Urteil vom Landgericht Wuppertal - 4 O 251/20
Tenor
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 46.000 Euro nebst Zinsen in Höhe 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 26.000 Euro seit dem 31.03.2020 und aus weiteren 20.000 Euro seit dem 10.04.2020 zu zahlen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtstreits mit Ausnahme der Kosten der Verweisung, welche die Klägerin trägt.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
1
Tatbestand gem. § 313 Abs. 2 ZPO
2Die Parteien streiten über eine Entschädigungsleistung aus einem Betriebsschließungsversicherungsvertrag sowie über außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten.
3Die Klägerin, die einen Traditionsgaststätte am Stadtrand von V betreibt, schloss mit dem Beklagten mit Wirkung ab dem 10.3.2020 0:00 Uhr eine Betriebsschließungsversicherung.
4Diese beinhaltet eine Entschädigung von 2.000 Euro pro Tag bis zur Dauer von 60 Tagen für den Fall, dass eine Behörde beim Auftreten einer meldepflichtigen Krankheit den Betrieb schließt.
5§ 1 1.a der Allgemeinen Versicherungsbedingungen lautet:
61. Versicherungsumfang
7Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten bei Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger ( siehe Nr. 2)
8a)
9den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserreger bei Menschen schließt; Tätigkeitsverbote gegen sämtliche Betriebsangehöriger eines Betriebes oder einer Betriebsstätte werden einer Betriebsschließung gleichgestellt;
10Unter 2. heißt es auszugsweise
11„ meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingung sind folgende, im Infektionsgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger:“
12Es folgt eine umfangreiche Aufzählung von Krankheiten und Krankheitserregern. Das Coronavirus ist nicht erwähnt.
13Der Beklagte stellte im März 2020 eine Information zu den von ihm abgeschlossenen Betriebsschließungsversicherungen auf seine Homepage.
14Darin heißt es auszugsweise:
15„ Wann gilt der Versicherungsschutz?
16…
17Voraussetzung für eine Entschädigung durch den Versicherer ist, dass der versicherte Betrieb durch die zuständige Behörde aufgrund des Infektionsschutzgesetzes beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger seinen Betrieb oder Betriebsstätte schließen muss.
18Welche Krankheiten und Krankheitserreger sind meldepflichtig?
19Die meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger sind in den §§ 6 und 7 des Infektionsschutzgesetzes genannt. Am 1.2.2020 wurde das Coronavirus als meldepflichtige Krankheit im Infektionsschutzgesetz mit aufgenommen. Da wir u.a. Krankheiten nach den §§ 6 und 7 des Infektionsschutzgesetzes versichert haben, gilt eine Betriebsschließung durch eine Behörde aufgrund des Coronavirus im Rahmen unserer Bedingungen als mitversichert.
20Wir bitten um Verständnis, dass wir aufgrund der derzeitigen Lage keine neuen Anträge für Betriebsschließungsversicherungen annehmen und Angebote dafür abgeben.“
21Am 17.3.2020 erließ die Stadt Wuppertal aufgrund der §§ 16 Abs. 1 S. 1, 28 Abs. 1 S. 2 IfSG eine Allgemeinverfügung, die u.a. die Schließung von Speise – und Schankgaststätten anordnete.
22Dieser Anordnung kam die Klägerin ab 18.3.2020 jedenfalls für 23 Tage nach.
23Die Klägerin zeigte der Versicherungsfall an. Der Beklagte lehnte eine Einstandspflicht ab. Eine zweimalige anwaltliche Aufforderung zur Zahlung blieb erfolglos.
24Die Klägerin beantragt sinngemäß:
25Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 46.000 Euro nebst Zinsen in Höhe 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 26.000 Euro seit dem 31.03.2020 und aus weiteren 20.000 Euro seit dem 10.04.2020 zu zahlen.
26Der Beklagte beantragt,
27die Klage abzuweisen.
28Er meint,
29eine Betriebsschließung aufgrund des Coronavirus sei von der zwischen den Parteien abgeschlossenen Betriebsschließungsversicherung nicht umfasst.
30Zudem fehle es bei einer Schließung aufgrund einer Allgemeinverfügung an einer Betriebsbezogenheit der Schließung, welche Voraussetzung für die Einstandspflicht des Beklagten sei.
31Entscheidungsgründe gemäß § 313 Abs. 3 ZPO
32Die zulässige Klage ist begründet.
33Der Klägerin steht gegen den Beklagte ein Zahlungsanspruch i.H.v. 46.000 € gemäß § 1 VVG in Verbindung mit § 1 AVB Betriebsschließung Stand 01.01.2019 zu.
34Der Anspruch auf Versicherungsleistungen aus der Betriebs- schließungsversicherung setzt lediglich voraus, dass die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger den versicherten Betrieb zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtig Krankheiten schließt.
35Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
36Zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls war das Coronavirus bereits in die Liste der meldepflichtigen Krankheiten/ Krankheitserreger aufgenommen, worauf die Beklagte selbst hinweist.
37Bei der Allgemeinverfügung der Stadt Wuppertal vom 17.3.2021 handelt es sich um einen Verwaltungsakt der zuständigen Behörde aufgrund des Infektionsschutzgesetzes mit dem Ziel, die Verbreitung des meldepflichtigen Coronavirus zu verhindern. Dieser Verwaltungsakt war von der Klägerin zu befolgen, da er jedenfalls nicht offensichtlich rechtswidrig war und daher gültig und nicht etwa nichtig.
38Gegenstand des zwischen den Parteien bestehenden Betriebsschließungsversicherungsvertrages war auch die Betriebsschließung aufgrund des Coronavirus.
39Dabei kommt es hier ausnahmsweise nicht darauf an, ob nach dem Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers bei wortlautgetreuer Auslegung der verwandten AVB ( „folgende ...genannte Krankheiten“) die Annahme einer abschließenden Verweisung auf die §§ 6 und 7 des Infektionsschutzgesetzes möglicherweise näher gelegen hätte als die einer dynamischen.
40Denn auch für Versicherungsverträge gilt der Grundsatz, dass bei deren Auslegung der wirkliche Wille zu erforschen ist und nicht am buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften ist, §§ 133, 157 BGB.
41Besteht ein übereinstimmender Wille der Parteien, ist dieser allein maßgeblich und zwar selbst dann, wenn er in dem Erklärten nur unzureichend Ausdruck gefunden hat. Dies gilt auch, wenn sich dieses gemeinsame Verständnis auf AGB (hier Versicherungsbedingungen) einer Partei -hier des Beklagten- bezieht (vgl. Palandt, 80. Aufl., § 133 BGB mit zahlreichen Nachweisen auf höchstrichterliche Rechtsprechung).
42So liegt der Fall hier.
43Beide Parteien gingen bei Abschluss des Vertrages übereinstimmend davon aus, dass die Klägerin bei Schließung ihres Betriebes aufgrund des Coronavirus durch die Betriebsschließungsversicherung abgesichert sei.
44Dies ergibt sich für die Klägerin bereits aus den Umständen, wobei ein Rückgriff auf die streitige Frage, ob der sich rechtlich im Lager der Klägerin befindliche Makler eine entsprechende Zusage machte, nicht erforderlich ist.
45Die Klägerin ging offensichtlich bei Vertragsschluss von dem o.g. Inhalt der Versicherung aus. Dies ergibt sich aus einer Gesamtschau ihrer Interessen und der zeitlichen Einordnung der Ereignisse.
46Dass die Klägerin an einem möglichst umfassenden Schutz interessiert war und daher gerade auch gesteigert auf die Absicherung gegen eine Schließung aufgrund des bei Vertragsschluss neuartigen Coronavirus bedacht war, liegt auf der Hand. Das Virus war zwar neu, aber in der Bevölkerung war allgemein bekannt, dass es in anderen Ländern bereits Anlass zu umfassenden Einschränkungen in Freiheitsrechte und zu Schließungsmaßnahmen gegeben hatte.
47Es liegt fern, dass die Klägerin als Betreiberin einer Traditionsgaststätte, die bis dahin auf eine Betriebsschließungsversicherung verzichtet hatte, in dieser sich im Frühjahr 2020 täglich zuspitzenden Situation eine Betriebsschließungsversicherung abschloss, von der sie annahm, dass diese gerade das naheliegenste Risiko nicht umfasst.
48Zudem spricht die zeitnahe Anmeldung des Schadens durch die Klägerin dafür, dass sie von einem entsprechenden Versicherungsschutz ausging.
49Auch der Beklagte hat seine eigenen Versicherungsbedingungen zum damaligen Zeitpunkt in Übereinstimmung mit der Klägerin so verstanden, dass eine Entschädigung bei Betriebsschließung aufgrund des Coronavirus zu zahlen ist.
50Dies ergibt sich eindeutig aus der Mitteilung auf der Homepage, in der es ausdrücklich heißt, dass eine „Betriebsschließung durch eine Behörde aufgrund des Coronavirus im Rahmen unserer Bedingungen als mitversichert“ gilt.
51Dass dieser Eintrag auf der Homepage nicht aus März 2020 stammt und sich nicht auf die AVB bezieht, die dem Vertrag mit der Klägerin zugrunde liegen, hat der Beklagte nicht substantiiert vorgetragen. Da die Chronologie der Ereignisse offensichtlich für die Darstellung der Klägerin streiten, hätte der Beklagte aufgrund des Wechselspiels von Vortrag- und Gegenvortrag hier darlegen müssen, wann der Eintrag auf der Homepage eingestellt wurde und auf welche anderen AVB er sich aus welchen Gründen beziehen sollte.
52Der Anspruch der Klägerin scheitert auch nicht aufgrund einer fehlenden Betriebsbezogenheit.
53Diese ist nämlich schon nach den Versicherungsbedingungen nicht Voraussetzung für einen Versicherungsfall. Die Annahme, dass die Betriebsschließung aufgrund eines Coronaausbruchs im klägerischen Betrieb selbst erfolgen muss, steht in einem unauflösbaren Widerspruch zu der Differenzierung, die in § 1 1. a der AVB durchgeführt wird. Der zweite Teilsatz bezieht sich nämlich eindeutig auf eine Schließung aufgrund betriebsinterner Umstände (Tätigkeitsverbot gegen alle Betriebsangehörige), welche eine Gleichstellung mit den anderen Schließungen (erster Teilsatz) erfahren soll. Daraus folgt, dass der erste Teilsatz auf andere als betriebsinterne Ursachen abzielen soll, zumal der Wortlaut nichts für eine Betriebsbezogenheit der Ursache hergibt. Der Zusatz im Produktinformationsblatt, dass die Versicherung "vor den wirtschaftlichen Folgen einer im Betrieb auftretenden Infektion" absichert, hilft dem Beklagten nicht. Denn diese Einschränkung steht sowohl im Widerspruch zu den AVB als auch zu der eigenen Interpretation des Vertragsinhaltes des Beklagten auf seiner Homepage. Denn die Schließungen der Gaststätten, die für den Beklagten sogar Anlass waren, keine neuen Verträge mehr einzugehen, erfolgten gerade nicht aufgrund von einzelnen Coronainfektionen in bestimmten Betrieben, sondern aufgrund einer Allgemeinverfügung, die die flächendeckende Schließung ohne Ansehung des betriebsinternen Infektionsgeschehens anordnete.
54Die Erstattung der vorgerichtlichen Anwaltskosten rechtfertigen sich aus dem Umstand, dass der Beklagte seine vertraglichen Pflichten verletzte, als er seine Leistungspflicht ggü. der Klägerin abstritt.
55Die prozessualen Nebenentscheidungen basieren auf den §§ 91, 281 III, 709 ZPO
56Streitwert: bis 50.000 Euro
57Rechtsbehelfsbelehrung:
58Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung für jeden zulässig, der durch dieses Urteil in seinen Rechten benachteiligt ist,
591. wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR übersteigt oder
602. wenn die Berufung in dem Urteil durch das Landgericht zugelassen worden ist.
61Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung dieses Urteils schriftlich bei dem Oberlandesgericht Düsseldorf, Cecilienallee 3, 40474 Düsseldorf, eingegangen sein. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils (Datum des Urteils, Geschäftsnummer und Parteien) gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde, enthalten.
62Die Berufung ist, sofern nicht bereits in der Berufungsschrift erfolgt, binnen zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils schriftlich gegenüber dem Oberlandesgericht Düsseldorf zu begründen.
63Die Parteien müssen sich vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, insbesondere müssen die Berufungs- und die Berufungsbegründungsschrift von einem solchen unterzeichnet sein.
64Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.
65Hinweis zum elektronischen Rechtsverkehr:
66Die Einlegung ist auch durch Übertragung eines elektronischen Dokuments an die elektronische Poststelle des Gerichts möglich. Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet und mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 130a ZPO nach näherer Maßgabe der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (BGBl. 2017 I, S. 3803) eingereicht werden. Weitere Informationen erhalten Sie auf der Internetseite www.justiz.de.
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Referenzen
- ZPO § 130a Elektronisches Dokument 1x
- § 1 1. a der AVB 1x (nicht zugeordnet)
- IfSG § 16 Allgemeine Maßnahmen der zuständigen Behörde 1x
- § 1 VVG 1x (nicht zugeordnet)
- § 1 AVB 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 313 Form und Inhalt des Urteils 2x
- BGB § 157 Auslegung von Verträgen 1x
- BGB § 133 Auslegung einer Willenserklärung 2x
- IfSG § 28 Schutzmaßnahmen 1x