, höchstens jedoch 50 % des Eckregelsatzes.

14

Dieser Rechtsgedanke ist auch bei der Auslegung von § 850 d Abs. 1 ZPO heranzuziehen. Damit soll die Teilnahme des Unterhaltspflichtigen am Erwerbsleben gefördert werden, um ihm - auch im Interesse des Gläubigers - einen Leistungsanreiz zu bieten. Würde der Schuldner nämlich an den Früchten seiner Erwerbstätigkeit nicht partizipieren, sondern müsste er alles an seine minderjährigen Kinder abführen, bestünde die Gefahr, dass er seine Arbeit aufgäbe.

15

Seit dem 15.07.2011 erzielt der Schuldner ein Einkommen von 1.031,02 Euro. Sein Erwerbstätigenbonus ist auf 50 % des Eckregelsatzes (= 182,00 Euro) beschränkt, weil 30 % seines Einkommens höher lägen (309,31 Euro).

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Die Summe der sich unter Buchstaben a) - d) ergebenden Beträge ist höher als der einem ledigen Schuldner nach § 850 c Abs. 1 ZPO zustehende Pfändungsfreibetrag. Die vom Gläubiger verlangte Verschärfung der Pfändbarkeit des Schuldnervermögens über diesen allgemeinen Maßstab hinaus ist daher nicht gerechtfertigt und der angefochtene Beschluss aufzuheben. Vor diesem Hintergrund kann auch dahinstehen, ob sich eine verschärfte Pfändbarkeit auf die überjährigen Unterhaltsrückstände im Sinne von § 850 d Abs. 1 Satz 4 ZPO bezieht.

3.

17

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

18

Eine Rechtsbeschwerde war nach § 574 ZPO nicht zuzulassen. Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Einheitlichkeit der Rechtssprechung erfordern keine Entscheidung des Bundesgerichtshofes.


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