Urteil vom Landgericht Zweibrücken (3. Zivilkammer) - 3 S 119/14

Tenor

1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Pirmasens vom 22.10.2014, Az. 5 C 236/14, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Der Beklagte wird verurteilt, an das klagende Land 712,25 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 28.05.2014 zu bezahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Das klagende Land hat die Kosten der Berufung zu tragen.

3. Die Kosten der ersten Instanz haben das klagende Land und der Beklagte jeweils zur Hälfte zu tragen.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aus dem Urteil zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht das klagende Land vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet. Das klagende Land kann die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aus dem Urteil zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

5. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Tatbestand

1

Das klagende Land begehrt von dem Beklagten Zahlung von Schadensersatz aus übergegangenem Recht gemäß § 72 Landesbeamtengesetz Rheinland/Pfalz.

2

Der Beklagte bewohnte im Jahre 2013 gemeinsam mit der bei der Justiz beschäftigen Zeugin ... und deren Mutter ein von ihnen gemeinschaftlich angemietetes Anwesen. Bei dem Beklagten handelte es sich dabei um den Lebensgefährten der Mutter der Zeugin. In dem Mietvertrag haben sich diese 3 Personen dazu verpflichtet, für den Mietzins gesamtschuldnerisch zu haften. Die Zeugin hat in dem Anwesen ein eigenes Zimmer; ansonsten werden die weiteren Räume (z.B. Wohnzimmer, Küche etc.) gemeinschaftlich genutzt.

3

Der Beklagte war zum damaligen Zeitpunkt Eigentümer und alleiniger Halter eines Hundes (...), welcher ebenfalls in der gemeinsamen Wohnung lebte. In Abwesenheit des Beklagten, der Bäcker ist und deshalb Nachts nicht zu Hause ist, wurde der Hund in der Regel unter anderem im Wohnzimmer eingesperrt.

4

Am 04.09.2013 ließ die Zeugin ... - die Zeugin hatte Urlaub - den Hund des Beklagten in den Garten, damit dieser seine Notdurft verrichten konnte. Der Hund, welcher bereits in der Vergangenheit zeitweise ein aggressives Verhalten gezeigt und auf Befehle der Zeugin und anderer Personen nicht immer reagiert hatte, kam trotz Rufen der Zeugin ... nicht in die Wohnung zurück. Die Zeugin ergriff den Hund am Halsband, woraufhin dieser die Zeugin in die Hand biss.

5

In Folge der Verletzung war die Zeugin ... in der Zeit vom 04.09. bis 18.09.2013 dienstunfähig. Die monatlichen Bezüge der Zeugin beliefen sich in diesem Zeitraum auf 2.331,34 €. Das klagende Land macht daneben einen Rechnungsbetrag in Höhe von 151,57 € für die in der Zeit der Arbeitsunfähigkeit entstandenen Urlaubsansprüche geltend. Schließlich wurden der Zeugin ... für ihre Krankenbehandlung Beihilfeleistungen in Höhe von 66,34 € und 40,91 € erstattet.

6

Das klagende Land hat erstinstanzlich vorgetragen:

7

Es sei mit dem Beklagten abgesprochen gewesen, dass die Zeugin … den Hund des Beklagten am 04.09.2013 in den Garten lassen sollte.

8

Das klagende Land hat erstinstanzlich beantragt,

9

den Beklagten zu verurteilen, an das klagende Land 1.424,49 € nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 28.05.2014 zu zahlen.

10

Der Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,

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die Klage abzuweisen.

12

Der Beklagte hat erstinstanzlich vorgetragen:

13

Das klagende Land sei zur Geltendmachung der Ansprüche nicht aktivlegitimiert. Ferner sei der Zeugin ein ganz erhebliches Mitverschulden anzulasten. Der Zeugin sei bewusst gewesen, dass sie den Hund in jedem Fall im Zimmer lassen solle. Zudem sei der Zeugin insbesondere auch der „Dickkopf“ des Hundes bekannt gewesen.

14

Nach persönlicher Anhörung des Beklagten sowie Vernehmung der Zeugin ... hat das Amtsgericht Pirmasens mit Urteil vom 22.10.2014 den Beklagten verurteilt an das klagenden Land 1.424,49 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 28.05.2014 zu bezahlen.

15

Hierzu hat das Amtsgericht maßgeblich folgendes ausgeführt:

16

Das klagende Land sei aktivlegitimiert zur Geltendmachung der streitgegenständlichen Ansprüche. Aus § 72 LandesbeamtG Rheinland/Pfalz ergebe sich, dass die Ersatzansprüche eines Geschädigten auf seinen Dienstherrn übergehen, soweit dieser während der Dienstunfähigkeit oder aufgrund der Schädigung zu Leistungen verpflichtet ist. Eine Ausnahme von dem Anspruchsübergang liege nicht vor. Zwar finde die Regelung des § 86 Abs. 3 VVG auch im Rahmen des Beamtenrechtes analoge Anwendung. Es sei allerdings nicht angemessen, das Privileg des § 86 Abs. 3 VVG auf den vorliegenden Fall auszudehnen. Zwar sei anerkannt, dass auch Partnern einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft das Privileg des § 86 Abs. 3 VVG gewährt werden müsste, dies vor dem Hintergrund, dass die Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft ebenso wie Familienangehörige eine wirtschaftliche Einheit bilden und insoweit vermieden werden soll, dass der Rückgriff - jedenfalls im Ergebnis - nicht den Geschädigten selbst trifft und diesem zur Last fällt. Zudem solle der Familienfrieden geschützt werden. Diese Voraussetzungen seien jedoch auf die vorliegende Fallkonstellation nicht anwendbar. Bei der Zeugin ... handele es sich „nur“ um die Tochter der Lebensgefährtin des Beklagten, sodass bereits keine einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft vergleichbare Nähebeziehung bestanden habe. Hinzu komme, dass die Gefahr, der Rückgriff gehe im Endeffekt zulasten der Geschädigten, vorliegend nicht ansatzweise zu befürchten sei. Bei der Geschädigten handele es sich bereits um eine volljährige Person, welche vor allem aufgrund ihrer Beschäftigung als Rechtspflegerin in der Justiz wirtschaftlich unabhängig sei, sodass nicht zu befürchten stehe, dass sie selbst durch eine Schadensersatzverpflichtung des Beklagten in irgendeiner Form betroffen werden könnte.

17

Der Beklagte selbst hafte aus dem Gesichtspunkt der Tierhalterhaftung gemäß § 833 BGB. Ein Ausschluss der Haftung durch eine eventuelle vertragliche Vereinbarung zwischen der Zeugin ... und dem Beklagten sei nicht erkennbar. Der Anspruch der Zeugin sei schließlich auch nicht infolge eines Mitverschuldens der Zeugin nach § 254 BGB zu kürzen oder gar ausgeschlossen. Das Amtsgericht ist insoweit nach durchgeführter Beweisaufnahme zu dem Ergebnis gelangt, dass es der Zeugin weder allgemein noch in der konkreten Situation untersagt gewesen sei, den Hund des Beklagten in den Garten zu lassen.

18

Auch aufgrund der Eigenarten des Hundes sei der Zeugin kein Mitverschulden etwa dahingehend vorzuwerfen, weil sie den Hund auch in Abwesenheit des Beklagten in den Garten „freigelassen“ habe. Zwar habe der Hund in der Vergangenheit bereits ein gewisses aggressives Verhalten an den Tag gelegt. So habe der Hund insbesondere in der Vergangenheit schon mehrfach „gegrummelt“. Das Amtsgericht sei allerdings zu der Überzeugung gelangt, dass sich der Hund nicht immer aggressiv verhalten habe; so habe es auch zahlreiche Momente gegeben, bei welchem der Hund sein Verhalten extrem gebessert habe. Zudem sei seitens der Zeugin geschildert worden, dass sie häufiger mit dem Hund gespielt und diesen am Bauch gekrault habe. Auch während der gesamten Zeit des Urlaubes der Zeugin habe es keinerlei Probleme gegeben, wenn sie den Hund in den Garten gelassen habe. Auch in der konkreten Situation sei der Zeugin ein Mitverschulden nicht vorzuwerfen. Zwar habe der Hund unmittelbar vor dem Biss auf eine Aufforderung der Zeugin nicht reagiert, sondern stattdessen geknurrt. Daraufhin sei die Zeugin aber zunächst einen Schritt zurückgegangen und habe dem Hund erneut mit fester Stimme einen Befehl gegeben. Der Hund habe dann in der Folge mit dem Knurren aufgehört, und habe vielmehr freudig mit dem Schwanz gewedelt. Auch als sie den Hund am Halsband gepackt habe, sei dieser zunächst einige Schritte noch mit ihr mitgekommen und habe sie erst dann unvermittelt in die Hand gebissen.

19

Dieses Verhalten sei nicht zu beanstanden, sodass der Zeugin keine Fahrlässigkeit vorzuwerfen sei.

20

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des Urteils des Amtsgerichts Pirmasens vom 22.10.2014 verwiesen (Bl. 60 ff d.A.).

21

Gegen dieses Urteil wendet sich der Beklagte mit seiner Berufung, mit der er aber nur noch eine teilweise Abweisung der Klage weiter verfolgt. Hinsichtlich 50 % der Klageforderung (712,25 €) hat er das Urteil in Rechtskraft erwachsen lassen.

22

Der Beklagte trägt im Rahmen der Berufung vor:

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Das Amtsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Rechtsgedanke des § 86 Abs. 3 VVG auf die vorliegende Fallkonstellation keine Anwendung finde. Das Amtsgericht habe insbesondere übersehen, dass jene Vorschrift auch dem Schutz des häuslichen Familienfriedens diene. Es soll gerade auch vermieden werden, dass Streitigkeiten über die Verantwortung von Schadensersatzzufügungen im Rahmen der Familie ausgetragen werden. Diesen Schutzzweck habe das Amtsgericht im Rahmen der Urteilsbegründung völlig außen vor gelassen, obwohl der Beklagte und die Mutter der Zeugin... ein Paar waren und gemeinsam mit der Zeugin ... in einem Anwesen lebten, wobei die Zeugin im ersten Stock des Anwesens ein eigenes Zimmer hatte, während Wohnzimmer und Küche des Anwesens gemeinsam benutzt wurden. Aber auch die wirtschaftliche Komponente des § 86 Abs. 3 VVG habe das Amtsgericht übersehen. Das Amtsgericht habe übersehen, dass sowohl die Zeugin ... als auch deren Mutter und der Beklagte im Mietvertrag über das Anwesen als Mieter aufgeführt waren. Dies belege, dass die drei Bewohner des Anwesens eine auf Dauer angelegte Gemeinschaft gebildet haben. Hinzu komme, dass alle drei Personen gegenüber dem Vermieter als Gesamtschuldner für den Mietzins gehaftet haben. Insoweit habe auch durchaus eine auf Dauer angelegte rechtliche Verbindung zwischen der Zeugin und dem Beklagten bestanden. Insoweit sei es gerechtfertigt, für die vorliegende Fallkonstellation den Rechtsgedanken des § 86 Abs. 3 VVG anzuwenden.

24

Zudem habe das Amtsgericht zu Unrecht ein Mitverschulden der Zeugin verneint. Weder die Zeugin noch der Beklagte hätten vor der Anschaffung des Hundes über Erfahrung als Hundehalter verfügt. Zudem hätten sie vor der Anschaffung des Hundes von einem Nachbarn den Hinweis erhalten, dass dieser Hund als sogenannter Anfängerhund problematisch werden könnte. Insoweit hätte sie bereits schon aufgrund dieses Umstandes sich nicht dem Hund nähern dürfen, dies insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass dieser bereits mehrfach geknurrt habe. Da die Zeugin auch aus eigener Anschauung gewusst habe, dass der Spieltrieb des Hundes schnell in Aggression umschlagen könne und insoweit einen gewissen Grad Angst vor dem Hund gehabt habe, hätte sie ihn nicht am Halsband packen dürfen. Aufgrund des Gesamtverhaltens des Hundes hätte die Zeugin mit einem Biss des Hundes rechnen müssen. Es begründe ein Mitverschulden, wenn ein in der Hundehaltung unerfahrener Mensch einen Hund, vor dem er Angst hat und von dem er weiß, dass er aggressiv werden kann und er ihn deshalb nicht beherrscht, trotz dessen durch Knurren angezeigter Verweigerungshaltung am Halsband fasst, um ihn hinter sich her zu zerren. Damit begebe sich die betreffende Person in unmittelbare Nähe des Hundemaules und riskiere eine Bissverletzung.

25

Der Beklagte beantragt,

26

das erstinstanzliche Urteil des Amtsgerichts Pirmasens vom 22.10.2014 teilweise aufzuheben, soweit es ihn über einen Betrag von 712,25 € (50 % der Klageforderung) hinaus zur Zahlung verurteilt hat und insoweit die Klage abzuweisen.

27

Das klagende Land beantragt,

28

die Berufung zurückzuweisen.

29

Das klagende Land trägt vor:

30

Es bestünden keine Bedenken hinsichtlich der Aktivlegitimation. Der Rechtsgedanke der §§ 116 Abs. 6 S. 1 SGB X und § 86 Abs. 3 VVG finde zwar auch im Beamtenrecht auf die Schädigung eines Familienangehörigen Anwendung. Die in diesen Vorschriften statuierte Ausnahme sei jedoch nicht grenzenlos, sie betreffe nur Familienangehörige und dies nicht im weitesten Sinne. Dabei sei zu berücksichtigen, dass der Gesetzesgeber im Rahmen des § 116 Abs. 6 S. 1 SGB X die Erstreckung des Familienprivileges auch auf eine nichteheliche Lebensgemeinschaft im Rahmen des § 86 Abs. 3 VVG nicht nachvollzogen habe. Soweit der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 05.02.2013 (AZ: VI ZR 274/12) im Rahmen des § 116 Abs. 6 S. 1 SGB X das Privileg auch auf eine nichteheliche Lebensgemeinschaft erweitert habe, sei zu berücksichtigen, dass das Familienprivileg dort greifen soll, weil der Versicherte bei Durchführung des Rückgriffs seitens der Versicherung im praktischen Ergebnis das, was er mit der einen Hand erhalten hat, mit der anderen wieder herausgeben müsste. Diese Situation sei vorliegend jedoch nicht gegeben. Die Geschädigte, Tochter der damaligen Lebensgefährtin des Beklagten, sei bereits im Zeitpunkt des streitgegenständlichen Ereignisses volljährig und erwerbstätig gewesen. Sie habe vollumfänglich für sich selbst gesorgt. Das Risiko, dass der Beklagte sie quasi wegen des erlittenen Unfalls hätte alimentieren müssen, habe zu keinem Zeitpunkt bestanden. Auch das Risiko, eine Störung des Familienfriedens hinnehmen zu müssen, sei nicht gegeben gewesen, weil der Beklagte eine Hunde-Haftpflichtversicherung unterhalten habe. Streitigkeiten über die Regulierung des Schadensfalles seien damit zu keinem Zeitpunkt zwischen der Zeugin ... und dem Beklagten auszutragen gewesen. Auch der Umstand, dass die Zeugin ... einen Anteil zur gemeinsamen Finanzierung der Wohnraummiete hinzugetragen habe, führe zu keinem abweichenden Ergebnis. Denn die Miete habe sie, da wirtschaftlich selbständig, in gleicher Weise vor und nach dem Eintritt des streitgegenständlichen Ereignisses mitbestreiten können.

31

Zudem müsse sich die Zeugin ... kein Mitverschulden entgegen halten lassen. Mit zutreffenden Gründen habe das Amtsgericht ein Mitverschulden der Zeugin ... verneint.

32

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Entscheidungsgründe

33

Die zulässige Berufung ist begründet.

1.

34

Das klagende Land hat keinen über den in Höhe von 712,25 € bereits in Rechtskraft erwachsenen Zahlungsanspruch hinausgehenden Anspruch.

35

Denn entgegen der Auffassung des Amtsgerichts gilt zugunsten des Beklagten der Rechtsgedanke des § 86 Abs. 3 VVG, wonach Angehörige einer häuslichen Gemeinschaft im Haftungsrecht besonders privilegiert sind.

36

Im Einzelnen gilt folgendes:

37

Werden Beamte körperlich verletzt, gesundheitlich geschädigt oder getötet, so geht gem. § 72 Abs. 1 S. 1 LBG RLP ein sich hieraus gegen einen Dritten ergebender gesetzlicher Schadensersatzanspruch dieser Personen insoweit auf den Dienstherrn über, als dieser während einer auf der gesundheitlichen Schädigung beruhenden Dienstunfähigkeit oder infolge der gesundheitlichen Schädigung oder der Tötung zu Leistungen verpflichtet ist.

38

Einem Anspruchsübergang auf das klagende Land nach § 72 Abs. 1 S. 1 LBG RLP steht aber der Rechtsgedanke des so genannten Privileg bei häuslicher Gemeinschaft gem. § 86 Abs. 3 VVG entgegen.

39

Die Vorschrift des § 86 Abs. 3 VVG schließt, von Vorsatztaten des Schädigers abgesehen, den Anspruchsübergang aus, wenn sich der Ersatzanspruch des Versicherungsnehmers gegen eine mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebenden Person richtet. Die generelle Geltung der Vorschrift ist nicht auf den Bereich der privaten Schadensversicherungen beschränkt. Wegen der im Wesentlichen gleichen Interessenlage und des sozialen Schutzzweckes gilt das Regressverbot des § 86 Abs. 3 VVG vielmehr entsprechend für den Rückgriff des Sozialversicherungsträgers (BGHZ 41, 79ff; 54, 256 ff) und den des Dienstherrn des Beamten (BGHZ 43, 72 ff), wobei die Geltung jener Vorschrift seitens des Rechtsprechung zunächst nur auf Familienangehörige i.S. des § 67 Abs. 2 VVG erstreckt wurde. Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 05.02.2013 (Az.: VI ZR 274/12; abgedruckt in VersR 2013, 520ff) im Rahmen des Sozialversicherungsrechtes das Regressprivileg des § 116 Abs. 6 S. 1 SGB X auch auf den Partner einer nicht ehelichen Lebensgemeinschaft erstreckt. Zur Begründung hat der Bundesgerichtshof (VersR 2013, 520, 522 Tz. 15 u. 18) Bezug genommen auf die Entscheidung zu § 67 Abs. 2 VVG a.F. (Urteil vom 22.04.2009, Az.: IV ZR 160/07 = BGH VersR 2009, 813 f) und angeführt, dass die analoge Anwendung des § 116 Abs. 6 S. 1 SGB X im Rahmen einer nicht ehelichen Lebensgemeinschaft geboten sei, da die nicht ehelichen Lebensgemeinschaft, für die gemeinsame Mittelaufbringung und -verwendung prägende Merkmale seien, die Inanspruchnahme des Partners den Versicherungsnehmer wirtschaftlich nicht minder treffe als in einer Ehe. Zudem könne der häusliche Friede zwischen Partnern nicht ehelicher Lebensgemeinschaften durch zwischen diesen auszutragende Streitigkeiten über die Verantwortung für Schadenszufügungen in gleicher Weise gestört werden wie bei Ehegatten. Auch der Gesetzgeber des im Jahr 2008 in Kraft getretenen VVG habe durch die Streichung des Erfordernisses der Familienangehörigkeit in § 86 Abs. 3 VVG n.F. zum Ausdruck gebracht, dass insoweit eine Änderung geboten gewesen sei; die Beschränkung auf Familienangehörige in häuslicher Gemeinschaft entspreche nicht mehr den heutigen gesellschaftlichen Verhältnissen.

40

Jene Überlegungen, die den Bundesgerichtshof zur Gleichbehandlung eines Partners einer nicht ehelichen Lebensgemeinschaft mit dem Ehegatten des Versicherungsnehmers veranlasst haben, sprechen aber gleichermaßen für die Gleichsetzung der Kinder eines Partners einer nicht ehelichen Lebensgemeinschaft, jedenfalls dann, wenn diese im Ergebnis die Voraussetzungen des § 86 Abs. 3 VVG erfüllen. Nach dem Normzweck kann es keinen wesentlichen Unterschied machen, ob der nicht eheliche Lebenspartner eines mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebenden Kindes seines Lebenspartners oder der in häuslicher Gemeinschaft mit ihm lebende Vater (quasi Stiefvater) zum Regress herangezogen würde. Diese Überlegungen haben Gesetzgeber dazu veranlasst, das „Familienprivileg“ in § 86 Abs. 3 VVG auf Personen erweitert, die bei Eintritt des Schadens mit dem Geschädigten in häuslicher Gemeinschaft leben.

41

Soweit das klagende Land meint, dass die hinter der Vorschrift des § 86 Abs. 3 VVG stehende Intension, nämlich die Vermeidung einer mittelbaren Belastung des Geschädigten infolge der Legalzession nach Abs. 1, nicht betroffen sei (vgl. zu diesem Schutzzweck BGHZ 41, 79; BGH VersR 1971, 901; 1988, 253; 2008, 634; 2009, 813; 2013, 520, 522), wird übersehen, dass im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses der Beklagte, dessen Lebensgefährtin und die Geschädigte Gesamtschuldner des von ihnen eingegangenen Wohnraummietvertrages waren und insoweit vorliegend die – zumindest theoretische – Möglichkeit bestand, dass dem Schädiger durch den Regress des klagenden Landes die Mittel zur Tilgung seines Beitrages zum Mietzins entzogen und somit die Geschädigte mittelbar finanziell belastet würde. Insoweit ist es ohne Bedeutung, dass die Geschädigte wirtschaftlich unabhängig ist und weder von dem Beklagten noch ihrer Mutter Unterhalt erhält, zumal es gleichgültig ist, ob im Einzelfall der Geschädigte tatsächlich belastet wird. Der Gesetzgeber unterstellt vielmehr in typisierender Betrachtungsweise eine Belastung des Geschädigten (Armbrüster in Prölss/Martin, VVG, 29. Aufl. 2015, § 86 Rdnr. 85). Deshalb gereicht es dem Beklagten auch nicht zum Nachteil, dass vorliegend eine Tierhalterhaftpflichtversicherung für diesen einzutreten hat (st. Rechtsprechung, vgl. nur BGHZ 41, 79).

42

Letztlich kann aber die Frage, ob dieser Normzweck vorliegend durch einen Regress beeinträchtigt würde, offen bleiben. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes dient die Erweiterung des Haftungsprivilegs auf Partner einer nicht ehelichen Lebensgemeinschaft auch dem Interesse des Geschädigten an der Erhaltung des Gemeinschaftsfriedens (BGH VersR, 2009, 813; 2013, 520, 522). So besteht die Gefahr, dass der häusliche Friede zwischen Partnern einer nicht ehelichen Lebensgemeinschaft durch zwischen diesen auszutragenden Streitigkeiten über die Verantwortung der Schadenszufügung in gleicher Weise gestört wird wie bei Ehegatten. Nicht anderes kann aber gelten im Verhältnis Schädiger und Kind seines Lebensgefährten. Dabei kann es auch keinen Unterschied machen, ob das Kind minder- oder volljährig ist. Entscheidend ist vielmehr, dass bei einer häuslichen Gemeinschaft, die gemeinsam mehrere Räume nutzten, gemeinsam wirtschaften und die Miete gemeinsam tragen, die begründete Gefahr besteht, dass durch einen Regress der Gemeinschaftsfrieden empfindlich gestört werden kann.

43

Ausgehend hiervon ist der in § 86 Abs. 3 VVG kodifizierte Rechtsgedanke auf den vorliegenden Fall zu übertragen.

44

Dabei ist es ohne Bedeutung, dass die häusliche Gemeinschaft inzwischen nicht mehr besteht. Denn maßgeblich für das Bestehen der häuslichen Gemeinschaft sind die Verhältnisse im Zeitpunkt des Schadenseintritts (Prölss/Martin, a.a.O. Rdnr. 94).

2.

45

Die Kostenentscheidung beruht auf den § 91 Abs. 1 ZPO (Kosten der Berufung) und § 92 Abs. 1 ZPO (Kosten der ersten Instanz).

46

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ist den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO entnommen.

47

Die Revision war gemäß § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Alt. 1 ZPO zur Fortbildung des Rechts zuzulassen. Soweit ersichtlich, ist die Frage, ob der in § 86 Abs. 3 VVG kodifizierte Rechtsgedanke auf die Regressvorschriften der Landesgesetze übertragbar ist - jedenfalls bei Schädigung eines im gemeinsamen Haushalt lebenden erwachsenen Kindes des Lebensgefährten des in Anspruch genommenen Schädigers -, in der Rechtsprechung nicht geklärt.

48

Beschluss

49

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 712,24 € festgesetzt.

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