Urteil vom Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (2. Senat) - L 2 R 87/18

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 24. Januar 2018 geändert.

Der Bescheid der Beklagten vom 3. Dezember 2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 9. Juni 2015 wird aufgehoben, soweit die Beklagte darin die im Bescheid vom 13. Februar 2007 anerkannten Anrechnungszeiten wegen Fachschulausbildung (33 Monate entsprechend Anlage 4 Seite 4 des Bescheides vom 13. Februar 2007) in Anrechnungszeiten der Schul- oder Hochschulausbildung (33 Monate entsprechend Anlage 4 Seite 4 des Bescheides vom 3. Dezember 2014) umgewandelt hat. Die Beklagte wird verpflichtet, diese Zeiten weiterhin mit Entgeltpunkten von 0,0625 pro Monat zu bewerten und die Altersrente des Klägers rückwirkend ab 1. April 2007 neu zu berechnen.

Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten aus dem Berufungsverfahren zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte im Rahmen des Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X auch Neubewertungen rentenrechtlicher Zeiten für die Vergangenheit zu Lasten des Klägers vornehmen durfte.

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Der Kläger ist am 25. März 1944 geboren und erlernte in der DDR vom 1. September 1960 bis zum 28. Februar 1963 den Beruf des Matrosen in der Hochseefischerei, war anschließend bis zum 15. August 1963 in dem VEB Fischkombinat I. als Steuermann beschäftigt und studierte vom 16. August 1963 bis zum 28. Juni 1968 an der Universität J. Schiffselektronik, wobei für die Jahre 1964-1968 zugleich beitragspflichtige Bruttoverdienste des VEB Fischkombinat I. für die Zeit vom 27. Juni 1964 bis zum 17. September 1964 als Decksmann sowie der Universität J. für den Einsatz des Klägers als Matrose und Steuermann im Sozialversicherungsausweis bescheinigt wurden (vgl. Blatt V 50 bis V 51 VA, Blatt 129 VA). Nach den Angaben des Klägers erfolgte anschließend keine Anstellung im VEB Fischkombinat I. aufgrund des Einzugs des Seefahrtbuches aus politischen Gründen. In der Zeit vom 15. September 1968 bis zum 24. Februar 1969 war der Kläger als Projektierungsingenieur im VEB Elektroprojekt K. tätig. Wegen versuchter Republikflucht war der Kläger vom 24. Februar 1969 bis zum 1. Juli 1970 in der DDR inhaftiert und siedelte dann in die Bundesrepublik über. Mit Bescheid vom 8. Dezember 1976 stellte die Seekasse als Rechtsvorgängerin der Beklagten nach § 204 AVG die im als Anlage beigefügten Zuordnungsblatt eingetragenen Versicherungszeiten vom 12. Mai 1958 bis 24. Februar 1969 fest und erkannte dabei unter anderem die Zeit vom 1. September 1963 bis zum 31. Mai 1964 und vom 1. Oktober 1964 bis 28. Juni 1968 als Lehrzeit nach § 15 AVG an (Blatt 39 VA, 1. Heftung).

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Ab 1. April 2007 gewährte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 13. Februar 2007 Altersrente für langjährig Versicherte, wobei die Beklagte die Zeit vom 1. September 1963 bis zum 30. September 1966 als Anrechnungszeit wegen Fachschulausbildung anerkannte und den für die Berechnung der Entgeltpunkte maßgebenden Anrechnungsfaktor mit 0,0995, gekürzt auf den Höchstbetrag von 0,065 Entgeltpunkte pro Monat berücksichtigte. Diese Zeit bewertete die Beklagte insgesamt mit 2,0625 Entgeltpunkten (0,0625 x 33 Monate).

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Mit Schreiben vom 22. August 2012, eingegangen bei der Beklagten am 23. August 2012, legte der Kläger gegen den Rentenbescheid vom 13. Februar 2007 Widerspruch ein, mit dem er die Anerkennung weiterer Versicherungszeiten und die Höherbewertung anerkannter Versicherungszeiten beantragte. So sei in Bezug auf seine Haftzeit in der DDR ein Nachteilsausgleich nach dem Beruflichen Rehabilitierungsgesetzes (BerRehaG) nicht erfolgt. Außerdem sei die Ausbildung zum Diplom-Ingenieur nicht an einer Fachschule, sondern an der Universität J. erfolgt. Leider sei er nicht wegen weiterer Klärung angesprochen und Entscheidungen zu seinem Nachteil getroffen. Er legte eine Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 des Häftlingsgesetzes vom 14. Oktober 1970 über die Zeit politischen Gewahrsams vom 27. Februar 1969 bis 1. Juli 1970 und einen Beschluss des Landgerichts Berlin vom 23. Dezember 1994 vor, wonach festgestellt wurde, dass der Kläger in der Zeit vom 27. Februar 1969 bis zum 1. Juli 1970 zu Unrecht Freiheitsentziehung erlitten hatte. Mit Widerspruchsbescheid vom 14. Mai 2013 wies die Beklagte den Widerspruch zurück, weil der Kläger die Frist zur Erhebung des Widerspruchs versäumt habe. Die vorgebrachten Einwände würden als Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X angesehen und hierüber zu gegebener Zeit ein gesonderter Bescheid ergehen.

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Das Landesamt für Gesundheit und Soziales Berlin bescheinigte am 23. Oktober 2014 nach § 17 iVm § 22 BerRehaG, dass der Kläger zum Personenkreis gehört, der zum Ausgleich beruflicher Benachteiligung berechtigt ist und vom 27. Februar 1969 bis 1. Juli 1970 Opfer rechtsstaatswidriger bzw. der politischen Verfolgung dienenden Maßnahme im Beitrittsgebiet war (Bl. 126 VA).

6

Mit Neufeststellungsbescheid vom 3. Dezember 2014 (Bl. 186 – 209 VA) stellte die Beklagte die Altersrente für langjährig Versicherte des Klägers neu fest und errechnete für die Zeit vom 1. April 2007 bis zum 31. Dezember 2014 eine Nachzahlung in Höhe von 1.983,08 €. Die Beklagte erkannte aufgrund der Bescheinigung nach dem BerRehaG die Zeit vom 27. Februar 1969 bis 1. Juli 1970 als Beitragszeit sowie die Zeit vom 2. Juli 1970 bis 31. Juli 1970 als Ersatzzeit an. Ferner schlüsselte die Beklagte die Fachschulzeit vom 18. September 1964 bis 28. Juni 1968 in Hochschulzeiten um und berücksichtigte zudem die Zeit vom 15. September 1968 bis 24. Februar 1969 nunmehr aufgrund der vorliegenden Arbeitgeberbescheinigung des VEB Kombinat Elektroprojekt und Anlagenbau als Pflichtbeitragszeiten. In Anlage 4 Seite 4 des Bescheides vom 3. Dezember 2014 berücksichtigte die Beklagte Anrechnungszeiten wegen Schul- oder Hochschulausbildung für insgesamt 33 Monate für die Zeit vom 1. September 1963 bis zum 30. September 1966, wobei sie die Zeit höchstens mit 0,02373 Entgeltpunkten (insgesamt für 33 Monate 0,9009 Punkte) bewertete. Der maßgebende Wert betrug 0,0435 Entgeltpunkte pro Monat (0,1326 x 32,81 / 100). Hiergegen erhob der Kläger am 12. Januar 2015 Widerspruch, weil u.a. die im Vergleich zu dem vorherigen Bescheid von 2007 nunmehr abweichende reduzierte Bewertung der Zeit vom 1. September 1963 bis zum 30. September 1966 nicht nachvollziehbar sei. Der maßgebende Wert von 2007 habe 0,0995 (0,1326 x 75 / 100), begrenzt auf den Höchstwert von 0,0625, betragen, nunmehr sei der maßgebende Wert mit 0,0435 (0,1326 x 32,81 / 100) ermittelt worden.

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Mit Widerspruchsbescheid vom 9. Juni 2015 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Hinsichtlich der Bewertung des Zeitraums des Studiums und des Vortrags bezüglich der Auswirkungen der Berücksichtigung als Hochschulzeit anstatt der bisherigen Fachschulzeit wies die Beklagte auf § 74 Satz 4 SGB VI i.V.m. § 263 Abs. 2 a und 3 SGB VI hin. Hiernach finde eine Bewertung von Zeiten der Schul- und Hochschulausbildung in einer Übergangszeit vom 1. Januar 2005 bis 31. Dezember 2008 nur noch mit einem von dem jeweiligen Rentenbeginn abhängigen begrenzten Gesamtleistungswert statt, eine Bewertung von Zeiten der Schul- oder Hochschulausbildung bei einem Rentenbeginn ab dem 1. Januar 2009 finde nicht mehr statt. Da diese Vorschrift nicht für Zeiten eines Fachschulbesuches gelte, habe sich die Höhe der Bewertung, ausgehend von einem Rentenbeginn am 1. April 2007, für diesen Zeitraum vermindert. Eine Auswirkung auf die Einordnung in Qualifikationsgruppen und damit auf die berücksichtigten Entgelte des Zeitraums vom 15. September 1968 bis zum 24. Februar 1969 ergebe sich hingegen nicht, da für den fraglichen Zeitraum keine Zeit nach dem BerRehaG bzw. keine Zeit mit der erforderlichen Ermittlung eines Tabellenwertes festgestellt worden sei. Das berücksichtigte Entgelt habe sich vielmehr aus den Eintragungen in der vorliegenden Bescheinigung des Arbeitgebers ergeben.

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Auf die hiergegen am 30. Juni 2015 bei dem Sozialgericht Lüneburg erhobene Klage hat das Sozialgericht mit Urteil vom 24. Januar 2018 den Bescheid der Beklagten vom 3. Dezember 2014 und den Widerspruchsbescheid vom 9. Juni 2015 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, die Umwandlung der mit dem Bescheid vom 13. Februar 2007 anerkannten Anrechnungszeiten wegen Fachschulausbildung (Anlage 4, Seite 4) in Zeiten der Hochschulausbildung zurückzunehmen, diese Zeiten weiterhin mit einem Anrechnungsfaktor von 0,0625 zu bewerten und die Rente des Klägers ab 1. April 2007 entsprechend neu zu berechnen. Die angefochtenen Bescheide seien rechtswidrig, weil die Beklagte bei der rückwirkenden Neuberechnung der Rente zu Unrecht eine Umschlüsselung und Neubewertung der mit Bescheid vom 13. Februar 2007 anerkannten Anrechnungszeiten wegen Fachschulausbildung in Zeiten der Hochschulausbildung vorbenommen habe. Der angefochtene Bescheid vom 3. Dezember 2014 und der Widerspruchsbescheid vom 9. Juni 2015 seien daher insoweit aufzuheben. Da mit dem Bescheid vom 3. Dezember 2014 auch zusätzliche Versicherungszeiten anerkannt worden seien und die Beklagte die Rente mit Wirkung ab dem 1. April 2007 neu berechnet habe, sei diese außerdem zu verpflichten, die Rente ohne die vorgenommene Umschlüsselung mit Wirkung ab dem 1. April 2007 insgesamt neu zu berechnen. Für die Verfahrensweise der Beklagten, die anerkannten Anrechnungszeiten wegen Fachschulausbildung in Zeiten der Hochschulausbildung umzuschlüsseln und um über einen Entgeltpunkt niedriger zu bewerten, existiere keine Rechtsgrundlage. Die Beklagte sei insoweit an die Bestandskraft des Bescheides vom 13. Februar 2007 gebunden. Eine Durchbrechung dieser Bestandskraft sei hier nur im Rahmen der §§ 44 ff SGB X möglich. Der Widerspruch des Klägers vom 23. August 2012 sei zutreffend in einen Antrag gemäß § 44 SGB X umgedeutet worden. Diese Vorschrift regele aber nur den Fall, dass der Leistungsempfänger aufgrund der unrichtigen Sachbehandlung der Behörde zu wenig Leistungen erhalten habe. Im vorliegenden Fall habe der Kläger jedoch nach Auffassung der Beklagten im Hinblick auf die streitigen Studienzeiten zu viel an Rente erhalten, da diese Zeiten zu hoch bewertet worden seien. § 44 SGB X biete für eine Korrektur jedoch keine Rechtsgrundlage, wenn die Behörde ihrer Ansicht nach zu hoch gewährte Leistungen zurückfordern oder eine Rückforderung mit zustehenden Leistungen aufrechnen möchte. Dies könne allenfalls im Rahmen des § 45 SGB X erfolgen, dessen Voraussetzungen hier jedoch nicht erfüllt seien. Auch die Voraussetzungen des § 48 SGB X seien nicht erfüllt. Die Grundsätze seien auch dann anzuwenden, wenn wie hier, ein sogenannter Verwaltungsakt mit Doppel- oder Mischwirkung (d.h. ein Verwaltungsakt, der sowohl begünstigende als auch belastende Elemente enthalte) vorliege. Bei der Aufhebung von Verwaltungsakten mit Doppel- oder Mischwirkung seien der begünstigende und der belastende Teil getrennt zu beurteilen. Dies gelte jedenfalls dann, wenn sich der begünstigende und der nicht begünstigende Anteil trennen ließen. Hier sei eine solche Trennung zwanglos möglich, da die Frage, ob geltend gemachte Versicherungszeiten anzurechnen und wie sie gegebenenfalls zu bewerten seien, hinsichtlich jeder einzelnen Zeit unabhängig beantwortet werden könnten. Zwar seien in der Regel einzelne Elemente einer Entscheidung nicht als solche anfechtbar. Eine Ausnahme hiervon stellten jedoch die Versicherungszeiten dar, für die ein besonderer Vertrauensschutz bestehe. Dieser Vertrauensschutz gelte erst recht dann, wenn die streitigen Versicherungszeiten bereits tatsächlich einer Rente zugrunde gelegt worden waren. § 44 SGB X könne von der Behörde insbesondere nicht dazu benutzt werden, bisher bindende, begünstigende Feststellungen zu korrigieren, wenn sich nur unter dem Strich ein günstigeres Ergebnis ergebe. Eine Saldierung finde nicht statt. Die Ansicht der Beklagten würde ansonsten eine Umgehung der Vertrauensschutzregelungen des § 45 SGB X ermöglichen, zumal dieser eine Anhörung vorschreibe, die hier nicht erfolgt sei. Auch in der Begründung des Bescheides vom 3. Dezember 2014 sei lediglich eine Umschlüsselung angegeben worden, ohne den Kläger auf die Neubewertung zu seinem Nachteil hinzuweisen. Dieser habe nur durch das aufmerksame Lesen der Anlage 4 überhaupt erkennen können, dass diese Zeiten nunmehr deutlich ungünstiger bewertet worden waren. Diese Vorgehensweise sei weder mit einem transparenten Verwaltungshandeln noch mit dem Grundsatz eines fairen Verfahrens vereinbar. Soweit der Kläger die Anerkennung eines Hochschulstudiums ausdrücklich beantragt habe, wäre die Beklagte verpflichtet gewesen, den Kläger auf die drohende niedrigere Bewertung hinzuweisen, da der Kläger ersichtlich davon ausgegangen sei, dass die Anerkennung als Hochschulzeit zu einer Höherbewertung führen würde.

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Gegen das der Beklagten am 12. Februar 2018 zugestellte Urteil hat diese am 6. März 2018 Berufung eingelegt. Zur Begründung hebt sie hervor, dass sich die erstmalige Berücksichtigung von Zeiten nach dem BerRehaG (Zeit vom 27. Februar 1969 bis zum 1. Juli 1970) rentensteigernd ausgewirkt habe. Die Korrektur der Fachschul- in eine Hochschulausbildung habe zu einer Minderung der Rente geführt. Insgesamt hätten sich die Änderungen jedoch positiv auf die Rentenhöhe ausgewirkt, sodass mit Bescheid vom 3. Dezember 2014 ab dem 1. Januar 2015 nunmehr eine Bruttorente von 1.801,32 € im Vergleich zur Rentenhöhe vor der Neuberechnung von 1.781,66 € brutto festgestellt worden sei. Für die Zeit vom 1. April 2007 bis 31. Dezember 2017 habe der Kläger zudem eine Nachzahlung von 1.983,08 € erhalten. Die Beklagte gehe davon aus, dass eine Saldierung begünstigender und nicht begünstigender Tatbestände vorgenommen werden dürfe. Das Bundessozialgericht habe mit Urteil vom 15. Dezember 1977 (Az.: L 11 RA 2/77) eine derartige Saldierung für rechtmäßig erklärt, soweit die bisherige Rentenhöhe durch die Saldierung nicht unterschritten werde. Dies sei von der Beklagten entsprechend beachtet worden. Ob ein früherer Bescheid rechtswidrig sei, entscheide sich nach dem Verfügungssatz. Dies sei in dem Bescheid vom 13. Februar 2007 neben der Gewährung der Rente als solche insbesondere auch die Rentenhöhe. Die einzelnen Versicherungszeiten dienten hierbei als Berechnungsgrundlage und seien somit Teil der Begründung des Verwaltungsaktes. Ein Verwaltungsakt könne nur hinsichtlich seines Verfügungssatzes eine Bindungswirkung nach § 77 SGG entfalten. Im vorliegenden Fall werde durch den angefochtenen Bescheid vom 3. Dezember 2014 der Verfügungssatz des Bescheides vom 13. Februar 2007 dahingehend korrigiert, dass sich die Rentenhöhe erhöhe. Es handele sich somit um eine Korrektur zugunsten des Klägers, welche nach § 44 SGB X vorzunehmen sei.

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Die Beklagte beantragt,

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das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 1. Februar 2018 aufzuheben.

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Der Kläger beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Er hält die angefochtene Entscheidung für rechtmäßig.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf den Inhalt der von der Beklagten beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg.

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Lediglich klarstellend war der Tenor neu zu fassen, weil das Sozialgericht Lüneburg im Urteil vom 24. Januar 2018 den Neufeststellungsbescheid vom 3. Dezember 2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 9. Juni 2015 ganz und nicht insoweit aufgehoben oder geändert hat. Mit dem Neufeststellungsbescheid sind dem Kläger aufgrund der Bescheinigung des Landesamtes für Gesundheit und Soziales Berlin vom 23. Oktober 2014 nach dem beruflichen Rehabilitierungsgesetz (BerRehaG) die Zeit vom 27. Februar 1969 bis zum 31. Juli 1970 als Beitrags- bzw. Ersatzzeit sowie die Zeit vom 15. September 1968 bis 24. Februar 1969 aufgrund der vorliegenden Arbeitgeberbescheinigung des VEB Kombinat Elektroprojekt und Anlagenbau als Pflichtbeitragszeiten anerkannt und daraufhin rückwirkend eine höhere Rente und ein Nachzahlbetrag zuerkannt worden. Lediglich die belastende Wirkung (die sog. „Umschlüsselung“ der Zeiten der Fachschul- in eine Hochschulausbildung vom 18. September 1964 bis 28. Juni 1968 und damit verbundene geringere Bewertung dieser Zeiten) hat das Sozialgericht aufheben wollen, wie sich auch aus den Entscheidungsgründen („insoweit“) ergibt. Daher war das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg zur Klarstellung entsprechend zu ändern.

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Das Sozialgericht Lüneburg hat mit dem angefochtenen Urteil vom 24. Januar 2018 zu Recht entschieden, dass eine niedrigere Bewertung der mit Bescheid vom 13. Februar 2007 anerkannten Anrechnungszeiten wegen Fachschulausbildung durch die Umwandlung dieser Zeiten in eine Hochschulausbildung im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X durch die Beklagte nicht erfolgen darf, da insoweit die Neubewertung rentenrechtlicher Zeiten für die Vergangenheit zu Lasten des Klägers erfolgt ist. Eine Saldierung, wie sie die Beklagte vorgenommen hat, indem sie im Rahmen des § 44 SGB X einen Teil der neu bewerteten Zeiten rentenerhöhend und einen Teil rentenmindernd berücksichtigt hat, ist im vorliegenden Zusammenhang nicht zulässig, auch wenn sich insgesamt eine Rentenerhöhung zugunsten des Klägers durch den Neufeststellungsbescheid vom 3. Dezember 2014 im Vergleich zum Ausgangsbescheid vom 13. Februar 2007 ergeben hat.

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Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der nach § 44 Abs. 1 SGB X Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.

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Im vorliegenden Fall hat der Kläger eine Überprüfung des vorausgegangenen Altersrentenbescheides vom 13. Februar 2007 nach dieser Vorschrift beantragt. Zwar bezog sich sein Überprüfungsbegehren auch auf eine in diesem Ausgangsbescheid vorgenommene (für ihn günstige) Einordnung des Zeitraums September 1963 bis September 1966 als Zeitraum der Fachschulausbildung sowie auf eine Neubewertung des Zeitraums der politischen Verfolgung in den Jahren 1969 bis 1970. Letzteres Begehren hat die Beklagte im Zuge der Rentenneuberechnung mit dem angefochtenen Bescheid zugunsten des Klägers berücksichtigt.

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Zugleich hat sie aber den Ausgangsrentenbescheid vom 13. Februar 2007 dahingehend korrigiert, dass sie den Zeitraum von September 1963 bis September 1966 nicht mehr als Zeit des Fachschulbesuchs, sondern des Hochschulbesuchs berücksichtigt hat, ohne den Kläger, der auch insoweit von einer Entscheidung zu seinem Nachteil ausgegangen war, jedoch darauf hinzuweisen, dass die Hochschulbewertung für ihn nachteilig ist und zu einer niedrigeren Bewertung führt. Da § 263 Abs. 3 SGB VI für Versicherte u.a. mit einem Rentenbeginn im April 2007 wie im vorliegenden Fall nur eine deutliche eingeschränkte Berücksichtigung von Anrechnungszeiten in Form des (Schul- und) Hochschulbesuchs vorsah, wobei sich diese Einschränkungen nicht auf Zeiten des Besuchs einer Fachschule erstreckten, war diese Neubewertung des tatsächlichen Sachverhalts für den Kläger mit deutlichen rentenrechtlichen Nachteilen verbunden. Die ihm aufgrund der Neubewertung der Zeiten der politischen Verfolgung zustehenden zusätzlichen Rentenleistungen sind zu einem erheblichen Umfang durch die Neubewertung im Sinne von Hochschulzeiten des Zeitraums September 1963 bis September 1966 im Ergebnis im Zuge der von der Beklagten vorgenommenen Saldierung aufgezehrt worden. Die Beklagte hat den Kläger weder vor Erlass des Neufeststellungsbescheides vom 3. Dezember 2014 noch im Bescheid selbst auf die niedrigere Bewertung der Hochschulzeit aufmerksam gemacht und lediglich eine „Umschlüsselung“ der Zeiten mitgeteilt.

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In materiellrechtlicher Hinsicht ist die Neubewertung des Zeitraums September 1963 bis September 1966 nicht zu beanstanden. Der Kläger hat seinerzeit die Technische Fakultät der Universität J., Fachrichtung Schiffselektrotechnik, besucht, wie sein Sozialversicherungsausweis (vgl. die auf Bl. 48 ff. GA vorgelegten Auszüge) schon immer deutlich ausgewiesen hat. Der Kläger hat eine Hochschule, und keine Fachschule in dem damaligen Zeitraum besucht. Er hat bezeichnenderweise immer von einem Studium gesprochen (vgl. etwa seine Schreiben vom 14. Mai 1974 und vom 6. August 1976, Bl. 5, 27 VV linke Heftung).

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Davon zu unterscheiden ist aber die Frage, ob die Beklagte in dem von Seiten des Klägers mit dem Ziel einer Neubewertung der Zeiten seiner politischen Verfolgung eingeleiteten Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X berechtigt war, neben den geltend gemachten Fehlern zu Lasten des Klägers gleichzeitig auch Fehler zu seinen Gunsten zu erfassen und im Zuge der Neuberechnung verbunden mit einer Saldierung zu korrigieren.

24

Die Beantwortung dieser Frage hängt im Ausgangspunkt von einer Auslegung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 SGB X ab. Eine Korrektur eines vorausgegangenen Bescheides kommt nach dieser Vorschrift nur in Betracht, „soweit“ sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und „soweit“ „deshalb“ Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Die vom Gesetzgeber für maßgeblich erklärte Voraussetzung „soweit“ („deshalb“) Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, lässt sich allerdings unterschiedlich interpretieren. Das in der Sache normierte Erfordernis einer Kausalität zwischen der fehlerhaften Sachverhaltsfeststellung und der rechtswidrigen Nichterbringung einer Sozialleistung (BSG, Urteil vom 15. März 2012 – B 3 P 1/11 R –, BSGE 110, 214, Rn. 14) kann nach dem Wortlaut sowohl auf den einzelnen Fehler in Form der unrichtigen Anwendung einer konkreten Rechtsnorm als auch auf das Gesamtergebnis der Rentenberechnung bezogen werden.

25

In der Rechtsprechung des BSG wird angenommen, dass eine nach § 44 SGB X zu treffende Entscheidung (sofern sich im Einzelfall nicht anderweitig Anhaltspunkte für die sachliche Unrichtigkeit des bindenden Verwaltungsakts feststellen lassen) sich auf die vom Betroffenen vorgebrachten Einwände zu beschränken habe und die „Bindungswirkung im Übrigen“, also die Bindungswirkung des zur Überprüfung gestellten Bescheides, unberührt lasse (BSG, Urteil vom 12. Dezember 1996 – 11 RAr 57/96 –, BSGE 79, 297, Rn. 17; vgl. auch Urteil vom 03. Februar 1988 – 9/9a RV 18/86 –, BSGE 63, 33, Rn. 17: sofern ursprünglich nicht beachtete Tatsachen oder Erkenntnisse vorliegen, die für die Entscheidung „wesentlich“ sind, ist ohne Rücksicht auf die Bindungswirkung erneut zu entscheiden… in einem solchen Fall ist der Streitstoff in vollem Umfang erneut zu prüfen). Bezogen auf Fallgestaltungen der vorliegenden Art lässt sich diesen Ansätzen als solchen aber nicht konkret entnehmen, wie genau die „Bindungswirkung im Übrigen“ zu umgrenzen ist. Rentenberechnungen beinhalten ohnehin viele Teilschritte einer Erfassung und rechtlichen Bewertung von ihrerseits vielfach komplexen tatsächlichen Geschehnissen aus dem regelmäßig langjährigen Versicherungsverlauf, sie bringen im Ergebnis das Resultat vieler Teilentscheidungen zum Ausdruck.

26

§ 44 SGB X soll dem Grundsatz der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns Geltung verschaffen und der Verwaltungsbehörde zur Herstellung materieller Gerechtigkeit die Möglichkeit eröffnen, Fehler, die im Zusammenhang mit dem Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, zu berichtigen. Hierbei soll nach dem Willen des Gesetzgebers dessen Rücknahme nur dann in Betracht kommen, soweit eine erneute Überprüfung der Sach- und Rechtslage ergibt, dass die Behörde zu Ungunsten des Antragstellers falsch gehandelt hat (vgl BT-Drucks 8/4022 S 82). Ansonsten soll der Verwaltungsakt bestehen bleiben. Nicht Sinn und Zweck des Zugunstenverfahrens kann es daher sein, dem Antragsteller mehr zu gewähren, als ihm nach materiellem Recht zusteht (BSG, Urteil vom 24. April 2014 – B 13 R 3/13 R –, SozR 4-1300 § 44 Nr 30, Rn. 21 f.). Auch das Abstellen auf das dem Antragsteller materiellrechtlich Zustehende kann jedoch bei komplexen Entscheidungen mit einer Vielzahl von einzelnen ihrerseits nach den materiellrechtlichen Vorgaben zu bewertenden Einzelelementen unterschiedlich ausgerichtet werden.

27

Bezogen auf Rentenbescheide geht die Rechtsprechung des BSG im Ausgangspunkt davon aus, dass sich die Bindungswirkung von Rentenbescheiden grundsätzlich nur auf den Verfügungssatz, d.h. auf die Entscheidung über Art, Dauer (Beginn und Ende) und Höhe der Rente bezieht. Die Begründung der Bescheide soll hingegen an der Bindungswirkung nicht teilnehmen. Dabei gehören zur Begründung insbesondere die rechtliche Beurteilung von Vorfragen sowie die den Bescheiden zugrunde gelegten Erwägungen und insbesondere die Berechnungsfaktoren. Demnach sei die Entscheidung über die Anerkennung von Versicherungszeiten in einem Rentenbescheid nicht einer Bindung fähig (BSG, Urteil vom 26. Juni 1990 – 5 RJ 62/89 – SozR 3-1500 § 77 Nr 1, Rn. 19 mwN).

28

Allerdings hat der 4. Senat des BSG schon vor Jahrzehnten dargelegt, dass mit dieser Rechtsprechung das Vertrauen der Versicherten namentlich in die im Rentenbescheid ausgewiesenen Feststellungen zu zurückgelegten Beitragszeiten und anderen für sie günstigen rentenrechtlich relevanten Tatbestände enttäuscht werde. Dies wiege umso schwerer, als den Versicherten damit unter Umständen die Möglichkeit genommen werde, zunächst noch vorhandene (im weiteren Zeitablauf wegfallende) Beweismöglichkeiten zu ergreifen. Bei dieser Ausgangslage spreche jedenfalls viel dafür, alle Elemente eines Rentenbescheides an der Bindungswirkung teilhaben zu lassen, die auch gesondert durch einen der Bindung fähigen Verwaltungsakt geregelt werden könnten (U.v. 31. Mai 1978 – 5 RJ 76/76 – SozR 1500 § 77 SGG, Nr. 29).

29

Bei der Bewertung dieses Ansatzes ist ausgehend von der verfassungsrechtlich normierten Bindung der Gerichte an die gesetzgeberischen Vorgaben (Art. 20 Abs. 3 GG) auch den gesetzgeberischen Wertungen Rechnung zu tragen. Das deutsche Rentenrecht des SGB VI knüpft im Ausgangspunkt für die Ermittlungen der Rentenansprüche der Höhe (und häufig auch dem Grunde nach) an den gesamten Versicherungsverlauf an, mithin auch an vielfach Jahrzehnte zurückliegende Tatsachen. Auch der Gesetzgeber hat erkannt, dass damit besondere Beweisschwierigkeiten verbunden sein können. Er hat die Rentenversicherungsträger mit der Regelung des § 149 Abs. 5 Satz 1 SGB VI verpflichtet, die im Versicherungsverlauf enthaltenen und nicht bereits festgestellten Daten, die länger als sechs Kalenderjahre zurückliegen, durch Bescheid festzustellen (sofern der Versicherungsträger das Versicherungskonto geklärt oder der Versicherte innerhalb von sechs Kalendermonaten nach Versendung des Versicherungsverlaufs seinem Inhalt nicht widersprochen hat). Diesem Bescheid kommt eine (für die dort erfassten Fallgruppen durch § 149 Abs. 5 Satz 2 SGB VI modifizierte) Bindungswirkung zu.

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Die gesetzlich vorgesehene Beweissicherung soll allerdings nach der Rechtsprechung des BSG mit der Übernahme der entsprechenden im Vormerkungsbescheid ausgewiesenen Feststellungen in einen Rentenbescheid nicht mehr erforderlich sein; sodass die Vormerkungs- und Herstellungsbescheide mit einer solchen Übernahme jegliche rechtliche Bedeutung verlieren sollen (BSG, Urteil vom 23. August 2005 – B 4 RA 21/04 R –, Rn. 41, juris, bezogen auf Herstellungsbescheide). Ein solcher Wegfall eines Bedürfnisses für eine Beweissicherung durch den nachfolgenden Rentenbescheid kommt jedoch nur dann in Betracht, wenn der Rentenbescheid seinerseits die erforderliche Beweissicherung bewirkt.

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Diese Beweissicherungsfunktion kann im Ergebnis aber nur erzielt werden, wenn die in den Rentenbescheid übernommenen Feststellungen aus dem Vormerkungsbescheid ihrerseits (ebenso wie neue im Zuge der Rentenberechnung getroffene Feststellungen) an der Bindungswirkung des Vormerkungsbescheides teilnehmen.

32

Gerade Fallgestaltungen der vorliegenden Art verdeutlichen, dass eine entsprechende Beweissicherungsfunktion auch nach Erlass des Rentenbescheides Relevanz aufweist. Ohne eine solche Beweissicherungsfunktion könnte in der Sache ein Rentenversicherungsträger einem (als solchen begründeten) Überprüfungsbegehren bezüglich einer der vielen in die Rentenberechnung einfließenden tatbestandlichen Voraussetzungen entgegenhalten, dass er nunmehr Zweifel an einem ganz anderen Berechnungselement habe, möge der Versicherte (und sei es auch nach über 50 Jahren) doch nunmehr noch einmal den Nachweis über die bislang im Rentenbescheid festgehaltenen tatsächlichen Annahmen führen.

33

Eine anderweitige Interpretation der Bindungswirkung von Rentenbescheiden hätte überdies zur Folge, dass die Rentenversicherungsträger millionenfach weitere Vormerkungsbescheide erlassen müssten. Schon der 4. Senat des BSG hat in seinem o.g. Urteil vom 31. Mai 1978 darauf hingewiesen, dass Versicherte sich ansonsten in weitergehendem Umfang veranlasst sehen könnten, den Erlass von Vormerkungsbescheiden zu beantragen.

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§ 149 Abs. 5 Satz 1 SGB VI verpflichtet allerdings die Rentenversicherungsträger von Amts wegen zum Erlass der Vormerkungsbescheide. Wenn die Rentenbescheide bezüglich der in ihnen festgestellten rentenrechtlichen Tatbestände und insbesondere der dort festgehaltenen Beitragszeiten keine Bindungswirkung aufweisen würden und sie damit ihrer Funktion nach keine Vormerkungsbescheide ersetzen könnten, müssten die Rentenversicherungsträger jeweils zeitgleich mit dem Erlass eines Rentenbescheides (und der damit einhergehenden Klärung des Versicherungskonto im Sinne von § 149 Abs. 5 Satz 1 SGB VI) noch einen zusätzlichen Vormerkungsbescheid erlassen, um den gesetzlichen Vorgaben des § 149 Abs. 5 Satz 1 zu genügen. Da sich die Bindungswirkung des § 149 Abs. 5 Satz 1 SGB VI nur auf Daten beschränkt, die länger als sechs Kalenderjahre zurückliegen, wäre ausgehend von der gesetzlich angestrebten Beweissicherungsfunktion konsequenter sechs Jahre nach Rentenbeginn noch ein weiterer Vormerkungsbescheid zu erlassen.

35

In der gebotenen Gesamtbewertung ist überdies zu berücksichtigen, dass auch unter der Annahme einer Bindungswirkung die davon betroffenen Feststellungen nicht einer nachträglichen Überprüfung von vornherein entzogen sind. Unter den Voraussetzungen des § 45 SGB X kommt auch eine Korrektur zu Lasten des Versicherten in Betracht. Gerade angesichts der vom Gesetzgeber angestrebten Beweissicherung erachtet der Senat es zugleich für sachgerecht, in diesem Zusammenhang § 45 SGB X und die dort normierten tatbestandlichen Voraussetzungen heranzuziehen.

36

Im vorliegenden Zusammenhang sind die Voraussetzungen des § 45 SGB X allerdings nicht gegeben. Die Zweijahresfrist des § 45 Abs. 3 Satz 2 SGB X ist verstrichen, da die Voraussetzungen des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 2 oder 3 nicht gegeben sind; überdies fehlt schon eine Ermessensausübung auf Seiten der Beklagten.

37

Vorliegend ist überdies der fortgeltende Bescheid vom 8. Dezember 1976 zu berücksichtigen, der ein feststellender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung ist (vgl BSGE 56, 165, 169 = SozR 1300 § 45 Nr 6; BSGE 58, 49, 51 = SozR aaO Nr 15). Dessen bindungsfähiger Verfügungssatz umfasst die in ihm aufgeführten Versicherungszeiten und die dabei vorgenommene Einstufung (BSGE 32, 110, 112 = SozR Nr 1 zu § 11 VuVO; BSGE 46, 236, 238 = SozR 1500 § 77 Nr 29; BSG SozR aaO Nr 61; vgl auch BSG SozR 5070 § 1 Nr 4). Der Versicherungsträger ist nicht nur bei der erstmaligen Feststellung der Rente, sondern auch bei allen künftigen Änderungen an ihn gebunden, solange er nicht nach § 45 SGB X zurückgenommen ist. Daher bewirkt die materielle Bindung des Bescheides vom 8. Dezember 1976, mit dem die Beklagte die streitigen Zeiten September 1964 bis Juni 1968 als Lehrzeit zugeordnet hat, dass der in dem späteren Rentenbewilligungsbescheid enthaltene Verfügungssatz über die Rentenhöhe, soweit sie auf dem durch den Vormerkungsbescheid bindend festgestellten Berechnungsfaktor beruht, rechtmäßig ist, solange der Vormerkungsbescheid Bestand hat (vgl. BSGE 61, 286, 287 = SozR 4100 § 134 Nr 31; BSG, Urteil vom 16. März 1989 – 4/11a RA 70/87 –, BSGE 65, 8-21, SozR 1300 § 48 Nr 55, Rn. 24). Die Beklagte hat den Bescheid vom 8. Dezember 1976 nicht wirksam zurückgenommen und ist daher daran gebunden. Dies betrifft namentlich die dort ausgewiesene Einordnung der streitbetroffenen Zeiträume von September 1963 bis September 1966 als „Lehrzeit“.

38

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

39

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).

 


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