Urteil vom Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (12. Senat) - L 12 R 193/12

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten werden das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 5.6.2012 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

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Die Beteiligten streiten darüber, ob die Tätigkeit des Klägers als Minderheits-Gesellschafter-Geschäftsführer für die Beigeladene zu 1) sozialversicherungspflichtig in der Renten- und Arbeitslosenversicherung ist.

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Die zu 1) beigeladene U. GmbH wurde am 15.10.2007 von dem 1969 geborenen Kläger und der M., vertreten durch deren zur Alleinvertretung berechtigten Geschäftsführer N., gegründet. Gegenstand des Unternehmens ist die Planung und Errichtung von Elektroanlagen aller Art, Vertrieb elektrischer Geräte und Anlagen sowie Beratung in elektronischen Fragen. Von dem Stammkapital in Höhe von 50.000 € übernahmen die M. 40.000 € und der Kläger 10.000 €. Der Kläger wurde zum (alleinigen) Geschäftsführer bestellt. Es wurde vereinbart, dass er die Beigeladene zu 1) allein vertritt, solange er alleiniger Geschäftsführer ist. Wegen der Einzelheiten wird auf das Gründungsprotokoll und den Gesellschaftervertrag vom 15. bzw. 16.10.2007 verwiesen. Durch Vertrag vom 18.2.2008 teilte der Kläger seinen Geschäftsanteil in zwei Anteile zu je 5.000 €, von denen er einen Anteil an O. verkaufte und abtrat. Herr O. wurde neben dem Kläger Geschäftsführer; beide waren (nur) befugt, die Gesellschaft mit dem jeweils anderen Geschäftsführer (oder einem Prokuristen) zu vertreten (Änderungseintragung im Handelsregister am 29.2.2008). Am 28.2.2008 schlossen die Beigeladene zu 1) und der Kläger einen Geschäftsführervertrag mit Wirkung vom 1.3.2008. Nach der „Vorbemerkung“ in diesem Vertrag soll der Kläger als Geschäftsführer im Anstellungsverhältnis für die GmbH tätig werden. Dementsprechend wird der Vertrag in einzelnen Regelungen mehrfach als Anstellungsvertrag bezeichnet. Im Einzelnen wurde in dem Vertrag u.a. geregelt: In § 1 sind der Vertragsbeginn und eine Kündigungsfrist von sechs Monaten bestimmt. Nach § 2 ist der Geschäftsführer allein berechtigt, die Gesellschaft zu vertreten, und von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit. In § 3 ist ein festes Jahresgehalt von 78.000 € vereinbart, zahlbar in 12 gleichen Raten jeweils am Ende des Kalendermonats. Es wurde ein Jahresurlaub von 30 Tagen vereinbart; Bestimmung des Zeitpunkts durch den Geschäftsführer unter Berücksichtigung der Belange der GmbH (§ 4). In § 5 ist die Verschwiegenheitspflicht des „Arbeitnehmers“ geregelt. § 6 enthält Regelungen über Nebentätigkeiten, wobei in Abs. 2 geregelt ist, unter welchen Voraussetzungen der „Arbeitgeber“ dem „Mitarbeiter“ eine Nebentätigkeit untersagen kann. Nach § 7 sind Rechte an nicht schutzfähigen Erfindungen, Verbesserungen, Konstruktionen und sonstige Urheberrechte aller Art, die im Zusammenhang mit der Tätigkeit des Arbeitnehmers entstehen, sowie daraus folgende Nutzungsrechte auf den Arbeitgeber zu übertragen, soweit gesetzliche Bestimmungen dem nicht entgegenstehen. Am 8.4.2008 schlossen der Kläger und die Beigeladene zu 1) einen Darlehensvertrag über ein von dem Kläger bereits am 11.1.2008 ausgezahltes verzinstes Darlehen als Liquiditätshilfe für die Beigeladene zu 1).

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Der Kläger beantragte am 29.10.2009 bei der Beklagten eine Entscheidung über seine Versicherungspflicht nach § 7a Abs. 1 SGB VI und die Feststellung, dass ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis nach § 7 Abs. 1 SGB VI nicht besteht. Er sei aus folgenden Gründen als Selbstständiger einzustufen: Er sei Mitbegründer des Unternehmens, anfangs mit 20 % daran beteiligt gewesen und habe das gesamte Unternehmen aufgebaut (Immobilie gesucht und angemietet, 18 Mitarbeiter gesucht und Arbeitsverträge mit ihnen geschlossen, 10 Fahrzeuge und die gesamte IT angeschafft, nach dem enormen Zuwachs sei ein weiterer Gesellschafts-Geschäftsführer eingestellt worden, um die Belastung zu verteilen). Er sei am 28.2.2008 zum alleinvertretungsberechtigten und von den Beschränkungen des § 181 BGB befreiten Geschäftsführer bestellt worden, nehme im Unternehmen der GmbH eine herausragende unternehmerische Stellung ein und beeinflusse die Gesamtgeschicke der GmbH. Er sei der absolute Kopf und die Seele des Unternehmens. Seine Beteiligung von 10% entspreche einem Verkehrswert von 1,2 Mio. €. Er habe dem Unternehmen am 11.1.2008 ein Darlehen von    20.000 € gewährt. Er könne seine Tätigkeit für das Unternehmen völlig weisungsfrei gestalten. Die anderen Gesellschafter setzten ihr volles Vertrauen auf seine unternehmerischen Fähigkeiten. Wie sich aus der vorgelegten Bestätigung des Hauptgesellschafters ergebe, sei er nicht in eine von der Gesellschaft vorgegebene Betriebsorganisation und somit nicht in einen dienenden funktionsgerechten Arbeitsprozess eingegliedert. Er unterliege hinsichtlich Zeit, Ort und Art seiner Tätigkeit keinerlei Direktionsrecht der anderen Gesellschafter. Er trage wegen seiner Einlage, der vereinbarten Tantieme (die bis zu 50% seines Grundgehalts hoch sein könne) und wegen des dem Unternehmen gewährten Darlehens auch ein hohes unternehmerisches Risiko. In dem von ihm ausgefüllten Feststellungsbogen machte der Kläger zusätzlich u.a. folgende Angaben: Die unabhängig von der Ertragslage des Unternehmens gezahlte und auch bei Arbeitsunfähigkeit weitergewährte monatliche Vergütung betrage 8.000 €. Davon werde Lohnsteuer entrichtet, die Verbuchung erfolge als Lohn/Gehalt. Neben dem genannten Feststellungsbogen und den o. g. Verträgen fügte der Kläger seinem Antrag ein seine Angaben bestätigendes Schreiben des Geschäftsführers N. der Hauptgesellschafterin P. der Beigeladenen zu 1) vom 25.8.2009 bei. Darauf und auf ein weiteres bekräftigendes Schreiben des N. vom 9.12.2009 wird verwiesen.

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Nach Anhörung des Klägers stellte die Beklagte mit Bescheid vom 21.1.2010 fest, dass die Tätigkeit des Klägers als Gesellschafter-Geschäftsführer bei der Beigeladenen zu 1) ab dem 28.2.2008 im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt werde. Mit seinem Anteil von 10% am Stammkapital der Gesellschaft könne er keinen maßgebenden Einfluss auf die Geschicke der GmbH nehmen. Der Kläger könne mangels Vetorechten bzw. Sperrminoritäten keine Entscheidungen verhindern. Angesichts der Zahlung fester Bezüge trage er kein – eine selbstständige Tätigkeit kennzeichnendes – Unternehmerrisiko. Zwar sei er aufgrund der vom Geschäftserfolg abhängigen Tantiemen indirekt am Gewinn der Gesellschaft beteiligt. Einen Wegfall bzw. eine Kürzung seiner Bezüge bei schlechter Geschäftslage müsse er aber nicht befürchten. Auch die Gewährung des Darlehens sei kein erhebliches Unternehmerrisiko, weil das Darlehen zu marktüblichen Konditionen verzinst sei und in regelmäßigen Raten zurückgezahlt werde. Die Gewährung eines Darlehens sei zwar untypisch für einen Arbeitnehmer, schließe ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis aber nicht aus. Hinsichtlich Zeit, Ort und Art der Tätigkeit habe der Kläger weitgehende Gestaltungsfreiheit. Trotzdem bleibe seine Arbeitsleistung fremdbestimmt, weil sie sich in eine von der Gesellschafterversammlung vorgegebene Ordnung eingliedere. Die Weisungsgebundenheit verfeinere sich hier, wie bei Diensten höherer Art üblich, zur funktionsgerecht dienenden Teilhabe. Allein aus der weisungsfreien Ausübung der Tätigkeit könne nicht auf eine selbstständige Tätigkeit geschlossen werden, weil der Kläger nur im Rahmen des Gesellschaftsvertrages und der Gesellschafterbeschlüsse handeln dürfe, sodass er – selbst bei Belassung großer Freiheiten – der Überwachung durch den Hauptgesellschafter unterliege. Dies gelte auch dann, wenn der Hauptgesellschafter von seiner Überwachungsbefugnis keinen Gebrauch mache. Ihm stehe die alleinige Rechtsmacht zu, Entscheidungen im Rahmen der Gesellschafterversammlung zu treffen (z.B. die Abberufung des Klägers als Geschäftsführer). Mit seinem dagegen erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, die von der Beklagten vorgenommene Gesamtwürdigung der Tatsachen sei fehlerhaft. Die Merkmale einer selbstständigen Tätigkeit überwögen. Der Hauptgesellschafter lasse ihm absolut freie Hand. Er selbst habe das der Gesellschaft zu Grunde liegende erfolgreiche Geschäftsmodell erarbeitet und die Gesellschaft nach Einigung mit dem Hauptgesellschafter eigenverantwortlich strategisch und konzeptionell ausgerichtet. Er führe die Gesellschaft operativ eigenverantwortlich im Bereich Vertrieb und Marketing, lege strategische Allianzen fest und gehe eigenverantwortlich Partnerschaften mit Lieferanten und Wettbewerbern ein. Der weitere Geschäftsführer sei für die Bereiche Finanzen, Abwicklung, Fuhrpark und Personalwesen zuständig. Zur näheren Erläuterung stellte der Kläger die Entstehung und die Hauptmerkmale seiner Tätigkeit für die Beklagte zu 1) dar; insoweit wird wegen der Einzelheiten auf das Widerspruchschreiben vom 19.2.2010 verwiesen. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 28.5.2010 im Wesentlichen unter Aufrechterhaltung der Begründung ihres Ausgangsbescheides zurück.

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Daraufhin hat der Kläger am 1.7.2010 bei dem Sozialgericht Bremen (SG) Klage erhoben.

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Im Laufe des Klageverfahrens hat die Beklagte ihre angefochtenen Bescheide mit Bescheid vom 6.3.2012 dahingehend abgeändert, dass Versicherungspflicht (nur) in der Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung besteht, nicht auch in der Krankenversicherung. Die Versicherungspflicht beginne am 1.3.2008.

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Der Kläger hat zur Klagebegründung nochmals seinen maßgeblichen Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft betont. Hinsichtlich seines unternehmerischen Risikos hat er ergänzend vorgetragen, seine Beteiligung von 10% an der Gesellschaft sei der Grund für sein bei einer 60 Stunden-Woche relativ geringes Festgehalt. Dieses werde durch die Beteiligung am Unternehmensgewinn, durch die Tantiemen und die erhebliche Wertsteigerung seines Gesellschaftsanteils ausgeglichen. Die erhebliche Wertsteigerung seines Anteils von 10.000 € auf 1,2 Mio. € sei vor allem das Ergebnis seines unternehmerischen Engagements. Die Beklagte hat an ihrer Auffassung festgehalten.

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Das SG hat in der mündlichen Verhandlung am 5.6.2012 den Kläger angehört und Herrn N. als Zeugen vernommen. Der Zeuge hat im Wesentlichen erklärt, er habe in der Beigeladenen zu 1) eine reine Gesellschafterrolle inne, insbesondere als Geldgeber. Er habe der Geschäftsidee des Klägers zunächst skeptisch gegenübergestanden, sich dann aber überzeugen lassen. Dies insbesondere deshalb, weil der Kläger sein gesamtes Hab und Gut für die Errichtung des Unternehmens zusammengekratzt habe. Für ihn – den Zeugen – sei die Geschäftstätigkeit der Gesellschaft im Automobilbereich nicht immer überschaubar. Er komme aus dem Bereich Tierzucht und kenne auch den Kundenkreis der Beigeladenen zu 1) nicht. Ins Tagesgeschäft mische er sich überhaupt nicht ein. Strategische Entscheidungen würden als Partner gemeinsam getroffen. Sollte der Kläger eine ihm nach seinem Bauchgefühl nicht genehme Entscheidung treffen wollen, würde er aber auch als Hauptgesellschafter widersprechen. Bei dem geschlossenen Geschäftsführervertrag handele es sich um einen Standardvertrag. Er sei nicht verändert worden, werde so aber nicht gelebt. Der Kläger sei mit seiner Vergütung nur zufrieden, weil er damit rechne, über seine Gesellschaftsanteile am Unternehmensgewinn beteiligt zu sein. Er habe sogar auf die Ausschüttung von Tantiemen verzichtet, um diese weiterhin dem Unternehmen zu gute kommen zu lassen. Der Unternehmenserfolg beruhe weitgehend auf dem Netzwerk der beiden Geschäftsführer. Sie hätten VW und Daimler als Geschäftspartner gewonnen, worauf der Unternehmenserfolg weitestgehend beruhe. Dass sie sich untereinander nicht einigen konnten und die Gesellschafterversammlung habe entscheiden müssen, sei bisher nicht vorgekommen. Wegen der weiteren Angaben des Zeugen und der Angaben des Klägers wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.

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Mit Urteil vom 5.6.2012 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 21.2.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.5.2010 sowie den Bescheid vom 6.3.2012 aufgehoben und festgestellt, dass die Tätigkeit des Klägers als Gesellschafter-Geschäftsführer bei der Beigeladenen zu 1) seit dem 1.3.2008 nicht sozialversicherungspflichtig ist. In Anwendung der vom BSG zur Abgrenzung einer abhängigen Beschäftigung von einer selbstständigen Tätigkeit entwickelten Rechtsgrundsätze überwögen die Merkmale einer selbstständigen Tätigkeit. Der Kläger sei zwar nach der Ausgestaltung des Gesellschaftsvertrages weder Mehrheitsgesellschafter, noch bestehe eine Sperrminorität. Auch liege weder eine Vereinbarung über eine Stimmbindung des Mehrheitsgesellschafters noch ein sonstiges Vetorecht des Klägers vor. Sowohl die Gesellschafterbeschlüsse, die nach § 8 des Gesellschaftsvertrages mit einfacher Mehrheit gefasst würden, als auch Änderungen des Gesellschaftsvertrages könnten somit nach dem Gesellschaftsvertrag ohne die Zustimmung des Klägers erfolgen. Weiterhin spreche die Ausgestaltung des vom Kläger mit der Beigeladenen zu 1) geschlossenen Geschäftsführervertrages zunächst gegen eine selbstständige Tätigkeit, weil dieser Vertrag die typischen Elemente eines Vertrages über eine abhängige entgeltliche Beschäftigung aufweise. Gegen eine selbstständige Tätigkeit des Klägers spreche auch, dass die in § 2 des Geschäftsführervertrages geregelte Alleinvertretungsbefugnis des Klägers sowie die Befreiung vom Selbstkontrahierungsverbot des § 181 BGB keinen Eingang ins Handelsregister gefunden haben. Im Anstellungsvertrag könne eine Alleinvertretungsbefugnis nicht außenwirksam geregelt werden (BSG, Urteil vom 8.8.1990 – RAr 77/89 –). Nach dem vorliegenden Handelsregisterauszug vom 29.2.2008 habe der Kläger nur die Befugnis, die Gesellschaft mit dem anderen Geschäftsführer Herrn O. gemeinsam zu vertreten. Die Anhörung des Klägers sowie die Vernehmung des Zeugen N. habe aber zur Überzeugung der Kammer ergeben, dass die tatsächlichen Verhältnisse von den vertraglichen Grundlagen erheblich abwichen. Abweichend vom Geschäftsführervertrag, der nach der überzeugenden Aussage des Zeugen nicht gelebt werde, liege keine abhängige Beschäftigung des Klägers bei der Beigeladenen zu 1) vor. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei der Kläger nicht nur im Alltagsgeschäft der Beigeladenen zu 1) weisungsfrei, sondern er bestimme auch die Unternehmenspolitik im wesentlichen Umfang mit. Die Rolle des Hauptgesellschafters beschränke sich auf eine reine Geldgeberrolle. Der Kläger könne in dem Unternehmen im Wesentlichen schalten und walten, wie er wolle, weil er es aufgrund seiner Fachkenntnisse persönlich dominiere. Die Angabe des Zeugen, bei abwegigen Vorhaben des Klägers in seiner Funktion als Hauptgesellschafter ein Veto einzulegen, ändere nichts. Würde man die Voraussetzungen der für die Selbstständigkeit erforderlichen persönlichen Dominanz eines Gesellschafter-Geschäftsführers derart weit fassen, dass auch ohne Weiteres erkennbare Fehlentscheidungen des Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführers nicht zum Eingreifen des Hauptgesellschafters führen dürfen, wäre eine persönliche Dominanz des Geschäftsführers bei fehlender Kapitalmehrheit in der Praxis quasi unmöglich. Im Ergebnis führe dies dazu, dass bei Fehlen eines beherrschenden Einflusses durch die Kapitalbeteiligung regelmäßig ein Abhängigkeitsverhältnis zu bejahen sei, was nach der Rechtsprechung des BSG jedoch nicht gebilligt werde (u. a. BSG, Urteil vom 30.6.1999 – B 2 U 35/90 R –). Denn es sei davon auszugehen, dass sichtliche Gefährdungen des Unternehmens in der Regel auch von reinen Geldgeberhauptgesellschaftern, die sich ansonsten in die Unternehmenspolitik nicht einmischen, nicht geduldet werden. Der Bewertung der Tätigkeit des Klägers als selbstständig stehe nicht entgegen, dass er nach dem Handelsregisterauszug nicht alleinvertretungsberechtigt sei. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hätten beide Geschäftsführer klar voneinander abgegrenzte Tätigkeitsbereiche. Verträge mit Dritten würden vom Kläger alleine unterschrieben. Überschneidungspunkte gebe es nur soweit z.B. eine betriebliche Neuorientierung mit der Folge von Personaleinstellungen auch den Bereich des weiteren Geschäftsführers betreffe. Die Selbstständigkeit des Klägers zeige sich schließlich auch in der Übernahme von Unternehmerrisiken. Er habe bei der Gründung der Gesellschaft sein eigenes Vermögen soweit als möglich eingesetzt. Dass er der Beigeladenen zu 1) ein Darlehen in Höhe von 20.000 € gewährt habe, sei ebenso untypisch für einen abhängig Beschäftigten wie sein Verzicht auf die jährliche Tantiemenausschüttung, um diese weiterhin dem Wachstum des Unternehmens zugute kommen zu lassen. Auch gebe der Kläger sich mit einem Gehalt, das unter dem eines von ihm selbst eingestellten Projektleiters liege, zufrieden, weil er davon ausgehe, sich bei weiterer positiver Entwicklung des von ihm geführten Unternehmens mit seinem Unternehmensanteil „zur Ruhe“ setzen zu können.

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Die Beklagte hat gegen das ihr am 28.6.2012 zugestellte Urteil am 18.7.2012 Berufung eingelegt. Entscheidend sei, dass der Kläger als Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer nicht die Rechtsmacht habe, weisungsfrei in der GmbH tätig zu sein. Soweit das SG drauf abgestellt habe, die Verträge würden so nicht gelebt und nach der tatsächlichen Praxis sei der Kläger selbstständig, widerspreche dies der Rechtsprechung des BSG. Das BSG habe in seinen jüngsten Entscheidungen vom 29.8.2012 – B 12 KR 25/10 R und B 12 R 14/10 R – nochmals ausdrücklich bestätigt, dass die bloße Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich sei, solange es nicht auch wirksam abbedungen sei. Die tatsächlichen Verhältnisse gäben im Zweifel den Ausschlag, allerdings nur im Rahmen des rechtlich Zulässigen. Eine bloße „Schön-Wetter-Selbstständigkeit“ mit Blick auf zwar bestehende, jedenfalls bis zu einem Konflikt tatsächlich aber nicht ausgeübte Kontrollrechte, scheide aus. Ein Vorrang der tatsächlichen Verhältnisse gegenüber den formellen Vereinbarungen bestehe nur, soweit sie rechtlich zulässig abbedungen werden könnten. Eine Abänderung des Gesellschaftsvertrages könne nur durch Beschluss der Gesellschafter erfolgen, sei notariell zu beurkunden und zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden. Die vom Kläger als Stimmrechtsbindung qualifizierte Zusicherung im Schreiben des Hauptgesellschafters vom 25.8.2009, weisungsfrei tätig sein zu können, könne rechtlich und tatsächlich jederzeit abgeändert bzw. gekündigt werden und es könnten gleichwohl anderweitige Gesellschafterbeschlüsse rechtlich wirksam gefasst werden. Die im Gesellschaftsvertrag verankerte Rechtsmacht bleibe unangetastet. Die Gesellschafterbeschlüsse entfalteten auch dann rechtliche Wirkung, wenn sie im Widerspruch zu einer „Zusicherung“ gefasst würden.

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Die Beklagte beantragt,

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das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 5.6.2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

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Der Kläger beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Die Beigeladenen haben sich nicht zur Sache geäußert und auch keine Anträge gestellt.

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Der Kläger hat mit notariellem Kaufvertrag vom 2.9.2013 über die von ihm gegründete und in seinem Alleineigentum stehende Firma Q. mit Wirkung vom 30.9.2013 von der Witwe des im Jahre 2012 verstorbenen weiteren Geschäftsführers der Beigeladenen zu 1), Herrn O., die im Februar 2008 von ihm verkauften 10% der Geschäftsanteile (Nennwert: 5.000 €) zu einem Kaufpreis von 300.000 € zurückerworben, so dass er seither wieder 20% der Anteile an der Beigeladenen zu 1) besitzt. Weiterhin legt der Kläger eine zwischen der Hauptgesellschafterin M., ihm und der Q. geschlossene „Vereinbarung zur Stimmrechtsbindung“ vom 1.1.2015 vor, auf die wegen der Einzelheiten verwiesen wird. Er trägt zur Berufungserwiderung vor: Die Beklagte nehme eine falsche Gewichtung der abzuwägenden Merkmale vor, indem sie entscheidend allein auf die gesellschaftsrechtlichen Mehrheitsverhältnisse der Beigeladenen zu 1) abstelle. Entscheidend seien vielmehr die tatsächlichen Verhältnisse. Ausschlaggebend sei, dass er der Kopf und die Seele des Unternehmens sei und bei seinen Entscheidungen freie Hand habe. Dies habe die erneute Aussage des Zeugen P. in der mündlichen Verhandlung am 19.11.2015 nachdrücklich bestätigt. Dass er weitere 10% der Anteile an der Beigeladenen zu 1) erworben habe und somit über 20% der Anteile mit einem Verkehrswert von zusammen über 600.000 € innehabe, sei untypisch für einen abhängig Beschäftigten und ein weiteres Indiz für eine selbstständige Tätigkeit. Seit dem Tod des Mitgesellschafters und Mitgeschäftsführers O. im Jahre 2012 lenke er als alleiniger Geschäftsführer die Geschicke der Beigeladenen zu 1). Bei ihrer entscheidenden Bewertung, er – der Kläger – habe nicht die erforderliche Rechtsmacht, um weisungsfrei für die GmbH tätig sein zu können, habe die Beklagte die von dem Hauptgesellschafter der GmbH abgegebene Erklärung vom 25.8.2009, die ihm ausdrücklich umfassende Weisungsfreiheit zusichere, außer Acht gelassen. Diese Zusicherung sei eine rechtswirksame Stimmbindungsvereinbarung. Es sei daher nicht so, dass die Gesellschaft ihm gegenüber etwaige Weisungsrechte nur faktisch nicht ausübe, die Weisungsrechte aber uneingeschränkt bestünden. Vielmehr sei es so, dass der Hauptgesellschafter ihm gegenüber auf die Ausübung seiner Weisungsrechte umfassend und rechtsverbindlich verzichtet habe. Es handele sich daher nicht um eine sogenannte „Schön-Wetter-Selbstständigkeit“. Die Gesellschaft könne nicht einfach dazu übergehen, die ihm zuvor zugesicherte weisungsfreie Geschäftsführertätigkeit durch Gesellschaftsbeschlüsse zu nehmen. Die Auffassung der Beklagten, nach den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen hätten Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer keinen maßgebenden Einfluss auf die Willensbildung der Gesellschaft und würden somit in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis stehen, stehe im Widerspruch zur Rechtsprechung des BSG. Danach sei der Umkehrschluss, dass mangels eines durch die Kapitalbeteiligung hervorgerufenen beherrschenden Einflusses auf die Gesellschaft regelmäßig ein Abhängigkeitsverhältnis des Gesellschaftergeschäftsführers anzunehmen sei, gerade nicht gebilligt worden (Hinweis auf BSG, Urteil vom 30.6.1999    - B 2 U 35/98 R –). In solchen Fällen hänge das Vorliegen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses vielmehr nach allgemeinen Grundsätzen davon ab, ob der Geschäftsführer nach dem Gesamtbild seiner Tätigkeit einem seine persönliche Abhängigkeit begründenden Weisungsrecht der GmbH unterliege. Dies sei bei ihm gerade nicht der Fall. Die Auffassung der Beklagten, die vom Hauptgesellschafter der Beigeladenen zu 1) abgegebene Erklärung vom 25.8.2009 sei rechtlich und tatsächlich jederzeit abänderbar bzw. kündbar, sei unzutreffend. Das gelte auch für die Überlegung der Beklagten, bei Unwiderruflichkeit der Stimmbindungszusicherung könnten gleichwohl anderweitige Gesellschafterbeschlüsse rechtlich wirksam gefasst werden. Mitgesellschafter eines über eine Stimmbindungszusage geschützten Minderheitsgesellschafters könnten jederzeit – erforderlichenfalls auf dem Gerichtswege – zu einem rechtmäßigen, der abgegebenen Stimmbindungszusage entsprechenden Abstimmungsverhalten gezwungen werden. Er habe durch die Stimmbindungszusage des Hauptgesellschafters vom 25.8.2009 die Rechtsmacht, jedweden Beschluss der Gesellschaft zu verhindern, mit welchem in seine Geschäftsführertätigkeit eingegriffen würde. Er habe dadurch eine Rechtsposition, mit der er ihm nicht genehme Beschlüsse und Weisungen abwenden könne. Der Abschluss der Vereinbarung zur Stimmrechtsbindung vom 1.1.2015 bestätige diese Rechtslage.

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Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung am 19.11.2015 den Kläger ergänzend befragt und den Mehrheitsgesellschafter P. der Beigeladenen zu 1) als Zeugen vernommen. Wegen der Ergebnisse wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.

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Das SG hat zu Unrecht unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide festgestellt, dass die Tätigkeit des Klägers als Gesellschafter-Geschäftsführer für die Beigeladene zu 1) ab 1.3.2008 nicht sozialversicherungspflichtig ist. Streitgegenständlich ist (nur) noch die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Renten- und Arbeitslosenversicherung, weil die Beklagte durch ihren gemäß § 96 SGG zum Gegenstand des Klageverfahrens gewordenen Änderungsbescheid vom 6.3.2012 die streitige Feststellung auf diese beiden Zweige der Sozialversicherung beschränkt hat.

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Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 21.1.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.5.2010 und der Fassung des Änderungsbescheides vom 6.3.2012 ist rechtmäßig. Der Kläger übt seine Tätigkeit als Gesellschafter-Geschäftsführer bei der Beigeladenen zu 1) seit dem 1.3.2008 nicht selbstständig, sondern im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses aus und ist daher versicherungspflichtig in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung.

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Versicherungspflichtig sind in der Rentenversicherung nach § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI und in der Arbeitslosenversicherung nach § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB III gegen Arbeitsentgelt Beschäftigte Personen. Beschäftigung ist nach § 7 Abs. 1 SGB IV die nicht selbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis.

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Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Bei Diensten höherer Art ist dieses Weisungsrecht allerdings stark eingeschränkt; denn es liegt in der Natur der Sache, dass höher qualifizierten Personen weitgehende Entscheidungsfreiheit bei der Gestaltung ihrer Tätigkeit eingeräumt wird. Ausreichend, aber auch erforderlich ist, wenn sich die Weisungsgebundenheit zur funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess verfeinert hat (BSG, Urteil vom 1.12.1977 – 12/3/12 RK 39/74 –). Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeiten über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen freigestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich ausgehend von den genannten Umständen nach dem Gesamtbild der Arbeitsleistung und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. zuletzt Urteil vom 29.8.2012 – B 12 KR 25/10 R –, juris Rn. 15 m. w. N.). Entscheidend ist, ob die Tätigkeit fremdbestimmt bleibt, d.h. ob sie in einer von anderer Seite vorgegebenen Ordnung aufgeht.

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Die das Gesamtbild bestimmenden tatsächlichen Verhältnisse sind die rechtlich relevanten Umstände, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben. Ob eine Beschäftigung vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, sowie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt ist daher zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die hieraus gezogene Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung geht der nur formellen Vereinbarung vor, soweit eine –formlose – Abbedingung rechtlich möglich ist. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne zählt daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht. In diesem Sinne gilt, dass die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben, wenn sie von Vereinbarungen abweichen. Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so wie sie praktiziert wird und die praktizierte Beziehung so wie sie rechtlich zulässig ist (vgl. zum Vorstehenden: BSG, Urteil vom 29.8.2012, a. a. O. Rn. 16 m.w.N.).

24

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist der Kläger nicht selbstständig, sondern als Arbeitnehmer für die Beigeladene zu 1) tätig. Zur Überzeugung des Senats überwiegen nach dem Gesamtbild die Merkmale einer abhängigen Beschäftigung.

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Für eine abhängige Beschäftigung spricht sehr gewichtig der zwischen der Beigeladenen zu 1) und dem Kläger am 28.2.2008 geschlossene Geschäftsführervertrag, in dem ausdrücklich erklärt ist, der Kläger werde als Geschäftsführer im Anstellungsverhältnis für die Beigeladene zu 1) tätig, und der eine ganze Reihe weiterer typischer Merkmale der Vereinbarung eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses aufweist (festes monatliches Gehalt, das im Krankheitsfall weiter gewährt wird; Kündigungsfrist von sechs Monaten; Jahresurlaub von 30 Tagen, der vergütet wird, wenn der Kläger ihn wegen der Geschäftslage der GmbH nicht oder nicht nehmen kann; Regelungen zur Verschwiegenheit des „Arbeitnehmers“; Urheberrechte und daraus folgende Nutzungsrechte, die im Zusammenhang mit der Tätigkeit des Arbeitnehmers entstehen, sind auf den Arbeitgeber zu übertragen). Weitere Merkmale einer abhängigen Beschäftigung sind die Entrichtung von Lohnsteuer und die Verbuchung der festen Vergütung als Lohn/Gehalt.

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Demgegenüber liegen Umstände, die abweichend von dem vorgenannten Vertragsinhalt eine Beurteilung der Tätigkeit des Klägers als selbstständig zuließen, nicht vor.

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Der Kläger ist in einem fremden Betrieb tätig. Die alleinige Betriebs- und Unternehmensinhaberin ist die Beigeladene zu 1), die als GmbH eine juristische Person mit eigener Rechtspersönlichkeit ist und deshalb unabhängig von den als Gesellschafter dahinter stehenden juristischen oder natürlichen Personen und deren verwandtschaftlichen oder wirtschaftlichen Beziehungen betrachtet werden muss (vgl. BSG, Urteil vom 29.7.2015 – B 12 KR 23/13 R – Rn. 24 m.w.N.).

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Eine die Arbeitnehmereigenschaft begründende Eingliederung eines – wie hier -Gesellschafter-Geschäftsführers in einen fremden Betrieb und damit auch ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis ist zwar nach der Rechtsprechung des BSG grundsätzlich ausgeschlossen, wenn der am Stammkapital der Gesellschaft beteiligte Geschäftsführer maßgeblichen Einfluss auf die Willensbildung der Gesellschaft nehmen kann und aufgrund seiner gesellschaftsrechtlichen Stellung über die Rechtsmacht verfügt, ihm nicht genehme Weisungen der Gesellschafterversammlung an sich im Bedarfsfall jederzeit verhindern zu können (vgl. nur BSG, Urteil vom 25.1.2006 – B 12 KR 30/04 R -). Eine derartige Rechtsmacht haben Gesellschafter-Geschäftsführer regelmäßig dann, wenn sie mindestens 50% des Stammkapitals innehaben. Aber auch dort, wo die Kapitalbeteiligung geringer ist, kann sich aus den Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages die Rechtsmacht ergeben, dass der Gesellschafter-Geschäftsführer mit seinem Anteil alle ihm nicht genehmen Entscheidungen verhindern kann (sogenannte Sperrminorität, vgl. BSG, Urteil vom 18.4.1991 – 7 RAr 32/90 –, juris). Über eine solche Rechtsmacht verfügt der Kläger aber nicht.

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Aus dem Gesellschaftsvertrag und den Vorschriften des GmbHG ergibt sich keine Rechtsmacht des Klägers, mit der er ihm unliebsame Weisungen der Gesellschafterversammlung der Beigeladenen zu 1) verhindern könnte. Aus § 37 Abs. 1 GmbHG und § 5 Abs. 6 des Gesellschaftervertrages sowie allgemein aus der dominierenden Stellung der Gesellschafterversammlung in der Verfassung der GmbH ergibt sich die umfassende Rechtsmacht der Gesellschafterversammlung, dem Kläger durch entsprechende Beschlüsse Weisungen zu erteilen. Nach § 8 des Gesellschaftervertrages werden Gesellschafterbeschlüsse mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst, soweit nicht die Satzung oder das Gesetz zwingend eine andere Mehrheit vorschreiben. Der Gesellschaftervertrag sieht nur in § 6 Abs. 2 für eine Befreiung einzelner oder aller Gesellschafter oder Geschäftsführer vom Wettbewerbsverbot einen einstimmigen Gesellschafterbeschluss und in § 10 Abs. 2 für eine von § 29 GmbHG abweichende Gewinnverwendung eine Dreiviertelmehrheit des Stammkapitals vor. Abgestimmt wird nach Geschäftsanteilen; je 200 € eines Geschäftsanteils gewähren eine Stimme. Mit seinen lediglich 10 bzw. 20% des Stammkapitals gegenüber dem Anteil von 80% der Mehrheits-Gesellschafterin M. hat der Kläger nach dem Gesellschaftsvertrag keine rechtliche Möglichkeit, ihm nicht genehme Weisungen in Bezug auf seine Tätigkeit als Geschäftsführer zu verhindern.

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Auch durch den zwischen der M. als Mehrheitsgesellschafterin sowie ihm und der Q. als Minderheitsgesellschafter am 1.1.2015 geschlossenen schriftlichen „Vereinbarung zur Stimmrechtsbindung“ verfügt der Kläger nicht über die Rechtsmacht, seine Tätigkeit als alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer für die Beigeladene zu 1) gänzlich frei von Weisungen der Gesellschafterversammlung zu gestalten. Zur Sicherstellung des den Kläger als Geschäftsführer der Beigeladenen zu 1) in dieser Vereinbarung zugesicherten „weisungsfreien unternehmerischen Tätigkeit“ haben sich die vertragsschließenden Gesellschafter unter Nr. 4 der Vereinbarung zwar verpflichtet, zur Sicherstellung des Regelungszwecks des Vertrages gemäß dessen Präambel (Sicherstellung einer weisungsfreien unternehmerischen Tätigkeit des Klägers als Geschäftsführer der Beigeladenen zu 1) bei Gesellschafterversammlungen die Ihnen zustehenden Stimmrechte als Gesellschafter der Beigeladenen zu 1) so auszuüben, dass der Kläger alle Geschäftsführungsmaßnahmen im Sinne der vorstehenden Regelungen ausführen kann. Nach ihrer Nr. 5 tritt die Vereinbarung mit ihrer Unterzeichnung in Kraft und wird für die Zeit geschlossen, in welcher der Kläger zum Geschäftsführer der Gesellschaft bestellt ist. Weiterhin ist bestimmt, dass die Vereinbarung ordentlich nicht kündbar ist. Das Recht zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund bleibt für jeden Gesellschafter unberührt. Dies führt jedoch zu keiner anderen Beurteilung.

31

Derartige Stimmbindungsvereinbarungen sind grundsätzlich rechtlich zulässig und wurden von einigen Landessozialgerichten für geeignet befunden, einem Gesellschafter-Geschäftsführer die nach der Rechtsprechung des BSG erforderliche Rechtsmacht zur weisungsfreien Tätigkeit zu verleihen (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 11.6.2014 – L 5 AR 2911/13 – juris Rn. 35, 36 m. w. N.; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 12.11.2014 - L 4 R 556/13 – juris Rn. 28; Sächsisches LSG, Urteil vom 4.3.2014 – L 1 KR 9/11 – juris Rn. 43 – 45; Hessisches LSG, Urteil vom 15.5.2014 – L 1 KR 235/13 – juris Rn. 45, 46). Das BSG hat jedoch in zwei Urteilen vom 11.11.2015 zu den Auswirkungen von Stimmrechtsvereinbarungen (B 12 KR 13/14 R zu dem vorgenannten Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 11.6.2014; B 12 KR 10/14 R zu dem vorgenannten Urteil des  Hessisches LSG vom 15.5.2014; bisher liegt erst der Terminbericht, Nr. 47/15, vor) entschieden, dass solche schuldrechtlichen Vereinbarungen jedenfalls dem Minderheitsgesellschafter (im Verfahren B 12 KR 10/14 R zugleich alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer) nicht die Rechtsmacht verleihen, ihm nicht genehme Weisungen jederzeit abzuwenden, weil sie von jedem Gesellschafter zumindest aus wichtigem Grund jederzeit gekündigt werden können. Bei Eintreten eines Konfliktfalls zwischen den Gesellschaftern käme es daher allein auf die den Beteiligten aufgrund des Kündigungsrechts zustehende Rechtsmacht an. Das vom Senat – so weiter der 12. Senat des BSG zur Begründung – in seiner Rechtsprechung wiederholt hervorgehobene Erfordernis der Vorhersehbarkeit sozialversicherungsrechtlicher und beitragsrechtlicher Tatbestände, die schon zu Beginn der Tätigkeit gegeben sein müsse, führe dazu, dass der gegenteiligen Rechtsauffassung nicht gefolgt werden könne. Hinzu komme, dass Stimmbindungsverträge unter Gesellschaftern jedenfalls die Vorgaben des § 723 BGB erfüllen müssten. Seien solche Verträge auf unbestimmte Zeit geschlossen, seien sie nach § 723 Abs. 1 Satz 1 BGB sogar – unbeschadet der Kündigungsmöglichkeit aus wichtigem Grund – jederzeit ordentlich kündbar, was nach Abs. 3 der Regelung auch nicht vertraglich abdingbar sei. Auch unter diesem Blickwinkel könne ohne entsprechende, im formgebundenen Gesellschaftervertrag geregelte Befugnisse nicht von einer dem Minderheitsgesellschafter dauerhaft eingeräumten gleichberechtigten Position ausgegangen werden.

32

Erst recht wurde durch das Schreiben des Geschäftsführers der Mehrheitsgesellschafterin M., N., vom 25.8.2009 an den Kläger keine Rechtsmacht des Klägers begründet, ihm unliebsame Weisungen der Gesellschafterversammlung in Bezug auf seine Geschäftsführertätigkeit abzuwenden. Dieses Schreiben enthält bereits weder eine Stimmbindungsvereinbarung noch sonst eine auf die Herbeiführung von Rechtsfolgen gerichtete Willenserklärung; insbesondere enthält es keine mit Rechtsbindungswillen abgegebene Erklärung der Mehrheitsgesellschafterin  dahingehend, die Gesellschafterversammlung verzichte auf ihr Weisungsrecht. Vielmehr werden in dem Schreiben lediglich die tatsächlichen Verhältnisse bestätigt („Wir als Hauptgesellschafter der R. GmbH bestätigen Ihnen zur Vorlage bei den Sozialversicherungsträgern Folgendes:“). So wurde dem Kläger u. a. bestätigt, dass er Kraft seiner Fachkunde sowie der ihm eingeräumten Kompetenzen und Handlungsfreiheiten eine Sonderstellung im Unternehmen habe. Weiter ist ausgeführt: „In Ihrem Fall zeichnen sich die tatsächlichen Verhältnisse u. a. dadurch aus: Sie können Ihre Geschäftsführerfunktion in der R. GmbH von Beginn an weisungsfrei gestalten (wie ein selbstständiger Unternehmer). Aufgrund Ihrer speziellen Branchenfachkenntnisse im Bereich Automotive Industrie-Roboterautomation setzen wir unser volles Vertrauen in Ihre strategischen und operativen Entscheidungen. ...“

33

Die Tätigkeit des Klägers als Gesellschafter-Geschäftsführer ist auch nicht aufgrund seiner faktischen Machtposition in der Gesellschaft als selbstständig zu bewerten. Nach der – vornehmlich zum Leistungsrecht der Arbeitsförderung und der gesetzlichen Unfallversicherung ergangenen - älteren Rechtsprechung des BSG konnte die gesellschaftsrechtliche Abhängigkeit auch durch den tatsächlich eingeräumten Einfluss aufgehoben werden. Prüfungsmaßstab waren zwar zunächst die im Anstellungs- bzw. im Gesellschaftsvertrag zur Rechtsstellung des (u.a.) Gesellschafter-Geschäftsführers getroffenen Regelungen. Wichen die tatsächlichen Verhältnisse hiervon entscheidend ab, wurde aber auf die tatsächlichen Umstände des Einzelfalles abgestellt; die tatsächlichen Verhältnisse gaben den Ausschlag. Selbstständigkeit des Gesellschafter-Geschäftsführers wurde in den Fällen angenommen, in denen er einen so weitreichenden tatsächlichen Einfluss hat, dass er im Unternehmen „schalten und walten“ kann, wie er will, die Inhaber des Unternehmens persönlich dominiert oder dieses von ihm wirtschaftlich abhängig sind (vgl. die Darstellung dieser älteren Rechtsprechung des BSG mit Rechtsprechungsnachweisen im Urteil des LSG Baden Württemberg vom 11.6.2014, a. a. O. Rn. 32 und im Beschluss des SG Duisburg vom 12.3.2015 – S 21 R 1333/14 ER –, juris Rn. 36). In seiner jüngeren Rechtsprechung hat der 12. Senat des BSG diese sog. „Überlagerungsrechtsprechung“ – soweit er hierauf in der Vergangenheit zurückgegriffen hat – für das Beitragsrecht ausdrücklich aufgegeben (BSG, Urteil vom 29.7.2015 – B 12 KR 23/13 R -, juris Rn. 29; vgl. auch Terminbericht Nr. 47/15 zum Urteil vom 11.11.2015 – B 12 R 2/14 R -), nach dem er sich zuvor bereits deutlich davon distanziert hatte, in dem er die Bedeutung der Rechtsmacht und den Aspekt der Durchsetzbarkeit auch in Krisenzeiten in den Vordergrund gerückt hat (vgl. die bereits zitierten Urteile des BSG vom 29.8.2012 und das Urteil vom 30.4.2013 – B 12 KR 19/11 R –).

34

Der erkennende Senat folgt dieser Rechtsprechung. Der 12. Senat des BSG (vgl. Urteil vom 29.8.2012 – B 12 R 14/10 R –, juris Rn. 28 und Urteil vom 29.7.2015 – B 12 KR 23/13 R - juris Rn. 30, 31 m.w.N.) hat zur Begründung überzeugend ausgeführt, eine Abhängigkeit der Statuszuordnung vom rein faktischen, nicht rechtlich gebundenen und daher jederzeit änderbaren Verhalten der Beteiligten sei mit dem Erfordernis der Vorhersehbarkeit sozialversicherungs- und beitragsrechtlicher Tatbestände nicht in Einklang zu bringen. Eine "Schönwetter-Selbstständigkeit", die sich ausschließlich daraus ableitet, dass dem Betroffenen in harmonischen Zeiten freie Hand gelassen wird, während im Fall eines Zerwürfnisses dessen Weisungsunterworfenheit zum Tragen käme, sei nicht anzuerkennen. Zugleich verringere das Anknüpfen an die den Beteiligten von Gesetzes oder Vertrags wegen zukommende Rechtsmacht Manipulationsmöglichkeiten bezüglich der Generierung oder Negierung von Sozialversicherungspflicht. Andernfalls stünde es nämlich gerade bei kleinen (Familien-) Unternehmen im freien Belieben der Beteiligten, durch zweckgerichtete Angaben zur tatsächlichen Stellung des Betroffenen im Unternehmen Sozialversicherungspflicht zu begründen oder auszuschließen. Darüber hinaus vermeidet das Abstellen auf die dem Beteiligten zukommende Rechtsmacht anderenfalls zwingend auftretende Abgrenzungsschwierigkeiten zu leitenden Angestellten. Schließlich trage diese Sicht der Freiheit der Beteiligten Rechnung, sowohl die rechtliche Verfassung eines Unternehmens als auch Tätigkeits- und Beschäftigungsverhältnisse autonom auszugestalten. Hierbei könnten sie von verschiedenen Motiven geleitet werden, wie z.B. dem häufig anzutreffenden Streben nach Steueroptimierung. Gleich welche Motive der gewählten vertraglichen Ausgestaltung eines Unternehmens oder einer Tätigkeit zugrunde liegen, hätten die Beteiligten doch stets die hieran geknüpften zwingenden sozialversicherungs- und beitragsrechtlichen Folgen hinzunehmen.

35

Diese jüngere Rechtsprechung des 12. Senats des BSG ist überzeugt, weil sie zu deutlich mehr Vorhersehbarkeit und Rechtsklarheit führt. Die tatsächliche Durchführung eines Vertragsverhältnisses und die faktischen Machtverhältnisse zwischen der Geschäftsleitung und der Gesellschaft bzw. den Gesellschaftern verändern sich häufig im Laufe der Zeit und sind schwer feststellbar. Der Begriff der „Schönwetter-Gesellschaft“ beschreibt das Problem der älteren Rechtsprechung des BSG anschaulich. Familiäre Rücksichtnahme und das vertrauensvolle „freie Hand“ lassen können bei persönlichen oder ökonomischen Belastungen schnell enden (vgl. von Medem, Bedeutung der „tatsächlichen Verhältnisse“ bei Abgrenzung von selbstständiger Tätigkeit und abhängiger Beschäftigung im Sozialversicherungsrecht, DStR 2013, 1436, 1440). Das Hessische LSG (Urteil vom 7.5.2015 – L 8 KR 273/13 – juris Rn. 49) hat zutreffend darauf hingewiesen, dass es in der Vergangenheit zu einer durchaus widersprüchlichen Entscheidungspraxis auch der Gerichte bei der Beurteilung insbesondere der Versicherungspflicht von GmbH-Geschäftsführern gekommen ist und die stärker als früher an der Rechtsmacht im Unternehmen orientierte jüngere Rechtsprechung des BSG geeignet ist, den Weg zu einer einheitlicheren und damit auch dem Gleichheitsgrundsatz eher entsprechenden Rechtsanwendung zu ebnen. Durch die jüngere Rechtsprechung des BSG wird zwar den Nicht- und Minderheitsgesellschaftern der Weg in die sozialversicherungsrechtliche Selbstständigkeit erschwert. Dies mag in vielen Fällen deren Selbstverständnis als Unternehmer widersprechen und zu unerwünschten Beitragsbelastungen führen. Die Beteiligten haben es aber selbst in der Hand, durch gesellschaftsrechtlich zulässige und rechtsverbindlich ausgestaltete Vereinbarungen die betroffene Person mit der Rechtsmacht zur weisungsfreien Tätigkeit auszustatten. Spätestens bei der konkreten Vertragsgestaltung wird sich dann zeigen, ob die Beteiligten dies tatsächlich wollen (so zutreffend von Medem, ebenda).

36

Davon ausgehend führt der Umstand, dass der Kläger seine Geschäftsführertätigkeit tatsächlich weisungsfrei ausübt, entgegen seiner Auffassung nicht zur Bewertung dieser Tätigkeit als einer selbstständigen. Aus der nur faktischen Nichtwahrnehmung eines Weisungs-, Aufsichts- oder Überwachungsrechts kann schon nicht auf einen rechtswirksamen Verzicht auf dieses Recht geschlossen werden. Gleichzeitig machen weitreichende Entscheidungsbefugnisse eines "leitenden Angestellten", der in funktionsgerecht dienender Teilhabe am Arbeitsprozess einem verfeinerten Weisungsrecht unterliegt, diesen nicht zu einem Selbstständigen. Auch geschuldete Dienste höherer Art werden im Rahmen einer (abhängigen) Beschäftigung geleistet, wenn sie fremdbestimmt bleiben, weil sie in einer von anderer Seite vorgegebenen Ordnung des Betriebes aufgehen. Wieweit die Lockerung des Weisungsrechts in der Vorstellung des Gesetzgebers gehen kann, ohne das deswegen die Stellung als Beschäftigter im Rechtssinne entfällt, zeigen beispielhaft die gesetzlichen Regelungen zum Nichtbestehen von Versicherungspflicht bei den Vorstandsmitgliedern einer Aktiengesellschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung und im Recht der Arbeitsförderung (§ 1 Satz 3 SGB VI und § 27 Abs. 1 Nr. 5 SGB III). Diese Personen sind insoweit sozialversicherungsrechtlich den für Beschäftigte geltenden Regelungen unterworfen, auch wenn sie die Gesellschaft in eigener Verantwortung zu leiten haben und gegenüber der Belegschaft des Unternehmens Arbeitgeberfunktionen wahrnehmen. Allein weitreichende Entscheidungsbefugnisse eines „leitenden Angestellten“, der in funktionsgerecht dienender Teilhabe am Arbeitsprozess einem verfeinerten Weisungsrecht unterliegt, machen diesen nicht schon zu einem Selbstständigen, selbst wenn er innerhalb des Betriebs als „Chef“ angesehen wird. Schließlich ist zu beachten, dass Gesellschafter einer GmbH dem Geschäftsführer zwar große Freiheiten lassen können, ihn aber nicht ganz von der Überwachung befreien, dürfen zumal sie andernfalls gegenüber den Gesellschaftsgläubigern womöglich schadensersatzpflichtig werden (vgl. BSG, Urteil vom 29.7.2015 – B 12 KR 23/13 R – juris Rn. 25 m.w.N. und Urteil vom 29.7.2015 – B 12 R 1/15 R – Rn. 20 m.w.N.). Dies ist auch durch die Angaben des Zeugen S. in der mündlichen Verhandlung am 19.11.2015 deutlich geworden, es könne natürlich Situationen geben, in denen er juristisch als Mehrheitsgesellschafter entscheiden müsse, etwa wenn der Kläger aus irgendwelchen Gründen vollkommen „aus der Spur“ gerate. Dann sei er als Mehrheitsgesellschafter verpflichtet, ihn abzuberufen. Entscheidend ist insoweit, dass dem Kläger – wie vorstehend näher ausgeführt – die im Gesellschaftsrecht wurzelnde Rechtsmacht fehlt, ihm unliebsame Weisungen der Mehrheitsgesellschafterin M. (N.) zu verhindern.

37

Mangels einer solchen Rechtsmacht rechtfertigten auch die den wirtschaftlichen Erfolg der Beigeladenen zu 1) tragenden besonderen Fach- und Branchenkenntnisse sowie die ebenso bedeutsamen Geschäftskontakte des Klägers nicht eine Bewertung seiner Tätigkeit als selbstständig. Eine durch solche Umstände begründete faktische Machtposition gegenüber einer Einzelunternehmerin, und erst Recht – wie hier – im Verhältnis zu einer juristischen Person wie der Beigeladenen zu 1) als GmbH, rechtfertigt grundsätzlich nicht die Annahme von Selbstständigkeit. Denn eine faktische Machtposition ändert nichts daran, dass rechtlich - und darauf kommt es hier vor allem an – die Mehrheitsgesellschafterin der Beigeladenen zu 1) es mit ihren 80 Prozent der Geschäftsanteile allein in der Hand hat, etwa im Falle eines Zerwürfnisses mit dem Kläger auch unter Inkaufnahme wirtschaftlicher Nachteile beispielsweise den Unternehmenszweck der Beigeladenen zu 1) zu ändern, eine Neuausrichtung des Unternehmens vorzunehmen oder dieses gar zu liquidieren. Ebenso kann sie den Kläger jederzeit von seinen Aufgaben entbinden, ihm kündigen und ihn durch einen anderen Geschäftsführer ersetzen (vgl. BSG, Urteil vom 29.7.2015 - B 12 R 1/15 R - Rn. 22). Dass die Ausübung dieser der Mehrheitsgesellschafterin der Beigeladenen zu 1) zustehenden Rechte wegen der Fach- und Branchenkenntnisse sowie der ebenso bedeutsamen Geschäftskontakte des Klägers das Unternehmen der Beigeladenen zu 1) in – möglicherweise sogar existenzbedrohliche - wirtschaftliche Schwierigkeiten bringen kann, ändert in letzter Konsequenz nichts an der fehlenden Rechtsmacht des Klägers, solche Entscheidungen des Mehrheitsgesellschafterin abzuwenden.

38

Eine Selbstständigkeit des Klägers wird mangels der erforderlichen Rechtsmacht ebenso wenig dadurch begründet, dass der Kläger – wovon der Senat nach dem Ergebnis der Beweisaufnahmen mit dem SG überzeugt ist – tatsächlich „Kopf und Seele“ des Unternehmens der Beigeladenen zu 1) ist und dieses nach eigenem „Gutdünken“ führt. Soweit der 12. Senat des BSG vereinzelt auf die „Kopf und Seele“–Rechtsprechung der für das Leistungsrecht der Arbeitsförderung und das Rechts der Unfallversicherung zuständigen BSG-Senate zurückgegriffen hat (Urteil vom 23.6.1994 – 12 RK 72/92 – juris), hat er hieran – wie ausgeführt - mit überzeugender Begründung ausdrücklich nicht festgehalten (Urteile vom 29.7.2015 - B 12 R 1/15 R – Rn. 24 und – B 12 KR 23/13 R – juris Rn. 29; vgl. auch den Terminbericht Nr. 47/15 zur Entscheidung des BSG vom 11.11.2015 im Verfahren B 12 R 2/14 R, wonach es irrelevant ist, wenn – wie in dem vom BSG entschiedenen Verfahren - geltend gemacht wird, trotz fehlender gesellschaftsrechtlicher Befugnisse sei der Kläger aufgrund seiner Fachkenntnisse und seiner faktischen Stellung „Kopf und Seele“ der GmbH gewesen). Der Kläger verfügt auch nicht über ein derart hohes Fachwissen, dass nur er in der Lage ist, die von ihm konkret ausgeübte Tätigkeit für die Beigeladene zu 1) zu verrichten (vgl. zu einer solchen möglicherweise auch nach der jüngsten Rechtsprechung des BSG ausnahmsweise noch relevanten faktischen Machtposition das Urteil des BSG vom 30.4.2013 – B 12 KR 19/11 R – juris Rn. 29 und Hessisches LSG, Urteil vom 7.5.2015 – L 8 KR 273/13 – juris Rn. 46, 47 zu „alleiniger und unverzichtbarer Sachkunde“). Der Senat ist – insbesondere nach dem Ergebnis der Befragungen des Klägers und den Vernehmungen des Zeugen S. – zu der Überzeugung gelangt, dass die große Bedeutung des Klägers für das Unternehmen der Beigeladenen zu 1) als dessen „Kopf und Seele“ nicht durch spezielle unersetzliche Fachkenntnisse, sondern (neben notwendigen, aber ersetzbaren Fachkenntnissen) in erster Linie durch seine Branchenkenntnisse und Geschäftskontakte begründet ist. So hat etwa der Zeuge S. gegenüber dem SG erklärt, der Unternehmenserfolg gründe sich auf das Netzwerk der beiden Geschäftsführer. Diese hätten insbesondere dafür gesorgt, dass die Geschäftspartner VW und Daimler gefunden wurden, worauf der Unternehmenserfolg weitestgehend beruhe. Gegenüber dem Senat hat der Zeuge S. erklärt, der Kläger habe das technische Know-how und insbesondere das zur erfolgreichen Gründung und Fortführung des Unternehmens erforderliche Netzwerk mitgebracht. Der Kläger selbst hat bei seiner Befragung durch den Senat seine große Bedeutung für das Unternehmen als zentrale Funktion, sowohl bezogen auf das Know-how als auch im Verhältnis zu den Mitarbeitern, beschrieben. Er sei in Bremen eine für das Unternehmen immens wichtige Identifikationsfigur. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch, dass der Zeuge S. nicht nur durch die Anschubfinanzierung von 1 Mio. € zu der Unternehmensgründung beigetragen hat, sondern auch durch die nach Angaben des Klägers bei seiner Befragung durch das SG sehr wichtige Inhaberschaft einer Lieferantennummer, ohne die eine Geschäftsanbahnung mit Daimler nicht möglich gewesen sei.

39

Auch im Übrigen lassen sich für eine selbstständige Tätigkeit sprechende Umstände, die im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung dermaßen überwiegen, dass sie zu einer Bewertung der Tätigkeit des Klägers als einer selbstständigen führen, nicht feststellen. Ein in der Gesamtabwägung den Ausschlag gebendes unternehmerisches Risiko trägt der Kläger nicht. Maßgeblich für ein Unternehmerrisiko ist, ob eigenes Kapital oder die eigene Arbeitskraft auch mit der Gefahr eines Verlustes eingesetzt wird, der Erfolg des Einsatzes der sächlichen und persönlichen Mittel also ungewiss ist (vgl. BSG, Urteil vom 28.5.2008 – B 12 KR 13/07 R – USK 2008-45). Der Einsatz seiner Arbeitskraft ist für den Kläger insoweit ohne Risiko, weil er nach dem Geschäftsführeranstellungsvertrag (unabhängig vom Geschäftserfolg der Beigeladenen zu 1) ein festes Jahresgehalt von 78.000 €, zahlbar in 12 gleichen Raten jeweils am Ende des Kalendermonats, erhält (im Feststellungsbogen vom 21.10.2009 angegeben: Monatsgehalt von 8.000,00 €). Dem Umstand, dass dem Kläger seit einigen Jahren laufend bei einer positiven Bilanz der Beigeladenen zu 1) Tantieme in Höhe von zweimal 500,00 € pro Monat ausgezahlt werden, kommt vor dem Hintergrund, dass die Gewährung einer Tantieme an Arbeitnehmer nicht ungewöhnlich ist, nur geringes Gewicht für die Abgrenzung der Beschäftigung in einem Arbeitsverhältnis gegenüber einer selbstständigen Tätigkeit zu (vgl. BSG, Urteil vom 29.8.2012 – B 12 KR 25/10 R – juris Rn. 28 m.w.N.). Das Gleiche gilt im Ergebnis für das von dem Kläger der Beigeladenen zu 1) mit Vertrag vom 8.4.2008 zur Liquiditätshilfe für vier Jahre gewährte Darlehen in Höhe von 20.000,00 €. Das damit für den Kläger verbundene „Kapitalrisiko“ war gering. Denn das Darlehen war mit 4,25 % verzinst (bei Zinszahlungsverzug Erhöhung um 2 %) und die Darlehenssumme wurde in gleichen Monatsraten (Annuität) von 453,82 € getilgt. Unter diesen Bedingungen ist die Gewährung eines Darlehens durch einen Arbeitnehmer, der zur Erhaltung seines Arbeitsplatzes an der Liquidität seines Arbeitgebers interessiert und von dessen wirtschaftlichen Erfolg er überzeugt ist, ebenfalls denkbar. Zwar trägt der Kläger dergestalt ein unternehmerisches Risiko, dass für das von ihm zur Finanzierung seiner Geschäftsanteile eingesetzte Kapital die Gefahr eines Verlustes besteht. Dies vermag auch unter Berücksichtigung der weiteren für eine selbstständige Tätigkeit sprechenden Umstände nach der gebotenen Gesamtwürdigung im Ergebnis aber nicht zu einer Bewertung der Tätigkeit des Klägers als einer selbstständigen zu führen. Dies gilt auch für den für eine selbstständige, unternehmerische Tätigkeit sprechenden Umstand, dass der Kläger – wie er bei seiner Befragung durch den Senat glaubhaft angegeben hat – sieben Jahre lang die auf seine Geschäftsanteile entfallenden Gewinnausschüttungen im Unternehmen gelassen hat. Die – im Übrigen nur für die Zeit, in der er alleiniger Geschäftsführer war (also nicht von Ende Februar 2008 bis zum Tod des weiteren Geschäftsführers O. im Jahre 2012) - bestehende Alleinvertretungsbefugnis des Klägers unter Befreiung vom Selbstkontrahierungszwang spricht schließlich ebenfalls nicht zwingend für eine selbstständige Tätigkeit (vgl. BSG, Urteil vom 29.8.2012 – B 12 R 14/10 R – juris Rn. 24 m.w.N.).

40

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG:

41

Ein Grund für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) besteht nicht.

 


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