Urteil vom Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern (6. Senat) - L 6 KR 100/15

Tenor

Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Schwerin und der Bescheid der Beklagten vom 29. Oktober 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Oktober 2014 werden abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für die stufenweise Wiedereingliederung im Zeitraum vom 01. Juli bis 30.September 2012 Reisekosten zu gewähren.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte hat 50 % der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um ergänzende Leistungen im Rahmen einer stufenweisen Wiedereingliederung.

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Der bei der Beklagten krankenversicherte Kläger ist 1953 geboren und verfügt über einen GdB von 50. Er erkrankte am 17. April 2009 arbeitsunfähig. Zu diesem Zeitpunkt war er als Kommissionierer bei der E-Firma mbH beschäftigt. Bis zum 06. Oktober 2010 gewährte die Beklagte dem Kläger Krankengeld. Nach Aussteuerung erhielt er in dem Zeitraum vom 07. Oktober 2010 bis 10. August 2011 Arbeitslosengeld. In der Zeit vom 11. August 2011 bis 02. September 2011 nahm der Kläger an einer von der Beigeladenen zu 1. gewährten stationären Rehabilitationsmaßnahme teil, während derer er Übergangsgeld erhielt. Im Reha-Entlassungsbericht vom 06. September 2011 wurde angegeben, dass der Kläger seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Kommissionierer lediglich für unter drei Stunden ausüben könne. Leichte bis mittelschwere Tätigkeiten, überwiegend stehend, gehend oder sitzend könnten im Umfang von sechs Stunden und mehr ausgeübt werden. Weiter wurde eingeschätzt, dass Leistungen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben nicht erforderlich seien. Die Entlassung aus der Rehabilitationsklinik erfolgte als arbeitsunfähig.

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Gegenüber der Beigeladenen zu 1. gab die Rehabilitationsklinik an, dass eine stufenweise Wiedereingliederung nicht erforderlich sei, weil sich der Kläger den Anforderungen als Kommissionierer nicht gewachsen fühle.

4

Nach Erschöpfung des Arbeitslosengeldanspruches bezog der Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in der Zeit vom 01. Mai 2012 bis 30. September 2012. Vom 28. April 2012 bis 14. Januar 2013 war er bei der Beklagten im Rahmen der Familienversicherung seiner Ehefrau krankenversichert. Bereits im April 2010 hatte der Kläger bei der Beigeladenen zu 1. eine Rente wegen Erwerbsminderung beantragt, die von der Beigeladenen zu 1. zunächst abgelehnt und nach einem entsprechenden Urteil des SG Schwerins vom 20. Oktober 2014 (S 7 R 715/11) ab dem 01. April 2010 gewährt wurde.

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Vom 01. Juli 2012 bis 30. September 2012 erfolgte bei dem Arbeitgeber des Klägers eine stufenweise Wiedereingliederung mit reduzierter, sich steigernder Arbeitszeit. Anteiliges Arbeitsentgelt wurde nicht gezahlt. Entsprechende Wiedereingliederungspläne, die von dem behandelnden Arzt Dr. W. und dem Arbeitgeber des Klägers unterzeichnet waren, legte der Kläger der Beklagten in Kopie vor, den ersten Ende Mai 2012.

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Am 14. Juni 2012 wurde der Kläger telefonisch von der Beklagten informiert, dass ein Anspruch auf Krankengeld für die Eingliederungsmaßnahme nicht bestehe und er sich an das Jobcenter wenden möge.

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Die Originale der Wiedereingliederungspläne ab 01. Juli 2012 gingen beim Beigeladenen zu 2. ein, wobei der erste Wiedereingliederungsplan dort ausweislich des Eingangsstempels am 06. Juli 2012 vorlag.

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Nach Abschluss der Wiedereingliederung fühlte der Kläger sich nicht in der Lage, seine bisherige Tätigkeit vollschichtig auszuüben und beantragte bei seinem Arbeitgeber die Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 30 Stunden. Eine entsprechende Verständigung, die dem Kläger zusätzlich die Möglichkeit betriebsunüblicher Pausen einräumte, erzielte der Kläger mit seinem Arbeitgeber erst im Rahmen eines arbeitsgerichtlichen Verfahrens. Ab dem 10. Januar 2013 nahm der Kläger seine Tätigkeit bei seinem Arbeitgeber mit reduzierter Stundenanzahl und unter erleichterten Arbeitsbedingungen wieder auf.

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Mit Schreiben vom 17. Oktober 2012 wies der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Beklagte darauf hin, dass der Kläger Unterlagen zur stufenweisen Wiedereingliederung eingereicht habe und dennoch weder Zahlungen der Beklagten erfolgt seien noch ein rechtsmittelfähiger Bescheid erteilt worden sei. Weiter forderte er die Beklagte auf, einen Bescheid zu erteilen und im Falle der Unzuständigkeit den Antrag an den zuständigen Sozialleistungsträger weiterzuleiten. Mit Schreiben vom 22. Oktober 2012 informierte der Prozessbevollmächtigte die Beigeladene zu 1. über die durchgeführte stufenweise Wiedereingliederung und wies darauf hin, dass entsprechende Unterlagen bei der Beklagten eingereicht worden seien. Er beantragte vor dem Hintergrund, dass der Arbeitgeber zu diesem Zeitpunkt noch nicht über den Antrag auf Reduzierung der Arbeitszeit entschieden hatte, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und vorsorglich die Gewährung von Übergangsgeld für die bereits durchgeführte Wiedereingliederungsmaßnahme. Auf entsprechende Aufforderung der Beigeladenen zu 1. reichte der Kläger dort am 07. November 2012 einen Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben ein. Mit Bescheid vom 21. November 2012 stellte die Beigeladene zu 1. dem Kläger Leistungen zur Erhaltung seines Arbeitsplatzes als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben in Aussicht und wies darauf hin, dass eine innerbetriebliche Umsetzung in Betracht komme. Die Beigeladene zu 1. erklärte sich grundsätzlich bereit, dafür einen Eingliederungszuschuss an den Arbeitgeber zu zahlen.

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Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 29. Oktober 2012 die Gewährung von Krankengeld mit der Begründung ab, dass die Familienversicherung des Klägers keinen Anspruch auf Krankengeld beinhalte. Sie wies zudem darauf hin, dass eine Zuständigkeit seitens der Deutschen Rentenversicherung oder der Bundesagentur für Arbeit als nicht gegeben angesehen werde.

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Dagegen legte der Kläger mit Schreiben vom 05. November 2012 Widerspruch ein und führte aus, dass er – auch wenn ihm Krankengeld nicht zugestanden habe – ein Anspruch auf Teilhabeleistungen nach dem SGB IX bestehe. Um die Erteilung eines Widerspruchsbescheides werde gebeten.

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Mit Schreiben vom 07. November 2012 führte die Beklagte erneut aus, dass eine Zuständigkeit der Agentur für Arbeit und des Rentenversicherungsträgers nicht gegeben sei. Die gesetzliche Rentenversicherung sei zuständig, wenn die stufenweise Wiedereingliederung im unmittelbaren Anschluss an eine Rehabilitationsmaßnahme erfolge. Ein zeitlicher Zusammenhang zwischen der stationären Rehabilitationsmaßnahme vom 11. August 2011 bis 02. September 2011 und der stufenweisen Widereingliederung ab Juli 2012 sei nicht gegeben. Die eingereichten Wiedereingliederungspläne seien nicht als Antrag auf Leistungen zur Teilhabe im Sinne von § 5 Nr. 2 SGB IX (Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben) anzusehen, denn für diese Leistungen sei die Krankenversicherung nicht zuständig. Der Kläger habe einen Antrag auf stufenweise Wiedereingliederung iSv § 74 SGB V gestellt. Der Wiedereingliederungsplan sei als Antrag auf Krankengeld beurteilt und mündlich beschieden worden. Auf die entsprechende Bitte sei am 29. Oktober 2012 ein rechtsmittelfähiger Bescheid erteilt worden. Zudem sei der Kläger darauf hingewiesen worden, dass er sich für weitere Leistungen an das Jobcenter wenden möge.

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Mit Schreiben vom 14. November 2012 wies der Prozessbevollmächtigte des Klägers erneut darauf hin, dass der gestellte Antrag auf stufenweise Wiedereingliederung bei Unzuständigkeit weiterzuleiten sei. Der Kläger habe Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gehabt. Die während der Wiedereingliederungsmaßnahme gewährten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes hätten nur den sozialhilferechtlichen Bedarf abgedeckt. Darüber hinaus seien Kosten durch Pendelfahrten zwischen Wohnort und Arbeitsort entstanden, die zu übernehmen seien. Zudem sei zur Sicherung des Lebensunterhaltes Unterhaltsgeld zu gewähren.

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Nachdem die Beklagte auf die Untätigkeitsklage des Klägers im Rechtstreit S 20 KR 27/13 durch das Sozialgericht zur Bescheidung des Widerspruchs verurteilt worden war (Gerichtsbescheid vom 26. August 2013), wies sie den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 16. Oktober 2014 zurück. Krankengeld könne für die Zeit der Wiedereingliederung nicht erbracht werden, ebenso wenig eine Erstattung von Kosten im Zusammenhang mit der Wiedereingliederung (insbesondere durch Fahrten zur Arbeitsstelle) oder Übergangsgeld. Der Kläger habe lediglich Wiedereingliederungspläne vorgelegt, was sie als Antrag auf Krankengeld ausgelegt, geprüft und abgelehnt habe. Ein Antrag auf Teilhabeleistungen sei in der Vorlage solcher Pläne nicht zu sehen. Diese Form der Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit stelle eine bloße faktische Gestaltung des Arbeitsverhältnisses dar. Auch sei ein Antragsbegehren in Bezug auf Teilhabeleistungen nicht erkennbar gewesen, womit die Beklagte in die Prüfung eines Rehabilitationsbedarfs überhaupt nicht hätte eintreten müssen.

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Mit der am 04. Februar 2014 beim Sozialgericht Schwerin erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Er hat vorgetragen, dass der Arbeitgeber während der Wiedereingliederung keine Zahlungen geleistet habe und er weder Aufwendungsersatz für die Fahrten von A-Stadt nach Z-Stadt erhalten habe, noch die Leistungen vom Grundsicherungsträger erhöht worden seien. Als Ergebnis der Wiedereingliederung habe festgestellt werden können, dass er in einem Umfang von 30 Stunden für leichte Kommissionierertätigkeiten leistungsfähig sei. In einem arbeitsgerichtlichen Verfahren habe er eine Reduzierung der arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeitszeit und die Weiterbeschäftigung auf einem leidensgerechten Arbeitsplatz durchsetzen können und werde seit Februar 2013 wieder bei seinem Arbeitgeber beschäftigt. Das Konkurrenzverhältnis zwischen SGB II, SGB III, SGB V und SGB VI könne ein Versicherter nicht auflösen. Unter Berücksichtigung des „Meistbegünstigungsgrundsatzes“ sei im Zweifel davon auszugehen, dass ein Versicherter ohne Rücksicht auf den Wortlaut des Antrags all die Leistungen begehre, die ihm zustehen; Sozialleistungen dürften nicht an Zuständigkeitsabgrenzungen innerhalb der gegliederten Sozialverwaltungen scheitern

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Für eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung sei das Verfahren nicht geeignet.

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Der Kläger hat beantragt,

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den Bescheid vom 29. Oktober 2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16. Januar 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichtes zu bewilligen.

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Die Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Zur Begründung hat sie unter Verweis auf den Widerspruchsbescheid vorgetragen, die Beklagte könne den Ausführungen des Klägers nicht folgen. Bereits rein systematisch stehe die Wiedereingliederung im SGB V nicht im Kapitel der Leistungen. Außerdem seien Anträge zwar im Sinne des Antragstellers weit auszulegen, jedoch müsse ein gewisser Hinweis darauf, was denn begehrt werde, zu entnehmen sein. Die Beklagte gebe außerdem zu bedenken, dass nach den Ausführungen des Klägers unter Berücksichtigung des Meistbegünstigungsgebotes dann der Rentenversicherungsträger erstangegangener Leistungsträger gewesen sei, da dort ja bereits ein Verfahren betreffs Leistungen zum Lebensunterhalt anhängig gewesen sei. Als Träger der stationären Rehabilitation habe dieser auch zuerst Kenntnis von der Empfehlung der Wiedereingliederung gehabt.

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Das Sozialgericht hat die Akte der Beklagten, des Jobcenters A-Stadt (BG 03302 BG 0034049) und die Gerichtsakten S 20 KR 27/13 und S 7 R 715/11 beigezogen.

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Das Sozialgericht hat die Klage nach entsprechender Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 13. November 2015 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass ein Anspruch auf Krankengeld schon deswegen ausscheide, weil die Familienversicherung keinen Anspruch auf Krankengeld umfasse. Offenbleiben könne, ob der Kläger Leistungen zur Teilhabe im Sinne von §§ 4, 5 SGB IX beantragt habe. Selbst wenn dies zugunsten des Klägers unterstellt werde, sei die Beklagte weder als erstangegangener Leistungsträger nach § 14 SGB IX zuständig, noch als Leistungsträger, an den der Antrag weitergeleitet worden sei. Der Kläger habe den (unterstellten) Antrag auf Leistungen zur Teilhabe nicht bei der Beklagten, sondern beim Jobcenter A-Stadt gestellt, bei dem er zu diesem Zeitpunkt im Leistungsbezug gestanden habe. Dies ergebe sich aus der vorliegenden Leistungsakte des Jobcenters A-Stadt, in der sich die Originale des Vordrucks „Maßnahmen zur stufenweisen Wiedereingliederung in das Erwerbsleben (Wiedereingliederungsplan)“ nebst Monatsübersichten über die geleisteten Stunden befänden und auch den vom Kläger tatsächlich absolvierten Zeitraum vom 01. Juli 2012 bis 30. September 2012 beträfen. In der Akte des Beklagten befänden sich daher - konsequenterweise - nur Kopien. Im Rahmen der beim Jobcenter erfolgten Antragstellung sei die Bundesagentur für Arbeit erstangegangener Leistungsträger. Diese sei gem. § 6a S. 1 SGB II auch Rehabilitationsträger für die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben für behinderte erwerbsfähige Leistungsberechtigte im Sinne des SGB II, sofern nicht ein anderer Rehabilitationsträger zuständig sei. Da die Bundesagentur für Arbeit als erstangegangener Träger eine Prüfung der Zuständigkeit und Weiterleitung des Antrags nicht vorgenommen habe, könne die Beklagte nicht Rehabilitationsträger nach § 14 Abs. 1 S. 2 SGB IX sein. Der durch einen Prozessbevollmächtigten vertretene Kläger habe dies nicht beachtet und begehre damit Leistungen zur Teilhabe vom nicht zuständigen Leistungsträger.

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Der Kläger hat gegen den ihm am 25. November 2015 zugestellten Gerichtsbescheid am Montag, 28. Dezember 2015 Berufung beim Landessozialgericht eingelegt. Er habe bereits vor Antritt der Wiedereingliederung Leistungen für die durchgeführte Maßnahme beantragt. Erst durch seine eigene Initiative sei es ihm gelungen, in eine beitragspflichtige Beschäftigung zurückzukehren. Soweit das Sozialgericht der Auffassung sei, das Jobcenter sei erstangegangener Träger, könne dahinstehen, ob dieses die übergebenen Unterlagen als Antrag oder nur als Information, dass der Kläger der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung stehe, gewertet habe. Denn dies ändere nichts daran, dass die Beklagte den Sachverhalt nicht richtig geprüft und den Antrag nicht als Antrag auf Leistungen zur Teilhabe gewertet und weitergeleitet habe. Das Sozialgericht habe nicht nur seine Hinweispflichten verletzt, sondern auch seine Verpflichtung, den zuständigen Leistungsträger beizuladen. Zudem habe das Sozialgericht verkannt, dass eine rechtskräftige Ablehnung einem Leistungsanspruch entgegenstehen könne, da Leistungen vor Beginn einer Maßnahme zu beantragen seien. Zweifelhaft bleibe die Zuständigkeit des Jobcenters. In Betracht komme ein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 4 SGB II. Eine Leistungspflicht bei Aufnahme einer Beschäftigung zur Arbeitserprobung sei nicht geregelt. Die Beklagte habe statt seitenlanger Begründung für die Ablehnung des Krankengeldanspruchs den Antrag entweder an die Bundesagentur für Arbeit weiterleiten oder Leistungen erbringen und einen Erstattungsanspruch geltend machen müssen. Auch zwischen den Spitzenverbänden der Krankenkassen und der Rentenversicherung sei weiterhin streitig, ob diese verpflichtet seien, Maßnahmen zur Wiedereingliederung als selbständige Rehabilitationsmaßnahme zu erbringen. Die Maßnahme der stufenweisen Wiedereingliederung sei eine geeignete Maßnahme, behinderte Menschen wieder in ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis zu bringen. Es bedürfe einer grundsätzlichen Klärung, von wem diese Leistung zu erbringen sei. Es könne kein Zweifel daran bestehen, dass der Kläger einen Leistungsanspruch habe.

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Der Kläger beantragt,

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auf die Berufung des Klägers das Urteil des Sozialgerichts Schwerin abzuändern, den Bescheid vom 29. Oktober 2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16. Januar 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu bewilligen;

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hilfsweise
die Beklagte und die Beigeladenen gesamtschuldnerisch zu verurteilen, Teilhabeleistungen in Form von Mehraufwendungsersatz und Hilfe zum Lebensunterhalt zu bewilligen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Sie ist der Auffassung, die eingereichten Wiedereingliederungspläne seien nicht als Antrag auf Teilhabeleistungen zu interpretieren gewesen. Es sei bereits fraglich, ob in der Übersendung einer Kopie der Wiedereingliederungspläne überhaupt eine Antragstellung zu sehen sei. Auch wenn es keine Wirksamkeitsvoraussetzung sei, dass ein Antrag vollständig gestellt werde, müsse das Begehren dennoch unmissverständlich zum Ausdruck gebracht worden sein. Hier habe schon kein Wortlaut vorgelegen, an dem sich eine Auslegung hätte orientieren können. Dennoch habe die Beklagte die Unterlagen als Antrag auf Krankengeld ausgelegt. Ein Antrag auf Teilhabe am Arbeitsleben könne in der Einreichung von Wiedereingliederungsplänen nicht gesehen werden. Den Unterlagen komme zunächst nur die Bedeutung zu, dass der Einreicher für den Zeitraum der stufenweisen Wiedereingliederung von der Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als Voraussetzung des Krankengeldanspruches befreit sei. Die Beklagte habe den Kläger bereits am 14. Juni 2012 darüber informiert, dass ein Krankengeldanspruch nicht bestehe. Hervorzuheben sei auch, dass der Wiedereingliederungsplan dem Jobcenter im Original vorgelegt worden sei und die Beklagte nur eine Kopie erhalten habe. Zutreffend habe das Sozialgericht daher auch das Jobcenter als erstangegangenen Träger angesehen. Als erstangegangener Träger komme neben der Bundesagentur für Arbeit auch der Beigeladene zu 1) eher in Betracht als die Beklagte, zumal dort bereits ein Rentenverfahren anhängig gewesen sei und der Beigeladene zu 2) Kenntnis von der Empfehlung einer Wiedereingliederung gehabt habe. So seien in den Gutachten des Rentenversicherers vom 30. September 2010 und 08. November 2011 Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben empfohlen worden. Eine Verpflichtung der Beklagten zur Weiterleitung nach § 14 SGB IX habe demnach nicht nur deshalb nicht bestanden, weil die Übersendung der Unterlagen in Kopie nicht als Antrag zu verstehen gewesen sei, sondern auch, weil die Beklagte nicht der erstangegangene Träger sei.

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Der Senat hat den Rentenversicherungsträger (Beigeladene zu 1.), das Jobcenter (Beigeladene zu 2.) und das Versorgungsamt (Beigeladener zu 3.) zum Verfahren beigeladen.

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Der Beigeladene zu 3. hat mitgeteilt, nicht passivlegitimiert zu sein, da durch das Integrationsamt und das Versorgungsamt keine Teilhabeleistungen in Form von Mehraufwendungsersatz und Hilfen zum Lebensunterhalt im Zuge einer Wiedereingliederung bewilligt würden. Die Aufgaben des Integrationsamtes ergäben sich aus § 102 Abs.1 bis SGB IX.

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Auf gerichtliche Nachfrage, welche Mehraufwendungen als Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und in welcher konkreten Höhe geltend gemacht werden, hat der Kläger mit geteilt, dass die im Zeitraum vom 01. Juli 2012 bis 30. September 2012 angefallenen Fahrkosten geltend gemacht würden. Die einfache Entfernung von seinem Wohnort zu seinem Arbeitsort betrage 52 km. Die Wiedereingliederung sei an 65 Arbeitstagen erfolgt. Die Mehraufwendungen beliefen sich demnach auf 1.352,00 € (65 Tage x 52 km x 0,20 € = 1.352,00 €). Die Finanzierung dieser Mehraufwendungen sei aus dem Schonvermögen erfolgt, da das Einkommen der Ehefrau nur geringfügig über dem sozialhilferechtlichen Bedarf gelegen habe.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung ist im tenorierten Umfang begründet.

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I. Das klägerische Begehren, welches ausweislich des Klagantrags auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gerichtet ist, ist unter Berücksichtigung der Klagbegründung und des Umstandes, dass die Wiedereingliederung mittlerweile tatsächlich durchgeführt wurde, gemäß §§ 133, 157 BGB dahingehend auszulegen, dass neben der Aufhebung des angegriffenen Ablehnungsbescheides alleine noch Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes und Fahrkosten im Zusammenhang mit der stufenweisen Wiedereingliederung streitig sind (vgl. dazu Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 25. April 2018 – L 13 R 64/15 –, Rn. 26, juris).

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Bei der stufenweisen Wiedereingliederung nach § 28 SGB IX in der Fassung des Gesetzes vom 19. Juni 2001 handelt es sich nicht um eine Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben, sondern um eine Leistung der medizinischen Rehabilitation (BSG, Urteil vom 20. Oktober 2009, B 5 R 22/08 R, juris, Rn. 21). Die stufenweise Wiedereingliederung ist dabei keine leistungsrechtliche Maßnahme des Trägers im engeren Sinne, sondern als ein der ärztlichen Verordnung folgendes Handlungsmodell ausgestaltet, das angesichts mehrgliedriger Rechtsverhältnisse ein gemeinsames Zusammenwirken der Beteiligten voraussetzt. Auch wenn die stufenweise Wiedereingliederung keine (Sach-)Leistung des Trägers darstellt, ändert dies nichts an ihrem Charakter als medizinische Rehabilitationsmaßnahme (Becker/Kingreen, SGB V, 5.Aufl.,§ 74 SGB V Rn. 1). Die Leistung des Rehabilitationsträgers gegenüber dem Versicherten besteht in der sozialen Absicherung durch eine Entgeltersatzleistung (BeckOK SozR/Jabben, 55. Ed. 1. Dezember 2019, SGB IX § 44 Rn. 8) und durch ergänzende Leistungen nach § 44 SGB IX.

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Dass der Kläger dennoch die begehrten Leistungen als Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben beantragt, ist insoweit unschädlich.

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II. Der Bescheid der Beklagten vom 29. Oktober 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Oktober 2014 ist rechtswidrig, soweit die Beklagte die Erstattung von Fahrkosten abgelehnt hat. Ein Anspruch auf unterhaltssichernde Leistungen in Form von Krankengeld oder Übergangsgeld besteht hingegen nicht.

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Hierzu im Einzelnen:

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1. Eine Zuständigkeit der Beklagten für Leistungen im Zusammenhang mit der stufenweisen Wiedereingliederung ergibt sich aus ihrer Eigenschaft als erstangegangener Träger bereits aus § 14 SGB IX

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a) Entgegen der Auffassung der Beklagten hat der Kläger einen Antrag auf Gewährung von Fahrkosten und unterhaltssichernde Leistungen im Zusammenhang mit der stufenweisen Wiedereingliederung bereits durch Übersendung des Wiedereingliederungsplans gestellt. Bei der Antragstellung ist nach dem Grundsatz der Nichtförmlichkeit des Verwaltungsverfahrens (§ 9 SGB X) keine besondere Form zu beachten. Vielmehr beinhaltet jede Äußerung, die als Begehren auf bestimmte Teilhabeleistungen verstanden werden kann, einen Antrag.

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Vor dem Hintergrund der §§ 16 Abs. 3, 17 Abs. 1 Nr. 1 und 3 SGB I, wonach die Leistungsträger verpflichtet sind, darauf hinzuwirken, dass unverzüglich klare und sachdienliche Anträge gestellt und unvollständige Angaben ergänzt werden, liegt ein Antrag auch dann vor, wenn das Begehren in Einzelheiten noch unklar oder unvollständig ist (Ulrich in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, § 14 SGB IX, Rn. 55). Sofern das Sozialrecht keine speziellen Regelungen trifft, finden bei der Auslegung konkludenter Handlungen die Vorschriften des BGB, insbesondere dessen § 133, Anwendung (BSG Urteil vom 2. April 2014 - B 4 AS 29/13 R, Rn. 16; BSG Urteil vom 17. Juli 1990 - 12 RK 10/89, Rn. 20). Der entsprechend anwendbare § 133 BGB erfordert die Feststellung des (normativ) in Wahrheit Gewollten nach Maßgabe des Empfängerhorizonts auf der Grundlage aller im Einzelfall als einschlägig in Betracht kommenden Umstände. Maßgebend für die Auslegung eines Antrags ist daher – unter Berücksichtigung aller Umstände – der erkennbare wirkliche Wille des Antragstellers (BSG Urteil vom 1. April 1981 - 9 RV 49/80, Rn. 17; BSG Urteil vom 23. Februar 1973 - 3 RK 44/71, Rn. 18). Die Auslegung hat nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung zu erfolgen (BSG Urteil vom 6. Mai 2010 - B 14 AS 3/09 R, Rn. 14). Danach ist, sofern eine ausdrückliche Beschränkung auf eine bestimmte Leistung nicht vorliegt, davon auszugehen, dass der Antragsteller die nach der Lage des Falls ernsthaft in Betracht kommenden Leistungen begehrt, unabhängig davon, welchen Ausdruck er gewählt hat (BSG Urteil vom 11.9.2001 - B 2 U 41/00 R, Rn. 24; BSG vom 01. April 1981 - 9 RV 49/80, Rn. 17; BSG Urteil vom 15. November 1979 - 7 RAr 75/78, Rn. 13).

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Im Übrigen ist eine inhaltliche Konkretisierung deshalb nicht erforderlich und ggf. unschädlich, da die Rehabilitationsträger bei Ablehnung einer bestimmten Leistung verpflichtet sind, Alternativen zu prüfen. Eine Konkretisierung des Leistungsbegehrens und ggf. medizinische oder berufskundliche Ermittlungen sind nicht Teil der Antrag-, sondern der Bedarfsfeststellung, die ersterer folgt (Ulrich in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, § 14 SGB IX, Rn. 55). Ein einmal gestellter Antrag ist umfassend auf alle nach Lage des Falls in Betracht kommende Leistungen und Anspruchsgrundlagen hin zu prüfen (Ulric, a.a.O., Rn. 61).

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Zuzustimmen ist der Beklagten vorliegend, dass sich aus der kommentarlosen Übersendung des Wiedereingliederungsplanes kein eindeutiger Antrag des Klägers auf eine bestimmte Leistung ergibt, womit diese Handlung der Auslegung bedurfte. Die Beklagte hätte vorliegend jedoch aufgrund des Vorgenannten die Übersendung des Wiedereingliederungsplans als Antrag auf sämtliche Leistungen werten müssen, die im Zusammenhang mit der stufenweisen Wiedereingliederung als medizinische Rehabilitationsleistungen ernsthaft in Betracht kamen. Dies waren sowohl unterhaltssichernde Leistungen wie Krankengeld oder Übergangsgeld als auch die Erstattung mit der Maßnahme verbundener Aufwendungen, insbesondere von Fahrkosten. Bei Unklarheiten wäre die Beklagte verpflichtet gewesen, durch Rückfrage zu ermitteln, welche konkreten Leistungen der Kläger begehrt. Bei der erforderlichen Auslegung war neben dem Meistbegünstigungsgrundsatz zu berücksichtigen, dass die stufenweise Wiedereingliederung nach § 28 SGB IX a.F. zu den medizinischen Rehabilitationsleistungen gehört, für die die Beklagte nach §§ 6, 5 SGB IX gerade zuständig ist.

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Mit dem Wiedereingliederungsplan bestätigt der behandelnde Arzt, dass der Versicherte durch eine stufenweise Wiederaufnahme seiner Tätigkeit schonend wieder in das Erwerbsleben eingegliedert werden kann und dass im Einverständnis mit dem Versicherten und dessen Arbeitgeber ein bestimmter Ablauf empfohlen wird. Die Beklagte konnte nicht davon ausgehen, dass die Übersendung des Wiedereingliederungsplans nur dazu gedient hat, den Kläger von dem Erfordernis zur Übersendung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zur Aufrechterhaltung seines Krankengeldanspruchs zu befreien, denn der Kläger bezog zu diesem Zeitpunkt bereits kein Krankengeld mehr. Im Übrigen hat die Beklagte in der Übersendung des Wiedereingliederungsplanes auch nicht lediglich eine Information gesehen, sondern einen Antrag, allerdings auf Krankengeld. Zu berücksichtigen ist zudem, dass in Fällen, in denen der Versicherte z.B. eine schriftliche Empfehlung seines Arztes zur Durchführung einer Rehabilitation einreicht, die Krankenkassen dies regelmäßig als Antrag des Versicherten auf Bewilligung einer entsprechenden medizinischen Rehabilitationsleistung werten werden und nicht lediglich als bloßes Informationsschreiben.

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Auch der Umstand, dass der Kläger der Beklagten lediglich eine Kopie übermittelt und das Original (später) beim Jobcenter eingereicht hat, führt zu keiner anderen Auslegung. Wie bereits ausgeführt, ist der Antrag an keine Form gebunden. Demnach reicht auch die Übersendung einer Kopie aus. Zudem wusste die Beklagte bei Eingang des Wiedereingliederungsplans nicht, dass der Kläger das Original beim Jobcenter einreichen wird, sodass dieser Umstand bei der Auslegung nicht berücksichtigt werden kann. Gegen die Auffassung des Sozialgerichts, welches das Jobcenter als erstangegangenen Träger angesehen hat, spricht auch, dass das Jobcenter und die Bundesagentur für Arbeit keine Rehabilitationsträger für Leistungen der medizinischen Rehabilitation sind. Auch die Bundesagentur erbringt nur Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und keine Leistungen der medizinischen Rehabilitation. Die hier streitigen Leistungen sind jedoch ergänzende Leistungen der stufenweisen Wiedereingliederung und damit einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme.

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b) Der Kläger hat den Antrag auf medizinische Rehabilitation in Form der stufenweisen Wiedereingliederung auch zuerst bei der Beklagten gestellt. Abgesehen davon, dass das Jobcenter nicht zu den in § 6 SGB IX genannten Trägern medizinischer Rehabilitation zählt, hat der Kläger den Wiedereingliederungsplan dort erst zu einem späteren Zeitpunkt eingereicht.

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Soweit die Beklagte geltend macht, als erstangegangener Träger komme die Beigeladene zu 1. in Betracht, ist dem entgegenzuhalten, dass der Kläger den Wiedereingliederungsplan dort zu keinem Zeitpunkt vorgelegt hat. Auch ist nicht erkennbar, dass die Beigeladene zu 1. durch den Kläger in anderer Weise über die bevorstehende stufenweise Wiedereingliederung informiert worden ist. Richtig ist zwar, dass der Sozialmedizinische Dienst im Zusammenhang mit der im Jahre 2010 erfolgten Rentenantragsstellung Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (und nicht Leistungen der medizinischen Rehabilitation) empfohlen hatte; einen Antrag auf entsprechende Leistungen hat der Kläger aber erst am 22. Oktober 2012 und demnach nach Eingang des Antrags bei der Beklagten und nach Abschluss der stufenweisen Wiedereingliederung gestellt. Auch der im Jahre 2010 gestellte Rentenantrag führt nicht dazu, dass die Beigeladen zu 1. für die hier streitigen Leistungen als erstangegangener Träger anzusehen ist. Denn selbst wenn man in diesem Antrag grundsätzlich als “Weniger“ einen Antrag auf Leistungen der medizinischen Rehabilitation sehen würde, bezöge sich dieser jedenfalls nicht auf die erst im Jahre 2012 erfolgte stufenweise Wiedereingliederung, die im Zeitpunkt der Rentenantragstellung weder beabsichtigt noch vorhersehbar gewesen ist.

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Da die Beklagte den bei ihr gestellten Antrag nicht innerhalb von zwei Wochen an den nach ihrer Ansicht zuständigen Rehabilitationsträger weitergeleitet hat, ergibt sich ihre Zuständigkeit demnach bereits aus § 14 SGB IX. Die Beklagte war demnach verpflichtet, den Rehabilitationsbedarf festzustellen und die geltend gemachten Ansprüche des Klägers auch unter Berücksichtigung der Leistungsgesetze anderer medizinischer Rehabilitationsträger zu prüfen.

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2) Dem Kläger steht gegen die Beklagte als ergänzende Leistung zur stufenweisen Wiedereingliederung jedoch weder ein Anspruch auf Krankengeld nach § 44 Abs. 1 Nr. 1, 45 Abs.1 Nr. 1 SGB IX in der Fassung des Gesetzes vom 20. Dezember 2011 (a.F.) i.V.m. §§ 44 ff SGB V noch auf Übergangsgeld nach § 44 Abs. 1 Nr. 1, 45 Abs. 3 SGB IX a.F.. i.V.m. §§ 20, 21 SGB VI zu.

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a) Ein Anspruch auf Krankengeld nach § 44 Abs. 1 Nr. 1, 45 Abs.1 Nr. 1 SGB IX idF vom 20. Dezember 2011 i.V.m. §§ 44 ff SGB V scheitert – wie das Sozialgericht bereits zutreffend ausgeführt hat – schon daran, dass der Kläger in dem streitgegenständlichen Zeitraum über seine Ehefrau nach § 10 SGB V familienversichert und damit nach § 44 Abs. 2 Nr. 1 SGB V nicht mit Anspruch auf Krankengeld versichert war.

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b) Ein Anspruch auf Übergangsgeld nach § 44 Abs. 1 Nr. 1, 45 Abs. 3 SGB IX a.F.. i.V.m. §§ 20, 21 SGB VI ist ebenfalls nicht gegeben. Denn dieser setzt voraus, dass die Leistungen im Zusammenhang mit der stufenweisen Widereingliederung in die originäre Zuständigkeit des Rentenversicherungsträgers, also des Beigeladenen zu 1. fallen, was vorliegend nicht der Fall ist. Die stufenweise Wiedereingliederung zählt zwar grundsätzlich zum Katalog der medizinischen Reha-Leistungen, die (auch) vom Rentenversicherungsträger zu erbringen sind. Dieser Katalog bestimmt sich auf Grund der Verweisung in § 15 Abs. 1 SGB VI in der Fassung des Gesetzes vom 17. Dezember 2003 nach den §§ 26 bis 31 SGB IX. Zu den im SGB IX aufgelisteten Leistungen zählte nach § 28 SGB IX auch die stufenweise Wiedereingliederung (BSG, Urteil vom 29. Januar 2008 - B 5a/5 R 26/07 R -, juris Rdnr. 20).

53

Wenn die Voraussetzungen dieser Vorschrift im Einzelnen erfüllt sind, kann der Rentenversicherungsträger für die medizinischen und die sie ergänzenden Leistungen entsprechend dieser Zielsetzung nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 5 Nr. 1 SGB IX zuständig sein. Zu den dort genannten ergänzenden Leistungen zählt nach § 44 Abs. 1 Nr.1 SGB XI a.F. i.V.m. §§ 20,28 SGB VI auch das Übergangsgeld. Da nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 5 Nr. 1 SGB XI aber auch eine Zuständigkeit der Krankenkassen gegeben ist, ist es erforderlich, eine Abgrenzung der jeweiligen Zuständigkeit vorzunehmen. Eine vorrangige Zuständigkeit des einen oder des anderen Trägers ist in den Regelungen des SGB V, SGB VI oder SGB IX nicht ausdrücklich vorgegeben (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 11. Dezember 2013 – L 2 R 1706/11). Das Bundessozialgericht hat mit Urteil vom 29. Januar 2008 B 5a/5 R 26/07 R ausgeführt, dass nach § 4 Abs. 2 Satz 2 SGB IX die Leistungen zur Teilhabe, d.h. auch die medizinische Reha, von den Leistungsträgern im Rahmen der für sie geltenden Rechtsvorschriften nach Lage des Einzelfalls so vollständig, umfassend und in gleicher Qualität erbracht werden sollen, dass Leistungen anderer Träger möglichst nicht erforderlich werden und auch der Leistungsberechtigte vor einem unnötigen Zuständigkeitswechsel während einer als einheitlich anzusehenden Reha-Maßnahme bewahrt wird. Für die stufenweise Wiedereingliederung wird dieser Grundsatz durch § 51 Abs. 5 SGB IX a.F. (jetzt § 71 SGB IX) bestätigt.

54

Eine Zuständigkeit des Rentenversicherungsträgers für die stufenweise Wiedereingliederung des Versicherten ist demnach (nur) dann gegeben, wenn diese unmittelbar im Anschluss an eine von ihm geförderte medizinische Rehabilitation erforderlich ist, um den Erfolg dieser Rehabilitation zu festigen oder erst herbeizuführen (vgl. auch BSG, Urteil vom 20. Oktober 2009, B 5 R 44/08 R; LSG Baden-Württemberg a.a.O.; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 07. Oktober 2015- L 2 R 349/15, Rn. 19-21, juris; Sichert in Becker/Kingreen, SGB V, 5. Aufl., § 74 Rn. 3). Der Rentenversicherungsträger bleibt nach einer von ihm gewährten stationären Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation und demnach auch für die Zahlung von Übergangsgeld zuständig, solange sich die stufenweise Wiedereingliederung als Bestandteil einer in der Zusammenschau einheitlichen (Gesamt-)Maßnahme darstellt.

55

In Anwendung dieser Zuständigkeitsabgrenzung ist eine Zuständigkeit der Beigeladenen zu 1. für die stufenweise Wiedereingliederung vorliegend nicht gegeben, da die stufenweise Wiedereingliederung sich in der Gesamtschau nicht als Bestandteil einer einheitlichen Gesamtmaßnahme, bestehend aus stationärer medizinischer Rehabilitation und stufenweiser Wiedereingliederung, darstellt. Ein solcher unmittelbare Zusammenhang ist nur dann gegeben, wenn das rentenversicherungsrechtliche Rehabilitationsziel noch nicht erreicht ist, der weitere Rehabilitationsbedarf spätestens bei Abschluss der stationären Maßnahme zutage getreten ist und die Voraussetzungen des § 28 SGB IX bis zum Beginn der stufenweisen Widereingliederung durchgehend vorliegen. Beträgt der Zeitraum zwischen der stationären medizinischen Rehabilitation und der stufenweisen Wiedereingliederung weniger als eine Woche, kann vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 28 SGB IX ohne weiteres ausgegangen werden (BSG, Urteil vom 20. Oktober 2009, B 5 KR 44/98 R).

56

Vorliegend lagen zwischen dem Ende der stationären Rehabilitation (02. September 2011) und dem Beginn der stufenweisen Wiedereingliederung am 01. Juli 2012 knapp 10 Monate. Zudem lagen die Voraussetzungen der stufenweisen Widereingliederung bei Entlassung aus der stationären Rehabilitation weder vor, noch war absehbar, dass diese zeitnah erfüllt sein würden. Vielmehr hatte die Rehabilitationsklinik die Notwendigkeit einer stufenweisen Wiedereingliederung zum damaligen Zeitpunkt ausdrücklich verneint. Mangels Zuständigkeit der Beigeladene zu 1. scheidet ein Anspruch auf Übergangsgeld des Klägers während der Dauer der Wiedereingliederungsmaßnahme auch unter Berücksichtigung von § 14 SGB IX aus.

57

c) Ein Anspruch auf andere unterhaltssichernde Leistungen besteht gegen die Beklagte als erstangegangenen Träger nach § 14 SGB IX ebenfalls nicht. Der Kläger hat während der stufenweisen Wiedereingliederung zunächst Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II bezogen. Aufgrund der nachträglich erfolgten Gewährung der teilweisen Erwerbsminderungsrente erfolgte im Nachhinein eine Erstattung der erbrachten Leistungen durch die Beigeladene zu 1. an den Beigeladene zu 2. Ob und inwieweit der Beigeladene zu 2. zunächst höhere Leistungen aufgrund der Berücksichtigung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 4 S. 1 Alt. 2 SGB II (vgl. dazu BSG, Urteil vom 05. Juli 2017, B 14 AS 27/16 R) bewilligt hat bzw. hätte bewilligen müssen, ist vorliegend nicht zu prüfen. Zwar hat der Beigeladene zu 2. die stufenweise Wiedereingliederung als eine sonstige Hilfe zur Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes im Sinne von § 21 Abs. 4 Satz 1 Alt 2 SGB II angesehen, womit der genannte Mehrbedarfsanspruch ausgelöst worden sein dürfte. Es handelt sich jedoch hierbei nicht um eine (ergänzende) medizinische Rehabilitationsleistung, für die nach § 14 SGB X eine Zuständigkeit der Beklagten gegeben sein könnte, sondern um einen Teil der (Regel)leistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II.

58

d) Die Beklagte hat jedoch zu Unrecht Leistungen zur Teilhabe insgesamt abgelehnt, denn dem Kläger stand ein Anspruch auf Erstattung seiner Fahrkosten gegen die Beklagte aus § 11 SGB V i.V.m. §§ 7, 28, 44 Abs. 1 Nr. 5, 53 Abs. 4 SGB IX zu.

59

Die stufenweise Wiedereingliederung war von der Beklagten als zuständigen Rehabilitationsträger zu erbringen, da die Voraussetzungen des § 28 SGB IX vorlagen (dazu unter aa)) und wie bereits ausgeführt, keine Zuständigkeit der Beigeladenen zu 1) bestand. Darüber hinaus handelt es sich bei der stufenweisen Wiedereingliederung auch um eine Hauptleistung der medizinischen Rehabilitation, für die Fahrkosten als ergänzende Leistungen zu erstatten sind (dazu unter bb).

60

aa) Der Anspruch des Klägers auf medizinische Rehabilitation in Form der stufenweisen Wiedereingliederung gegen die Beklagte folgt aus §§ 7, 28 SGB IX in der Fassung des Gesetzes vom 19. Juni 2001 i.V.m. § 11 Abs. 2 S. 1 SGB V.

61

Gemäß § 7 SGB X gelten die Vorschriften des SGB IX für die Leistungen zur Teilhabe, soweit sich aus den für den jeweiligen Leistungsträgern geltenden Leistungsgesetzen nichts Abweichendes ergibt. Die Zuständigkeit und die Voraussetzungen für die Leistungen zur Teilhabe richten sich nach den für den jeweiligen Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen. Die Frage, ob eine stufenweise Wiedereingliederung als Leistung der Beklagten zu erbringen war, richtet sich nach § 11 Abs. 2 SGB V i.V.m. § 28 SGB IX. Auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 40 SGB V kommt es vorliegend nicht an, da diese Vorschrift nur den Anspruch des Versicherten auf Leistungen der medizinischen Rehabilitation regelt, soweit diese in und durch Einrichtungen ausgeführt werden, was vorliegend nicht der Fall ist. Nach § 11 Abs. 2 SGB V in der Fassung des Gesetzes vom 22. Dezember 2011 haben Versicherte Anspruch auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sowie auf unterhaltssichernde und andere ergänzende Leistungen, die notwendig sind, um eine Behinderung oder Pflegebedürftigkeit abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mindern. Diese Leistungen werden unter Beachtung des SGB IX erbracht, soweit im SGB V nichts anderes bestimmt ist (§ 11 Abs. 2 Satz 3 SGB V; vgl BSG, Urteil vom 26. Juni 2007 – B 1 KR 36/06 R, Rn. 18).

62

Vorliegend war eine medizinische Rehabilitation in Form der stufenweisen Wiedereingliederung des Klägers notwendig, um den Kläger wieder besser in das Erwerbsleben einzugliedern und damit die Folgen der Behinderung zu mindern. Bei ihm lag eine Behinderung im Sinne von § 2 SGB IX vor. Ein GdB von 50 war anerkannt. Als Folge der bei ihm vorhandenen Erkrankungen war der Kläger nicht mehr in der Lage, seine bisherige Tätigkeit als Kommissionierer auszuüben, da er den entsprechenden Anforderungen an diesen Arbeitsplatz nicht mehr voll gewachsen war. Zudem war der Kläger bereits seit längerer Zeit arbeitsunfähig. Die stufenweise Wiedereingliederung bot ihm die Möglichkeit, sich wieder langsam an einen Arbeitsalltag und die Belastungen des Arbeitsplatzes entsprechend seiner körperlichen Belastbarkeit zu gewöhnen. Der Kläger verfügte auch über das nach § 28 SGB IX a.F. dafür erforderliche Teilleistungsvermögen. Die Wiedereingliederungsfähigkeit verlangt die Fähigkeit, einzelne Leistungen innerhalb der betrieblichen Organisation erbringen zu können, um auf diese Wiese eine schrittweise Wiedereingliederung in das Arbeitsleben zu erreichen. Diese Fähigkeit wurde durch den behandelnden Arzt mit dem Wiedereingliederungsplan bestätigt. Gegen die Notwendigkeit einer stufenweisen Wiedereingliederung spricht auch nicht der Umstand, dass die Rehabilitationsklinik bereits in der sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung vom 06. September 2011 ein vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte bis mittelschwere Arbeiten im Umfang von sechs Stunden und mehr bestätigt hatte. Denn zu berücksichtigen ist, dass der Kläger in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis stand. Aus § 28 SGB IX a.F. ergibt sich, dass zu den Zielen der medizinischen Rehabilitation auch die Wiederaufnahme der Tätigkeit bei dem bisherigen Arbeitsgeber zählt. Dieses Ziel konnte nur durch eine stufenweise Wiedereingliederung erreicht werden. Die vom Gesetz angestrebte bessere Eingliederung wird auch dann erreicht, wenn nicht die frühere Arbeitszeit, sondern eine Teilarbeitszeit erreicht werden kann (Bayerisches LSG, Urteil vom 25. April 2018, L 13 R 64/15). Auch die Befähigung zu einer nach Art, Dauer, zeitlicher und räumlicher Lage veränderten Arbeitstätigkeit kann Eingliederung in das Erwerbsleben sein (BAG, Urteil vom 13. Juni 2006 – 9 AZR 229/05). Somit waren die klassischen Voraussetzungen einer jeden Rehabilitationsleistung (Reha-Fähigkeit, Reha-Bedürftigkeit und positive Prognose) sowie die Voraussetzungen des § 28 SGB IX a.F. erfüllt.

63

bb) Gemäß §§ 44 Abs. 1 Nr. 5, 53 Abs. 4 SGB IX besteht ein Anspruch des Klägers auf Reisekosten als ergänzende Leistung zu medizinischen Rehabilitation. Zu den Reisekosten zählen die im Zusammenhang mit der Ausführung einer Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben erforderlichen Fahrkosten. Bei Benutzung eines eigenen PKW wird eine Wegstreckenentschädigung in Höhe von 20 Cent je Kilometer zurückgelegter Strecke gewährt (§ 53 Abs. 4 S. 1 SGB IX i.V.m. § 5 Abs. 1 Bundesreisekostengesetz).

64

Bei der stufenweisen Wiedereingliederung handelt es sich um eine eigenständige Leistung der medizinischen Rehabilitation, bei der ergänzende Leistungen zu gewähren sind. Soweit vereinzelt die Auffassung vertreten wird, eine stufenweise Wiedereingliederung stelle keine eigenständige Leistung zur medizinischen Rehabilitation dar, die einen Anspruch auf Fahrkosten gemäß § 53 SGB IX auslöse (so SG Kassel, Urteil vom 20. Mai 2014, S 9 R 19/13), steht dem die systematische Stellung des § 28 SGB IX und auch die Rechtsprechung des BSG entgegen (so auch SG Neuruppin, Urteil vom 26. Januar 17, S 22 R 127/14; SG Kiel, Urteil vom 04. November 2016, S 3 KR 201/15; SG Berlin, Urteil vom 29. November 2018, S 4 R 1970/18). In Kapitel 6 des SGB IX (§§ 44 ff SGB IX in der hier maßgeblichen Fassung) hat der Gesetzgeber die „Ergänzenden Leistungen“ geregelt, welche die Hauptrehabilitationsleistungen flankieren und zusätzlich zu diesen zu gewähren sind. Die Hauptrehabilitationsleistungen selbst sind in dem Kapitel 4 „Leistungen zur medizinischen Rehabilitation“ und in dem Kapitel 5 „Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben“ geregelt. Bereits daraus, dass die stufenweise Wiedereingliederung in § 28 SGB IX im Kapitel 4 des SGB IX aufgeführt ist, ergibt sich, dass es sich um eine eigenständige Leistung der medizinischen Rehabilitation handelt. Das BSG hat mit Urteil vom 20. Oktober 2009 (B 5 KR 44/08 R) ausgeführt, dass die stufenweise Wiedereingliederung eine Hauptleistung sei, die z.B. durch Übergangsgeld ergänzt werde. Auch der Umstand, dass die stufenweise Wiedereingliederung in § 26 Abs. 2 SGB IX nicht ausdrücklich aufgezählt wird, spricht nicht gegen ihre Einordnung als Hauptleistung der medizinischen Rehabilitation. Denn erkennbar handelt es sich um nicht um eine abschließende, sondern um eine offene Aufzählung („insbesondere“).

65

Zu den ergänzenden Leistungen der medizinischen Rehabilitation zählen gemäß § 53 SGB IX auch Reisekosten. Dies ergibt sich zudem aus § 43 SGB V. Denn danach kann die Krankenkasse neben den Leistungen, die nach § 44 Abs. 1 Nr. 2 bis 6 sowie nach §§ 53 und 54 SGB IX als ergänzende Leistungen zu erbringen sind, weitere ergänzende Leistungen erbringen. Auch in § 60 Abs. 5 SGB V ist bestimmt, dass im Zusammenhang mit Leistungen zur medizinischen Rehabilitation Fahr- und andere Reisekosten nach § 53 Abs. 1 bis 3 SGB IX übernommen werden.

66

Während § 28 SGB IX lediglich regelt, dass die medizinischen und die sie ergänzenden Leistungen erbracht werden sollen, weisen die gewählten Formulierungen in § 43 SGB V („zu erbringen sind“) und in § 60 Abs. 5 SGB V („werden übernommen“) darauf hin, dass es sich bei den Fahrkosten als ergänzenden Leistungen nicht um eine Ermessensleistung handelt, sondern um einen gebundenen Anspruch. Da wie bereits dargelegt, die Voraussetzungen für eine stufenweise Wiedereingliederung als medizinische Reha-Leistung der Beklagten vorliegen, hat die Beklagte demnach die entstandenen Reisekosten zu erstatten.

67

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Dabei hat der Senat im Rahmen der zu treffenden Billigkeitsentscheidung das beidseitige Teilunterliegen berücksichtigt.

68

Gründe für eine Revisionszulassung liegen nicht vor, § 160 SGG.

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