Beschluss vom Landessozialgericht NRW - L 7 AS 930/21 B
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 28.04.2021 wird zurückgewiesen.
1
Gründe:
2Streitgegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens ist der Bescheid vom 05.02.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.02.2020, mit dem der Beklagte die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Klägerin für die Zeit vom 01.06.2019 bis zum 30.11.2019 abschließend festgesetzt hat. Dieser Bescheid hat den vorläufigen Bescheid vom 30.04.2019 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 28.08.2019 gemäß § 39 Abs. 2 SGB X erledigt (vgl. hierzu BSG Urteile vom 05.07.2017 – B 14 AS 36/16 R und vom 17.09.2020 – B 4 AS 3/20 R, Senatsurteil vom 19.08.2021 – L 7 AS 1756/20). Nicht streitgegenständlich ist indes die in diesem Bescheid getroffene Regelung zu den Bedarfen der Kosten und Unterkunft und Heizung der Klägerin, denn hierbei handelt es sich um einen eigenständigen Streitgegenstand (vgl. etwa BSG Urteil vom 26.05.2011 – B 14 AS 132/10 R), den das Sozialgericht mit Beschluss vom 20.11.2020 iSv § 202 SGG iVm § 145 Abs. 2 ZPO vom vorliegenden Verfahren abgetrennt hat und nunmehr unter einem anderen Aktenzeichen behandelt (vgl. hierzu auch Senatsbeschluss vom 24.03.2020 – L 7 AS 164/20 B). Unabhängig von der Frage, ob der Bescheid über die abschließende Festsetzung vom 05.02.2020 und der Erstattungsbescheid vom 04.02.2020 eine rechtliche Einheit darstellen, ist der Erstattungsbescheid vom 04.02.2020 entgegen der Auffassung des Sozialgerichts jedenfalls nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens, denn dieser Bescheid betrifft nur der Klägerin vorläufig gezahlte Bedarfe für Unterkunft und Heizung.
3Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Jedenfalls im Ergebnis zu Recht hat das Sozialgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg (§§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG, 114 Abs. 1 ZPO) abgelehnt.
4Ein Rechtsschutzbegehren hat hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von der Beantwortung einer schwierigen Rechtsfrage abhängt. Die Prüfung der Erfolgsaussichten für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Schwierige, bislang ungeklärte Rechtsfragen dürfen nicht im Prozesskostenhilfeverfahren entschieden werden, sondern müssen auch von Unbemittelten einer prozessualen Klärung zugeführt werden können. Prozesskostenhilfe ist auch zu bewilligen, wenn in der Hauptsache eine Beweisaufnahme erforderlich ist und keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Antragstellers ausgehen wird (BVerfG Beschlüsse vom 04.05.2015 – 1 BvR 2096/13, vom 09.10.2014 – 1 BvR 83/12 und vom 19.02.2008 – 1 BvR 1807/07; ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. nur Beschlüsse vom 05.11.2020 – L 7 AS 743/20 B, vom 20.04.2016 – L 7 AS 1645/15 B und vom 15.02.2016 – L 7 AS 1681/15 B).
5Nach diesen Maßgaben hat die vorliegende Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
6Der Beklagte hat bei seiner Leistungsberechnung zunächst den Regelbedarf der Klägerin unter Zugrundelegung der gesetzlichen Vorschriften (§§ 20 Abs. 2, 23 Nr. 1 SGB II iVm § 28a SGB XII) iVm der RBSFV 2019 vom 19.10.2018 (BGBl I 1766) und der RBSFV 2020 vom 15.10.2019 (BGBl I 1452) zutreffend berücksichtigt. Ein Anlass, das Verfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 GG auszusetzen und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen, besteht nicht, weil der Senat die genannten gesetzlichen Vorschriften nicht für verfassungswidrig hält. Der Senat verweist insoweit zunächst auf die Ausführungen des Sozialgerichts (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).
7Nach der Rechtsprechung des BVerfG sind die Vorschriften über die Festsetzung der Höhe des Regelbedarfs sowie deren Fortschreibung bis zum Jahr 2014 mit dem Grundgesetz vereinbar (BVerfG Beschluss vom 23.07.2014 – 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13). Es besteht kein Anlass, für das streitbefangene Jahr 2019 hiervon abzuweichen (vgl. hierzu auch Senatsbeschlüsse vom 03.05.2021 – L 7 AS 1777/20 B und vom 24.03.2020 – L 7 AS 164/20 B). Die verfassungsrechtlich gebotene Neuermittlung der Regelbedarfsstufen hat im Jahr 2017 stattgefunden. Mit dem Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz (RBEG) vom 22.12.2016 (BGBl. I, 3159) hat der Gesetzgeber eine Sonderauswertung der EVS 2013 vorgenommen (§ 1 RBEG) und nach Fortschreibung der regelbedarfsrelevanten Verbrauchsangaben aus dem Jahr 2013 (§ 7 RBEG; zu der Verfassungsmäßigkeit dieser speziellen Fortschreibungsregelung vgl. nur Saitzek in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl., § 20 Rn. 53) die Summe der regelbedarfsrelevanten Verbrauchsangaben für Erwachsene ab 01.01.2017 auf 409 EUR (§ 7 Abs. 3 RBEG) festgesetzt. Die Regelbedarfsermittlung für 2017 folgt denselben Grundsätzen, die der vom BVerfG im Beschluss vom 23.07.2014 geprüften Rechtslage zugrunde gelegen haben. Die Prüfaufträge und Überwachungspflichten, die das BVerfG im Beschluss vom 23.07.2014 vorgegeben hat, sind beachtet worden (Senatsbeschluss 05.09.2018 - L 7 AS 193/18 NZB). Die Regelsätze werden jährlich überprüft und fortgeschrieben. Die Fortschreibung der Regelbedarfe wird anhand eines Mischindex errechnet. Dieser setzt sich zu 70 Prozent aus der Preisentwicklung und zu 30 Prozent aus der Nettolohnentwicklung zusammen (§ 28a Abs. 2 SGB XII). Das Statistische Bundesamt ermittelt die Preisentwicklung der Güter und Dienstleistungen, die relevant sind, um ein menschenwürdiges Existenzminimum zu sichern. Auch die Entwicklung der Nettolöhne und -gehälter wird vom Statistischen Bundesamt berechnet (§ 28a Abs. 3 SGB XII). Für die Fortschreibung der Regelbedarfsstufen werden nicht die Entwicklung der Verbraucherpreise insgesamt und damit auch nicht der allgemeine Verbraucherpreisindex zugrunde gelegt. Vielmehr wird vom Statistischen Bundesamt ein spezieller Preisindex gebildet. Dieser berücksichtigt ausschließlich die Preisentwicklung der regelbedarfsrelevanten Güter und Dienstleistungen. Zur Zulässigkeit dieses Vorgehens hat das BVerfG ausgeführt (BVerfG Beschluss vom 23.07.2014 – 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13 Rn. 137): „Eine Hochrechnung anhand der Preisentwicklung in den Ausgabepositionen, aus denen sich der regelbedarfsrelevante Verbrauch zusammensetzt, ist mit dem Grundgesetz ebenso vereinbar wie die Orientierung an einem gemischten Index, der neben der Preisentwicklung auch die Entwicklung der Löhne und Gehälter berücksichtigt. Der Gesetzgeber hat tragfähig begründet, warum sich die Fortschreibung der Regelbedarfsstufen nunmehr nach § 28a Abs. 2 Satz 1 und 3 SGB XII an die bundesdurchschnittliche Entwicklung der Preise für regelbedarfsrelevante Güter und Dienstleistungen sowie die bundesdurchschnittliche Entwicklung der Nettolöhne und -gehälter anlehnt. Eine stärkere Gewichtung der Preisentwicklung nach § 28a Abs. 2 Satz 3 SGB XII ist allerdings erforderlich, weil gerade bei Leistungen zur Deckung des physischen Existenzminimums deren realer Wert zu sichern ist. Die geringere Berücksichtigung der Lohnentwicklung soll Entwicklungsstand und Lebensbedingungen berücksichtigen und in gewissem Maße die Wohlfahrtsentwicklung der Gesellschaft nachzeichnen. Die Lohnentwicklung ist zwar für sich genommen zur Fortschreibung der Höhe der Leistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz nicht tauglich. Entscheidend ist aber auch hier, im Ergebnis eine menschenwürdige Existenz tatsächlich zu sichern.“ Diese Ausführungen gelten auch für die hier maßgebliche Fortschreibung für das Jahr 2019. Hinzuweisen ist insbesondere darauf, dass dem BVerfG bekannt war, dass gerade die Kosten für Haushaltsenergie evtl. einer besonderen Preissteigerung unterliegen (vgl. BVerfG Beschluss vom 23.07.2014 – 1 BvL 10/11, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13 Rn 55) und es dennoch die pauschale Fortschreibung der Regelbedarfe für verfassungsrechtlich zulässig gehalten hat.
8Soweit die Klägerin sich zur Begründung ihrer Annahme, der Regelbedarf sei verfassungswidrig zu niedrig festgesetzt, auf ein Gutachten des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes vom 26.04.2018 beruft, in dem eine Regelsatzanhebung auf 571 € gefordert wird, folgt hieraus keine abweichende Einschätzung. Es handelt es sich hierbei um eine im Wesentlichen sozialpolitisch begründete Forderung, die keine Aussage für die Einhaltung der vom BVerfG geforderten verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Regelbedarfsermittlung enthält.
9Anhaltspunkte dafür, dass trotz der Neufestsetzung des Regelbedarfs 2017 einschließlich der Fortschreibung gem. § 7 RBEG und der weiteren Fortschreibung gem. § 28a Abs. 2 SGB XII im Jahr 2019 eine existenzgefährdende Unterdeckung durch unvermittelt auftretende, extreme Preissteigerungen entstanden wäre, auf die der Gesetzgeber durch eine Neufestsetzung des Regelbedarfs hätte reagieren müssen (BVerfG Beschluss vom 23.07.2014 – 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13 Rn. 144), sind nicht ersichtlich.
10Auch die Einkommensanrechnung im Bescheid des Beklagten begegnet keinen Bedenken.
11Die Berücksichtigung eines Durchschnittseinkommens bei der abschließenden Festsetzung der Leistung beruht auf § 41a Abs. 4 Satz 1 SGB II in der hier maßgeblichen Fassung vom 26.07.2016. Die von der Klägerin monierte Vorgehensweise des Beklagten, erst ein monatliches Durchschnittseinkommen durch Addition der Einnahmen je Einkommensart zu bilden und erst anschließend dessen monatliche Bereinigung um die Absetzbeträge nach § 11b SGB II vorzunehmen, steht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. hierzu BSG Urteil vom 11.07.2019 – B 14 AS 44/18 R). Abschließend ist es nicht zu beanstanden, dass der Beklagte die der Klägerin gezahlten Zuschüsse für Fahrtkosten (vgl. auch Hengelhaupt in: Hauck/Noftz SGB II, § 11 Zu berücksichtigendes Einkommen, Rn. 501) und Internetnutzung als Einkommen angerechnet hat, denn hierbei handelt es sich gemäß der Auskunft der Klägerin um Aufwandspauschalen und nicht um Aufwandsentschädigungen, die nach einem individuellen festgestellten Bedarf bemessen sind und anhand von Einzelbelegen des Arbeitnehmers tatsächlich nachvollzogen werden können, und damit um Arbeitsentgelt (vgl. hierzu LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 14.11.2016 – L 19 AS 885/16). Die Klägerin hat keine tatsächlichen Ausgaben geltend gemacht, die die zu ihren Gunsten berücksichtigten Freibeträge übersteigen.
12Kosten im Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe sind nicht erstattungsfähig (§§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG, 127 Abs. 4 ZPO).
13Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
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