Beschluss vom Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern (6. Senat) - L 6 KR 117/17 NZB

Tenor

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Neubrandenburg vom 11. Oktober 2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Der Antrag, dem Kläger Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren zu gewähren, wird abgelehnt.

Gründe

I.

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Der Kläger begehrt die Zulassung der Berufung gegen ein Urteil, mit welchem die von ihm erhobene Anfechtungsklage gegen einen Zuzahlungsbescheid der Beklagten über 140 € für seinen stationären Aufenthalt vom 08. bis 21. Februar 2017 abgewiesen worden ist.

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Der Kläger hat seine Klage damit begründet, dass der Kläger bei Zugang des an ihn adressierten Bescheides unter rechtlicher Betreuung gestanden habe, unter anderem für die Bereiche Behördenangelegenheiten und Vermögenssorge. Die Bekanntgabe habe deshalb an seine Betreuerin erfolgen müssen, seine jetzige Prozessbevollmächtigte. Dieser gegenüber sei der Bescheid jedoch nicht willentlich bekanntgegeben worden. Die bloße Kenntnisnahme seitens der Betreuerin reiche nicht aus.

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Das Sozialgericht hat die Anfechtungsklage mit der Begründung abgewiesen, dass für eine Rechtswidrigkeit des angegriffenen Bescheides nichts ersichtlich sei. Zweifel an der Wirksamkeit begründeten bereits keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit. Von einer Wirksamkeit sei allerdings auszugehen, weil die Betreuerin von dem Bescheid jedenfalls Kenntnis erlangt habe. Nach zuvor schriftlich erteiltem Hinweis hat das Sozialgericht dem Kläger zudem gemäß § 192 Sozialgerichtsgesetz (SGG) wegen Missbräuchlichkeit der weiteren Rechtsverfolgung Kosten in Höhe von 150 € auferlegt. Bereits mit Beschluss vom 06. Oktober 2017 hat das Sozialgericht die Bewilligung der für das Klageverfahren beantragten Prozesskostenhilfe mangels hinreichender Erfolgsaussichten abgelehnt. Eine hiergegen erhobene Anhörungsrüge des Klägers hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 13. Oktober 2017 mit der Begründung zurückgewiesen, dass das Gericht den klägerischen Vortrag durchaus berücksichtigt, jedoch rechtlich anders gewertet habe.

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Gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem am 17. Oktober 2017 zugestellten Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde vom 17. November 2017. Hierin geht er davon aus, die Beteiligten stritten darüber, ob der Zuzahlungsbescheid wirksam geworden sei. Weil er an den Kläger adressiert und von der Beklagten auch an den Kläger versandt worden sei, sei hiervon mangels Bekanntgabewillens nicht auszugehen.

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Es lägen Verfahrensfehler vor. Da sich das Sozialgericht mit den rechtlichen Ausführungen des Klägers nicht auseinandergesetzt habe, liege eine Gehörsverletzung vor. Zudem sei der gesetzliche Richter entzogen worden, weil gegenüber dem Kammervorsitzenden und die Kammer insgesamt die Besorgnis der Befangenheit bestehe. Dies folge aus der fehlenden Berufungszulassung trotz sich aufdrängender Gründe für eine Zulassung der Berufung und daraus, dass das Sozialgericht mit seiner Ansicht ohne Begründung von der herrschenden Meinung abweiche, wonach die Bekanntgabe an den Betreuer zu erfolgen habe. Hierin liege auch ein Verstoß gegen das Willkürverbot, weil die Entscheidung unter keinem rechtlichen Aspekt rechtlich vertretbar sei und sich daher der Schluss aufdränge, dass die Entscheidung auf sachfremden Erwägungen beruhe. Die Entscheidung müsse erkennen lassen, dass sich das Gericht mit der Rechtslage eingehend auseinander gesetzt und eine eigene abweichende tragfähige Auffassung zur obergerichtlichen Rechtsprechung entwickelt habe, woran es in dem Urteil jedoch fehle.

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Darüber hinaus beruhe die angefochtene Entscheidung auf einer Abweichung von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteile vom 02. Juli 1997 – 9 RV 14/96 und vom 13. November 2008 – B 14 AS 2/08 R) und der Landessozialgerichte Bayern und Berlin-Brandenburg. Hiernach setze die Bekanntgabe eines Bescheides die Geschäftsfähigkeit des Empfängers voraus, die bei einem Betreuten fehle. Das Sozialgericht habe den Rechtssatz aufgestellt, dass es keiner bewussten Bekanntgabe des Bescheides an den Betreuer bedürfe, sondern ausreiche, wenn der Betreuer zufällig Kenntnis von dem Bescheid erlange. Wäre das Sozialgericht der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gefolgt, hätte es den angegriffenen Bescheid antragsgemäß aufgehoben.

II.

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Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

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Die Berufung bedarf der Zulassung, weil der maßgebliche Beschwerdewert von 750,00 Euro nicht erreicht ist, § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Berufung ist gemäß § 144 Abs. 2 SGG zuzulassen, wenn

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1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,

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2. das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder

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3. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

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Zulassungsgründe in diesem Sinne liegen nicht vor.

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Die geltend gemachten Verfahrensmängel liegen nicht vor.

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Entgegen der Annahme des Klägers streiten die Beteiligten nicht um die „wirksame Bekanntgabe des Bescheides“, sondern um dessen Rechtmäßigkeit. Die Zulässigkeit der vom Kläger erhobenen Anfechtungsklage gegen den Zuzahlungsbescheid vom 14. März 2017 setzt gemäß § 54 Abs. 1 Satz 2 SGG die Möglichkeit der Verletzung eigener Rechte, ihre Begründetheit gemäß § 54 Abs. 2 SGG die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides voraus. Für die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides haben sich nach den Ausführungen des Sozialgerichts jedoch keinerlei Anhaltspunkte ergeben. Vom Kläger wird eine Rechtswidrigkeit des Zuzahlungsbescheides auch gar nicht behauptet. Seine gesamte Argumentation richtet sich vielmehr auf einen Bekanntgabemangel und die hieraus resultierende fehlende Wirksamkeit des Bescheides.

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Vor diesem Hintergrund könnte jedenfalls ein Verfahrensmangel, der nicht zugleich einen absoluten Revisionsgrund darstellt, ganz unabhängig von seinem Vorliegen schon deshalb nicht zur Zulassung der Berufung führen, weil die Entscheidung des Sozialgerichts auf dem Verfahrensfehler nicht beruhen kann. Mangels Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides war die Anfechtungsklage entweder (ausgehend von einer Heilung des Bekanntgabemangels durch späteres Kenntniserlangen seitens der Betreuerin, so die wohl ganz herrschende Meinung, vgl. Mutschler in: KassKomm, SGB X, § 37, Rn. 22) als unbegründet, oder (ausgehend von einer Unwirksamkeit) als unzulässig abzuweisen, da ein gar nicht erlassener und somit nicht existenter Verwaltungsakt auch nicht mit der Möglichkeit einer Beschwer einhergehen kann. Teilweise wird zwar auch in derartigen Fällen die Anfechtungsklage als statthafte Klageart angesehen (vgl. die Übersicht bei Littmann in: Hauck/Noftz, § 37 SGB X, Rn. 43), deren Begründetheit jedoch stets die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes voraussetzt. Ob eine denkbare Klage auf Feststellung, dass ein wirksamer Verwaltungsakt über die Zuzahlungspflicht des Klägers gar nicht vorliegt, zulässig und begründet gewesen wäre, ist vom Senat nicht zu beurteilen, da der anwaltlich vertretene Kläger unzweideutig und allein die Aufhebung des Bescheides beantragt, mithin eine Anfechtungsklage erhoben hat.

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Vor diesem Hintergrund lag es zugleich alles andere als nahe, die Berufung gegen das Urteil zuzulassen, weshalb aus der Nichtzulassung auch nicht auf eine Besorgnis der Befangenheit oder eine „Entziehung des gesetzlichen Richters“ geschlossen werden kann. Die Entscheidungsgründe des Sozialgerichts, die im Kern darin bestehen, die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides festzustellen, sind schließlich auch nicht dazu geeignet, dass ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus nach vernünftigen Erwägungen Bedenken gegen die Unparteilichkeit des Vorsitzenden oder der Kammer insgesamt haben kann (LSG Niedersachsen, Beschluss vom 24. November 1980 – L 4 S 84/80; LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 11. Mai 2017 – L 6 SF 20/17 AB). Erst recht stellen sie keinen Verstoß gegen das Willkürverbot dar, weil eine Anfechtungsklage gegen einen rechtmäßigen Verwaltungsakt nicht begründet sein kann, die Urteilsgründe den Entscheidungstenor mithin tragen.

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Auch für die Zulassungsgründe grundsätzliche Bedeutung und Divergenz ist nichts ersichtlich. In sämtlichen vom Kläger angeführten obergerichtlichen Entscheidungen geht es allein um die Bekanntgabe von Verwaltungsakten, insbesondere in Zusammenhang mit gesetzlichen Fristen, nicht jedoch um die hier relevante Rechtmäßigkeit.

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Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe war mangels hinreichender Erfolgsaussicht abzulehnen, § 73a SGG i. V. m. § 114 ZPO.

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Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

20

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).

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Mit dieser Entscheidung wird das Urteil rechtskräftig, § 145 Absatz 4 Satz 4 SGG.

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