Beschluss vom Landessozialgericht NRW - L 7 AS 2000/18 B ER; L 7 AS 2001/18 B
Tenor
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 18.09.2018 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
1
Gründe:
2I.
3Die Antragsteller begehren mit ihrer Beschwerde Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit ab dem 14.08.2018 im Wege des einstweiligen Rechtschutzes.
4Der am 00.00.1979 geborene Antragsteller zu 1) siedelte mit seiner am 00.00.1991 geborenen früheren Lebensgefährtin, Frau F G und drei ihrer gemeinsamen Kinder, den am 00.00.2009, 00.00.2011 und 00.00.2008 geborenen Antragstellern zu 2) bis 4), im April 2014 in die Bundesrepublik Deutschland über. Frau F G und der Antragsteller zu 1) sind darüber hinaus Eltern der in Deutschland geborenen Kinder O G (geboren am 00.00.2015) und B G (geboren am 00.00.2018). Die Antragsteller sind - wie die übrigen Familienmitglieder - rumänische Staatsbürger.
5Zunächst lebten die Antragsteller zusammen mit Frau F G in H. Im Juni 2017 zogen die Antragsteller mit Frau F G und O G von H nach I, wo sie bei dem Antragsgegner am 12.06.2017 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II beantragten. Frau F G und der Antragsteller zu 1) gaben an, sie seien auf geringfügiger Basis bei der Gesellschaft für M. und K. mbH, F (GMK) befristet als Zusteller beschäftigt. Sie legten einen ab dem 01.06.2017 gültigen Mietvertrag über eine 72 m² große Wohnung in der C-straße 00, I mit einer monatlichen Gesamtmiete von 520 EUR (385 EUR Grundmiete, 60 EUR Betriebskostenvorschuss, 75 EUR Heizkostenvorschuss) vor. Ferner wurde ein Kindergeldbescheid der Familienkasse Nordrhein-Westfalen Nord vom 07.11.2016 vorgelegt, mit dem die bewilligten Kindergeldleistungen für die Antragsteller zu 2) bis 4) und das Geschwisterkind O G ab November 2016 aufgehoben wurden. Zur Begründung wurde in dem Aufhebungsbescheid der Familienkasse Nordrhein-Westfalen Nord aufgeführt, dass die für den Kindergeldbezug notwendige Niederlassungs- oder Aufenthaltserlaubnis nicht mehr bestehe, da die Freizügigkeit mit Verfügung der Ausländerbehörde vom 10.10.2016, zugestellt am 18.10.2016, durch die Stadt H aufgehoben worden sei.
6Die Antragsteller zu 2) bis 4) besuchten bei Antragstellung noch die H-grundschule V. Für den Antragsteller zu 3) lag eine Schulanfängeranmeldung für diese Schule für das Schuljahr 2017/18 vor. Die Antragsteller 2) und 3) wechselten später auf die Grundschule Q, I. Der Antragsteller zu 4) wechselte nach dem Umzug nach I auf die Grundschule K in I.
7Eine Statusanfrage des Antragsgegners im Registerportal des Bundesverwaltungsamtes vom 21.06.2017 ergab, dass hinsichtlich der Antragsteller zu 2) bis 4) sowie Frau F G und O G mit Bescheiden der Ausländerbehörde H vom 10.10.2016 nach § 5 Abs. 4 FreizügG/EU der Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet festgestellt und am 18.10.2016 die Ausweisung für sofort vollziehbar erklärt wurde.
8Mit Bescheiden vom 18.07.2017, 18.09.2017, 28.12.2017 bewilligte der Antragsgegner den Antragstellern, Frau F G und O G zunächst SGB II-Leistungen in der Zeit vom 01.06.2017 bis 30.11.2017 unter Berücksichtigung des Erwerbseinkommens bei der GMK. Im Rahmen eines persönlichen Gesprächs vom 05.01.2018 teilte der Antragsgegner dem Antragsteller zu 1) und Frau F G mit, dass vor Klärung des Aufenthaltsrechts eine weitere Leistungsgewährung nicht in Betracht komme.
9Am 14.04.2018 wurde die jüngste Tochter des Antragstellers zu 1) und Schwester der Antragsteller zu 2) bis 4), B G, geboren. Frau F G wurde deswegen für die Zeit vom 14.04.2018 bis 13.04.2019 Elterngeld in Höhe von 300 EUR monatlich von der Stadt I bewilligt.
10Mit Bescheid vom 25.04.2018 lehnte der Antragsgegner die weitere Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Antragsteller sowie F G, O G und B G ab. Der Antragsteller zu 1) und Frau F G hätten zuletzt ein Beschäftigungsverhältnis nicht mehr nachgewiesen und für die Antragsteller zu 2) bis 4) und Frau F G sei die Freizügigkeit mit der Ausreiseaufforderung der Stadt I entzogen worden. Die Antragsteller und ihre Familienangehörigen hätten nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU ihr Freizügigkeitsrecht verloren, so dass sie sich nach § 7 Abs. 2 FreizügG/EU nicht mehr im Bundesgebiet aufhalten dürften. Demnach hätten sie auch keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II. Das Schreiben vom 25.04.2018 enthielt keine Rechtsmittelbelehrung.
11Am 30.04.2018 haben die Antragsteller, Frau F G, O G und B G bei dem SG Gelsenkirchen beantragt den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihnen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ab Antragstellung zu zahlen (S 33 AS 1169/18 ER). Wegen der Arbeitnehmereigenschaft des Antragstellers zu 1) und von Frau F G sei der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II nicht einschlägig.
12Mit Beschluss vom 07.05.2018 hat das Sozialgericht den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller zu 1) den Regelbedarf vom 30.04.2018 bis zum 30.09.2018 - abzüglich des Erwerbseinkommens und ohne Bedarfe für Unterkunft und Heizung - zu zahlen. Im Übrigen hat das SG den Antrag abgelehnt.
13Gegen den ihnen am 09.05.2018 zugestellten Beschluss haben die Antragsteller zu 2) bis 4), ihre Mutter und Geschwister am 06.06.2018 Beschwerde bei dem Senat eingelegt (L 7 AS 961/18 B ER). Die Beschwerde der Mutter und Geschwister der Antragsteller (B und O G), die wegen einer drohenden Haftstrafe der Mutter wieder nach Rumänien (so der Antragsteller zu 1)) bzw. nach Frankreich (so die Ausländerbehörde der Stadt I unter Bezugnahme auf eine Mitteilung des Antragstellers zu 1)) ausgewandert seien, hat die Prozessbevollmächtigte der Antragsteller mit Schriftsätzen vom 22.08.2018 und 13.09.2018 zurückgenommen.
14Parallel zum Beschwerdeverfahren haben die Antragsteller erneut Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beim Antragsgegner beantragt. Das Beschäftigungsverhältnis des Antragstellers zu 1) sei zwischenzeitlich mit Schreiben vom 09.05.2015 der GMK zum 15.06.2018 gekündigt worden. Mit Schreiben vom 11.06.2018 hat der Antragsteller zu 1) mitgeteilt, seine "Frau" (gemeint wohl Frau F G) sei mit der jüngsten Tochter ausgezogen und nach Rumänien zurückgekehrt. Er sei nunmehr alleinerziehender Vater von drei Kindern.
15Am 15.06.2018 hat der Antragsgegner vom Ausländeramt Kenntnis erhalten, dass sich Frau F G in Untersuchungshaft befand. Eine Verurteilung wegen "Bandenkriminalität" sei im Januar 2018 erfolgt. Für die Kinder von Frau F G bestehe weiterhin keine Freizügigkeit. Auf weitere Nachfrage des Antragsgegners hat der Antragsteller zu 1) mit Schreiben vom 20.06.2018 mitgeteilt, sein Geburtsname sei T gewesen. Er habe im Jahr 2006 Frau T geheiratet und ihren Namen angenommen. Im Jahr 2007 habe er sich scheiden lassen. Seit 2007 sei er mit Frau F G zusammen gekommen, ohne diese zu heiraten. Er habe fünf Kinder mit ihr. Frau F G sei mit den beiden jüngsten Kindern ausgewandert und wieder nach Rumänien zurückgekehrt. Das Einwohnermeldeamt habe eine Abmeldung abgelehnt. Ihm sei arbeitgeberseitig ordentlich gekündigt worden, wie sich aus dem Kündigungsschreiben vom 09.05.2018 zum 15.06.2018 ergebe. Er lebe als alleinerziehender Vater von drei Kindern in der Wohnung C-straße 00, I. Die Lohnabrechnungen habe er bereits vorgelegt, werde diese gleichwohl noch einmal nachreichen. In der Folgezeit hat der Antragsteller zu 1) die Lohnabrechnungen für die Monate November 2017 bis März 2018 dem Antragsgegner zugefaxt.
16Auf gerichtliche Nachfrage in dem Beschwerdeverfahren L 7 AS 961/18 B ER hat das Amt für Ausländerangelegenheiten der Stadt H unter dem 27.07.2018 mitgeteilt, dass Frau F G weiterhin vollziehbar ausreisepflichtig sei. Zwar habe sie gegen diese Ordnungsverfügung Rechtsmittel eingelegt, jedoch sei das Verfahren eingestellt worden, da Frau F G das Verfahren nicht betrieben habe. Der Antragsteller zu 4) sei ebenfalls vollziehbar ausreisepflichtig. Die Abweichung im Ausländerzentralregister beruhe auf einen Übertragungsfehler.
17Am 14.08.2018 haben die Antragsteller bei dem SG Gelsenkirchen einen weiteren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt und ihren Vortrag im Wesentlichen wiederholt. Das SG Gelsenkirchen hat eine Stellungnahme der GMK eingeholt, die unter dem 05.09.2018 mitgeteilt hat, dass das Beschäftigungsverhältnis des Antragstellers zu 1) verhaltensbedingt gekündigt worden sei, weil dieser trotz arbeitsgerichtlicher Abmahnung nicht vereinbarte Arbeitszeiten eingehalten habe.
18Gestützt hierauf hat das SG Gelsenkirchen mit Beschluss vom 18.09.2018 den Antrag der Antragsteller auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und Prozesskostenhilfe abgelehnt.
19Die GMK hat auf gerichtliche Anfrage in dem Verfahren L 7 AS 961/18 B ER mit Schreiben vom 21.09.2018 ferner mitgeteilt, dass das Beschäftigungsverhältnis mit dem Antragsteller zu 1) nach Abmahnung verhaltensbedingt gekündigt worden sei. Bereits zuvor hat die Bundesagentur für Arbeit am 18.09.2018 festgestellt, dass die ab dem 16.06.2018 eingetretene Arbeitslosigkeit des Antragstellers zu 1) selbstverschuldet eingetreten sei.
20Gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 18.09.2018, der ihnen am 19.09.2018 zugestellt wurde, haben die Antragsteller Beschwerde eingelegt. Das Beschäftigungsverhältnis des Antragstellers zu 1) sei entgegen der Stellungnahme der GMK unfreiwillig beendet worden. Die Antragsteller zu 2) bis 4) besuchten in I weiterhin Grundschulen und würden vom Antragsteller zu 1) alleine erzogen. Zu diesem Zwecke habe der Antragsteller im Juni 2018 vor dem AG I das alleinige Sorgerecht beantragt.
21Unter dem 23.10.2018 hat die Ausländerbehörde der Stadt I in dem Beschwerdeverfahren L 7 AS 961/18 B ER mitgeteilt, dass es ein Verfahren zur Feststellung über das Nichtbestehen der Freizügigkeitsrechte bezüglich des Antragstellers zu 1) eröffnet habe. Da das letzte Beschäftigungsverhältnis des Antragstellers zu 1) nicht unfreiwillig beendet worden sei, sei beabsichtigt, den Verlust der Freizügigkeit festzustellen. Hierzu laufe eine Anhörungsfrist, die am 08.11.2018 ende. Eine Rückverfügung des Freizügigkeitsrechts der minderjährigen Antragsteller zu 2) bis 4) sei nicht erfolgt.
22Auf Anfrage des Senats in dem Beschwerdeverfahren L 7 AS 961/18 B ER haben die Grundschulen Q und K mit Schreiben vom 30.10.2018 und 31.10.2018 mitgeteilt, dass die Antragsteller zu 2) bis 4) seit den Herbstferien 2018 nicht mehr zum Schulunterricht erschienen sind. Weder seien Abmeldungen noch Entschuldigungen eingegangen.
23Mit Bescheid vom 26.11.2018 hat die Ausländerbehörde der Stadt I gemäß § 5 Abs. 4 FreizügG/EU das Nichtbestehen des Rechts auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet bei dem Antragsteller zu 1) festgestellt und die sofortige Vollziehung dieser Ordnungsverfügung angeordnet. Zur freiwilligen Ausreise hat das Ausländeramt dem Antragsteller zu 1) eine Frist bis zum 31.01.2019 eingeräumt. Für den Fall, dass eine freiwillige Ausreise zum 31.01.2019 nicht erfolgt, wurde bereits die Abschiebung nach § 7 Abs. 1 Satz 3 FreizügG/EU angedroht. Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller zu 1) bisher - soweit ersichtlich - keinen Widerspruch eingelegt.
24Mit Beschluss vom 28.11.2018 hat der Senat in dem Beschwerdeverfahren L 7 AS 961/18 B ER die Beschwerde der Antragsteller zu 2) bis 4) zurückgewiesen, da die Antragsteller zu 2) bis 4) weder einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht hatten, noch Leistungen im Wege der Folgenabwägung zuzusprechen waren
25II.
26Die zulässige Beschwerde der Antragsteller ist unbegründet.
27Das Sozialgericht hat den Antrag der Antragsteller zu 2) bis 4) im Ergebnis zu Recht abgelehnt, da dieser bereits Gegenstand des Verfahren S 33 AS 1169/18 ER bzw. L 7 AS 561/18 B ER war und eine parallele Geltendmachung desselben Anspruchs in einem weiteren Verfahren nicht zulässig ist. Nur der Antrag des Antragstellers zu 1) war zulässig. Zulässiger Gegenstand des Verfahrens ist damit die einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners zur Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ab dem 14.08.2018 an den Antragsteller zu 1). Zu Recht hat das Sozialgericht den Antrag abgelehnt (vgl. bereits die Ausführungen des Senats im Beschluss vom 28.11.2018 - L 7 AS 561/18 B ER).
28Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG iVm § 920 Abs. 2 ZPO). Ob ein Anordnungsanspruch vorliegt, ist in der Regel durch summarische Prüfung zu ermitteln. Können ohne Eilrechtsschutz jedoch schwere und unzumutbare Nachteile entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, ist eine abschließende Prüfung erforderlich (BVerfG Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05). Bei offenem Ausgang muss das Gericht anhand einer Folgenabwägung entscheiden, die die grundrechtlichen Belange der Antragsteller umfassend zu berücksichtigen hat (BVerfG Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05; ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. nur Beschlüsse vom 05.09.2017 - L 7 AS 1419/17 B ER und vom 21.07.2016 - L 7 AS 1045/16 B ER).
29Der Antragsteller zu 1) hat einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.
30Es kann offen bleiben, ob der Antragsteller zu 1) die Leistungsvoraussetzungen nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erfüllt. Jedenfalls war er nach § 7 SGB II vom Leistungsbezug ausgenommen. Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2a SGB II sind vom SGB II-Leistungsbezug ausgenommen Ausländerinnen und Ausländer, die kein Aufenthaltsrecht haben.
31Bei dem Antragsteller zu 1) wurde von der zuständigen Ausländerbehörde nach § 5 Abs. 4 FreizügG/EU der Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet festgestellt. Der Antragsteller hat nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU sein Freizügigkeitsrecht verloren, so dass er sich nach § 7 Abs. 2 FreizügG/EU nicht im Bundesgebiet aufhalten darf. Die förmliche Verlustfeststellung begründet nach § 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU die sofortige Ausreisepflicht, wenn nicht Rechtsschutz in Anspruch genommen wird (BSG Urteil vom 03.12.2015 - B 4 AS 44/15 R). Der Antragsteller zu 1) hat nicht glaubhaft gemacht, dass er gegen die ihm adressierte Verlustfeststellung Rechtsmittel eingelegt hat.
32Hinzu kommt, dass nach der durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007 erfolgten Änderung des § 7 FreizügG/EU die Ausreisepflicht nicht mehr erst dann entsteht, wenn die Ausländerbehörde unanfechtbar festgestellt hat, dass das Recht auf Einreise und Aufenthalt nicht besteht, sondern grundsätzlich bereits mit der bloßen Feststellung des Verlustes (BT-Drs. 16/5065, S. 211; vgl. auch LSG Nordrhein-Westfalen Beschlüsse vom 06.10.2017 - L 19 AS 1761/17 B ER und vom 19.03.2018 - L 19 AS 133/18 B ER, das in diesen Fällen bereits einen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet verneint).
33Die Antragsteller zu 2) bis 4) verfügen auch nicht über ein Aufenthaltsrecht aus Art. 10 VO (EU) 492/11, weshalb auch der Antragsteller zu 1) sich hierauf nicht berufen kann. Danach können die Kinder eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates beschäftigt ist oder beschäftigt gewesen ist, wenn sie im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats wohnen, unter den gleichen Bedingungen wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats am allgemeinen Unterricht sowie an der Lehrlings- und Berufsausbildung teilnehmen. Art. 10 VO (EU) 492/11 verleiht den Kindern eines Arbeitnehmers ein eigenes Recht auf Zugang zum Unterricht an einer allgemeinbildenden Schule und damit ein autonomes, dh nicht vom Aufenthaltsrecht ihrer Eltern abhängiges, eigenständiges Aufenthaltsrecht. Dieses Recht gilt für Kinder von Arbeitnehmern wie auch für die Kinder ehemaliger Arbeitnehmer. Art. 10 VO (EU) 492/11 verlangt nur, dass das Kind mit seinen Eltern oder einem Elternteil in der Zeit in einem Mitgliedstaat lebte, in der dort zumindest ein Elternteil als Arbeitnehmer wohnte (vgl. EuGH, Urteile vom 30.06.2016 - C-115/15, vom 13.06.2013 - C-45/12 Hadj Ahmed, vom 08.05.2013 - C-529/11 Alarape und Tijani, vom 14.06.2012 - C-542/09, vom 06.09.2012 - C-147/11/148/11 Czop und Punakova und vom 23.02.2010 - C-310/08; 480/08 Ibrahim und Teixeira). Voraussetzung ist aber, dass sie im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats wohnen, woran hier hinsichtlich der Antragsteller zu 2) bis 4) erhebliche Zweifel bestehen und am Unterricht tatsächlich teilnehmen. Letzteres ist hier nicht glaubhaft gemacht, denn die Antragsteller zu 2) bis 4) sind seit dem Ende der Herbstferien, mithin seit dem 29.10.2018, unentschuldigt nicht mehr zum Unterricht erschienen. Die u.a. mit Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten der Antragsteller vom 26.11.2018 vorgelegten Schulbescheinigungen datieren vom 14.09.2018 bzw. 18.09.2018 und damit vor den Herbstferien. Ob dem Leistungsbezug aufgrund des Schulbesuchs zusätzlich § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2c) SGB II entgegensteht oder hier im Wege der Folgenabwägung bei einem tatsächlichen und fortgesetzten Schulbesuch im einstweiligen Rechtsschutz eine Folgenabwägung zugunsten des Antragstellers vorgenommen werden muss (so die ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Beschluss vom 21.12.2017 - L 7 AS 2044/17 B ER), braucht im vorliegenden Einzelfall nicht entschieden zu werden, da kein tatsächlicher und fortgesetzter Schulbesuch glaubhaft gemacht wurde. Ebenso muss nicht entschieden werden, ob ein Aufenthaltsrecht aus Art. 10 VO (EU) 492/11 auch bei Ausländern, die vollziehbar ausreisepflichtig sind, denkbar ist oder ob auch insoweit dem Aufenthaltsrecht die Tatbestandswirkung der ausländerbehördlichen Ausreiseverfügung entgegensteht.
34Vor diesem Hintergrund sind Leistungen auch nicht im Wege der Folgenabwägung zuzusprechen.
35Zuletzt hatte auch eine Beiladung der Stadt I als zuständige Trägerin von Leistungen nach dem AsylbLG nicht zu erfolgen. Zwar käme nach den obigen Ausführungen ein Anspruch des Antragstellers zu 1) nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG in Betracht (vgl. LSG Sachsen-Anhalt Beschluss vom 25.07.2016 - L 8 SO 19/16 B ER; LSG Hessen Beschluss vom 22.05.2015 - L 4 SO 31/15 B ER). Insofern fehlt es jedoch an einem Anordnungsgrund, da die anwaltlich vertretenen Antragsteller sich bislang nicht an die Stadt I gewandt und Leistungen begehrt haben, obwohl ein entsprechender Hinweis mit Beschluss vom 28.11.2018 bereits in dem Beschwerdeverfahren L 7 AS 961/18 B ER erteilt wurde. Ein Antragsteller ist zunächst gehalten, sich an den (zuständigen) Leistungsträger unmittelbar zu wenden, bevor er gerichtlichen Eilrechtsschutz in Anspruch nimmt (so auch LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 06.10.2017 - L 19 AS 1761/17 B ER).
36Mangels hinreichender Erfolgsaussicht war auch der Antrag auf Prozesskostenhilfe für die Antragsteller abzulehnen (§ 73a SGG iVm § 114 Abs. 1 ZPO). Im Beschwerdeverfahren haben die Antragsteller keinen Prozesskostenhilfe-Antrag gestellt.
37Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von 193 Abs. 1 Satz 1 SGG. Im Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 127 Abs. 4 ZPO).
38Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
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