|
|
| 1. Der Senat konnte verhandeln und entscheiden, obwohl die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen ist, da mit der ordnungsgemäßen, ausweislich der Postzustellungsurkunde am 16. Juni 2021 zugestellten Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen wurde (§ 110 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Formgültige Einverständniserklärungen beider Beteiligten zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung lagen bis zuletzt nicht vor. Die nach § 151 Abs. 1 und 2 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig, insbesondere statthaft gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 2 SGG. Denn die Klägerin wendet sich gegen die teilweise Rücknahme der Rentenbewilligung und Erstattung überzahlter Leistungen für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr. |
|
| 2. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist das Begehren der Klägerin auf Kassation der teilweisen Rücknahme des ursprünglich geregelten Anspruchs auf den monatlichen Auszahlungsbetrag der Witwenrente wegen Anrechnung der niederländischen AOW-Leistung (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 27. Mai 2014 – B 5 R 6/13 R – juris, Rn. 12 m.w.N.). Denn die Anrechnung von Einkommen nach § 97 SGB VI lässt das (Stamm-)Recht der Klägerin auf große Witwenrente mit dem festgestellten Wert unberührt und mindert diesen nicht; die Vorschrift nimmt auf die wertbestimmenden Faktoren der Rente keinen Einfluss. Weder die Zahl der Entgeltpunkte noch der Rentenartfaktor noch der aktuelle Rentenwert sind von der Regelung des § 97 SGB VI im Sinne einer Einschränkung (Verminderung) betroffen. Die Regelung beschränkt sich darauf, dass – bei gleichbleibendem Wert des Rechts auf Witwenrente – derjenige Betrag reduziert wird, dessen monatliche Auszahlung die Klägerin verlangen kann, d.h. sie schmälert bzw. beseitigt deren Recht, die Auszahlung des monatlichen Betrags zu verlangen (§ 194 Abs 1 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]), mit dem der Wert der Rente festgestellt wurde. |
|
| Nur insoweit und beschränkt auf die Anrechnung der AOW-Leistung focht die Klägerin den Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 20. Februar 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Juli 2019 (§ 95 SGG), mit dem die Beklagte mehrere (Teil-)Regelungen, also mehrere Verwaltungsakte i.S. des § 31 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) traf (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 25. Februar 2016 – L 10 R 1154/15 – juris, Rn. 17), mit ihrer Klage an. Neben der Regelung von Rentenart, Rentenbeginn und der Höhe der monatlichen Brutto-Rente sowie der Erhebung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung und deren Einbehalt – hier allesamt von der Klägerin nicht angefochten – enthält der Bescheid auch eine Regelung über die Höhe der auf die Witwenrente anzurechnenden AOW-Leistungen. Nur gegen letztere Verfügung wendet sich die Klägerin. Dies ergibt sich aus dem in der Klagebegründung formulierten Antrag auf „Teilaufhebung“ dieser Bescheide „bezüglich der Anrechnung einer niederländischen Leistung nach dem allgemeinen Altersgesetz (AOW)“. Gegen die weiteren (Teil-)Regelungen dieser Bescheide wandte sie sich nicht. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Rücknahme der Regelung des Auszahlungsbetrags, soweit diese auf der Anrechnung des Arbeitsentgelts aus der geringfügigen Beschäftigung beruhte. Dies spiegelt sich auch in dem in der mündlichen Verhandlung vor dem SG gestellten, von der Klägerin genehmigten Antrag wider, die genannten Bescheide dahingehend abzuändern, dass lediglich noch eine Anrechnung ihres Einkommens aus geringfügiger Beschäftigung erfolgt. Auch in der Berufungsschrift bestätigte die Klägerin, ausdrücklich eine Teilaufhebung bezüglich der Anrechnung der AOW-Leistung beantragt zu haben. |
|
| Der Bescheid vom 17. April 2020 regelte das anzurechnende Einkommen ab 1. Juli 2019 unter Berücksichtigung einer erhöhten AOW-Leistung neu auf 241,28 EUR (berücksichtigte AOW-Leistung 283,15 EUR) sowie ab dem 16. August 2019 wegen Wegfall des Arbeitsentgelts aus geringfügiger Beschäftigung auf 57,95 EUR (berücksichtigte AOW-Leistung weiterhin 283,15 EUR) und ersetzte damit insoweit ab dem 1. Juli 2019 die im Bescheid vom 20. Februar 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Juli 2019 getroffene Regelung über die Höhe des monatlichen Auszahlungsbetrags der Witwenrente. Insoweit ist dieser Bescheid nach § 96 Abs. 1 SGG kraft Gesetzes Gegenstand des laufenden Klageverfahrens geworden. Da das SG diesen Bescheid nicht einbezogen hat, hat der Senat im Berufungsverfahren die Entscheidung über diesen nachzuholen (BSG, Urteil vom 20. Dezember 2012 – B 10 EG 19/11 R – juris, Rn. 17; B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 96 Rn. 12), soweit er an die Stelle der ursprünglich angefochtenen Regelung getreten ist. |
|
| Der während des Berufungsverfahrens ergangene Bescheid vom 6. Juli 2021 hat seinerseits den Anrechnungsbetrag (ab 1. Juli 2020 auf 54,86 EUR, dabei berücksichtigte AOW-Leistung 280,17 EUR; ab 1. Juli 2021 auf 57,41 EUR; dabei berücksichtigte AOW-Leistung 286,56 EUR) abgeändert, so dass er gemäß §§ 153 Abs. 1, 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Verfahrens vor dem Senat geworden ist, der insoweit nicht auf Berufung, sondern auf Klage zu entscheiden hat (BSG, Urteile vom 8. Oktober 2019 – B 12 KR 8/19 R – juris, Rn. 13 und vom 26. Mai 2011 – B 10 EG 12/10 R – juris, Rn. 17; B. Schmidt, a.a.O., § 96 Rn. 7 m.w.N.). |
|
| Nicht Gegenstand des Verfahrens sind die jährlichen Rentenanpassungen. Diese stellen lediglich die wertmäßige Fortschreibung bereits zuerkannter Rentenrechte nach § 65 SGB VI dar. Danach werden zum 1. Juli eines jeden Jahres die Renten angepasst, indem der bisherige aktuelle Rentenwert durch den neuen aktuellen Rentenwert ersetzt wird. Die Rentenanpassung beinhaltet lediglich die zukunftsgerichtete und begünstigende isolierte Ersetzung der im bisherigen Bescheid zugleich enthaltenen Höchstbegrenzung der monatlichen Rentenansprüche aufgrund der Neuberechnung in einem generell festgelegten Modus (BSG, Urteil vom 23. März 1999 – B 4 RA 41/98 R – juris, Rn. 24). |
|
| 3. Die Berufung ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die teilweise Rücknahme des ursprünglich bewilligten Auszahlungsbetrages der Witwenrente und die Regelung der Erstattung überzahlter Leistungen durch den Bescheid vom 20. Februar 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Juli 2019 sowie dessen Änderungen ab 1. Juli und 16. August 2019 durch den Bescheid vom 17. April 2020 sowie ab 1. Juli 2020 und 1. Juli 2021 durch Bescheid vom 6. Juli 2021 sind im angefochtenen Umfange (Anrechnung der niederländischen AOW-Leistung) rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. |
|
| a) Die Entscheidungen der Beklagten über die Aufhebung des im Bescheid vom 3. März 2017 mit 0,00 EUR geregelten Anrechnungsbetrages („Das Einkommen wirkt sich auf die Rente nicht aus“) und dessen Neufestsetzung für die Zeit ab dem 1. Mai 2017 im Bescheid vom 20. Februar 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Juli 2019 hat die Klägerin nach dem Inhalt ihres Begehrens vor dem SG mit zwei isolierten Anfechtungsklagen (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Regelung 1 SGG; Aufhebung des früheren Anrechnungsbetrags einerseits und Neufestsetzung andererseits) angegriffen (BSG, Urteil vom 27. Mai 2014 – B 5 R 6/13 R – juris, Rn. 15). |
|
| Hinsichtlich des Anrechnungsbetrages nahm die Beklagte im Bescheid vom 20. Februar 2019 („Berechnung Ihrer Rente“, Seite 3) zunächst den früheren Bescheid vom 3. März 2017 „hinsichtlich der Rentenhöhe ab 1. Februar 2017 [hierzu unter c) aa) (1) (a)] nach § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X)“ zurück. Damit beseitigte sie nach dem hinter dieser Erklärung stehenden „wirklichen Willen“ (§ 133 BGB) durch den Erlass eines (neuen) Verwaltungsakts als actus contrarius die Wirksamkeit (§ 39 Abs. 2 SGB X) des bisherigen (alten) Verwaltungsaktes (§ 31 Satz 1 SGB X) über den Anrechnungsbetrag im Rentenbescheid vom 3. März 2017 vollständig. Zugleich setzte sie den Anrechnungsbetrag nunmehr unter Berücksichtigung nicht nur der deutschen Versichertenrente, sondern auch des Arbeitsentgelts und der AOW-Leistung durch weiteren Verwaltungsakt ab dem 1. Mai 2017 auf 230,63 EUR, ab 1. Juli 2017 auf 230,26 EUR sowie ab 1. Juli 2018 auf 230,05 EUR (neu) fest (vgl. BSG, a.a.O., Rn. 14). Die weiteren Änderungen für spätere Zeiträume durch die Bescheide vom 17. April 2020 und 6. Juni 2021 werden aufgrund der gesetzlichen Einbeziehung nach § 96 Abs. 1 (i.V.m. § 153 Abs. 1) SGG von der Anfechtungsklage erfasst. |
|
| Die auf die Anrechnung der AOW-Leistung beschränkte Teilanfechtung ist schon nach dem Wortlaut von § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG, der ausdrücklich auch die Abänderung eines Verwaltungsakts als mit der Gestaltungsklage verfolgbares Begehren benennt, statthaft und erlaubt es der Klägerin als Ausdruck der Dispositionsmaxime, den Prüfungsumfang des Gerichts von sich aus zu begrenzen. Als zahlenmäßig abgrenzbarer Teil der Entscheidung liegt eine Teilbarkeit als Voraussetzung für eine zulässige Teilanfechtung vor. |
|
| b) Die angefochtenen Bescheide sind nicht schon wegen fehlender Anhörung (vgl. § 24 Abs. 1 SGB X) rechtswidrig. |
|
| Vor Erlass des Bescheides vom 20. Februar 2019 hörte die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 27. September 2018 zur beabsichtigten Rücknahme des Bewilligungsbescheides vom 3. März 2017 ab dem 1. Februar 2017 wegen des Bezugs von Einkommen aus geringfügiger Beschäftigung und der von SVB gewährten Rente und die beabsichtigte Rückforderung der seit dem 1. Mai 2017 eingetretenen Überzahlung an. Beide Einkommen seien auf die Hinterbliebenenrente anzurechnen, so dass sich ein erhöhter „Ruhensbetrag“ in der Witwenrente ergebe. Damit brachte sie ausreichend deutlich zum Ausdruck, dass die Witwenrente nicht mehr in der bisherigen Höhe ausgezahlt werde. Ausdrücklich wies sie darauf hin, dass der mitgeteilte Erstattungsbetrag sich bei weiterer Rentengewährung noch erhöhen werde. Das Anhörungsschreiben enthielt zwar keinen Hinweis auf die Rücknahmevoraussetzungen des § 45 Abs. 2 SGB X. Diese, insbesondere die Voraussetzung einer subjektiven Vorwerfbarkeit, waren aber im Bescheid vom 20. Februar 2019 ausführlich wiedergegeben, verbunden mit der Feststellung, dass sie nach Auffassung der Beklagten bei der Klägerin vorgelegen hätten. Damit waren der Klägerin in dem angefochtenen Bescheid die wesentlichen aus Sicht der Beklagten entscheidungserheblichen Gesichtspunkte mitgeteilt worden und sie hatte Gelegenheit zur sachgerechten Äußerung im Widerspruchsverfahren erhalten (hierzu Franz, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, Stand Dezember 2017, § 24 SGB X Rn. 65 m.w.N.). |
|
| c) Die Beklagte hat den Bescheid vom 3. März 2017 zu Recht hinsichtlich des geregelten Auszahlungsbetrages der Witwenrente bzw. des Anrechnungsbetrages teilweise zurückgenommen. |
|
| Rechtsgrundlage für die Rücknahmeentscheidung ist § 45 Abs. 1 SGB X. Danach gilt: Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, darf er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. |
|
| aa) Der u.a. die Höhe des monatlichen Auszahlungsbetrages der Witwenrente regelnde und damit begünstigende Bescheid vom 3. März 2017 war hinsichtlich der genannten Regelung von Anfang an rechtswidrig. Denn er hätte wegen der Anrechnung von Einkommen, insbesondere der AOW-Leistung, hinsichtlich des Auszahlungsbetrages nicht wie erlassen ergehen dürfen. |
|
| (1) Zu Recht hat die Beklagte neben der Altersrente aus eigener Versicherung und dem Arbeitsentgelt aus der geringfügigen Beschäftigung (bis 15. August 2019) auch die AOW-Leistung der Klägerin auf den Auszahlungsbetrag der Witwenrente angerechnet. |
|
| Nach § 97 Abs. 1 SGB VI wird Einkommen (§ 18a SGB IV) von Berechtigten, das mit einer Witwenrente, Witwerrente oder Erziehungsrente zusammentrifft, hierauf angerechnet. Dies gilt nicht bei Witwenrenten oder Witwerrenten, solange deren Rentenartfaktor mindestens 1,0 beträgt. |
|
| (a) Nach § 67 Satz 1 Nr. 7 SGB VI beträgt der Rentenartfaktor bei großen Witwenrenten nur bis zum Ablauf des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats, in dem der Ehegatte verstorben ist, 1,0, anschließend 0,55 bzw. bei der Klägerin gemäß § 255 Abs. 1 SGB VI 0,6. Da der Ehemann der Klägerin am 5. Januar 2017 verstarb, betrug der Rentenartfaktor ihrer großen Witwenrente bis zum 30. April 2017 1,0. Eine Anrechnung von Einkommen durfte daher erst ab dem 1. Mai 2017 erfolgen (§ 97 Abs. 1 Satz 2 SGB VI). Dies hat die Beklagte im Bescheid vom 20. Februar 2019 beachtet. Dies entnimmt der Senat der Anlage „Berechnung der Rente“ zu diesem Bescheid. Danach wurde für die Zeit ab dem 1. Februar 2017 kein Einkommen angerechnet (monatliche Rentenhöhe 1.596,49 EUR brutto; Seite 1 der Anlage). Dementsprechend wurde ab diesem Zeitpunkt auch keine Überzahlung berechnet (Seite 4 der Anlage). Die Anrechnung erfolgte tatsächlich erst ab dem 1. Mai 2017 in Höhe von zunächst 230,63 EUR (Seite 1 der Anlage). Die im Bescheidtext genannte Rücknahme bereits „ab dem 1. Februar 2017“ entsprach nicht dem wirklichen (vgl. § 133 BGB) Regelungswillen der Beklagten und geht daher in Leere. Denn eine Änderung des Auszahlungsbetrages ab diesem Zeitpunkt wurde tatsächlich nicht umgesetzt. Dies hat die Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 4. Juli 2019 ausdrücklich klargestellt. |
|
| (b) Die AOW-Leistung stellt entgegen der Ansicht der Klägerin ein anzurechnendes Einkommen i.S. des § 97 Abs. 1 SGB VI dar. |
|
| Nach § 18a Abs. 1 SGB IV (in der ab dem 1. Januar 2017 geltenden Fassung des Art. 1 Nr. 2 Sechstes Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze [6. SGB IV-Änderungsgesetz – 6. SGB IV-ÄndG] vom 11. November 2016, BGBl. I, S. 2500) sind bei Renten wegen Todes als Einkommen zu berücksichtigen u.a. (1.) Erwerbseinkommen und (2.) Leistungen, die erbracht werden, um Erwerbseinkommen zu ersetzen (Erwerbsersatzeinkommen). Nicht zu berücksichtigen sind nach Satz 2 (1.) Arbeitsentgelt, das eine Pflegeperson von dem Pflegebedürftigen erhält, wenn das Entgelt das dem Umfang der Pflegetätigkeit entsprechende Pflegegeld nach § 37 Elftes Buch Sozialgesetzbuch nicht übersteigt, (2.) Einnahmen aus Altersvorsorgeverträgen, soweit sie nach § 10a oder Abschnitt XI des Einkommensteuergesetzes gefördert worden sind, (3.) Renten nach § 3 Nummer 8a des Einkommensteuergesetzes (EStG) und (4.) Arbeitsentgelt, das ein behinderter Mensch von einem Träger einer in § 1 Satz 1 Nummer 2 SGB VI genannten Einrichtung erhält. Die Sätze 1 und 2 gelten auch für vergleichbare ausländische Einkommen (Satz 3). Nach Abs. 3 Satz 1 sind Erwerbsersatzeinkommen im Sinne des Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 u.a. (Nr. 2.) Renten der Rentenversicherung wegen Alters oder verminderter Erwerbsfähigkeit. |
|
| (aa) Maßgebend für die Beurteilung, ob ein vergleichbares ausländisches Einkommen heranzuziehen oder nach § 18a Abs. 1 Satz 2 SGB IV nicht anzurechnen ist, sind die deutschen Rechtsvorschriften, d.h. das einschlägige deutsche Sozialversicherungsrecht i.V.m. dem deutschen Einkommensteuerrecht. Dem deutschen Erwerbs-, Erwerbsersatz- und Vermögenseinkommen vergleichbares ausländisches Einkommen wird bezogen, wenn das ausländische Einkommen den typischen Merkmalen des inländischen Einkommens entspricht, d.h. nach Art und Funktion gleichwertig ist. Dabei müssen bei den jeweiligen Einkommensarten nicht alle Tatbestandsvoraussetzungen des deutschen Rechts erfüllt sein. Es genügt, wenn das im Ausland bezogene Einkommen in seinem Kerngehalt den gemeinsamen und typischen Merkmalen der inländischen Einkommen entspricht, also den Essentialia der nationalen Norm im Sinne deren Funktion und Struktur nach nationalem Verständnis (BSG, Urteile vom 6. Februar 1991 – 13/5 RJ 15/89 – juris, Rn. 17 ff. und vom 30. November 2016 – B 12 KR 22/14 R – juris, Rn. 39; Fattler, in: Hauck/Noftz, SGB IV, Stand Mai 2018, § 18a Rn. 16, 17 m.w.N.). |
|
| Es muss sich um eine Leistung aus einem System gesetzlicher Rentenversicherung handeln. Dieses System muss auf öffentlich-rechtlicher Pflichtzugehörigkeit beruhen, wiederkehrende Leistungen für den Fall der vorzeitigen Minderung der Erwerbsfähigkeit, des Alters und des Todes vorsehen und darf kein reines Zusatzversorgungssystem darstellen (BSG, Urteil vom 6. Februar 1991 – 13/5 RJ 15/89 – juris, Rn. 18). Die ausländische Leistung muss an das Erreichen einer bestimmten Altersgrenze anknüpfen (BSG, Urteil vom 30. November 2016 – B 12 KR 22/14 R – juris, Rn. 40). Schon aus dem Begriff des „Erwerbsersatzeinkommens“ ergibt sich die Voraussetzungen einer Leistung, die aufgrund oder in entsprechender Anwendung öffentlich-rechtlicher Vorschriften erbracht wird, um Erwerbseinkommen zu ersetzen. Die in § 18a Abs. 3 Satz 1 Nrn. 2 und 3 SGB IV genannten Beispiele zeigen, dass nicht alle Geldleistungen aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung Erwerbsersatzeinkommen in diesem Sinne darstellen, sondern nur diejenigen, die aus eigener Versicherung erworben worden sind, sog. Versichertenrenten. Versichertenrenten sind regelmäßig wiederkehrende Geldleistungen an Versicherte, bei denen ein Versicherungsfall (Berufsunfähigkeit, Erwerbsunfähigkeit, Alter) eingetreten ist und die abstrakte Lohnersatzfunktion haben, d.h. die in funktionellem Zusammenhang mit dem früheren Erwerbseinkommen stehen. Davon zu unterscheiden sind die Hinterbliebenenrenten. Die Hinterbliebenenrenten sind auf Beiträgen des verstorbenen Versicherten beruhende, aus seiner versicherungsrechtlichen Position abgeleitete Renten, die an dessen Ehegatten oder/und an dessen Kinder gezahlt werden. Die Hinterbliebenenrenten haben daher nicht Erwerbsersatzfunktion (sie treten nicht anstelle von Erwerbseinkommen), sondern Unterhaltsersatzfunktion, d.h. sie sollen den Ausfall von familienrechtlichen Unterhaltsleistungen ersetzen (BSG, Urteil vom 6. Februar 1991 – 13/5 RJ 15/89 – juris, Rn. 19). |
|
| (bb) Ausgangspunkt für die rechtliche Bewertung sind die im Folgenden dargestellten Umstände, die der Senat aufgrund des Gesamtinhalts des Verfahrens, insbesondere der Beschreibung der AOW-Leistung auf der Webseite SVB (in deutscher Version; www.svb.nl/de/aow-leistung) sowie die Feststellungen zu dieser Leistung in dem auch von der Klägerin angeführten Beschluss des BGH vom 6. Februar 2008 (XII ZB 66/07 – juris, Rn. 27 ff.) und den Schlussanträgen des Generalanwalts/der Generalanwältin beim EuGH vom 27. April 1994 (C-7/93 – juris) sowie der Angaben der Klägerin und der von ihr vorgelegten Unterlagen (insbesondere Leistungsübersicht der AOW; Schreiben der MITT) feststellt. Hierauf hat der Berichterstatter die Beteiligten im Erörterungstermin vom 25. Juni 2021 hingewiesen. Die tatsächlichen Angaben der Klägerin stimmen mit den Darstellungen in den anderen Quellen in der Sache überein. Nicht maßgeblich sind insoweit nur ihre hieraus gezogenen rechtlichen Bewertungen. |
|
| Die AOW stellt als Grundrente (vgl. die Bezeichnung der SVB auf deren Website) die erste Säule der niederländischen Alterssicherung dar neben der betrieblichen Altersversorgung, den von der Klägerin genannten, von Arbeitgebern und Arbeitnehmern finanzierten bedrijfstakpensoenfonds, und der privaten Altersvorsorge. Eingeführt wurde sie mit Wirkung vom 1. Januar 1957. In dieser Volksversicherung der AOW sind grundsätzlich alle Personen mit Wohnsitz in den Niederlanden pflichtversichert, sofern sie nicht gleichzeitig in einem anderen Staat beschäftigt sind. Auf ihre Staatsangehörigkeit oder ihr Einkommen kommt es dabei nicht an. Zusätzlich sind Einwohner anderer Staaten versichert, die wegen ihrer in den Niederlanden geleisteten Berufstätigkeit dort der Lohnsteuerpflicht unterliegen. Alle berufstätigen Pflichtversicherten zahlen in den beiden niedrigsten Lohnsteuerstufen neben einem geringen Steuersatz einen Beitrag für die Volksversicherungen (Altersgeld, Hinterbliebenenrente und Krankenversicherung), wovon ein bestimmter Prozentsatz auf die AOW-Pension entfällt. In den folgenden Steuerklassen ist dieser Beitrag im Steuertarif enthalten. Die Volksversicherungen sichern einen einheitlichen sozialen Mindestbedarf i.S. einer Grundversorgung, auf die andere kollektive und/oder private Versorgungen aufgebaut werden können. Die AOW-Pension wird auf der Grundlage des Existenzminimums festgesetzt, und sie verfolgt das Ziel, alle älteren Einwohner vor Bedürftigkeit zu schützen. Sie konnte grundsätzlich mit Vollendung des 65. Lebensjahres beantragt werden (bei mittlerweile steigendem Eintrittsalter in Abhängigkeit des Geburtsdatums) und wird aufgrund einer Höchstversicherungszeit von 50 Jahren berechnet. Ein Zusammenhang zwischen dem bei Berufstätigkeit geschuldeten Beitrag und der späteren Rentenleistung besteht nicht. Die Höhe der AOW-Pension hängt vielmehr von der Dauer der Versicherungszeit ab. Je Versicherungsjahr erhält der Versicherte 2 % der vollen AOW-Pension, die mit einem volldynamischen Festbetrag für Alleinstehende, Alleinstehende mit Kindern oder Verheiratete bemessen wird. Mit Wirkung vom 1. April 1985 wurde die Regelung, dass eine verheiratete Frau keinen eigenen Anspruch auf die allgemeine Rente hatte, beseitigt. Die AOW-Leistung umfasst neben der Rente auch die monatliche AOW-Einkommensergänzung, die jeder zusätzlich zur AOW-Rente erhält, gegebenenfalls anteilig entsprechend dem Anteil der aufgebauten AOW-Rente (vgl. Leistungsübersicht der SVB, Bl. 73/75 der Verwaltungsakten, Band 2) sowie das Urlaubsgeld, das monatlich aufgebaut und im Mai eines Jahres ausgezahlt wird. |
|
| (cc) Vor dem Hintergrund der getroffenen Feststellungen ist der Senat unter Berücksichtigung der aufgezeigten rechtlichen Maßstäbe zu der Überzeugung gelangt, dass die von der Klägerin bezogene AOW-Leistung in vollem Umfange ein ausländisches Erwerbsersatzeinkommen i.S. des § 18a Abs. 1 Satz Nr. 2, Satz 3, Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB IV darstellt. |
|
| Die AOW-Leistung stellt eine Leistung aus einem System gesetzlicher Rentenversicherung dar. Dieses System beruht nach den obigen Feststellungen auf einer öffentlich-rechtlichen Pflichtzugehörigkeit. In der AOW sind grundsätzlich alle Personen mit Wohnsitz in den Niederlanden pflichtversichert, sofern sie nicht gleichzeitig in einem anderen Staat beschäftigt sind. Die Zugehörigkeit wird also nicht durch (privatrechtlichen) Vertrag auf freiwilliger Basis begründet, sondern kraft Gesetzes allein aufgrund des Wohnsitzes in den Niederlanden. Das niederländische AOW sieht – wie die deutsche gesetzliche Rentenversicherung – eine Pflichtmitgliedschaft vor (vgl. BHG, Beschluss vom 6. Februar 2008 – XII ZB 66/07 – juris, Rn. 41). Da es maßgeblich auf das generelle System ankommt, ist der individuelle Rechtserwerb nicht entscheidend. Dies zeigt sich schon daran, dass auch die gesetzliche Rentenversicherung in Deutschland zwar grundsätzlich auf einer Versicherungspflicht (vgl. §§ 1 bis 4 SGB VI) beruht, aber gleichwohl freiwillige Versicherungen (§ 7 SGB VI) zulässt. Das Vorbringen der Klägerin, sie habe nicht der Versicherungspflicht unterlegen, sondern ab Einführung der AOW zum 1. Januar 1957 in die AOW-Leistung freiwillig Beträge (bis 27. August 1960) eingezahlt, ist daher rechtlich nicht relevant. Im Übrigen werden diese Zeiten der Klägerin im niederländischen System ausdrücklich als Versicherungszeit, die davorliegenden Zeiten vom 6. Juni 1949 bis 31. Dezember 1956 als „gleichgestellte Versicherungszeit“ geführt. Dies entnimmt der Senat der vorgelegten SVB-Leistungsauskunft vom 2. September 2019. Unabhängig von ihrem Entstehungstatbestand sind diese rentenrechtlichen Zeiten in das auf Versicherungspflicht beruhende Rentensystem der Niederlande integriert und zur Grundlage der aus diesem System gewährten Leistung geworden. |
|
| Das System des AOW erbringt wiederkehrende Leistungen, wie aus den an die Klägerin erbrachten Leistungen ohne Weiteres ersichtlich ist. Dies gilt auch für das sog. Urlaubsgeld, das monatlich aufgebaut und im Mai eines Jahres ausgezahlt wird. |
|
| Diese wiederkehrenden Leistungen werden nach dem AOW für den Fall des Alters (Versicherungsfall) erbracht. Dies ergibt sich aus dem vorgesehenen Eintrittsalter von mindestens 65. Lebensjahren. Es handelt sich mithin um eine Leistung mit Eintritt in das Rentenalter zur Alterssicherung (vgl. BGH, a.a.O.; Schlussanträge des Generalanwalts/der Generalanwältin beim EuGH, a.a.O.). Nicht entscheidend ist vorliegend, dass das AOW damit im Wesentlichen nur den Versicherungsfall des Alters, nicht aber den der vorzeitigen Minderung der Erwerbsfähigkeit und des Todes absichert. Das AOW ist (als 1. Säule) nur ein Teil des niederländischen Rentensystems. Es ist daher unschädlich, dass die Absicherung der genannten anderen Versicherungsfälle durch Einrichtungen der anderen Säulen erfolgt. Es handelt sich auch nicht um ein reines Zusatzversorgungssystem. Zwar verfolgt die niederländische Volksversicherung mit dem AOW den Zweck einer Sicherung des Sozialminimums. Damit handelt es sich aber lediglich um eine Säule der Altersvorsorge, die nicht getrennt von anderen – darauf aufbauenden – Rentenanwartschaften bewertet werden kann (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 41). Die AOW-Pension ist die Grundlage, auf die andere Leistungen aufgebaut werden können; sie ist damit gerade keine Zusatzversorgung (vgl. die Bezeichnung als Grundrente durch die SVB). |
|
| Die AOW-Leistung stellt keine existenzsichernde Fürsorgeleistung etwa i.S. der deutschen Grundsicherung im Alter nach dem SGB XII dar. Sie wird nicht nur subsidiär erbracht, sondern wegen des erworbenen subjektiven Anspruchs unabhängig von einer Bedürftigkeit des Rentenberechtigten bewilligt. Der Versicherte erwirbt Anwartschaften, die in Rechtspositionen erwachsen. Die Höhe der Leistung richtet sich nicht nach der jeweiligen Bedürftigkeit, sondern nach der individuell zurückgelegten Versicherungszeit. Dies gilt nach der vorgelegten Leistungsübersicht der SVB (Bl. 73/75 der Verwaltungsakten, Band 2) auch für die AOW-Einkommensergänzung sowie das Urlaubsgeld. |
|
| Entgegen der Ansicht der Klägerin kommt der AOW-Leistung auch die Funktion eines Erwerbsersatzeinkommens zu. Dem steht nicht entgegen, dass die Leistung sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach von früheren beruflichen Tätigkeiten oder früher erzielten Erwerbseinkommen unabhängig und lediglich an die Dauer der Wohnzeiten anknüpft (a.A. LSG Hamburg, Urteil vom 30. Januar 2008 – L 1 R 30/08 – juris, Rn. 23 zur kanadischen OAS-Rente). Maßgeblich ist insoweit eine „abstrakte Lohnersatzfunktion“, die der Abgrenzung nicht anzurechnender Leistungen mit Unterhaltsersatzfunktion (z.B. Hinterbliebenenrenten) dient (BSG, Urteil vom 6. Februar 1991 – 13/5 RJ 15/89 – juris, Rn. 19). Die AOW-Leistung wird wegen und ab Eintritt ins Rentenalter gewährt. Sie knüpft damit – typisierend – an den hierdurch bedingten Verlust des eigenen Erwerbseinkommens bzw. der Möglichkeit, solches zu erzielen, an. Sie beruht auf einem eigenen Recht des Berechtigten aus eigener Versicherung und stellt damit keinen Ersatz für den weggefallenen Unterhalt des Ehegatten o.ä. dar. Im Übrigen können auch in der deutschen Rentenversicherung Rechte auf Altersrenten ohne Bezug zu einer früheren Erwerbstätigkeit erworben werden, z.B. durch Kindererziehungszeiten (vgl. §§ 3 Satz 1 Nr. 1, 55, 56 SGB VI). Dabei handelt es sich nicht um einen atypischen Ausnahmefall, sondern um einen gesetzlich normierten und damit in die Konzeption der gesetzlichen Rentenversicherung einbezogenen Versicherungstatbestand. |
|
| Auch wenn die Leistungen nach dem AOW weder dem Grunde noch der Höhe nach von einer Beitragszahlung abhängen, liegt ihnen dennoch das Versicherungsprinzip zugrunde. Sie werden durch die Zurücklegung von Versicherungszeiten erdient. Denn für jedes Jahr mit Aufenthalt in den Niederlanden zwischen dem 15. und dem 65. Lebensjahr, bzw. den erhöhten Eintrittsalter wird ein Satz von 2 % des vollen Betrages der AOW-Pension erdient. Die Höhe der Pension ist also von den individuellen Versicherungsjahren abhängig. Die gesetzliche Grundrente wird des Weiteren überwiegend aus Beiträgen finanziert, die je nach Steuerklasse entweder neben dem Steuersatz zu zahlen oder in diesem enthalten sind. |
|
| Die AOW-Leistung ist nicht den nach § 18a Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Satz 3 SGB IV Einkommen zuzurechnen, deren Anrechnung auf die Witwenrente zu unterbleiben hat. Es handelt sich nicht um Einnahmen aus Altersvorsorgeverträgen (Satz 2 Nr. 2). Dies ergibt sich bereits aus den Feststellungen zur Rechtsnatur als Leistung des öffentlich-rechtlichen Rentenversicherungssystems mit Versicherungspflicht. Die in Satz 2 Nr. 3 genannten Renten nach § 3 Nr. 8a EStG erfassen Renten wegen Alters und Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit aus der gesetzlichen Rentenversicherung, die an Verfolgte im Sinne des § 1 des Bundesentschädigungsgesetzes gezahlt werden, wenn rentenrechtliche Zeiten auf Grund der Verfolgung in der Rente enthalten sind sowie Renten wegen Todes aus der gesetzlichen Rentenversicherung, wenn der verstorbene Versicherte Verfolgter im Sinne des § 1 des Bundesentschädigungsgesetzes war und wenn rentenrechtliche Zeiten auf Grund der Verfolgung in dieser Rente enthalten sind. Solche oder vergleichbare Entschädigungselemente enthält die AOW-Leistung nicht. Satz 2 Nr. 1 und 4 erfassen hier nicht einschlägiges Arbeitsentgelt. |
|
| Wie bereits das SG zutreffend ausgeführt hat, liegt eine europarechtswidrige Diskriminierung nicht vor, da die Klägerin nicht wegen ihrer niederländischen Staatsangehörigkeit in Deutschland gegenüber Inländern ungleich behandelt wird. § 18a Abs. 1 Satz 3 SGB IV stellt gerade sicher, dass eine ausländische Leistung nur dann berücksichtigt wird, wenn sie mit einer anzurechnenden inländischen Leistung vergleichbar ist. Die Vorschrift sichert also die Gleichbehandlung. Nicht maßgeblich ist, ob in den Niederlanden nach dem dort geltenden nationalen Recht eine Anrechnung erfolgen würde. |
|
| (2) Die Beklagte hat die Höhe des Anrechnungsbetrages im Bescheid vom 20. Februar 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Juli 2019 ab dem 1. Mai 2017 zutreffend berechnet. |
|
| Maßgebend ist das für denselben Zeitraum erzielte monatliche Einkommen. Mehrere zu berücksichtigende Einkommen sind zusammenzurechnen (§ 18b Abs. 1 Satz 1und 2 SGB IV), hier mithin die Versichertenrente aus der deutschen Rentenversicherung, das Arbeitsentgelt aus geringfügiger Beschäftigung sowie die AOW-Leistung. |
|
| Das Arbeitsentgelt aus geringfügiger Beschäftigung in Höhe von 450,00 EUR monatlich hat die Beklagte zutreffend nach § 18b Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 Halbs. 2 SGB IV i.V.m. § 172 Abs. 3 SGB VI ungekürzt in die Berechnung einbezogen. |
|
| Bei Erwerbsersatzeinkommen nach § 18a Absatz 3 Satz 1 Nr. 2 bis 10 SGB IV – hier Nr. 2 (Renten der Rentenversicherung wegen Alters) – gilt als monatliches Einkommen im Sinne von Abs. 1 Satz 1 das laufende Einkommen; jährliche Sonderzuwendungen sind beim laufenden Einkommen mit einem Zwölftel zu berücksichtigen (§ 18b Abs. 4 SGB IV). Das monatliche Einkommen ist nach § 18b Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 SGB IV bei Leistungen nach § 18a Abs. 3 Satz 1 Nummer 2 um 13 vom Hundert bei Leistungsbeginn vor dem Jahre 2011 und um 14 vom Hundert bei Leistungsbeginn nach dem Jahre 2010 zu kürzen. Ausländisches Einkommen ist so zu behandeln wie inländisches Einkommen. Hier kommt es wie bei § 18a SGB IV auf die Vergleichbarkeit zwischen den in- und ausländischen Einkommen an. Entscheidend dafür, welche Abzüge für das jeweilige ausländische Bruttoeinkommen maßgebend sind, sind Art und Funktion des Einkommens; hier erfolgt der Abgleich mit den typischen Merkmalen des inländischen Einkommens (Paulus in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IV, 3. Aufl., Stand März 2016 § 18b Rn. 54). |
|
| Zutreffend hat die Beklagte im Bescheid vom 20. Februar 2019 die monatlichen Beträge der Versichertenrente aus der deutschen Rentenversicherung sowie die AOW-Leistung als ausländischen Rente wegen Alters um jeweils 13 % gekürzt. Ebenfalls zutreffend hat sie das im Mai jährlich ausgezahlte Urlaubsgeld der AOW-Leistung mit einem Zwölftel dem monatlichen Betrag hinzugerechnet (§ 18b Abs. 4 Halbs. 2 SGB IV). Einkommensänderungen hat sie – gemäß § 18d Abs. 1 Satz 1 SGB IV – zu Recht jeweils erst vom nächstfolgenden 1. Juli an berücksichtigt (zum Wegfall des Arbeitsentgelts s.u.). |
|
| Auch den Freibetrag nach § 97 Abs. 2 SGB VI hat die Beklagte beachtet. Danach ist anrechenbar das Einkommen, das monatlich das 26,4fache des aktuellen Rentenwerts übersteigt (Satz 1). Von dem danach verbleibenden anrechenbaren Einkommen werden 40 vom Hundert angerechnet (Satz 3). Die Voraussetzungen eines höheren Freibetrags nach Satz 2 (Kind des Berechtigten mit Anspruch auf Waisenrente) liegen bei der Klägerin nicht vor. Solches macht sie auch nicht geltend. Die mit der Änderung des aktuellen Rentenwerts zum 1. Juli eines Jahres verbundenen Änderungen des Freibetrages berücksichtigte die Beklagte in der Rücknahmeentscheidung jeweils. |
|
| Die Beklagte hat diese Anrechnungsvorschriften im Bescheid vom 20. Februar 2019 zutreffend und rechnerisch richtig umgesetzt. Insoweit nimmt der Senat auf die ausführliche Darstellung der Berechnung im Bescheid vom 20. Februar 2019 (Anlage „Ermittlung des anzurechnenden Einkommens“) Bezug. |
|
| Entsprechendes gilt für die nach § 48 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nrn. 1 und 3 SGB X zu Recht ergangenen Änderungsbescheide vom 17. April 2020 und 6. Juli 2021. Im Bescheid vom 17. April 2020 berücksichtigte die Beklagte ab dem 1. Juli 2019 die höhere AOW-Leistung (nun 283,15 EUR) sowie den Wegfall des Arbeitsentgelts aus der geringfügigen Beschäftigung zum 15. August 2019. Diese ab dem 16. August 2019 eintretende Änderung des anzurechnenden Einkommens setzte sie zugunsten der Klägerin bereits zum Wegfallzeitpunkt um. Das zu berücksichtigende Einkommen aus der deutschen Versichertenrente und der AOW-Leistung überstieg noch immer den Freibetrag, sank jedoch auf 57,95 EUR. Auch insoweit nimmt der Senat Bezug auf die Berechnung im Bescheid vom 17. April 2020 (Anlage „Ermittlung des anzurechnenden Einkommens“). Mit Bescheid vom 6. Juli 2021 setzte sie den Anrechnungsbetrag wegen Änderung des zu berücksichtigten Einkommens auf 54,86 EUR (berücksichtigte AOW-Leistung 280,17 EUR) ab dem 1. Juli 2020 sowie 57,41 EUR (berücksichtigte AOW-Leistung nach Abzug von 13 % 286,56) ab dem 1. Juli 2021 herab. Auf die Berechnung im Bescheid vom 6. Juli 2021 (Anlage „Zusammentreffen von Rente und Einkommen“) wird Bezug genommen. |
|
| bb) Der angefochtenen Rücknahmeentscheidung steht kein Vertrauensschutz der Klägerin entgegen. |
|
| Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nach § 45 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 SGB X nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat und sein Vertrauen schutzwürdig ist. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte allerdings nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X nicht berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. |
|
| (1) Die Regelung des Auszahlungsbetrages der Witwenrente bzw. des Anrechnungsbetrags zu berücksichtigenden Einkommens im Bescheid vom 3. März 2017 beruhte auf unrichtigen Angaben der Klägerin bei Rentenantragstellung. |
|
| In der von ihr am 8. Februar 2017 unterschriebenen Anlage zum Antrag auf Hinterbliebenenrente (Angaben zum Einkommen, R0660) verneinte die Klägerin alle Fragen nach anderweitigem Einkommen (Arbeitsentgelt, Arbeitseinkommen, vergleichbares Einkommen, Erwerbsersatzeinkommen). Sie gab mithin weder das Arbeitsentgelt aus geringfügiger Beschäftigung, ihre Versichertenrente aus der deutschen Rentenversicherung noch insbesondere die AOW-Leistung an. Dementsprechend berücksichtigte die Beklagte nur die – ihr anderweitig bekannte – deutsche Versichertenrente der Klägerin. Da diese den Freibetrag nicht überschritt, regelte die Beklagte im genannten Bescheid keinen Anrechnungsbetrag („Das Einkommen wirkt sich auf die Rente nicht aus.“). |
|
| (2) Die falschen Angaben in der Anlage R0660 beruhten auf einem zumindest grob fahrlässigen Verhalten der Klägerin. |
|
| Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Diese Voraussetzungen sind erfüllt, wenn der Betroffene den relevanten Umstand aufgrund einfachster ganz naheliegender Überlegungen hätte erkennen können, bzw. wenn das unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Maßgebend sind das Einsichtsvermögen und die persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit des Beteiligten sowie die besonderen Umstände des Falles (BSG, Urteil vom 8. Februar 2001 – B 11 AL 21/00 R – juris, Rn. 23 m.w.N.; Padé, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, Stand Juni 2021, § 45 Rn. 90 ff. m.w.N.). Sofern dem Begünstigten fehlerhafte Angaben vorgeworfen werden, muss er individuell in der Lage sein, die Fehlerhaftigkeit der gemachten Angabe zu erkennen. Es muss also ohne weitere Überlegungen klar sein, dass er den betreffenden Umstand mitteilen muss. Dabei können individuelle Verhältnisse wie fehlende Sprachkenntnisse, eine Leseschwäche o.Ä. jedenfalls dann keine Rolle spielen, wenn der Begünstigte nicht nachgefragt hat oder sich sonst nicht um ein ausreichendes Verständnis – etwa unter Zuhilfenahme Dritter – bemüht. Auf der anderen Seite muss die Fragestellung seitens der Behörde so beschaffen sein, dass dem Betroffenen klar wird, auf welche Angaben es ankommt (Padé, a.a.O., Rn. 92). |
|
| Die Fragestellung der Beklagten im Formular R0660 war klar und unmissverständlich. Nach Bezeichnung und abgedrucktem Ausfüllhinweis war danach das „eigene“ Einkommen der Witwe, nämlich unter Ausschluss von Hinterbliebenenleistungen, anzugeben. Das Einkommen wurde in den Punkten 3 bis 9 nach der Art gegliedert abgefragt (Arbeitsentgelt, Arbeitseinkommen, vergleichbares Einkommen, kurzfristiges Erwerbsersatzeinkommen, dauerhaftes Erwerbsersatzeinkommen, Vermögenseinkommen, Elterngeld). Zum Punkt 7 (dauerhaftes Erwerbsersatzeinkommen) wurden die weiter untergliederten Leistungen im Einzelnen aufgeführt, so u.a. die Rente aus eigener Versicherung aus der gesetzlichen Rentenversicherung (7.1), Altersrente oder Rente wegen Erwerbsminderung der Alterssicherung der Landwirte (7.2), Renten der öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtungen oder Versorgungseinrichtungen bestimmter Berufsgruppen (7.4) und insbesondere „Leistungen von einer Stelle im Ausland“ (7.7). Damit wird ohne Weiteres deutlich, dass auch eine Leistung wegen Alters aufgrund eigener öffentlich-rechtlicher Versicherung – wie insbesondere die aufgeführte Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung – anzugeben ist, die von einer Stelle im Ausland gezahlt wird, also auch die AOW-Leistung. Der Einwand der Klägerin, die Rente wegen Alters aus einer ausländischen Leistung falle aus ihrer Sicht unter Punkt 7.8 der Anlage R0660, während Punkt 7.7 alle übrigen möglichen ausländischen Leistungen außer einer Rente wegen Alters umfasse, ist nicht nachvollziehbar. Zum einen bezieht sich Punkt 7.7 allgemein auf Leistungen von einer Stelle im Ausland, ohne die Altersrente auszunehmen. Dies entspräche auch nicht der Stellung der Frage im Anschluss an die gerade die Altersrenten umfassenden vorausgehend genannten Leistungen. Des Weiteren bezieht sich Punkt 7.8 schon dem Wortlaut nach nicht auf Altersrenten aus dem Ausland, sondern auf „Renten wegen Alters oder verminderter Erwerbsfähigkeit, die aus Anlass eines Arbeitsverhältnisses zugesagt worden sind (zum Beispiel Direktversicherung, Pensionskasse, Direktzusage ...)“. Schon danach ist erkennbar, dass es sich nicht um jedwede Altersrente handelt, insbesondere nicht die bereits unter Punkt 7.1 erfragte Altersrente aus der gesetzlicher Versicherung. Im Übrigen macht die Klägerin gerade geltend, die AOW-Leistung stehe nicht in funktionellem Zusammenhang mit einer Beschäftigung. Es ist daher nicht nachvollziehbar, dass sie selbst diese Leistung als eine Rente ansah, die „aus Anlass eines Arbeitsverhältnisses zugesagt worden“ sei. |
|
| Sprachliche Einschränkungen, die einer groben Fahrlässigkeit entgegenstehen könnten, schließt der Senat vorliegend aus. Die Klägerin lebt seit 1960 in Deutschland und kann sich, wie insbesondere im Erörterungstermin am 25. Juni 2021 deutlich wurde, mühelos verständigen. Des Weiteren gab ihr in der mündlichen Verhandlung vor dem SG als Beistand auftretender, uneingeschränkt deutschsprechender Sohn an, die Anlage mit seiner Mutter ausgefüllt zu haben. Es ergaben sich weder im schriftlichen Verfahren noch bei persönlicher Anwesenheit der Klägerin im Termin irgendwelche Anhaltspunkte für eine relevante Beeinträchtigung des Einsichtsvermögens sowie der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit der Klägerin. Demnach konnte sie schon aus der Abfrage in der Anlage R0660 ohne Weiteres zumindest die mögliche Bedeutung der AOW-Leistung auf die Witwenrente erkennen. Ihr Vortrag zur Maßgeblichkeit von Punkt 7.8 der Anlage macht deutlich, dass sie hierzu auch eigene Überlegungen angestellt hatte. Gleiches gilt für ihr Vorbringen, eine Nachfrage beim Regionalzentrum der Beklagten in Mannheim, wo sie das ausgefüllte Formular vorgelegt habe, sei ins Leere verlaufen. Im Berufungsverfahren hat sie dies zuletzt dahingehend konkretisiert, dass zum finalen Abgabetermin vom 13. Februar 2017 die Mitarbeiter der Mannheimer Beratungsstellen der Rentenversicherung nicht zur Verfügung gestanden hätten, so dass sie, die Klägerin, den Antrag ohne jegliche Beratung alleine durchgearbeitet habe. Dieser zuletzt erfolgte Vortrag stimmt mit dem Akteninhalt überein. Nach dem auf dem Antragsformular angebrachten Vermerk wurde der Antrag im Regionalzentrum der Beklagten ohne Beratung entgegengenommen. Ohne eine positive Auskunft einer sachkundigen Stelle, dass die AOW-Leistung nicht anzugeben sei, durfte die Klägerin die Frage zu Punkt 7.7 nach einer Leistung einer ausländischen Stelle nicht verneinen. Dies musste sich ihr aufgrund der ausdrücklichen Abfrage im Formular deutlich aufdrängen. Ihr weiterer Vortrag, sie habe von der zuständigen Fachbehörde ihres Heimatlandes die Information bekommen, dass die AOW keine mit dem deutschen System vergleichbare Einkommensform darstelle, ist nicht geeignet, die grobe Fahrlässigkeit auszuschließen. Den Zeitpunkt dieser Auskunft hat sie nicht angegeben, so dass sich aus ihrem Vortrag schon nicht ergibt, dass diese Auskunft vor der Abgabe des Antrags einschließlich Anlage erfolgte. Dies kann vorliegend allerdings offenbleiben. Denn es drängt sich schon bei einfachsten Überlegungen jedem auf, dass die Entscheidung oder Beurteilung über eine Anrechnung nicht bei der ausländischen Behörde liegt, sondern beim deutschen Rentenversicherungsträger, da es sich um die Anrechnung auf die deutsche Rente nach deutschem Recht dreht. Dass die Klägerin aufgrund eigener rechtlicher Bewertung zu der Einschätzung gelangte, die AOW-Leistung nicht angeben zu müssen, entlastet sie daher nicht. Sie hätte durch deren Angabe die Prüfung durch die Beklagte ermöglichen müssen. |
|
| cc) Die gesetzlichen Fristen für eine Rücknahme hat die Beklagte gewahrt. Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung kann nach § 45 Abs. 2 SGB X bis zum Ablauf von zehn Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden, wenn – wie vorliegend (s.o.) die Voraussetzungen des Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 gegeben sind (§ 45 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 SGB X). In einem solchen Fall ist die Rücknahme auch mit Wirkung für die Vergangenheit zulässig (§ 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X), wie vorliegend mit Wirkung vom 1. Mai 2017 geschehen. Die Behörde muss dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen (§ 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X). Diese Frist wurde gewahrt. Die Beklagte erfuhr von dem Bezug der AOW-Leistung (noch ohne konkrete Bezifferung) am 20. Juni 2018 durch die Angabe der Klägerin. Nach deren Anhörung erfolgte die Rücknahmeentscheidung durch Bescheid vom 29. Februar 2019, mithin innerhalb eines Jahres nach Kenntnis. |
|
| dd) Die Rücknahmeentscheidung erfolgte ermessensfehlerfrei. |
|
| Wie der Wortlaut des § 45 Abs. 1 SGB X („darf“) verdeutlicht, handelt es sich bei der Rücknahme um eine behördliche Ermessensentscheidung. Dies gilt trotz des Wortlauts des Abs. 4 Satz 1 auch für die Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit (Merten, in: Hauck/Noftz, SGB X, Stand April 2018, § 45 Rn. 102 f. m.w.N.). Leistungsträger haben ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten (§ 30 Abs. 1 Satz 1 SGB X). |
|
| Die gerichtliche Kontrolle von Ermessensentscheidungen ist eingeschränkt auf die Rechtmäßigkeit der Entscheidung; deren Zweckmäßigkeit ist vom Gericht nicht zu beurteilen. Rechtswidrig ist eine Ermessensentscheidung bei Ermessensnichtgebrauch, wenn also die Behörde ihr Ermessen nicht ausgeübt oder im Bescheid nicht zum Ausdruck gebracht hat, bei Ermessensunterschreitung, wenn sie ihr Ermessen zu eng eingeschätzt hat, bei Ermessensüberschreitung, wenn eine gesetzlich nicht vorgesehene Rechtsfolge gesetzt wird, und bei Ermessensfehlgebrauch (vgl. § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG). Letzteres liegt vor, wenn die Behörde ein unsachliches Motiv oder einen sachfremden Zweck verfolgt, wenn sie nicht alle maßgebenden Ermessensgesichtspunkte in die Entscheidung einbezogen oder wenn sie die abzuwägenden Gesichtspunkte fehlerhaft gewichtet oder einen unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt zugrunde gelegt hat. Für die Rechtskontrolle durch das Gericht ist die Begründung des Verwaltungsakts und des Widerspruchsbescheides wesentlich. Aus dieser muss sich ergeben, dass vom Ermessen fehlerfrei Gebrauch gemacht worden ist (zum Ganzen Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 13. Aufl. 2020, § 54 Rn. 27 ff. m.w.N.). |
|
| Dass die Beklagte das ihr zustehende Ermessen tatsächlich ausgeübt hat, ist bereits dem Bescheid vom 20. Februar 2019 zu entnehmen. Ausdrücklich führte die Beklagte darin aus, es lägen keine Umstände vor, welche geeignet wären, im Wege des Ermessens von der Bescheidrücknahme und der vollen Rückforderung des überzahlten Betrages abzusehen. Solche Umstände hatte die Klägerin im Rahmen der Anhörung auch nicht genannt, sondern nur rechtliche Einwände gegen die Anrechnung der AOW-Leistung geltend gemacht. Im Widerspruchsbescheid vom 4. Juli 2019 hat die Beklagte die Ermessungsausübung umfassender begründet. Das dabei berücksichtigte Interesse der Versichertengemeinschaft an einer gesetzmäßigen und „sachgerechten Verwendung“ ihrer Mittel den dem Wirtschaftlichkeitsgebot (Verweis auf § 69 Abs. 2 SGB IV) stellt einen zulässigen Abwägungsbelang dar. Denn er ist Ausdruck des Zwecks der Rücknahmevorschrift des § 45 SGB X (Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände gerade auch bei der Leistungsgewährung). Auf Seiten der Klägerin wurde zu Recht berücksichtigt, dass eine außergewöhnliche soziale oder finanzielle Lage (zu diesem Ermessensumstand vgl. Merten, a.a.O., § 45 Rn. 111), die es erlaubte, die Interessen der Versichertengemeinschaft hinter denen der Klägerin zurücktreten zu lassen, nicht vorliegt. Die Klägerin hat eine solche auch nicht behauptet und erst recht nicht substantiiert dargelegt. Ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden ist die Berücksichtigung des Umstandes, dass der Klägerin mit der Summe aus Versicherten- und Witwenrente, niederländischer AOW-Leistung und – zum Entscheidungszeitpunkt noch bezogenem – Entgelt aus geringfügiger Beschäftigung jedenfalls bei ratenweiser Rückerstattung der zu Unrecht erhaltenen Rentenzahlungen auch eine angemessene Lebensführung möglich ist (vgl. zum Absinken auf Sozialhilfeniveau Merten, a.a.O., § 45 Rn. 112). Dass dies nach Wegfall des Arbeitsentgelts aus geringfügiger Beschäftigung nicht mehr zuträfe, hat die Klägerin selbst nicht behauptet oder dargelegt und ist auch anhand der Einkommensbeträge nicht ersichtlich. Die Klägerin selbst hat auch keine Ermessensfehler aufgezeigt. |
|
| d) Die Regelung zur Erstattung ist rechtmäßig. Nach § 50 Abs. 1 SGB X sind, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist, bereits erbrachte Leistungen zu erstatten. Die für die Zeit vom 1. Mai 2017 bis zum 31. März 2019 erfolgte Überzahlung in Höhe von 4.704,03 EUR ist zutreffend berechnet. Insoweit nimmt der Senat auf die Darstellung der Berechnung im Bescheid vom 20. Februar 2019 (Anlage „Berechnung der Rente“, Seite 4) Bezug. Dieser Betrag ist von der Klägerin zu erstatten. |
|
|
|
| 5. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen. |
|